Im Stammhause des Reichskanzlers (I)

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Autor: Moritz Busch
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Titel: Im Stammhause des Reichskanzlers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 230–233
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe Teil II.
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Im Stammhause des Reichskanzlers.

Von Moritz Busch.
I.

Fahren wir auf der Lehrter Bahn von Berlin nach Stendal, so begegnen wir eine Viertelmeile von der Stelle, wo der Zug die Elbe überschreitet, einer Station, die sich Schönhausen nennt. Etwa zehn Minuten Weges davon streckt sich ein langes Dorf gleichen Namens hin, aus dessen Gärten zwei größere Gebäude und eine stattliche Kirche aufragen. Schon mancher Fremde von nah und fern hat hier Halt gemacht und ist nach dem Dorfe hinübergewandert, um zu sehen und zu zeichnen; denn wir haben hier den Geburtsort Bismarcks vor uns, und das eine der beiden größeren Gebäude, das da drüben bei der Kirche aus hohen Baumwipfeln hervorschauende, ist sein Stammhaus. Auch wir wollen einen Gang hinüberthun, und zwar an der Hand von Erinnerungen an einen Besuch, den ich im letzten Herbste dem Orte abstattete.

Schönhausen liegt flach in weiter Ebene. Nur wo die Kirche und das Geburtshaus des Reichskanzlers stehen, erhebt sich der Boden ein wenig über die Felder und Wiesen der Gegend. Das Dorf hat über achtzehnhundert Einwohner und sieht recht wohlhäbig aus. Es bildet in der Hauptsache eine lange breite Gasse, die an den Fußwegen größtenteils mit Bäumen besetzt ist. Der Umstand, daß die Häuser an einigen Stellen dicht an einander treten, daß Handwerker und Krämer, drei oder vier kleine Gasthöfe und eine Posthalterei vorhanden, lassen den Ort mehr wie einen Flecken als wie ein Dorf erscheinen. Außer dem Bismarck’schen Gute befindet sich hier noch ein zweites, welches fast noch einmal so groß als das des Fürsten ist und in früheren Zeiten ebenfalls im Besitz von dessen Familie war, gegenwärtig aber dem Deichhauptmann Gärtner gehört. Ich traf Letzteren, als ich in den Ort gelangt, auf der Straße vor seinem Hofe und erhielt auf meine Frage nach dem besten der hiesigen Gasthäuser freundlich den Bescheid, „Die Post“ sei zu empfehlen. Ich begab mich dahin und sah mich bei dem Besitzer des kleinen Dorfhôtels, Herrn Hanxleben, wider Erwarten recht gut aufgehoben.

Nach vier Uhr hier angekommen, machte ich mich, bevor es Abend wurde, auf den Weg zu Inspector Kohnert, dem Verwalter des Fürsten, um bei ihm eine Empfehlung abzugeben, in der er gebeten wurde, mir das Haus und seine Umgebung zu zeigen. Er war in dem Augenblicke nicht daheim – „auf dem Felde,“ sagte die sauber gewaschene, sorgfältig frisirte Großmagd, bei der ich mich erkundigte. Ich fragte nach der Frau Inspectorin und erfuhr, daß sie im Garten, im Lusthause sei. Eben hatte ich sie auf dem Wege dahin getroffen und ihr mein Anliegen mitgetheilt, als ihr Gemahl dazu kam, eine hochgewachsene, kernige Gestalt mit blondem Vollbart und intelligentem Blick. Erst etwas kühl und zugeknöpft – vielleicht hatte er mit früheren Besuchen verdrießliche Erfahrungen gemacht – wurde er rasch wärmer und mittheilsamer, als er gewahr wurde, daß mich nicht die gewöhnliche Touristerei hierher geführt hatte, und nach einigen Minuten hatte ich offenbar sein Vertrauen gewonnen.

Da es heute zu einer gründlichen Besichtigung des Hauses im Innern zu spät war, so wurde dieselbe auf den nächsten Tag verschoben, und zwar wollte Herr Kohnert selbst dabei mein Führer sein, da die Inspectorin Bellin, welche bisher den Besuchern des Gutes als Begleiterin gedient, bei ihren Jahren nicht recht mehr fort konnte. Für jetzt wurde nur ein flüchtiger Blick auf das Aeußere des Hauses und die Allee vor und neben ihm gethan. Jenes ist ein schmuckloses graugetünchtes Herrenhaus mit hohem, steilem Dach und zwei Stockwerken über dem Erdgeschoß, welches letztere ungewöhnlich dicke Mauern hat. Das Gebäude ist nicht viel tiefer, als es breit ist, sodaß es fast einen Würfel bildet. Man sieht ihm an, daß es seit Jahren selten Bewohner gehabt hat. Die sinkende Sonne und der Herbst, welcher die Stelle vor der Thür mit gelben Blättern bestreut hatte, verstärkten den melancholischen Eindruck, den das verlassene Haus machte. Ueber der schlichten Flügelthür desselben, nach deren Schwelle weder eine Freitreppe, noch eine Rampe führt, sind zwei steinerne Wappen, rechts das Bismarck’sche mit dem doppelten Dreiblatt, links das Katte’sche, worin eine Katze mit einer Maus, angebracht. Darunter liest man die Namen August von Bismarck und Dorothea Sophie Katten sowie die Jahreszahl 1700. Jene bezeichnen das Ehepaar, welches das Haus zuerst bewohnte; diese giebt die Zeit an, in der dasselbe, nachdem es im dreißigjährigen Kriege zerstört worden und dann wüst gelegen, wieder aufgebaut wurde.

Wir waren unter verschiedenen Gesprächen wieder an die drei großen alten Kastanienbäume gekommen, welche den Platz vor dem Eingange beschatten, als Kohnert mich auf ein viereckiges Loch in dem Stamme des dritten aufmerksam machte. „Hier kann ich Ihnen gleich etwas zeigen, wovon die Anderen nichts wissen,“ sagte er. „In dieses Loch haben die Bismarck’s ihre Kelter gesteckt, wenn sie ihren Wein machten.“

„Also Sie bauen hier auch Wein zum Trinken?“ fragte ich, halb verwundert und halb erschrocken, indem ich in dem Augenblicke nicht daran dachte, daß noch weit höher im Norden, im Posenschen sogar, Weinbau dieser Art verübt wird.

„Johannisbeerwein,“ erwiderte der Inspector.

Ich hatte – so unwissend sind wir Großstädter – davon [231] noch nie gehört und gestand das, auch daß ich diese Gottesgabe einmal zu trinken verhoffte. Die Antwort war, da könnte ich den Bismarck’schen Wein von damals ja gleich einmal bei ihnen probiren. Ich sah keinen Grund, warum nicht, und nahm die Einladung zur Bereicherung meiner Kentnisse an. Wir gingen in die Wohnung des Inspectors, und ich blieb bis acht Uhr, aß zu Abend mit den liebenswürdigen Leuten und probirte. Der Wein, den die Bismarck’s einst an der großen Kastanie fabricirten und von dem Inspectors jetzt noch alle Jahre eine Anzahl Flaschen bereiten, schmeckt recht gut, fast wie der süße Ungar, den man in der Sächsischen Schweiz bekommt, und man kann dabei unter guten Menschen ganz genau so aufgeräumt werden, wie wenn man statt Johannisbeer Johannisberger im Leibe hätte. Wer daran zweifelt, der überzeuge sich durch einen Versuch im nächsten Sommer, wenn in seinem Garten diese Reben wieder tragen. Hier ist das Recept, das mir die Güte der Frau Inspectorin mittheilte: Man mische mit achtzehn Gewichtstheilen Johannisbeersaft vierundzwanzig Theile Zucker, der in Wasser aufgelöst worden, lasse die Mischung vergähren, ziehe sie auf Flaschen und stelle die an einen kühlen Ort. Dann – ich habe hoffentlich nichts falsch verstanden oder vergessen – trinkt man davon gelegentlich mit netten Leuten. Nicht so, Frau Inspectorin? Inspectors lesen nämlich die „Gartenlaube“ auch, und so erlaube ich mir durch sie zu fragen und einen schönen Gruß hinzuzufügen zum Zeichen, daß ich angenehmen Menschen ein freundliches Andenken bewahre.

Der Inspector ertheilte bereitwillig Auskunft auf die Fragen, die ich in Betreff der Verhältnisse des Gutes und des Dorfes an ihn richtete. Er kennt beide seit mehreren Jahren, wenn ich nicht irre, seit 1872, wo er, der aus der Gegend von Zerbst gebürtig und ein Zögling von Dietze in Barby, einem unserer größten und intelligentesten Landwirthe, auf Empfehlung des letzteren hierher kam. Das Gut hat „Capitalboden“, indeß ist das Land etwas naß, und Drainagen lassen sich wegen der zu tiefen Lage mit Vortheil nicht anwenden. Trockene Jahre sind daher hier die besten. Das Areal der Besitzung, vor einiger Zeit vom Fürsten durch Hinzukaufen von drei Bauergütern nicht unerheblich vergrößert, zerfällt in circa neunhundert Morgen Acker, etwa sechshundert Morgen Wiesen und Hutungen und ungefähr eintausenddreihundert Morgen Wald, der meist aus Kiefern besteht, und von welchem gegen fünfhundert Morgen vom Fürsten selbst aufgeschont sind. Er hat auch einen Versuch mit Anpflanzung von hundert Stück Eichen gemacht, der wohl gelungen ist, und über dessen Erfolg er seine große Freude hat. Der Viehstand umfaßt einhundertvierundzwanzig Stück Rindvieh und fünfundzwanzig Pferde und Fohlen. Auch an der Fohlenzucht des Inspectors, der augenscheinlich ein tüchtiger, seiner Sache gewisser Landwirth ist, hat der Gutsherr als Sachkenner, wenn er, wie alljährlich ein oder ein paar Mal, herkommt, sein Wohlgefallen. Ob Schafe gehalten werden, unterließ ich zu fragen. Im Wald giebt’s Damwild, Rehe und Hasen. Im Garten, der ungefähr zwanzig Morgen groß ist und in einen mit Obstbäumen und Gemüse bepflanzten Theil, sowie in tieferliegende parkartige Anlagen zerfällt, sind in jener ersten Hälfte die vorzüglichsten Obstsorten vertreten, die der Vater des Ministers aus Frankreich mitgebracht hat. Ursprünglich meist Zwergstämme, wie sie dort gezogen werden, sind sie im Laufe der Zeit hochgegangen und zum Theil auch ihrer Größe nach achtbare Bäume geworden.

Bismarck’s Stammhaus in Schönhausen.
Nach der Natur aufgenommen.

Das Dorf hat außer den beiden Rittergütern einige vierzig andere Güter, von denen siebenunddreißig Bauernstellen und theilweise von erheblicher Größe sind, und die übrige auf Kossäthen fallen. Die Tracht der Bewohner des Dorfes unterscheidet sich, soviel ich bemerken konnte, nicht mehr von der in den meisten anderen norddeutschen Gegenden auf dem Lande üblichen. Die gewöhnliche Umgangssprache ist ein Dialekt, welcher den Uebergang aus dem Hochdeutschen zum Plattdeutschen bezeichnet. Früher wird das erstere vorgewogen haben; jetzt scheint das Umgekehrte der Fall zu sein.

Ehe ich mich verabschiedete, um am nächsten Morgen wieder zu kommen, hatte ich das Vergnügen, den neu eingezogenen Herrn Lehrer und Küster von Schönhausen kennen zu lernen, der seinen Antrittsbesuch machte und mir am Morgen die Kirche aufzuschließen versprach. Am folgenden Vormittag war ich, wie verabredet, bei Zeiten in der Kohnert’schen Wohnung, wo ich den Inspector bereit fand, mit mir die Wanderung durch die Säle und Stube des Herrenhauses anzutretem und mir dann Garten und Park zu zeigen. Bevor ich die Leser einlade, uns dabei zu folgen, bemerke ich, daß jenes, wenn man durch die gemauerten Pfeiler der Einfahrt in das Gut tritt, nicht sichtbar ist. Man sieht vielmehr hier nur links das vom Inspector mit seiner Frau bewohnte Haus, nach dem eine kleine Freitreppe hinaufführt, gerade vor sich in Entfernung einiger Schritte drei oder vier Reihen von Kastanien- und Lindenbäumen mit breiten schattigen Wipfeln, und rechts Wirthschaftsgebäude mit der Düngerstätte. Erst um die Ecke zur Linken biegend gewahrt man das oben seinem Aeußeren nach geschilderte Haus, wo ehedem die Gutsherrschaft wohnte. Die Thür desselben ließ sich mit keinem der Schlüssel, welche Frau Bellin gesandt, öffnen, und so mußten wir unseren Weg durch eine Hinterthür nehmen, zu welcher wir über den benachbarten Kirchhof gelangten. Dieselbe brachte uns zunächst im Erdgeschoß in eine weite, weißgestrichene, am Fußboden mit Ziegelsteinen getäfelte Hausflur, in der wir verschiedenen alterthümlichen Schränken, einer Mitrailleuse aus der Kriegsbeute von 1870 und einem Kellerhals begegneten, nach welchem einige Stufen hinaufführten. Im Keller läßt der Fürst seinen Nordhäuser alt werden. Die Thür über dem Kellerhals geht in das ehemalige Zimmer für Diener, wo jetzt, in Kisten und Ballen verpackt, allerlei Zeichen der Verehrung, welche Einzelne und Corporationen dem Regenerator der Nation darbrachten, Modelle zu Statuen und Büsten, Ehrenbürgerbriefe u. dergl. m. auf Raum und Zeit zur Auferstehung und passenden Ausstellung warten. [232] Auf der anderen Seite der Hausflur, links, wenn man das Gesicht der großen Hausthür zukehrt, führt eine weißlackirte Flügelthür in ein geräumiges Zimmer, das sich auf den Garten öffnet und darum der Gartensaal heißt. Die Tapete desselben zeigt auf ziegelrothem Grunde weiße und blaue Blumen. Der Fußboden besteht, wie beiläufig in allen Sälen und Stuben des Hauses, aus einfachen fichtenen Dielen. Die Decke aber ist hübsch mit Stuckarbeit verziert, welche wieder das Bismarcksche und Katte’sche Wappen darstellt.

In die Hausflur zurückgekehrt, stiegen wir die breite, etwas steile Treppe von braunem Eichenholz hinauf, die sich im Hintergrunde derselben befindet, und gelangten zunächst durch eine weiße Flügelthür in den großen niedrigen, weißtapezierten Mittelsaal über der Hausflur. Derselbe zeigt an der Decke und an seinen beiden weißen Kaminen Verzierungen von Stuck. Zwischen den drei Fenstern stehen birkene Kommoden. Auf der zur Rechten sehen wir eine Gypsbüste Friedrich Wilhelm’s des Vierten, auf der zur Linken eine Marmorbüste des Fürsten im Civilanzug, neben welcher wir auf einem Tischchen an der Wand eine in Kupfer getriebene Kolossalbüste desselben gewahren, die den oberen Theil des Kissinger Denkmals darstellt. Neben der Kommode auf der rechten Seite trägt ein anderer an der Wand befindlicher kleiner Tisch die Gypsbüste Friedrich Wilhelm’s des Drittem. Dann folgt an derselben Wand eine weiße Flügelthür. Weiterhin begegnen wir einem Schränkchen, hinter dessen Glasthür Tassen und Kannen von Porcellan mit dem Bismarck’schen Wappen stehen, während uns von oben her zwischen zwei Karaffen eine weibliche Büste von Gyps ansieht, welche die verstorbene Frau des Bruders des Fürsten darstellt. Ein zweiter Schrank für Geschirr, dem ersten gegenüber, eine Anzahl Stühle an den Wänden und in der Mitte zwei fichtene Tische, zu einem zusammengestellt, bilden die weitere Ausstattung des Saales.

Der Inspector öffnete die weiße Flügelthür zur Linken, und wir traten in das Visitenzimmer mit seiner stark nachgedunkelten Oeltapete, welche Landschaften zeigt, und feiner Stuckdecke. Ein altes, schwarzes Sopha erinnert an die ehemalige Bestimmung des Gemachs, ein paar Bettstellen mit darin aufgestapelten Federbetten zeigen, daß es zuletzt anderen Zwecken gedient hat. An das Visitenzimmer stößt ein zweites, dessen Tapete auf grünem Grunde große goldene Chinesen zeigt. Neben dem weißen Kamine, über dem ein Oelgemälde, das Portrait einer Frau, hängt, befindet sich ein Ofen. In der einen Ecke bemerkt man einen Abguß von Rauch’s Walpurga auf dem Hirsche, in der anderen eine Nachbildung der Kiß’schen Amazone in Gyps. Eine Nische, die mit einer rothen Portière von baumwollenem Stoffe verhangen ist, eine Kommode und zwei Sophas, das eine roth, das andere blaßgrün überzogen, vollenden die Ausstattung der ziemlich großen Stube.

Kehren wir in den weißen Saal zurück und treten wir durch die Flügelthür neben der Büste Friedrich Wilhelm’s des Dritten, so gelangen wir in die Stube, in welcher der Fürst von Bismarck wohnte und arbeitete, als er noch einfach Herr von Bismarck hieß. Die Tapete zeigt weiße Arabesken auf grünen Grunde. An der Wand rechts von der Thür steht ein grünes Sopha und davor ein Tisch mit grünbezogenen Polsterlehnstühlen. Ueber dem Sopha hängen drei Lithographien und das in Oelfarben ausgeführte Portrait der Mutter des Reichskanzlers in der Tracht der zwanziger Jahre. Weiterhin folgt an derselben Wand über dem Kamine das Medaillonbild einer Frau, über die mein Begleiter keine Auskunft zu geben wußte. In der Ecke daneben, deren Wände statt der Tapete blauglasirte Fließen mit kleinen, weißen Landschaften zeigen, befindet sich ein weißer Kachelofen, aus dem oben ein Stier von Gyps steht. Die Ecke gegenüber nimmt ein großes, braunes Uhrgehäuse ein, dessen Uhr ein zinnernes Zifferblatt und einen ungewöhnlich hellen Schlag hat. An der Wand, dem Sopha gegenüber, steht ein altmodischer Schreibsecretär und daneben hängen verschiedene Lithographien und Stahlstiche, darunter Bürgen’s Molly. An dem einen der beiden Fenster des Zimmers, zwischen denen ein Spiegel, kommen hierzu noch ein paar in die Scheibe eingefügte Lichtbilder mit bunten Glasrahmen. Aus dem Arbeitszimmer gehen wir durch die Thür rechts von den Fenstern in ein Ankleide- und Schlafzimmer. Die Tapete derselben ist grau übertüncht; von der weißen Decke hängt eine topfförmige, weiße Ampel mit einer grünen Guirlande herab; auf dem Ofen sitzt ein weißer Gypsadler. Sonst enthält die Stube einen alten röthlichen Kleiderschrank, ein mit Leder überzogenes Sopha und zwischen den beiden Fenstern eine Kommode, über welcher ein Spiegel hängt. Eine Portière von rothem Kattun theilt das Stück vom Zimmer ab, und in diesem alkovenartigen Raume befinden sich zwei Bettstellen. Dieselben bezeichnet den Ort, wo am 1. April 1815 Otto von Bismarck das Licht der Welt erblickte.

Begeben wir uns von hier ins Arbeitszimmer zurück und von da in die Bibliothek, so haben wir eine große, wie alle übrigen Gemächer des Hauses, verhältnißmäßig niedrige Stube vor uns, deren Wände rosenroth angestrichen sind und in deren Mitte ein schwerer, mit Wachstuch überzogener Tisch steht. Rechts von der Thür, durch welche wir eintreten, gewahren wir einen gelben Glasschrank mit drei Thüren, worin eine Menge Bücher und Broschüren, darunter viele in Folio und Schweinslederband, zu sehen sind. Dann folgen in der nächsten Wand zwei Fenster, zwischen denen ein Stehpult mit Schublade, aus welchem ein Schränkchen ruht. Neben dem zweiten Fenster hat ein alter, massiver Schrank aus Nußbaumholz, der vermuthlich ebenfalls Literatur beherbergt, mit seinen gewundenen Füßen Posto gefaßt. An der folgenden Wand treffen wir auf einen zweiten gelben Glasschrank, der wieder mit Büchern und Flugschriften, alten und neuen, gebundenen und ungebundenen, angefüllt ist. Die größeren Bände sind, wenn ich nach einer Musterung von einigen Minuten urtheilen darf, meist von älterem Datum, viele aus dem vorigen Jahrhundert. In dem ersterwähnten Schranke stoßen wir unter Anderem auf Zedler’s Universallexikon aller Wissenschaften und Künste, auf das Theatrum Europaeum, auf Gottfried’s Chronik der vier Monarchien und Gladow’s Reichshistorien, auf Büsching’s Erdbeschreibung und Luther’s deutsche Schriften. Der andere Glasschrank enthält, wie es scheint, vorwiegend schöngeistige Literatur, darunter Werke von Voltaire und Friedrich von Schlegel. An derselben Wand wie dieser Schrank steht weiter einwärts im Zimmer ein schwarzer Divan, über dem Oel- und Pastellgemälde hängen, welche Glieder der Bismarck’schen Familie darstellen. In der letzten Wand befindet sich zunächst die Thür nach dem Arbeitszimmer. Daneben folgt ein Sopha mit gelblichem Muster auf grünem Grunde, über dem wieder ein Anzahl kleiner Bilder in Kupferstich oder Wasserfarben hängen. Beim Ofen, hinter welchem die Wand mit blau und weißen glasirten Platten belegt ist, schließt das Bild einer Dame, die mein Führer als eine Gräfin von Schulenburg bezeichnete, und welche dem Vater des Fürsten in seinen jungen Jahren zur Gemahlin bestimmt gewesen, es aber aus irgend welchen Gründen nicht geworden sein soll, die Reihe dieser Portraits, von denen ich sonst noch ein hübsches, kleines Brustbild der Großmutter des Fürsten – es ist die von mütterlicher Seite – hervorhebe.

Nachdem wir noch in die anstoßende kleine einfenstrige Stube mit ihrer blau und weißgemusterten Tapete, ihren alten Kupferstichen aus dem Leben Friedrich’s des Großen und ihrer riesigen Familienbibel einen Blick gethan, begeben wir uns in’s zweite Stock, wo sich über dem großen Saale des ersten ein gleich großer und ebenfalls von drei Fenstern erleuchteter befindet. Derselbe enthält nichts als einige Schränke und links an der Wand den Stammbaum des Geschlechts von Bismarck, der in seinem unteren Theile beschädigt ist – „durch 1813 hier einquartierte Franzosen“, berichtete mein Begleiter. Die übrigen Stuben dieser Etage scheinen gegenwärtig nur zu Rumpelkammer zu dienen oder ganz leer zu stehen. Vielleicht wohnt in einer derselben das Hausgespenst, von welchem Hesekiel als Gläubiger erzählt. Wahrscheinlicher ist, daß es verdrießlich über die neue Zeit ausgezogen und in das „alte romantische Land“ entflohen ist, wie die kleinen Puke und Kobolde, die ehedem, halb tückisch, halb drollig, bei guter Behandlung gewöhnlich hülfreich und gefällig, wie anderwärts in norddeutschen Dörfern, auch in den Ställen und Scheunen der Bauernhöfe Schönhausens gespukt haben werden. Mir beim Inspector Gewißheit über die Sache zu verschaffen, schämte ich mich. Er sah nicht aus, als ob man ihm mit solchen Schnack kommen dürfte.

Wem ich einen Rückblick auf das an diesem Morgen Gesehene werfe und mir den Gesammteindruck vergegenwärtige, den [233] das Stammhaus des Reichskanzlers nach seinem Innern zurückläßt, so gehört eine starke Phantasie dazu, um es überhaupt mit romantischen Velleitäten in Verbindung bringen zu können. Ein gewöhnliches gesundes Auge begegnet hier keinem einzigen Zuge, der an eine alte Burg oder an ein prunkvolles Schloß erinnerte. Die dicken Mauern, die tiefeingeschnittenen Fenstergewände geben ihm den Charakter stämmiger Ehrenhaftigkeit. Die niedrigen Zimmer mit den Stuckdecken lassen an bescheidenen Wohlstand denken. Die Möblirung und die sonstige Ausstattung der Gemächer unterscheiden sich in nichts von dem Bilde, welches in den ersten beiden Decennien unseres Jahrhunderts das Haus eines mäßig begüterten Bürgers darbot. Das Ganze ist noch heute wie vor fünfzig Jahren, wo sein Geräth, seine Tapeten, seine Bilder neu und nach der Mode waren, das schlichte, einfache, anspruchslose Haus eines märkischen Landedelmannes. Es könnte auch behaglich sein. Aber die Wärme der Bewohntheit fehlt. Man sollte es nicht des Morgens besuchen, wo das kalte Sonnenlicht seine Verödung noch kälter macht. Man sollte sich die stillen Säle und Stuben vom Lichte des Nachmittags wärmen und vergolden lassen und sich einen Abendwind dazu bestellen, daß er leise durch die Lindenwipfel vor den Fenstern ginge und Sonnenblicke mit Schatten auf die Wände und Fußböden würfe. Das gäbe dann Leben in das todte Haus, und in der dadurch erzeugten Stimmung sähe man wohl auch mehr, als das gaukelnde Licht- und Schattenspiel der Natur, sähe man wohl auch in der Bibliothek und im Arbeitszimmer bedeutungsvolle Momente im Leben dessen, der einst hier wohnte, aus der Vergangenheit zurückkehren und sich zu Bildern der Erinnerung gestalten.

Vielleicht versuche ich das in meinem zweiten Abschnitte, nachdem wir den Garten durchwandert haben. Dann wollen wir zwei anderen Gittern und Häusern des Fürsten einen kurzen Besuch abstatten und schließlich längere Zeit in Varzin zu verweilen.