Heraklit von Ephesus (Brief 4 und 7)

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Autor: Pseudo-Heraklit
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Titel: Heraklit von Ephesus
Untertitel:
aus: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel (S. 474–480; 1298–1300)
Herausgeber: Paul Rießler
Auflage:
Entstehungsdatum: 1. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Dr. B. Filser
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Erscheinungsort: Augsburg
Übersetzer: Paul Rießler
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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[474]
31. Heraklit von Ephesus

1. Kapitel: Vierter Brief
1
Heraklit an Hermodor.
2
Zürne nicht, Hermodor, weiterhin auf dein Schicksal!
3
Euthykles, der Sohn des Nikophon,

der vor zwei Jahren das Heiligtum der Göttin geplündert hatte,
klagte mich der Gottlosigkeit an, –
er, der einen hochgebildeten Mann nur durch seine Unbildung überragt, –
ich hätte in den mir anvertrauten Altar
meinen Namen eingeschrieben
und mich so aus einem Menschen zu einem Gott gemacht.

4
So soll ich also auf die Anklage eines Gottlosen durch gottlose Richter

der Gottlosigkeit geziehen werden.

5
Was meinst du?
6
Scheine ich ihnen fromm zu sein,

ich, der ich über die Götter eine abweichende Ansicht habe?

7
Wollten Blinde über den Gesichtssinn urteilen,

dann würden sie als Blindheit die Sehkraft bezeichnen.

8
Aber ihr ungebildeten Leute!

Lehret uns zuerst, was Gott ist!
Dann erst verdienet ihr Glauben,
wenn ihr uns der Gottlosigkeit zeihet.


2. Kapitel
1
Wo ist aber Gott?

Ist er in den Tempeln eingeschlossen?
Ihr seid freilich fromm, die ihr Gott im Dunkel wohnen lasset!

2
Ein Mensch würde schelten, hieße man ihn steinern.

Gott aber soll, wie man sagt, aus Felsen geboren sein?

3
Ihr Unbelehrten! Wisset ihr nicht,

daß Gott nicht von Händen gebildet ist,
und daß er kein Fußgestell braucht,
und daß er nicht durch eine Mauer eingeschrankt ist,
sondern daß ihm die ganze Welt mit ihrem bunten Schmuck
an Tieren, Pflanzen und Sternen zum Tempel dient?

4
Ich schrieb den Namen des ephesinischen Herakles auf den Altar,

– ich wollte ja den Gott so in eure Bürgerschaft aufnehmen, –
nicht aber Heraklits Namen.

[475]
5
Wenn ihr nicht lesen könnet,

dann darf eure Unbildung mir nicht als Gottlosigkeit angerechnet werden.

6
Eignet euch Wissen an und werdet gescheit!

Aber ihr wollet nicht, und ich zwinge euch nicht dazu.

7
So bleibet denn ungebildet bis in euer Alter,

und freuet euch an eurem eigenen Gebrechen!


3. Kapitel
1
Wurde Herakles nicht als ein Mensch geboren?

Wie Homer log, mordete er sogar Gastfreunde.

2
Wer versetzte ihn denn unter die Götter?

Seine eigene Tüchtigkeit
und seine tapfern, mit vieler Mühe vollbrachten Taten.

3
Nun ihr Leute! Bin ich nicht selbst auch gut?
4
Ich begehe einen Fehler, wenn ich euch so frage.

Auch wenn ihr es verneintet,
so bin ich dennoch gut.

5
Auch ich vollbrachte viele und sehr schwierige Arbeiten.

Ich blieb Sieger über Lüste, Geld und Ehrsucht;
ich warf die Trägheit und die Schmeichelei nieder;
mir leistet weder Furcht noch Trunkenheit Widerstand;
mich fürchtet die Traurigkeit und der Jähzorn.

6
Über diese Feinde triumphierte ich

und so setzte ich mir den Siegerkranz auf, nicht Euristheus.


4. Kapitel
1
Höret ihr nicht auf, die Weisheit zu vergewaltigen

und mir eure Fehler und Laster in die Schuhe zu schieben?

2
Könntet ihr nach fünfhundert Jahren wieder auf die Welt kommen,

würdet ihr einen Heraklit noch am Leben treffen,
aber von eurem Namen keine Spur mehr finden.

3
Ich werde so lange dasein, wie Städte und Länder,

und werde wegen meiner Lehre stets unvergessen bleiben.
Selbst wenn die Stadt Ephesus zerstört
und alle Altäre vernichtet würden,
so hätte mein Andenken eine bleibende Wohnstätte
in den Herzen der Menschen.

4
Dann führe ich die Jugendgöttin als Gemahlin heim,

nicht die des Herakles.
Diese hat er stets bei sich.
Mir aber wird eine andere zuteil.


5. Kapitel
1
Die Tugend erzeugt viele Jugendgöttinnen;

die eine vermählte sie dem Homer, die andere dem Hesiod,
und wer immer gut ist,
dem traut der Bildung Ruhm eine solche an.

[476]
2
Bin ich also nicht fromm, Euthykles,

der ich allein Gott kenne?
Bist du nicht zugleich frech, weil du ihn zu kennen meinst,
und gottlos, da du den dafür hältst, der es nicht ist?

3
Wenn nun kein Gottesaltar errichtet würde,

soll er aufhören, Gott zu sein,
und wird einem Aftergott ein Altar errichtet,
soll er dann Gott werden?
Dann wären ja Steine Zeugen für die Götter?

4
Die Werke müssen zeugen, wie z. B. die Sonne.

Die Nacht und der Tag legen von ihm Zeugnis ab,
die Jahreszeiten, die ganze früchtetragende Erde,
des Mondes Kreislauf;
sein Tun ist ein himmlisches Zeugnis.


1. Kapitel: Siebter Brief
1
An Hermodor.
2
Ich erfahre,

die Ephesier wollen gegen mich ein Gesetz erlassen,
das aller Gerechtigkeit Hohn spricht.
Es wird sonst gegen einen einzelnen kein Gesetz erlassen,
sondern nur ein Urteil gefällt.

3
Die Ephesier kennen nicht den Unterschied

zwischen Richter und Gesetzgeber.

4
Dieser übertrifft jenen;

denn er ist unbefangener,
weil er nicht weiß, wer sich vergehen wird.

5
Der Richter aber sieht den Angeklagten,

und damit tritt Befangenheit ein.

6
Sie wissen, Hermodor,

daß ich mit dir die Gesetze gemacht habe,
und nun wollen sie mich verbannen.
Aber sie sollen es nicht früher, als bis ich sie überführt habe,
daß sie einen ungerechten Beschluß faßten,

7
es müsse der, der nicht lacht und alles Menschliche verachtet,

vor Sonnenuntergang die Stadt verlassen.
Das wollen sie zum Gesetz erheben.

8
Nun ist aber niemand da, der nicht lacht, Hermodor,

außer Heraklit.
Also verbannen sie mich.


2. Kapitel
1
Menschen! Wollt ihr nicht ansehen,

warum ich nicht lache?

2
Ich hasse nicht die Menschen,

sondern ihre Schlechtigkeit.

3
So erlasset also das Gesetz

„Wer die Schlechtigkeit haßt,

[477]

muß die Stadt verlassen“,
und ich gehe als Erster fort.

4
Gerne verlasse ich nicht die Vaterstadt,

wohl aber die Schlechtigkeit.

5
Ändert das Gesetz ab!
6
Gebet ihr aber zu, daß die Ephesier in Schlechtigkeit eins sind

und ich euch also hasse,
hätte ich dann nicht um so mehr Recht, ein Gesetz zu geben,
es sollen die sterben,
die Heraklit durch ihre Schlechtigkeit das Lachen abgewöhnten,
oder mindestens eine Geldstrafe von zehntausend Drachmen zahlen;
denn eine Geldstrafe trifft euch schwerer.

7
Dies wäre für euch Verbannung, dies Tod.


3. Kapitel
1
Ihr habt mir unrecht getan;

ihr nahmet mir die Gottesgabe weg
und jetzt verbannet ihr mich ungerecht.

2
Oder soll ich euch deshalb vor allem lieben,

weil ihr mir die Gelassenheit nahmet?

3
Ihr hört ja nicht auf,

mich mit Gesetzen und Bannstrahlen zu verfolgen.

4
Bleibe ich auch in der Stadt,

dann bin ich doch aus eurer Mitte verbannt.

5
Mit wem zusammen begehe ich Ehebruch oder Mord?

Mit wem zusammen begehe ich Trunksuchtsvergehen oder Verbrechen?

6
Ich begehe kein Verbrechen;

ich tue keinem einzigen ein Unrecht an.
Ich bin in der Stadt ganz einsam.
Durch Schlechtigkeiten machtet ihr sie zu einer Einöde.

7
Macht eure Gemeindeversammlung den Heraklit gut?

Nicht vielmehr Heraklit euch, die Stadt?
Aber ihr wollet nicht.


4. Kapitel
1
Ich aber will es und bin ein Gesetz für andere;

ich allein aber kann nicht die Stadt zügeln.

2
Ihr wundert euch, daß ich niemals lache;

ich aber wundere mich über die Lachenden,
daß sie beim Unrecht heiter sind,
während man beim Unrechttun traurig sein sollte.

3
Gebt mir in Ruhe Gelegenheit zum Lachen!
4
Zieht nicht vor den Richterstühlen in den Krieg

mit den Zungen als Waffen,
ihr, die ihr Geld wegnehmet, Weiber verderbet,
Freunde vergiftet, Tempelraub begehet,
verkuppelt, offen die Treue brechet,
mit der Pauke herumzieht und einander mit Sünden beflecket!

[478]
5. Kapitel
1
Ich muß lachen, wenn ich Leute sehe, die solches tun,

wenn sie Gewand oder Bart oder Frisur nicht pflegen,
oder wenn ein Weib sein Kind auf Giftmischerei ertappt,
oder wenn Kinder das Vermögen aufzehren,
oder wenn ein Bürger seiner Gattin beraubt wird,
oder wenn eine Jungfrau bei nächtlichen Festen verführt wird,
oder wenn eine noch nicht zum Weib gereifte Dirne
schon solche Leidenschaften hat,
oder wenn ein Jüngling in Lüsternheit der Liebling einer ganzen Stadt ist,
oder wenn Oliven zu Salben verwendet werden,
oder wenn sich die Tischgenossen unter Verpfändung der Ringe der Weinlaune überlassen,
oder wenn die Speisen überaus kostspielig sind,
die doch sich nur durch die Mägen entleeren,
oder wenn die wichtigsten Entscheidungen die der Bühne sind.

2
Aber Tränen vergießen läßt mich die Tugend,

wenn sie der Schlechtigkeit nachgesetzt wird.


6. Kapitel
1
Oder soll ich über eure wirklichen Kämpfe lachen,

wenn ihr unter dem Vorwand erlittenen Unrechts
euch gegenseitig mit Mordtaten beflecket, ihr Unseligen,
die ihr euch aus Menschen in Tiere wandeltet?

2
Ihr lasset euch durch Flöten und Trompeten

durch die holde Tonkunst zu allen unholden Leidenschaften aufstacheln.

3
Das Eisen, das für die Pflüge und den Landbau besser paßte,

wird zu Werkzeugen des Mordes und des Todes umgeschmiedet.

4
So wird Gott durch euch entehrt,

die kriegerische Athene und der mörderische Ares.

5
So stellet ihr gegeneinander Heere auf,

Menschen gegen Menschen,
und wünschet Metzeleien.
Dabei bestrafet ihr die, die nicht morden wollen,
als Fahnenflüchtige
und ehret die Bluthunde als Helden.


7. Kapitel
1
Die Löwen bewaffnen sich nicht gegeneinander,

noch greifen die Pferde zum Schwert,
noch siehst du je einen Adler im Harnisch gegen einen Adler.

2
Sie haben keine besondern Kampfwerkzeuge,

sondern jeder benützt seine Glieder auch als Waffen.

3
Die einen haben Hörner als Waffen,

die andern Schnäbel, andere Flügel,
wieder andere besitzen Schnelligkeit oder Größe,
oder Kleinheit oder Dicke oder Schwimmfertigkeit,
und viele haben nur ein Schnauben.

[479]
4
Keinerlei Schwert macht den unvernünftigen Tieren Freude,

wenn sie sehen, daß das Naturgesetz bei ihnen gewahrt bleibt.

5
Nicht so bei den Menschen!

Daß doch die Übertretung dieses Gesetzes
sich gerade bei den edleren Geschöpfen findet!


8. Kapitel
1
Etwas Unsicheres ist das Kriegsende.

Was soll man euch da wünschen?
Könnet ihr mich seinetwegen von der Traurigkeit heilen?

2
Wie könnte das geschehen?

Wird nicht von den eigenen Stammverwandten
das Land der Bäume beraubt,
die Stadt geplündert,
die Alten in den Kot getreten,
die Weiber weggeschleppt,
die Kinder aus den Armen gerissen,
die Ehebetten befleckt,
die Jungfrauen vergewaltigt,
die Knaben weibisch gemacht,
die Freien in Ketten gelegt,
die Tempel der Götter zerstört
und Heiligtümer der Halbgötter vernichtet?

3
Und dabei werden Siegeslieder auf die Greueltaten angestimmt

und den Göttern Dank für den Frevel dargebracht.


9. Kapitel
1
Darüber kann ich nicht lachen.
2
Im Frieden kämpfet ihr mit Worten;

im Krieg regieret ihr durchs Eisen.
Das Recht reißet ihr durchs Schwert an euch.

3
Hermodor wird verbannt, weil er Gesetze verfaßte.

Heraklit wird verbannt wegen Gottlosigkeit.

4
Die Städte sind Wüsten für die Sittlichkeit,

und solche Wüsten der Schlechtigkeit sind dicht bevölkert.

5
Mauern stehen da als Zeichen menschlicher Niedertracht;

sie müssen einen Frevel einsperren.

6
Und Häuser umschließen alle.
7
Diese sind gleichfalls Mauern des Irrtums.

Die drinnen sind Feinde, aber Bürger,
die draußen Feinde, aber Fremde.
Überall Feinde,
nirgends Freunde.


10. Kapitel
1
Kann ich da lachen, wenn ich solche Gegner sehe?
2
Ihr sehet fremden Reichtum als euren eigenen an.
[480]

Fremde Weiber betrachtet ihr als die eurigen.

3
Die Freien machet ihr zu Sklaven;

ihr verzehret lebende Tiere.

4
Ihr übertretet die Gebote,

bestätigt Frevel durch Gesetze;
ihr vergewaltiget alles, was ihr nicht geschaffen habt.

5
Die Gesetze, die am ehesten Zeichen der Gerechtigkeit zu sein scheinen,

sind ein Zeugnis für die vorhandene Ungerechtigkeit.

6
Wären sie nicht da, dann würdet ihr immerfort sündigen.
7
Jetzt aber werdet ihr noch ein wenig gezügelt.
8
Wenn ihr euch auch jetzt aus Furcht vor Strafe noch ein wenig zügelt,

so seid ihr doch allem Schlechten verfallen.

Erläuterungen

[1298]
31. Zu Heraklit

Heraklit war der berühmte griechische Philosoph aus Ephesus, ungefähr ums Jahr 500 v. Chr. Er ist bekannt durch seine trübe Ansicht vom menschlichen Leben. Man sagte von ihm, er weine immer im Gegensatz zu Demokrit, dem immer Lachenden. Seine Schriften, die er im Artemistempel zu Ephesus niederlegte, waren außerordentlich dunkel. Auch unter seinem Namen wurden Briefe verfaßt, um eine unterhaltende und belehrende Lektüre zu schaffen. Zwei davon verraten eine jüdische Hand (s. 4, 2), der vierte und der siebte. Ihre Abfassung mag nach 4, 2 in den Anfang der christlichen Zeitrechnung fallen. (s. Hercher, Epistolographi Graeci 1873, J. Bernays, Die heraklit. Briefe 1869, Jahrbücher für klassische Philologie Suppl. 19, 1893, 386 ff. Ed. Norden, Der vierte heraklit. Brief)

  • IV. Brief.
  • 1: 1 Dieser Brief handelt von einer Anklage gegen Heraklit wegen Gotteslästerung. 3 Hermodor, Staatsmann und Heraklits Freund, wurde von der demokratischen Partei aus Ephesus verbannt; mit ihm trat auch Heraklit von aller politischen Tätigkeit zurück und begab sich in die Einsamkeit des Artemistempels. 3 Euthykles und sein Vater sind unbekannt. Der Tempel ist der Artemistempel; der Altar der des Herakles. Die Anklage wegen Gotteslästerung beruht auf einer aus der heraklitischen Spekulation abgeleiteten Lehre; sie behauptet nämlich, Heraklit habe sich selbst für einen Gott ausgegeben. Heraklit lehrte nämlich die Wesenseinheit der Gegensätze von Leben und Tod und behauptete, daß zwischen den unsterblichen Mächten und den sterblichen Geschöpfen ein ununterbrochener Rollentausch stattfinde, ein Eingehen des Unsterblichen in die Sterblichkeit und ein Erwachen der Toten zu neuem Leben. Diese philosophische Lehre wurde von den Stoikern in eine ethische verwandelt, die in dem Satze gipfelt, daß der weise und gute Mensch göttlich oder Gott sei. Deshalb konnte der in der Blütezeit des Stoizismus lebende Verfasser gegen Heraklit eine Anklage wegen Menschenvergötterung erheben lassen.
  • 2: 1 Zuerst wendet sich der Verfasser in seinem Kampf gegen den Götterkult zu der Tempelzelle, wo das Götterbild aufgestellt war. Da die meisten Tempelzellen ganz finster waren, ruft der Verfasser, der das Licht als Gottes erste Schöpfung kannte, höhnisch den Hellenen zu: „Ihr seid fromm, die ihr Gott, den Vater des Lichtes, im Finstern aufstellt.“ 2 Nach der Zelle kommt der Götze selbst an die Reihe. Da das Bild aus Marmor ist, paßt so gut, wie auf einen stumpfsinnigen Menschen, auf einen solchen Gott der Ausdruck „er ist steinern“, und wie von einem Menschen niedriger Herkunft gilt auch von ihm das homerische Sprichwort „er ist aus Felsen geboren“ (Odyss. 19, 163). 3 Von der Bildsäule geht der Verfasser zu ihrem Fußgestell über. Nur falsche Götter brauchen einen Boden, worauf sie stehen. Der wahre Gott, der alles Daseins Grund und Boden ist, ruht auf und in sich selbst. Die den Tempelvorhof umschrankende Einfassung erscheint dem Verfasser als Zeichen einer irrigen, die schrankenlose Unendlichkeit Gottes verkennenden Vorstellung. Der allein Gottes würdige Tempel ist das gesamte Weltall. Dies erinnert an Is 66, 1 und[1299] Apg 7, 48. 4 Von alters her war Herakles mit Ephesus verknüpft; sein Bild erscheint auf den Münzen der Stadt. Heraklit wollte das Band, das den Heros mit seiner Vaterstadt verknüpfte, noch enger knüpfen, indem er durch den neuen Beinamen „der Ephesier“ ihn gleichsam in die ephesische Bürgergemeinde aufnahm. Durch die doppelsinnige Inschrift, die keine Wortabteilung kannte und deshalb sowohl „dem Herakles dem Ephesier“, als dem Ephesier Heraklit“ gelesen werden konnte, wird die Anklage wegen Selbstvergötterung begründet. Heraklit verteidigt sich damit, daß die Anklage auf einem Buchstabierfehler beruhe und die Altarinschrift bei richtiger Wortabteilung nicht ihn, sondern den Herakles nenne. Der Verfasser kam auf diesen Einfall durch die Schrift eines Demetrius über Prosa „der lose Satzbau macht zuweist das heraklitische Buch dunkel“. Er schrieb nun dem Heraklit nicht bloß syntaktische Amphibolie zu, sondern auch die syllabische und fertigte so das Vexierspiel der doppelsinnigen Altarinschrift.
  • 3: 1 Um die Apotheose des stoischen Weisen durch ein Beispiel zu begründen, suchten die Stoiker den Halbgott Herakles als einen Weisen durch allegorische Mythendeutung zu deuten. Die gröberen Züge der Sage wurden stillschweigend übergangen, wenn sie nicht, wie hier der Mord an Iphitus (Odyss. 21, 26 f), als Ausgeburt der „lügnerischen“ Phantasie Homers bezeichnet und verworfen werden. Dem Verfasser war bekannt, daß der alte Heraklit tatsächlich Homer und den von ihm begünstigten Volksglauben bekämpft hat.
  • 4: 2 Der alte Heraklit lebte um 500 v. Chr. Die Abfassung dieses Briefes fällt aber in die Zeit kurz vor oder kurz nach Christi Geburt. 3 Ephesus hatte frühe eine zahlreiche Judengemeinde in seinen Mauern; schon um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. war ihr Einfluß recht beträchtlich (s. Jos. Ant. XIV 10, 12 f). 4 Die allegorische Aus- und Umdeutung des Heraklesmythus war sowohl bei den Juden als Christen beliebt; es wurde in ihn eine harmlose, allgemein gültige moralische Anschauung hineingelegt. Die Jugendgöttin oder Hebe bedeutet hier die Unsterblichkeit.
  • 5: 1 Wer wahre Ordnung besitzt, wird unsterblich. 4 s. Ps 19, 1 ff „Die Himmel rühmen Gottes Herrlichkeit.“
  • VII. Brief.
  • 1 Dieser Brief handelt von einem Gesetz gegen Heraklit und dem Vorschlag zu seiner richtigen Formulierung. 3 Dieser Unterschied ist der Einleitung zur aristotelischen Rhetorik entlehnt. 7 Nirgends ist im Brief vom Weinen Heraklits die Rede, nur vom Nichtlachen. Der weinende Heraklit begegnet auch nicht früher als bei Seneka und Plinius d. Ä.
  • 2: 7 Eine Geldstrafe trifft die Ephesier am empfindlichsten wegen ihrer Geldgier.
  • 3: 7 Ein Ausfall gegen das hellenische Marktleben s. Herodot 1, 153.
  • 4: 2 Wenn der alte Heraklit die der schonungslosen Gewalt unterliegenden Sterblichen beklagt, so läßt der Verfasser ihn hier die gesamte Heidenwelt, die das Schlechte in sich verkörpert, beklagen. Dem alten Weisen legt der Verfasser allen bittern Ernst, allen empörten Ingrimm bei, womit der gläubige Jude auf die Lust und Wollust die Friedensfäulnis und das unmenschliche Kriegsrecht der römisch-griechischen Welt hinblickt. 4 „ein Gesetz für andere“ ist der aristotelischen Politik entlehnt (Pol. 3, 13 p. 1284 a 13). 4 Hier beginnt die Schilderung der Friedenszeit mit der ironischen Feststellung, daß die Eintracht nur scheinbar sei, und daß tatsächlich der Krieg fortdauere; nur werde er vom Schlachtfeld in die Gerichtssäle verlegt, wo die schwersten Verbrechen durch geschickte Handhabung rednerischer Waffen vor Strafe geschützt werden. „Mit[1300] der Pauke herumziehen“ deutet auf den Kybeledienst als Inbegriff alles Schlechten. Welchen Unfug die unter Paukenschall umherziehenden Wanderpriester unter dem Schutz ihrer Göttin verübten, beschreibt Apulejus (Metamorph. 8 und 9).
  • 5: 1 Der Verfasser rügt hier die Ausschweifungen der Putzsucht; dann schildert er, wie alle Familienbande zerrissen und geschlechtliche Ausschweifungen gewöhnlich sind. Die „nächtlichen Feste“ oder hl. Nachtfeiern finden sich im Dionysos-, Demeter- und Kybelekult. Er empört sich darüber, daß das nützliche Öl zu Luxuszwecken verwendet wird. Dann schilt er die Schmausereien und Trinkgelage. Er zeigt sich dabei vertraut mit den rechtlichen Förmlichkeiten der auf gemeinschaftliche Kosten veranstalteten Mahlzeiten. Die Ringe sind die Unterpfänder, die von den Tischgenossen dem Veranstalter des Mahles übergeben und später durch Bezahlung der Unkosten wieder eingelöst werden (Terenz Eunuch. 539). Bei solchen Gelagen wurde oft der gewöhnliche Aufwand überschritten und der Ausgelassenheit keine Schranke gesetzt. Noch das Konzil von Laodizäa verbietet solche Gelage. Zuletzt wird der gewichtige Ernst, womit Spiel und Sport betrieben wird, verurteilt.
  • 6: 1 Hier beginnt die Schilderung der Kriegszeit. Die Abneigung gegen den Krieg als solchen, eine essenische Eigentümlichkeit (Philo, Jeder Tugendh. II 457), bringt den Verfasser dahin, die Fahnenflüchtigen in Schutz zu nehmen, ein in der griechisch-römischen Welt unerhörter Vorgang. 4 Athene und Ares sind hier keine eigentlichen Gottheiten, sondern bloße Namen, die von den verblendeten Kriegführenden in lästerlicher Weise dem wahren Gott beigelegt werden.
  • 10: 2 Diesen tadelnden Aufzählungen liegen die sog. noachidischen Gebote, die alle Menschen verpflichten, zugrunde; diese verpönen 1. den Genuß des Fleisches noch lebender Tiere, 2. den Götzendienst, 3. die gotteslästerliche Rede, 4. den Mord, 5. die Unzucht, 6. den Raub, 7. die mangelnde Rechtspflege. Das Behandeln fremden Besitzes wie eigenen betrifft das sechste Verbot, die Behandlung fremder Frauen wie eigene das fünfte, die Versklavung Freier, d. i. Vernichtung ihrer moralischen Persönlichkeit das vierte, das Verzehren lebender Tiere das erste. Solches Vergehen, das sogenannte Rohessen war ein wesentlicher Bestandteil der dionysischen Orgien. 8 Der Verfasser gibt sich als einen Mann zu erkennen, der das Erdichten von Briefen nicht lediglich zu rhetorischen Zwecken betreibt, sondern im Namen des alten Weisen aus Ephesus mahnend, warnend und bessernd auf die antike Welt einwirken will.