In den Tranchéen vor Düppel

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Autor: Otto Glagau
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Titel: In den Tranchéen vor Düppel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29; 31, S. 452–456;494–495
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht aus dem deutsch-dänischen Kriege 1864
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[452]
Aus den Landen des befreiten Bruderstammes.
1. In den Tranchéen vor Düppel.

Der Sturm von Düppel stand bevor. Wir hatten die vielgenannte Büffelkoppel erreicht. Hier verließen wir die nicht minder oft erwähnte Sonderburger Chaussee und bogen rechts nach dem Wenningbunde ab, um bald vor einem wahren Chaos von Batterien und Blockhäusern, Magazinen und Feldküchen, kriegerischen Erdarbeiten und Belagerungsanstalten zu stehen, „Hier haben wir die Tranchéen,“ sagte ein uns geleitender preußischer Officier. Als er meine verblüffte Miene sah, fuhr er [453] fort: „Sie sehen ein Netz von Längen- und Breiten-, Kreuz- und Quergräben, die alle miteinander in Verbindung stehen und an der zu beiden Seiten herausgeworfenen Erde ihre natürlichen Schutzwälle haben. Diese Gräben, bald länger oder kürzer, schmäler oder breiter, heißen mit einem Worte die Tranchéen. In ihnen lagern die Feldwachen und Sturmcolonnen, und in oder zwischen ihnen sind auch die Feld- und Belagerungsgeschütze aufgestellt.“

„Verstanden! Aber welches sind die Parallelen?

„Sehen Sie dort drüben die dänischen Schanzen, welche sich wie riesige Maulwurfshaufen ausnehmen und in einer Zickzacklinie, nämlich so, daß sie mit ihren Feuerschlünden sich gegenseitig decken, vom Wenningbund bis zum Alsensund errichtet sind; sehen Sie jene unförmlichen ,Biester’?“

„Ja, ich sehe und höre sie.“

„Merken Sie also, daß jene Hauptgräben, welche in der gleichen Richtung streichen, Parallelen heißen, weil sie eben parallel mit den feindlichen Schanzen ausgehoben sind. Die äußerste von ihnen, welche dem Feinde dicht auf den Leib gerückt und ihm gewissermaßen unter der Nase errichtet ist – denn seine Bomben gehen schon über sie hinweg – diese heißt die letzte Parallele, und sie ist in unserm Tranchéenwerke die dritte, oder, wie Sie später selbst sehen werden, eigentlich die vierte. Diejenige dagegen, welche zunächst vor uns liegt und sich von den Schanzen noch in etwas schüchterner Entfernung hält, nennt man die erste, weil sie zuerst ausgehoben wurde.“

„Sehr begreiflich, nur weiter!“

In den Tranchéen vor Düppel.
Nach der Natur gezeichnet von Otto Günther.

„Also weiter, Herr Inquisitor! Die schmälern Gräben, welche die Reihen der Parallelen untereinander, sowie mit den Batterien und Blockhäusern, Magazinen und Stapelplätzen verbinden, diese Längengräben heißen Approchen oder Laufgräben, auch Communicationen, denn sie sind ja in dieser unterirdischen Festung die Straßen, auf denen sich Mannschaften und Geschütze, Proviantwagen und Munitionskarren hin- und herbewegen.“

Wir stiegen nunmehr in den ersten Laufgraben, der schon 5–600 Schritt vor der ersten Parallele anhob und neben der Sonderburger Chaussee bis zur letzten Parallele führte. Er maß über 2000 Schritt, war gleichfalls in einer Zickzacklinie angelegt und dadurch mit den verschiedenen Batterien und Communicationen in Verbindung gesetzt. Der andere Hauptlaufgraben erstreckte sich die entgegengesetzte Seite des Wenningbunds entlang. Beide mochten eine Sohlbreite von neun, eine Tiefe von acht Fuß haben, davon die eine Hälfte auf den eigentlichen Graben, die andere auf den Erdwall oder die Brustwehr kam. Diese fiel nach innen zu ganz steil ab und war durch Bohlen und Schanzkörbe gegen den Einsturz gesichert, wogegen die äußere Böschung eine schräge Abdachung zeigte, wie sie der natürliche Fall des Erdkörpers bedingt.´Die Sohle der Gräben bildete ein fetter weicher Lehmboden, den die fast ununterbrochenen Regengüsse in eine fußtiefe Schlammpfütze verwandelt hatten. In diesem naßkalten Schlammbrei campirten die armen Soldaten seit Wochen durch Tage und Nächte, und den arbeitenden Pionieren und Infanteristen gingen Koth und Wasser gewöhnlich über die Knöchel. Kein Wunder, daß es neben den Verwundeten auch Hunderte von Innerlichkranken gab, die in den Lazarethen am Nervenfieber und an Brustkrankheiten dahinsiechten. Jetzt hatte man Faschinenbündel in die Pfützen geworfen und darüber Bohlen gelegt, die unter jedem Tritte [454] schwankten, aber Schmutz und Wasser quollen schon wieder hervor. Beständig stießen wir auf Soldaten und Officiere aller Grade und jeder Waffengattung, auf Aerzte und Krankenträger, Arbeiter und Civilisten. Ein Adjutant drückte meinem Begleiter ein gedrucktes Papier in die Hand. Der Officier warf einen Blick hinein und rief dann: „Endlich! Also morgen!“ Es war der Corpsbefehl. Morgen sollte unwiderruflich der Sturm beginnen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das ganze Lager und wurde überall mit Begeisterung aufgenommen. Schon wurden die sechs Sturmcolonnen formirt, welche sich am folgenden Tage auf die Schanzen 1–6 werfen sollten; sie wurden bekanntlich aus allen Compagnien der Armeen durch das Loos zusammengesetzt, und jede in einer Stärke von etwa 1500 Mann.

Wir bogen in die erste Parallele ein, die rechts von Freudenthal begann und bis zum Wenningbunde strich, in einer Sohlbreite von 29–30 Fuß und in einer Länge von über 1000 Schritten. Sie war am 30. März eröffnet und um etwa 1200 Schritt von den Schanzen entfernt.

„Alle diese Belagerungsarbeiten,“ sagte der Officier, „können nur in der Nacht vorgenommen werden, weil sonst das Feuer des Feindes sie unmöglich machen oder doch mit zu großen Verlusten verknüpfen würde. Die Nacht ist die rechte Stunde für Spitzbuben und Soldaten, aber keine helle, milde Sternen- oder gar Mondscheinnacht, nach der die Liebenden seufzen, sondern tiefe, pechrabenschwarze Nacht voll Regen und Sturm, wo die feindlichen Vorposten in ihren Löchern liegen, und vor Kälte und Grauen wie Todte schlafen. Also war’s in der Nacht vom 29. zum 30. März, wo wir die erste Parallele glücklich aushoben; doch nicht, wie gewöhnlich, mit Sappenkörben, sondern, da Eile geboten war, mit der fliegenden Sappe vorgingen.“

„Um Verzeihung, wenn ich Sie unterbreche; aber was verstehen Sie unter ‚Sappenkörben‘ und was nennen Sie eine ,fliegende Sappe‘?“

„Das sollten Sie eigentlich einen Ingenieurofficier fragen, doch zufällig kann ich’s Ihnen auch sagen: Sappenkörbe sind große, aus Weiden geflochtene und mit Erde gefüllte Fässer, etwa zwölf Fuß lang und vier Fuß im Durchmesser, welche die Pioniere vor sich herrollen und wodurch sie vor dem feindlichen Feuer geschützt bleiben. Die fliegende Sappe dagegen besteht aus einer Anzahl von leeren Schanzkörben, wie Sie deren Hunderte hier umherliegen sehen. Ein solcher Schanzkorb ist ein hohler Cylinder, gleichfalls aus Weiden zusammengeflochten, aber nur drei Fuß hoch und etwa zwei Fuß im Durchmesser. An einem Ende sind zugespitzte Pfähle angebracht, durch welche er mit einem geschickten Stoß in den Boden getrieben und dann mit Erde gefüllt wird.

Zunächst wurden nun unsere Vorposten eine Strecke weit vorgeschoben, denn die Parallele sollte gerade da ausgehoben werden, wo jene zur Zeit standen. Sie wurden also geräuschlos vorgeschoben und erhielten das strenge Verbot, nicht zu schießen, auch wenn ihre feindlichen Cameraden damit beginnen sollten. Dann schlichen sich zwei Pioniercompagnien hervor; auf Händen und Füßen krochen sie Schritt um Schritt, neben- und hintereinander. Sie marquirten den in Angriff zu nehmenden Graben, indem sie ein mehrere tausend Ellen langes weißes Band entrollten und es nach der Weisung ihres Oberlieutenants am Boden ausspannten, worauf die Linien mit der Kreuzhaue eingezeichnet oder, wie’s in der Kunstsprache heißt, tracirt wurden. Nun kamen ebenso leise die aus der Brigade Canstein erwählten 2500 Arbeiter heran. Jeder Mann trug einen Schanzkorb und einen Spaten. Jenen übergab er an den Pionier, welcher ihn sofort in den Boden einrammte, und mit diesem begann er zwischen den tracirten Linien die Erde auszuwerfen und damit die Schanzkörbe zu füllen. Binnen einer Stunde war die Hauptsache gethan und bereits eine mäßige Brustwehr errichtet, natürlich zunächst nach der Seite des Feindes hin. Immer tiefer gruben sich die Leute ein, und immer höher wurde die Erde in und über den Körben aufgeschichtet, so lange als die schützende Finsterniß vorhielt. Die Kerle arbeiteten mit der Hast der Todesfurcht, denn jede Minute Zeitverlust kann hier das Leben kosten. Uebrigens waren im Hintergründe andere 2000 Mann und mehrere Feldgeschütze zum Schutze der Arbeiter aufgestellt. Als der Morgen anbrach, waren die Schanzen und der ganze Höhenkamm mit Hunderten von Dänen bedeckt, die alle mit trübseligem Erstaunen und vielleicht voll unheimlicher Todesahnung auf ein Werk herniederblickten, das sie in seiner Entwickekung nicht mehr hindern, geschweige denn ungeschehen machen konnten. In der folgenden Nacht wurde die Parallele vollendet und mit zwanzig Batterien armirt, die seit vierzehn Tagen mit etwa 80–90 Feuerschlünden, gezogenen Zwölf- und Vierundzwanzigpfündern, ununterbrochen auf die Feinde spieen.“

Die Parallelen boten in ihrem Leben und Treiben ein äußerst bewegtes und ewig wechselndes Bild. Jäger und Musketiere, Pioniere und Artilleristen, Gemeine und Officiere lagen auf Strohbündeln umher, wie Kraut und Rüben kollerten sie durcheinander. Einige schliefen, Andere starrten in die Wolken, noch Andere trieben allerhand Muthwillen und Unterhaltung. Hier ertönte ein munterer Rundgesang, dort eine schwermüthige Weise. Hier malte ein ausgelassener Bursche seinem schlafenden Cameraden eine schwarze Nase, worüber die ganze Umgebung in ein wieherndes Gelächter ausbrach; dort unterhielten sich ernst und halblaut ein paar Freunde, die von ihren Lieben in der Heimath und von dem morgenden Sturme sprachen. „Fritz,“ sagte der Eine von Beiden, „in meiner Brusttasche steckt ein Brief an meinen alten Vater, den Du mit tausend Grüßen besorgen sollst, falls ich in unser Dorf nicht mehr zurückkehre.“

„Wenn ich selber nicht vor Dir falle!“ seufzte der Andere.

Wir schlenderten weiter und stießen auf einen schnurrbärtigen Krieger, der einen rothen Wollenlappen auf seine zerrissene Hose setzte. Zwei seiner Cameraden studirten eifrig eine vier Wochen alte Zeitung, ein paar Andere spielten eine Partie Sechsundsechszig – nota bene ohne allen Einsatz – wobei ihnen ein Tornister als Tisch diente. Interessant war’s, einen Burschen zu sehen, der auf dem gekrümmten Rücken seines Genossen einen Brief schrieb; einen Brief, den ihm ein Dritter in die Feder dictirte, weil dieser Jüngling selber für seine Gedanken nicht die rechten Worte finden konnte. „Liebe Dore,“ dictirte der Letztere, „wer weiß, ob ich den morgenden Abend noch erlebe“ – „darum schicke mir schnell noch einen Thaler,“ fiel der lebende Schreibtisch ein, welche Unterbrechung wieder Veranlassung zu einer mächtigen Lache gab.

Vor dem Banket – so heißt nämlich der natürliche Absatz zwischen Graben und Wall, auf den die Infanteriecolonnen steigen, wenn sie im Fall eines Angriffs aus den Parallelen feuern – also vor dem Banket standen mehrere Soldaten, Kaffee kochend, Eier siedend oder eine Hammelkeule röstend, zu welchem Ende sie Höhlen in das Erdreich gebohrt und darin ein lustiges Feuer angezündet hatten. Eine andere Scene war schon trüber. In jenem Winkel war ein Verbandplatz errichtet und die Aerzte gerade beschäftigt, mehreren Verwundeten den Nothverband anzulegen.

Schon aus der bisherigen Schilderung wird man entnehmen, daß von dem geschraubten Garnison- und Gamaschendienst hier nicht die Rede sein konnte. Jedermann trug und bewegte sich, wie’s ihm am bequemsten und ersprießlichsten schien. Die Knöpfe an den Uniformen waren sehr lange nicht mehr geputzt; dazu wucherten Bart- und Haupthaare in beliebiger Länge und Dicke. Die Meisten trugen lange bis an die Kniee gehende Kothstiefeln, und die Anderen hatten wenigstens das Beinkleid in die kurzen Schäfte gesteckt. Etliche hatten über den Rock eine Nachtjacke oder einen Schafpelz gezogen, und fast Alle über Kopf und Nacken eine graue Tuchkapuze gestreift. Selbst viele Gardelieutenants trugen um den Hals einen dicken Wollenshawl und in der Hand einen derben Knotenstock. Auch das Verhältniß zwischen Officieren und Gemeinen schien jetzt ein wahrhaft cameradschaftliches, denn sie wechselten nicht selten launige Witze und tranken einander aus der Feldflasche zu. Beständig gingen Generale und Stabsofficiere vorüber, aber Keinem fiel es ein, aufzustehen und ein steifes Honneur zu machen, sondern Jedermann blieb ruhig sitzen, und rauchte oder plauderte unbekümmert weiter.

Marketender und Marketenderinnen, mit Körben beladen oder ihre Karren hinter sich herziehend, drängten sich durch die Gruppen und fanden überall Käufer. – „Hierher, Lottchen!“ schrie ein stämmiger Sappeur, und ein junges, bildschönes Mädchen mit braunen Augen und dicken hellblonden Haarzöpfen folgte dem Rufe.

„Was beliebt Dir?“ fragte die Kleine, „ein Glas Danewirke oder eine Flasche Bairisch?“

„Nichts davon! Ich will etwas Besseres haben!“ entgegnete der Bursche, und damit drückte er dem überraschten Mädchen einen schallenden Schmatz auf die vollen Kirschenlippen. Rauschender Beifall folgte dieser Heldenthat, aber die Kleine hatte sich von ihrer Bestürzung bald erholt.

[455] „Das sollst Du mir nicht umsonst gegeben haben,“ sagte sie, und damit ließ sie schnell ihr Händchen auf die Wange des kecken Freibeuters fallen. Diesmal hatte sie die Lacher gewonnen. Der Sappeur gerieth ein wenig in Verlegenheit und knurrte:

„Niedliche Hexe, wie kannst Du gegen einen Landsmann so ungezogen sein?!“

„Es sind hier an 20,000 Westphalen,“ erwiderte das Mädchen, „wenn ich mich von allen diesen küssen lassen sollte, würde von mir bald Nichts mehr übrig sein.“ Damit wandte sie sich und ging davon.

„Lottchen ist hübsch, aber die Minka ist göttlich!“ meinte mein Führer und wies auf ein altes starkknochiges Frauenzimmer, das kerzengerade und in militärischem Marschtempo auf uns zuschritt. Eine Feldmütze saß ihr auf dem grauen Haupte, und ein ansehnlicher Schnurrbart in dem wettergebräunten Antlitz. Der Oberkörper stak in einer blauen, mit blanken Knöpfen besetzten Tuchjacke, von welcher der linke Aermel schlaff herabhing. – „Eine Granate hat der Alten den Arm fortgerissen,“ erklärte der Officier. „Sie ist des Satans Großmutter, daher sie sich auch nicht vor ihrem leibhaftigen Enkel fürchtet, noch weniger vor den dänischen Kugeln; denn sie sucht selbst die Vorposten in ihren Löchern auf. – Holde Minka, ich grüße Dich!“ fuhr er gegen die Marketenderin fort.

„Danke, min Jung!“ entgegnete die Alte in heiserem Basse, aber mit unerschütterlichem Ernste. „Du weißt doch, daß Du mir noch 3 Thlr. 22 Sgr. schuldig bist?“

„Aber Minka,“ sagte der Lieutenant und nahm einen vorwurfsvollen Ton an, „Minka, warum plauderst Du unsere Geheimnisse aus? Zeige lieber, was Du noch im Korbe hast.“

„Eine Kiste Cigarren und drei Flaschen Dänenblut,“ erklärte die Alte.

„Nun,“ meinte Jener, „ich nehme Alles, und mein Freund bezahlt Dir’s.“

„Ja,“ entgegnete die Alte, „das ist so in der Ordnung. Wenn die Civilisten uns besuchen, müssen sie auch unsere Zeche bezahlen.“

„Es ist für die Soldaten,“ sagte der Officier.

„Alles in Ordnung!“ nickte die Marketenderin und folgte uns auf dem Fuße. Aber schon nach wenigen Schritten sah sie sich aufgehalten.

„Ein halb Dutzend Cigarren, Minka!“ schrie ein draller Gefreiter.

„Nischt davon, min Jung!“

„Und warum denn nicht, alte Meerkatze? Du meinst wohl, ich bin ohne Moos? Sieh her!“ Und er hielt ihr einen blanken Thaler unter die Augen.

„Freut mich,“ erwiderte die Alte, „aber steck ihn nur wieder ein, ich habe keine Cigarren für Dich. Alles in Ordnung, min Jung!“

„Ist das Weib verrückt geworden?“ fragte der Gefreite.

„Noch lange nicht, min Jung! Aber die Cigarren gehören diesem Herrn.“ Und sie wies auf mich. Worauf ich den Korb nahm und seinen Inhalt unter die Umstehenden zu vertheilen begann; die Cigarren dufteten wie echte Vorpostencigarren, wogegen sich das „Dänenblut“ als ein guter Magenliqueur erwies.

„Da habt Ihr die Rechten getroffen!“ schmunzelte die Alte und gab mir einen wohlwollenden Klaps. „Die sind vom achten, von meinem Regiment. In der Nacht, als ich um meinen Arm kam. verloren sie 250 Mann. Alles in Ordnung, min Jung.“

In diesem Augenblicke entstand eine allgemeine Bewegung.

Am Eingänge der Parallele war der commandirende General, Prinz Friedrich Carl, erschienen, in einen blauen Paletot gehüllt und eine kurze Meerschaumpfeife im Munde. Alle erhoben sich und Aller Augen leuchteten.

„Guten Morgen, Cameraden!“ grüßte der Prinz.

„Morgen, königliche Hoheit!“ antworteten tausend Stimmen in brausendem Chor.

„Nun, werden wir morgen die Schanzen nehmen?“ fragte er.

„Wir nehmen sie, wir nehmen sie!!“ donnerte es einstimmig zurück.

„Dort steht der Correspondent der Times, der in Broacker wohnt,“ sagte mein Führer. Ich erwartete einen dürren Engländer mit langem Reiherhalse und blonden Bartcotelettes, aber ich sah ein rundes Männchen mit glattrasirtem Vollmondsgesicht, der sich sorgfältig in einen eleganten Tuchpelz gehüllt hatte. Er stand unter mehreren Generalen und näherte sich nun dem Prinzen, der ihn artig empfing und ein eifriges Gespräch begann. Ich hielt mich in schüchterner Entfernung und begriff plötzlich die ungeheuere Kluft zwischen einem englischen und einem – deutschen Correspondenten.

Zu diesem Gewühl und Geräusch unter der Erde kam ein anderes, aber nicht minder reges oben in den Lüften. Hoch über unseren Häuptern zogen freundliche und feindliche Geschosse ihre feurigen todbringenden Bahnen, und es pfiff und zischte, knatterte und prasselte, als wären alle Dämonen zwischen Himmel und Erde losgelassen. Die Dänen schleuderten ihre Kugeln nach den Parallelen, und die preußischen Batterien von Gammelmark schössen über diese hinweg nach den Schanzen. Schon am Knalle konnte man die verschiedenen Kaliber unterscheiden. Vor Allem markirt sich der dumpfe Ton des Mörsers, welchem alsbald das Prasseln der zerplatzenden Bombe folgt. Den Vierundzwanzigpfünder erkennt man an der Gewalt seiner Stimme, besser noch an der sich schwer vor dem Geschütze lagernden Rauchwolke. Leise verklingt das abgerissene Paffen der stählernen Sechspfünder, während die kurze unansehnliche Haubitze das Trommelfell in ganz unerhörte Schwingungen versetzt. Mit lautem Getöse treibt das fast centnerschwere Hackgeschoß aus dem Vierundzwanzigpfünder einen Luftwall vor sich her, dessen Aechzen erst verklingt, wenn die Granate am Ziel crepirt. Lauter und bösartiger bezeichnet die runde Granate ihren Weg; sich plump umwälzend, und bei Tage von einem Rauchreifen, bei Nacht von dem feurigen Ringe des Zünders umgeben, entlockt sie dem Luftmeere das Getöse des Orkans, bis sie mit dumpfem Knall zerplatzt und die Sprengstücke umherschwirren läßt.

Die schweren Geschütze der Dänen endlich besitzen einen metallisch nachklingenden, geradezu warnenden Ton und üben, wenn sie zufällig einmal treffen, eine entsetzliche Verheerung. – Der Feind feuerte schwach und in großen Pausen, die Preußen dagegen fast unausgesetzt und oft aus hundert Geschützen zugleich; denn die Vierundzwanzigpfünder können alle vier Minuten, die kleineren Geschütze gar alle zwei Minuten geladen und abgefeuert werden. Es waren im Ganzen etwa 150 Geschütze in 35 Batterien thätig, die in 24 Stunden durchschnittlich 4 – 5000 Schüsse abgaben, aber am Tage des Sturmes von 6 – 10 Uhr früh sogar 6000, also in der Stunde 1500 Schüsse.

Bevor wir die nächste Parallele erreichten, warfen wir einen Blick auf das bombenfeste Officiercasino, welches am Fuße des Spitzberges errichtet oder eigentlich in diesen hineingebaut war, denn es bestand aus starken Eichenbohlen, über welchen sich eine fünf Fuß dicke Erdschicht lagerte, und hatte einen unterirdischen Zugang.

In der Nacht vom 7. zum 8. April wurde eine zweite Parallele ausgehoben, die man ohne eigentlichen Grund die halbe nannte und mit acht Mörsern armirte. Ihre Entfernung von den Schanzen beträgt etwa 900 Schritt. Auch diesmal überraschte man die feindlichen Vorposten, wie sie in ihren Löchern lagen und den Schlaf der Unschuld schnarchten; aber man zog sie an den Haaren heraus, und die ewig witzelnden Berliner riefen dazu: „Man immer rin in den deutschen Bund!“ Die schlaftrunkenen Gefangenen feuerten noch ein paar Alarmschüsse ab, worauf der Feind in den Schanzen Leuchtkugeln steigen ließ und das Feld mit einem Kartätschenhagel überschüttete; doch die Preußen arbeiteten wacker fort und hatten das neue Werk binnen vierundzwanzig Stunden vollendet.

Die zweite oder eigentlich dritte Parallele wurde vom 10. zum 12. April und um etwa 300 Schritt dem Feinde näher angelegt. Von ihr aus sollte schon am 14. April der Sturm unternommen werden; er unterblieb aber auf Anrathen des Generals Hindersin, und statt dessen wurde in der diesem Tage vorangehenden Nacht die letzte Parallele ausgehoben, deren Entfernung von den Schanzen kaum 300 Schritte betrug. Die gegenseitigen Vorposten, deren Ablösung von den in den Tranchéen oder hinter den Knicks liegenden Feldwachen gewöhnlich nur bei Nacht und mit der äußersten Vorsicht zu geschehen pflegt, lagen sich jetzt so nahe gegenüber, daß sie mit einander plaudern und sich die Feldflaschen hinüberreichen konnten, und wirklich entwickelte sich in den letzten Tagen zwischen ihnen ein ganz freundschaftlicher Verkehr, zumal sie Befehl hatten, nicht mehr auf einander zu schießen.

In den beiden letzten Parallelen herrschte eine angestrengte Thätigkeit; theils galt es Ausbesserungen an der durch Sturm und Regen oder durch die Bomben der Feinde beschädigten Brustwehr, theils [456] Vorbereitungen für den morgenden Sturm. Da ward gegraben und geschanzt, wurden Balken und Faschinenbündel herangetragen, um daraus Pulverkammern und Ausfallstufen zu bauen. Auch schleppte man Woll- und Heusäcke, Matratzen und Sandkarren herbei, um die erwarteten Wolfsgruben und spanischen Reiter der Feinde, auf welche man sich in besonderen Exercitien vorbereitet, unschädlich zu machen. Die Ausfallstufen bestehen aus Planken und Faschinenbündeln, die man in terrassenförmigen Absätzen übereinander schichtet, und auf denen die Sturmcolonnen, sobald der Angriffsmarsch ertönt, in geschlossenen Reihen hervorbrechen.

Während die Leute wacker arbeiteten, fielen plötzlich und gleichzeitig zwei Bomben in die Parallele. Die eine crepirte schon in der Luft und kam in einem Hagelschauer von Sprengstücken hernieder, vor denen die Arbeiter sich schnell zu Boden oder zur Seite warfen. Die andere Bombe dagegen wühlte sich tief in die Böschung und warf dann einen Regen von Erdklumpen und Eisenstücken in die Höhe und nach allen Seiten. Eines der Sprengstücke traf einen armen Infanteristen mitten in die Brust, worauf er, den Spaten in der einen, das Gewehr in der andern Hand, kopfüber stürzte und sich krampfhaft stöhnend umherwälzte. Man rief nach einem Arzte, aber ehe dieser ankam, war schon ein katholischer Priester bei der Hand. Er reichte dem Sterbenden die letzte Oelung, und dieser verschied in seinen Armen. Dann kamen die Krankenträger, die am rechten Arm eine rothe Binde tragen, luden den Todten auf eine Bahre und schaufelten ihm in der Nähe die letzte Wohnung.
Otto Glagau. 

[494]
Nr. 2. Ein Besuch bei der dänischen Feldwache. – Das Auswerfen der dritten Parallele.
In den letzten Wochen der Belagerung der Düppeler Schanzen war das Verhältniß der dänischen und preußischen Vorposten ein recht freundschaftliches geworden, so zwar, daß man am Tage leicht vergessen konnte, es sei Krieg, wenn nicht die gezogenen Vierundzwanzigpfünder unsererseits und die aus glatten Röhren geschleuderten Vierundachtzigpfünder dänischerseits in sehr verständlicher Sprache das Wort „Krieg“ gedonnert hätten.

So in der frühen Morgenstunde, wenn die Sonne eben aufgegangen, war im Allgemeinen die Zeit, in welcher, freilich gegen die Vorschriften der Vorgesetzten, ein heimlicher Verkehr unter den beiderseitigen Vorposten stattfand.

Lassen Sie mich Ihnen von einem Besuche, den ich einer dänischen Feldwache machte, erzählen.

Es war das letzte Mal, als mein Truppentheil vor der Erstürmung auf Vorposten lag. Ich hatte gegen Morgen Dienstgeschäfte in einer Nebenfeldwache und mußte an unseren Postenlinien entlang meinen Weg nehmen. „Herr …,“ sagte mir, als ich auf demselben Wege zurückkam, ein vorgeschobener Posten, „da drüben steht ein Kerl, der mir schon seit längerer Zeit zuwinkt, zu ihm zu kommen. Sehen Sie, da kommt er wieder hinter dem Knick hervor.“

So war’s. Der Danske sieht anfänglich ein Weilchen zu uns herüber, dann kommt er näher und das bereits avertirte Winken beginnt. „O,“ denke ich, „die Nacht war wieder recht hübsch frostig, und sie haben da drüben am Ende Warmbier bereitet, wovon ich schon so viel gehört; da wäre ein Trunk zu dieser frühen Morgenstunde für den preußischen Soldatenmagen, der während der Nacht eben nichts empfangen hatte, als schlechten Rum und ein wenig Commißbrod, so übel nicht; ich gehe hinüber.“

„Und kommen Sie in einer halben Stunde nicht zurück, holen wir Sie.“

„Gut, mein Junge.“

Ich mag wohl, als ich wenige Schritte von dem Dänen entfernt war, etwas langsamer gegangen sein; es war doch ein ganz eigenes Gefühl, das mich in dem Augenblick ergriff, als ich einsah, ich war in der Gewalt des Feindes, und zwar mit meinem Willen. Der dänische Posten mochte mein Zögern bemerkt haben; er kam mir freundlich lächelnd entgegen, und mir die Hand reichend, sprach er in gutem Deutsch mit schleswig-holsteinischem Accent: „Kommen Sie nur ohne Zagen; sehen Sie, dort hinter der Hecke ist unser Officier und die Feldwache, ich werde bald abgelöst und komme dann auch hinein.“

Ich ging nach dem bezeichneten Platze; da sah’s denn recht bunt und geschäftig aus. Etwa dreißig Mann und ein Officier saßen und lagen in bunter Gruppe in einem großen Loch um ein Feuer, an welchem in zwei Kesseln eine gelbliche Flüssigkeit schäumte und brodelte.

„Guten Morgen, Cameraden.“

Jeder erwiderte meinen Gruß, jeder streckte mir seine Hand entgegen, nirgends Überraschung über mein Kommen, ich fühlte mich von den Feinden bewillkommnet, wie von den herzigsten Freunden.

Das Regiment, welchem jene angehörten, hatte längere Zeit in Holstein gelegen und aus diesem Grunde war es fast Allen möglich, sich mit mir zu verständigen.

Ich stellte mich dem Officier vor, er sprach im besten Hochdeutsch, wenn auch äußerst artig, doch immerhin etwas zurückhaltend mit mir. Allein das gab sich gar bald, er wurde herzlich und zutraulich, als einer seiner Leute zwei Becher mit jenem vorhin erwähnten dampfenden Stoff gebracht und ich auf die Bitte, sein Gast zu sein, auf seinem Plaid Platz genommen hatte und mit ihm Schiffszwiebacke aß, die ungefähr um so viel die unsern übertreffen, als Biscuit das schwarze Brod, und das erquickende Warmbier trank. Da gab’s so vieles zu erzählen, was von gegenseitigem Interesse war, nur des Krieges wurde mit keinem Worte gedacht, weder von meiner noch von seiner Seite – weshalb, ist wohl klar.

Fast ganz zuletzt, als ich mich bereits anschickte, wieder zu den Meinen zurückzukehren, verleitete mich der Anblick eines schwarzen Flors um den linken Arm des Officiers zu der Frage, ob er wohl Verluste ihm nahestehender Personen erlitten habe. „Ja,“ sagte er mit einem tiefen Aufathmen, „mein junges Weib wurde kürzlich, als Ihre Batterien Sonderburg bombardirten, wohin sie mir aus Kopenhagen gefolgt und welches sie meinethalb nicht verlassen wollte, von einer Kugel in ihrer Wohnung getödtet.“ Ein längeres Schweigen beiderseits; großer Schmerz wie große Freude haben keine Worte. – Da plötzlich hebt er das große blaue Auge, in welchem, wenn ich nicht sehr irre, etwas wie eine Thräne glänzte, zu mir auf. Durch das Naß der Thräne aber blitzte und loderte ein wildes Feuer.

„Sehen Sie, mein Camerad, daß ich Sie, selbst in dieser kurzen Zeit und obschon Sie mein Gegner sind, lieb, recht lieb gewonnen habe, werden Sie wohl erkannt haben, Ihre Nation aber, das ganze deutsche Volk, hasse ich mit aller Leidenschaft meiner Seele, wie man nur zu hassen vermag; diese ganze deutsche Nation, die mit frecher Hand uns unser Eigenthum zu entreißen gekommen ist, ihr werde ich bis zum letzten Athemzug entgegenkämpfen, und wie ich denkt jeder brave Däne. Aber schauen Sie da hinauf nach unseren Werken, die, wenn auch zerwühlt und zerrissen von der Unzahl Ihrer Geschosse, doch noch Hunderten und Tausenden den Tod bringen werden. Das glaube und darauf vertraue ich fest, daß sie niemals in Ihre Hände kommen, auch wenn Sie noch so lange davorlägen. Sollte es aber den kolossalen Massen gelingen, bis in die Ruinen zu gelangen, dann glauben Sie mir, werden auch alle diese Massen neben den todten Vertheidigern durch die letzten Lebenden derselben ihren Untergang, ihr Ende finden. Dänemarks Kampf ist ein verzweifeltes Streiten für sein gutes Recht, gegen die Uebermacht, und Verzweiflung vermag viel.“ Er reichte mir die Hand: „Leben Sie wohl, mein lieber Camerad!“

„Auf Wiedersehen,“ sagte ich.

Noch hier und da ein freundlich Wort, ein kleines Angedenken dem und jenem, noch einen Schluck aus dem „Büttel“ jenes Mannes, der mich zuerst hinübergewinkt, und die geflüsterten Worte: „Ich bin Schleswiger, aus Apenrade, heut’ Abend komme ich hinüber!“ und ich hatte die dänische Vorpostenkette hinter mir. Die preußischen Cameraden aber waren eben im lebhaftesten Gespräch über die Mittel, mich am bequemsten wieder von den Dänen abzuholen, sie meinten mich mit Gewalt zurückgehalten.

Einige dreißig Stunden später war kein Däne bewaffnet mehr auf dem Festlande Schleswig-Holsteins! Die für uneinnehmbar gehaltenen Werke waren in unserm Besitze.

Was aus jenem Schleswiger geworden, weiß ich nicht; möge er entkommen sein!

Ueber den dänischen Officier erhielt ich zufällig Kunde, er ist, von mehreren Kugeln getroffen, unter den Händen preußischer Aerzte auf dem Verbandplatze gestorben.


Eine der schönsten Erinnerungen für mich und wohl für Viele bleibt die Nacht, in welcher unser Regiment in Verbindung mit dem 24. commandirt worden war, die dritte Parallele, 500 Schritt von den Schanzen, auszuwerfen. Alles war mir dabei neu, alt und bekannt einzig die Gefahr. Daß die Dänen diese Arbeit mit aller Macht würden zu verhindern suchen, hatte man unsererseits entschieden geglaubt und demzufolge die üblichen Vorbereitungen getroffen; denn das ganze schwere Feldlazareth stand in Wester-Düppel bereit.

Es war eine prachtvolle laue Nacht, der Mond hing, ein mildes Licht verbreitend, am wolkenfreien Himmel, als wir, nur mit Gewehr und Munition versehen, längs des Wenningbundes, dessen Wasser, ein großer, blaugrüner Spiegel, leise und wie zärtlich kosend an die Ufer schlug, zur Arbeit vorrückten.

Kurz vor der ersten Parallele machten wir Halt, um die nöthigen Instructionen zu erhalten. Jeder Mann warf die Flinte über die Schulter, und einen Schanzkorb auf dem Kopfe, gingen Tausende, Mann hinter Mann, in langer Reihe vor. Nichts, kein Wort war zu hören, als das leise, taktförmige Auftreten und hier und da ein tiefes Aufseufzen; denn die Schanzkörbe, besonders die aus grünen Ruthen gefertigten, waren schwer und wurden zur [495] furchtbaren Last durch die Länge des Weges, auf welchem Keiner in der langen Reihe anhalten konnte und durfte, ohne die ganze Colonne in’s Stocken zu bringen. Aber der menschliche Körper vermag eben fast Unglaubliches zu leisten, wenn ein zäher fester Wille in ihm wohnt, und das ist bei uns Brandenburgern der Fall. So ging’s denn ohne Stocken vorwärts, durch die erste und zweite Parallele, bei der preußischen Feldwache vorbei.

Die zweite Parallele ist zu Ende, zu Ende aber auch der deckende, schützende Wall. Die lange Reihe tritt in’s Freie, das Herz klopft lauter in der schnell athmenden Brust; denn dicht vor sich erblickt man die Dänenwerke, von wo aus auf diese Entfernung ein Kartätschenschuß ganz furchtbare Wirkung gehabt haben würde. Die Sehkraft des Auges wird fast bis zum Schmerz angestrengt in der Erwartung, es auf der Stelle blitzen zu sehen und dann die einzige Möglichkeit der Rettung zu versuchen, sich flach auf die Erde zu werfen, und dabei geht es immer vorwärts, immer näher heran an die Schanzen. – „Hierher!“ ruft ein Officier von den Pionieren. Da giebt ein weißer, auf der Erde ausgespannter Bandstreifen die Lage der neuen Parallele an, dort wird Korb an Korb gestellt, dahinter aber liegt sein Träger, bewegungslos auf den Boten gekauert. Tiefste Ruhe herrscht einige Minuten auf dem ganzen Plane, die Dänen haben nichts gesehen, denn kein Schuß wird in den Schanzen gelöst, dagegen fallen die preußischen Bomben im prachtvollsten Bogenwurf ohne Zwischenpausen in dieselben ein.

Die Zickzackmauer der Schanzkörbe ist aufgestellt, somit aber der erste Theil des Werkes vollbracht. In derselben Art, wie sie gekommen, geht die wandelnde Menschenschlange zurück. Der Letzte ist wieder in die zweite Parallele eingetreten, da entwickelt sich aus derselben eine zweite ebensolange Reihe, jeder Mann einen Spaten oder eine Hacke in der Hand. Wie jene zurück, gehen diese vor, Mann hinter Mann, so daß jeder hinter einem Schanzkorb zu stehen kommt, die geladenen Gewehre werden von der Schulter genommen und auf den Boden gelegt, und die Arbeit, das Graben, beginnt. In die Erde hinein strebt Jeder, denn er weiß, je tiefer das Loch ist, welches er gräbt, je voller der Korb wird, desto mehr Deckung hat er gegen die Geschosse der Feinde. Das ist denn ein Arbeiten auf Leben und Tod, ein Keuchen und Stöhnen, soweit in die Länge das Auge schaut, der Schweiß rieselt vom ganzen Körper. Was thut’s? einen Schluck aus der Flasche, einen kurzen Augenblick der Ruhe, und der Spaten wird von Fuß und Hand mit erneuter Kraft in den Lehmboden gestoßen. „Bombe, Bombe!“ flüstert’s hier und dort. Da sieht man zwei mit feurigen Schweifen im hohen Bogen über die Schanzen steigen, ihre Richtung ist auf uns zu. Bombe vorbei; wenigstens hundert Schritt hinter uns crepiren sie in der Luft; da schon wieder zwei, die fast an derselben Stelle platzen, wie die ersten. Jeder weiß jetzt, man schießt nicht auf uns, sondern die Kugeln gelten den hinter uns liegenden Batterien.

Es ist des Morgens gegen vier Uhr, die Parallele ist flüchtig ausgeworfen, das heißt, der Graben ist vier Fuß breit und tief, der Wall aber fünf Fuß hoch. Pioniere messen allerorts Tiefe und Breite. Es ist Alles richtig, unsere Aufgabe somit erfüllt.

Bis an die Kniee in Schlamm und Wasser (wegen der Nähe des Meeres) gehen die Regimenter in dem in wenigen Stunden geschaffenen Wege zurück, den Pionieren überlassend, am Tage im Schutz des Walles die erforderliche Breite der Parallele herzustellen und sie für größere Truppenmassen gangbar zu machen.

Kein Mann der ganzen Colonne war in dieser Nacht verwundet worden. Das war ein gar schönes Gefühl, als wir, schmutzig wie die Erdwürmer, in Wester-Düppel an den vielen blauen verdeckten Wagen, alle mit der Aufschrift „für Schwerverwundete“ versehen, vorbeikamen!

„Sie sind heute angeführt worden,“ rief ich einem mir bekannten Arzte zu.

„Ja, Gott sei Dank, auf diese Weise mag ich mich gern in den April schicken lassen.“

„Schlafen Sie wohl.“

„Guten Morgen.“

Selten hat mir der Schlaf auf ein wenig zermalmtem Stroh so wohl gethan, wie damals, und nie das gegen Abend bereitete Mittagbrod, Erbsen und Rindfleisch, so gut gemundet, als an diesem Tage.