Jean Paul und die Rollwenzel

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Autor: unbekannt
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Titel: Jean Paul und die Rollwenzel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 483–486
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Drei Frauenbilder in Bayreuth.
3. Jean Paul und die Rollwenzel.

Es ist eine eigenthümliche und frappante Erscheinung in der Entwickelung des deutschen Geisteslebens der Neuzeit, daß die beiden ehemaligen brandendurgischen Fürstenthümer in Franken, Anspach und Bayreuth, den formlosesten und den formvollendetsten deutschen Dichter erzeugt haben.

Johann Paul Friedrich Richter, nach seiner eigenen Wahl meist Jean Paul genannt, war ein Sohn des Landes Bayreuth, und August Graf von Platen-Hallermünde war ein Sohn der Stadt Anspach. Jeder von ihnen ist in seiner Art unübertroffen groß und der einzige Repräsentant derselben, Beide werden als scharfausgeprägte Originale ihren Platz in der deutschen Literatugeschichte für immer behaupten, ja man darf annehmen, Beide werden erst in der Zukunft ihre wahre und gerechte Würdigung erfahren; denn Beide haben während ihres Lebens die volle Anerkennung, die sie mit Recht von ihrem Vaterlande beanspruchen durften, nicht gefunden, von dem Vaterlande, das sie, der Eine wie der Andere so schwärmerisch liebten, und deren Versagung ihnen so bittere Schmerzen bereitete. Im schlichten Pfarrerssohne aus dem Fichtelgebirge war die Liebe größer als der Schmerz; nachdem er bis in sein 35stes Lebensjahr alle Schmach und Geringschätzung deutscher kleinstädtischer Engherzigkeit in dem durch ihn berühmt gewordenen Hof erfahren hatte, kehrte er nach kurzen sechs Jahren, die er in Leipzig, Weimar, Berlin, Meiningen und Koburg verlebt, dennoch wieder in die Hauptstadt seines kleinen Vaterlandes zurück und wohnte, wahrlich nicht in glänzenden Verhältnissen und von den Bürgern Bayreuths keineswegs nach Verdienst gewürdigt, in ihr bis an seinen Tod. Im Grafen waren Schmerz und Groll größer als die Liebe, und sie trieben ihn über die Alpen, wo er, Deutschland fast entfremdet, einsam starb.

An die Namen beider Dichter „aus Franken“ kettet sich auf überraschende Weise der eines dritten deutschen Dichters, unsterblich wie der ihrige, der des Königs Ludwig von Baiern, „Herzogs von Franken.“ Denn Er war’s, der mit königlich dichterischer Munificenz dem Dichter Platen, dem Meister der Form, den Lebensunterhalt in Italien gewährte, und Er war’s, der aus eignen Mitteln dem Dichter Richter die herrliche Erzstatue in Bayreuth errichtete, als das deutsche Volk dem Aufrufe eines Vereins zu Wunsiedel, der Geburtsstadt des Dichters, „zur Errichtung eines Nationaldenkmals Jean Paul’s“ keineswegs wie man hätte erwarten dürfen, entsprochen hatte. Eben so großmüthig hat sich König Ludwig an den Beiträgen zur Errichtung des Platen-Denkmals in Anspach betheiligt, und wir glauben nicht zu irren, wenn wir prophezeihen, daß auch diese Dichterstatue nur durch den König-Dichter werde zur Vollendung kommen können, so daß die beiden Schwesterstädte durch ihn mit den Erzbildsäulen der beiden großen, einander so merkwürdig entgegengesetzten Dichter geziert sein werden.

Sowohl aus dieser hohen und einzigen königlichen Freigebigkeit auf der einen Seite, als auf der andern aus Platen’s aristokratischer Geburt und Erziehung und aus Richter’s Leben, das nur von Personen aus der höchsten und hohen Aristokratie, die ihn nach Würden achteten und ehrten, zu erzählen weiß, sollte man schließen können, daß unsere beiden großen fränkischen Dichter im Sinne und Interesse der höhern Gesellschaft geschrieben und dieser ausschließlich mit ihrem Denken und Fühlen, mit ihren Sympathien und Bestrebungen angehört hätten, wie etwa Horaz oder Goethe. Aber kein Schluß würde trügerischer sein als dieser.

Der von Fürsten gesuchte und von ihnen fast wie ihres Gleichen behandelte, (man braucht nur an den Herzog Georg von Mecklenburg-Strelitz, den Herzog August von Gotha, den Herzog Friedrich von Hildburghausen, den Herzog Georg von Meiningen, den Fürsten Dahlberg zu erinnern) von edlen charakterhohen Fürstinnen schier gehätschelte (Anna Amalia, Herzogin von Weimar, Louise, Königin von Preußen und ihre drei Schwestern, die Herzogin von Hildburghausen, die Fürstin von Turn und Taxis und die Fürstin von Solms etc.), von genialen adligen Damen, die ihn meist heirathen wollten, geliebte (Frau von Kalb, Frau von Berlepsch, Frau von Krüdener, Fräulein Karoline von F., Hofdame in Hildburghausen, mit welcher er verlobt war) Jean Paul war eben so ein Mann der Freiheit, ja nach dem heutigen Sprachgebrauche ein „Demokrat,“ wie der aus alter Familie entsprossene Graf Platen. Richter’s entschiedene Freisinnigkeit spricht sich in allen seinen Schriften bald mehr bald minder stark und scharf aus, am kühnsten und freimüthigsten in seiner „Charlotte Corday“ und in seinem, dem Herzog August von Gotha dedicirten „Freiheitsbüchlein;“ Platen’s Demokratismus bricht in seinen politischen [484] Liedern, die freilich nicht in die Ausgabe seiner Schriften aufgenommen sind, am stürmischsten aus. Mit diesen politischen Anschauungen harmonirten ihre religiösen. Nie hat ein Mensch erhabenere Worte über Jesus Christus gesprochen, als Jean Paul in den „Dämmerungen,“ und doch stand er mit seinen Ueberzeugungen außerhalb der christlichen Kirche auf dem Standpunkte einer poetischen Naturreligion, deren Lehrer und Hohepriester er selbst war.

An keinem deutschen Dichter hat sich das Mißverhältniß der Poesie zum wirklichen Leben schreiender offenbart, als an Richter, und es konnte nicht anders sein, eben weil er den Kultus des deutschen Gemüths wie kein Andrer poetisch gefeiert und verklärt hat und zwar eben so in der Endlichkeit als in der Unendlichkeit diese Gemüths, mit andern Worten, weil er als der größte deutsche humoristische Dichter das edelste reinste und größte Herz haben mußte. Durch die schwere Schule einer Armuth gegangen, deren Beschreibung beleidigt, von der nobeln Gesellschaft der guten Stadt Hof ausgeschlossen wie ein Verbrecher, ja selbst noch zurückgestoßen und geringschätzend behandelt, als die vornehme, intelligente Welt Deutschlands für den Verfasser des Siebenkäs und des Hesperus schwärmte und hervorragende Individuen ihn, den großen, bald so heilig ernsten, bald so schalkhaft lachenden Herzenspriester in seiner kleinen engen höfer Welt aufsuchten, liebte dieser wunderbar begabte einzige Mensch dieses Volk, diese mittlern Stände und die Mündigkeit des deutschen Volks, seine Emancipation, seine geistige und materielle Freiheit waren der Inhalt seiner heißen Dichterträume, das Ziel seiner hohen Sehnsucht, der geile Boden, aus welchem seine üppigen Schöpfungen aufschossen. Sind sie ja doch der Boden aller echten und wahren Poesie überhaupt, und Goethe’s Faust ist ihm eben so gut entsprossen, wie Jean Paul’s Titan.

Das ist aber der Krebsschaden der Dichterbrust, der immer augenfälliger zu Tage tritt, daß diejenige Klasse der Gesellschaft, an welche sich der Dichter wegen ihrer Intelligenz gewiesen sieht, seinen heiligsten Tendenzen abhold ist, und das Volk, für dessen Emancipation er das Flammenschwert des Geistes schwingt, aus Unempfänglichkeit, Mangel an Verständniß, und dem alten ekelhaft bornirten: „Der Narr will klüger sein als wir!“ ihn beleidigt, zurückstößt, schändet. Der echte Dichter ist ein geborner Aristokrat, der, sobald er zum Verständniß des Lebens und seiner Widersprüche und Mißverhältnisse kommt, zum wohlwollenden Mann der Freiheit wird, der nur einen großen heißen Wunsch hat: das Wohl des deutschen Volks und die harmonische Ausbildung aller seiner Kräfte zur Erzeugung der höchsten Blüthe Deutschlands. Aber der Dichter ist auch wie ein zartes schönes Mädchen, das das Bedürfniß zu gefallen hat; er bedarf des Verständnisses, der Anerkennung, der Pflege; zu seinem Glücke gehört unerläßlich die Liebe seines Volks, für das er glüht und dichtet. Darf man ihn schelten, wenn er dort die Seele hingibt, wo er Verständniß, Anerkennung, Liebe und Pflege findet, auf den Höhen der Gesellschaft, und wenn er mit Schmerz und Wehmuth, ja wohl mit Bitterkeit auf die blickt, denen sein höchstes Streben, seine glühendste Begeisterung gewidmet ist, und die gleichgültig an ihm vorübergehen, ja wohl gar ihn kalt und höhnisch zurückweisen? Kein deutscher Dichter ist von höchsten und hohen Personen, gegen deren Standesinteressen er schrieb, so ausgezeichnet und geehrt und Keiner ist so von den untern Ständen, für deren Interessen er schrieb, so vernachlässigt worden, als Richter. Dieser eigenthümliche und auffallende Widerspruch geht sogar über sein Grab hinaus: das deutsche Volk verweigert dem größten deutschen Gemüthsdichter, dem hohen, reinen, begeisterten Freiheitsmann das Denkmal und – ein König setzt es ihm.

Inzwischen war eine solche Anerkennung von Seiten der Höhen und Spitzen der Gesellschaft, eine Anerkennung und Pflege des Dichters, wie sie uns heute schon fast fabelhaft vorkommen, nur in der zweiten Hälfte des vorigen und im ersten Viertel unseres Jahrhunderts möglich, wo die Intelligenz der höhern Stände sich von der Gewalt der neuen Ideen und von dem Feuer der Begeisterung wie von der Schärfe des Spottes hinreißen ließen. Das allgemein Menschliche ergriff die gebildeten und darum empfänglichen Herzen, sie ergaben sich dem neuen Evangelium der Liebe und Freiheit, zumal es ihnen auf so überraschend neue, herrliche, eigenthümliche Weise gepredigt wurde, und sie spielten mit dem Feuer, das ihnen erst in Funken von Jean Jacques und dann in rothen, grünen und blauen lodernden Flammen und in neckisch hüpfenden Flämmchen von Jean Paul gebracht wurde, sie spielten damit aus Passion, aus Mode, aus Zeitvertreib, und sie dachten nicht daran, daß dieses Feuer auch in Deutschland brennen könne. Von der andern Seite verfiel Jean Paul in den verzeihlichen Irrthum, als habe er die höhern Stände, die ihn so sehr vergötterten, namentlich die Frauen derselben, für seine philanthropischen Ideen gewonnen und die neue Aera des allgemeinen Herzenskultus sei vor der Thüre. Naivetät von beiden Seiten, über die wir heute lächeln. Die hohe Aristokratie ist klüger geworden und die Dichter auch. Kein aristokratischer Fuß kam über die Schwelle in der rue d’Amsterdam, an welcher der große deutsche Dichter sechs Jahre sterbend lag, kein deutscher Fürst wird ihm ein Denkmal setzen (wir fürchten: eben so wenig das deutsche Volk), und doch hat Heinrich Heine nichts Schlimmeres drucken lassen, als Johann Paul Friedrich Richter.

Nichts legt für die sittliche Größe Richter’s glänzenderes Zeugniß ab und gereicht ihm zu größerer Ehre, als daß er sich an keinem der kleinen Höfe, wo er so ungewöhnlich ausgezeichnet wurde, fesseln ließ (der Herzog von Meiningen wollte ihm sogar ein Haus bauen), daß er an jeder Fürstentafel offen und ehrlich seinen Freimuth äußerte, wodurch er bei dem formellen Goethe und fast noch mehr bei dem ängstlichen Schiller anstieß, und daß er die Herzensverbindungen mit den reichen adeligen Damen, die, zu einem Ehebündniß geführt, ihn in eine glänzende äußere Lage versetzt haben würden, abbrach, sobald er die Ueberzeugung gewonnen, daß sie bei aller brillanten Geistesbildung seiner doch nicht würdig seien. Er heirathete eine von Geist und Herz gleich hoch und schön gebildete Bürgerliche und kehrte schon nach einigen Jahren für immer in sein kleines Vaterland zurück, und schlug in der ihm so theuren stillen Stadt Bayreuth seinen bleibenden Wohnsitz auf.

Und so ist er ein armer Mann geblieben, aber ein edler verehrungswürdiger, ein deutscher Dichter von so hoher trefflicher Gesinnung und Geistesthat, wie wir keinen zweiten zu nennen wissen. Von allen Fürsten, die ihm den Hof gemacht, gab ihm Keiner etwas, außer dem edeln Dalberg, Großherzog von Frankfurt, aber die Pension betrug nur tausend rheinische Gulden, und der Dichter mußte sie nach Beseitigung der französischen Einrichtungen in Deutschland einige Jahre missen, bis sie der König von Baiern übernahm. Mochten ihm von den Verlagsbuchhandlungen auch nicht gewöhnliche Honorare gezahlt werden, so hat er doch in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens, gerade während seines bleibenden Domicils in Bayreuth, verhältnißmäßig wenig geschrieben, und seine Einnahmen von dieser Seite können unmöglich glänzende gewesen sein.

Es ist ungemein betrübend, wenn seine Lebensbeschreiber (Spazier, Z. Funck) wiederholt versichern, Bayreuth habe ihm die gebührende Achtung versagt. Dies kann sich, wie wir versichern können, nur auf die mittlern und untern Stände beziehen; von den Familien der höhern Stände war er sehr geachtet und geehrt. Das Andenken an die ihm gezollte Verehrung hat sich in einigen der ersten Familien der Stadt bis heute lebendig erhalten, und sehr viele der ältern Einwohner erinnern sich noch lebhaft seiner stattlichen würdigen Gestalt mit den milden edlen Zügen.

Man erzählte mir: in den letzten neun Jahren seines Lebens sei Richter in Bayreuth weit mehr und allgemeiner geehrt worden, als früher und zwar auf folgende Veranlassung. Die verwittwete Prinzessin von Holstein-Oldenburg, geborne Großfürstin von Rußland, Katharina Paulowna, eine der hochherzigsten Fürstinnen, kam 1816 als Braut des Kronprinzen (wenige Monate darauf Königs) von Würtemberg durch Bayreuth und der Stadtkommandant, der Regierungspräsident und andre vorragende adelige Häupter beeilten sich, der hohen Reisenden die Honneurs zu machen. Sie werden angemeldet, Niemand wird angenommen. Der Kammerherr der Großfürstin fragt nach Jean Paul, der soll unverzüglich eintreten, kaiserliche Hoheit wünsche nichts sehnlicher, als ihn zu sprechen. Aber der Herr Legationsrath Richter ist nicht zugegen und muß eiligst herbeigeholt werden. Er bleibt über eine Stunde bei der Großfürstin, sie entläßt ihn äußerst gnädig und reist ab ohne einen der andern Herrn angenommen zu haben.

Trotz alledem bewahrte Richter, der Sohn der Armuth, dem Volke seine treue innige Neigung, und vor Allen hat er sie [485] einer Tochter des Volkes geschenkt, deren Portrait wir heute mittheilen. Um Gottes willen, denke dabei Niemand an ein gewöhnliches sinnliches Liebesverhältniß. Frau Rollwenzel war sieben Jahre älter als Richter und stand, als er sie kennen lernte, schon in den höhern vierziger oder im Anfang der fünfziger Lebensjahre, und Richter war erst einige Jahre mit der jugendlichen schönen, ja reizenden und hochgebildeten Karoline Meyer aus Berlin verheirathet. Auch ist aus seinen Schriften bekannt, wie hoch er die sittliche Reinheit der Ehe hielt. Frau Rollwenzel war dem Dichter die Repräsentantin des von ihm so heiß geliebten deutschen Volks oder vielmehr der Volksweiblichkeit, die seiner Wesenheit näher stand als das männliche Element, und sie war ganz die Frau, diese ihr von ihm zugedachte bedeutende Stelle würdig auszufüllen.

Frau Rollwenzel.

Als Richter im Jahre 1804 seinen bleibenden Wohnsitz m Bayreuth aufschlug, fühlte er bald das Bedürfniß, in einiger Entfernung von der Stadt nach dem Fichtelgebirge zu eine Lokalität zu finden, wo er sich ein gemüthliches „Nest bauen“ könne, eine Neigung, die ihm stets eigen war und aus der Tiefe seines Gemüths hervorging. Das Glück begünstigte ihn auch in dieser Angelegenheit. Das kleine einstöckige Wirthshaus am Fuße der Anhöhe, welche die Eremitage trägt, bot ihm die ersehnte süße Villagiatur und die stille heimliche Feier für einen großen Theil seiner spätern poetischen Schöpfungen. Aber das kleine Haus gab ihm noch mehr als er gesucht und erwartet, ein verständiges gemüthliches Ehepaar von vielfacher Erfahrung und Lebensverständniß, Menschen, die ihm klaren Geist, Ehrfurcht und Ergebenheit entgegen brachten. Dies war der Wirth Friedrich Rollwenzel und seine Ehefrau Dorothea Rollwenzel, geb. Beyerlein. Der Mann war in seiner Jugend vom Markgrafen Alexander von Anspach und Bayreuth, dem letzten Fürsten dieser beiden Länder, als Soldat mit seinem Regiment an England verkauft und nach Nordamerika geschleppt worden, um dort gegen die Union zu kämpfen. Es wird behauptet, Rollwenzel’s Ursprung sei im markgräflich bayreuthischen Hause selbst zu suchen gewesen. Richter pflegte sich gern mit ihm zu unterhalten und von seinen Fahrten erzählen zu lassen. Geistig näher als der Mann stand unserm Dichter aber die Frau. Sie war aus Hutschendorf, einem zwischen Thurnau und Kulmbach gelegenen Dorfe gebürtig, wo ihr Vater, der lange in Ungarn gelebt hatte und ein gewandter Mann war, Metzgerei und Bierwirthschaft betrieb. Dorothea Beyerlein verheirathete sich mit einem Manne desselben Gewerbes, Namens Friedmann, von dem, als wüstem Verschwender, sie sich, nachdem sie zwei Kinder geboren, wieder scheiden zu lassen genöthigt war. Sie vermiethete sich als Köchin in Bayreuth und verheirathete sich hier nach einigen Jahren mit Rollwenzel.

Nach Erwerb des kleinen Hauses, das später als Richter’s ländlicher Aufenthaltsort geheiligt, nun ihren Namen für alle Zeit trägt, wünschte die thätige und gewandte Frau als Kaffee- und Bierwirthin und Köchin darin zu wirken, aber sie konnte keine Concession zum Betriebe einer Wirthschaft erlangen, und betrieb sie ohne eine solche. Ein halberfrorner französischer Soldat, den sie im harten Winter aufnahm und pflegte, wurde die Veranlassung, daß sie durch den Marschall Junot die Concession erhielt. Sowohl wegen ihres muntern spaßhaften Wesens, das jeden Gast, den vornehmen wie den geringen, erheiterte, als auch wegen ihrer guten Bereitung der Speisen und Getränke, war sie allgemein beliebt, und Niemand ging gern an ihrem Hause vorüber. Wie das kleine Wirthshaus unserem Dichter ungemein bequem gelegen war, so entdeckte er in der Wirthin einen kostbaren Schatz; denn Frau Rollwenzel verstand es nicht nur, seine Bedürfnisse, Neigungen und Liebhabereien zu studiren und auf möglichst vollkommene Weise zu befriedigen, sie lebte sich auch auf überraschende Weise geistig in ihn hinein und verstand den Flügelschlag seines Genius so gut, daß er sich mit ihr über geistige Interessen unterhielt, ihr nicht selten seine Manuskripte vorlas und das natürliche gesunde Urtheil der lebhaften talentvollen Frau mit Vergnügen vernahm. Auch liebte er es, mit ihr in seiner, seinen Freunden wohlbekannten eigenthümlichen Weise zu disputiren. Richter war nichts weniger als unempfänglich für die schmackhaften Kunstwerke der Küche und die geistreichen Objekte des Kellers, er liebte starken Kaffee, schweres Bier und gehaltvollen Wein, und die Leistungen der höhern Kochkunst waren ihm an den Fürstentafeln nicht gleichgültig geblieben. Frau Rollwenzel labte ihren genialen Gast eben so mit einer Tasse delikaten Kaffee, einem Kruge köstlichen Bieres, einem prächtigen Braten und einem feinen Kuchen, wie sie ihn mit ihren witzigen Besprechungen menschlicher Narrheiten und Schwächen ergötzte.

So ist er denn fast zwanzig Jahre zu ihr gegangen, früher in der schönen Jahreszeit fast täglich und zwar schon in der Morgenfrühe. Da sah man den untersetzten, kräftig gebauten Mann im schlichten Oberrock mit offnem Halse, einen Knotenstock in der Hand, einen Büchsenranzen mit dem Manuscripte, an welchem er eben arbeitete, und mit Büchern, die er eben las, übergehängt, mit ein paar Flaschen Wein, deren Hälse aus den Rocktaschen ragten, den großen weißen Spitz, den treuen Begleiter, den er in mehr als einem Roman verherrlicht, zur Seite, in früher Stunde durch die Alleen des Hofgartens und durch die Lindenallee vor dem Eremitagethore die sanfte Höhe nach dem [486] Rollwenzelhäuschen empor schreiten. Im Hinterhause eine Treppe hoch liegt eine wenig geräumige Stube mit ein paar Fenstern, welche eine liebliche Aussicht in den hier fast kesselartigen Thalgrund des rothen Mains, auf die waldigen Berghöhen zu beiden Seiten desselben, auf freundliche Weiler und Höfe im Thale und auf den Berghängen, auf die nahe bewaldete Höhe der Eremitage und endlich im Hintergrunde auf die blauen übereinander gegipfelten Berge des Fichtelgebirges gewähren. Es ist eine abgeschlossene reizende Idylle, wie sie Jean Paul so sehr liebte und gern schuf. Die Ausstattung des Zimmers ist heute noch nicht glänzend. Als es dem großen unsterblichen Dichter zum Schöpfungstempel diente, soll sie eine ärmliche gewesen sein.

An diesem Tische schrieb er einen großen Theil der Levana und des Komet und viele der kleinen Stücke, an welchen seine spätern Jahre reicher waren als die frühern. Aus diesen Fenstern schickte er die sehnsuchtsvollen Blicke nach den Bergen, hinter welchen er geboren war und seine idyllisch einfache, aber von ihm mit den Prismafarben der Poesie geschmückten Jugend verlebt hatte. Von diesem Häuschen aus durchstreifte er die reizende Umgegend. Dem Hause in der Entfernung einiger hundert Schritte gegenüber, schloß sich damals an den sogenannten Bogengang der Eremitage am Berghang ein reizendes Gebüsch mit einer Einsiedlerhütte, die jetzt verschwunden sind. In dieser Hütte brachte er viele Stunden zu, schrieb auch darin, der genialste aller Einsiedler. Nicht selten begleitete ihn sein Freund Christian Otto zur Rollwenzel und arbeitete in einer kleinern Nebenstube. Dann ergingen sich Beide in kritischem Gespräch mit der geistbegabten Wirthin. Abends kam dann in der Regel Richter’s Familie und holte ihn ab.

In den spätern Jahren ging der Dichter meist nur noch Nachmittags zur Rollwenzel und nur einige Male in der Woche. War er krank und in der letzten trüben Zeit, als er erblindete, kam Frau Rollwenzel auf seinen Wunsch oft zu ihm, und er tauschte mit ihr wie sonst das lebendige Wort. Die lebhafte Frau war ihm eben zum Geistesbedürfniß geworden. Sie überlebte ihn vier und ein halbes Jahr und starb fast 74 Jahre alt, am 22. April 1830.

Am Eingang des Hauses liest man jetzt auf einer dunkeln Marmortafel mit goldnen Lettern: „Rollwenzel’s Haus. Hier dichtete Jean Paul.“ Die Jean-Paul-Stube wird nur Besuchern geöffnet, welche das Andenken des Dichters ehren. Ein Album nimmt ihre Namen auf. Unter seinem Bilde hängt das der Frau Rollwenzel, das Original unseres Holzschnittes. Außer der Büste und einer Handschrift des Dichters sind keine sichtbaren Erinnerungen an ihn vorhanden.

Es ist vielleicht nicht uninteressant einige Werte über das materielle Leben Richter’s hinzuzufügen, welches nicht minder originell wie sein geistiges, durch die kunstgeübte Hand der Frau Rollwenzel so vielfache Befriedigung fand.

Die leiblichen Genüsse waren bei Jean Paul durchaus nur Anregungs- und Beförderungsmittel zu erhöhter Geistesthätigkeit. Philisterhafte Gewöhnlichkeit hat das oft mißverstanden und den Dichter darnach schief beurtheilt. Denn Richter aß und trank stark und gut. Im Sommer und Winter erhob sich Richter von seinem eigenthümlich construirten Bette und trank ein Maß frisches Brunnenwasser, wozu er Pfeffernüsse und andres feines Backwerk verspeiste. Dann las er bis zum Genuß des Kaffee’s (sehr stark) mit Backwerk um 8 Uhr. Um 9 Uhr trank er Wein, meist alten starken vom Rhein und in der Regel eine Flasche. Je nach der Arbeit, die er den Tag über verrichten wollte, vergrößerte er nicht nur die Quantität, sondern verstärkte auch die Qualität auf eine ungewöhnliche und eben nicht zu empfehlende Weise. Er setzte nämlich eine größere oder geringere Dosis (je nachdem er den Geist mehr oder minder beflügeln wollte) Rossoli oder Arac hinzu. Zu diesem Getränke verspeiste er eine ziemliche Portion guten Kuchen und machte den Küchenzettel für den Mittagstisch. Er wurde empfindlich, wenn die Speisen nicht nach seiner Angabe zubereitet waren. Von diesem zweiten oder vielmehr dritten Frühstück bis zum Mittagsessen um 2 Uhr arbeitete er unausgesetzt und nahm keine Besuche an. Seine Stube bei der Rollwenzel durfte außer ihm und ihr durchaus Niemand betreten. Nach Tische schlief er über eine halbe Stunde und brachte dann über eine Stunde im Familienzimmer bei der hochgebildeten taktvollen und in jeder Hinsicht trefflichen Gattin und bei seinen reichbegabten liebenswürdigen Kindern (zwei Töchtern und einem Sohne) zu. Dann ging er aus. Den Abend verlebte er entweder in der Harmoniegesellschaft, oder in befreundeten Familien, oder sah seine Freunde bei sich, mit welchen er im lebhaften Gespräch die wichtigsten und interessantesten Fragen verhandelte. Dazu trank er viel starkes Bier. Um 9 Uhr reichliches Abendessen. Unmittelbar darauf verfügte er sich mit der Familie zu Bette. Nachmittags trank er nie Kaffee, Wein oder Bier, sondern nur Wasser. Weder rauchte, noch schnupfte er Tabak; er verband vielmehr beide Genüsse auf eine eigenthümliche Weise, wie er denn fast in allen Verrichtungen originell war. Er drehte nämlich vom feinsten Rolltabak kleine Röllchen und schob diese in dir Nase. Er war ein Mann der strengsten Ordnung, des entschiedensten Willens, aber auch der unbegrenzten Liebe, und Hausherr in der vollsten Bedeutung des Wortes.

Von seiner liebenden Fürsorge für Menschen und Thiere, mit welchen er in Beziehungen stand, werden rührende Dinge erzählt. Leute, die ihn bedienten, hielt er über die Maßen gut und mochte ihnen gern jede Lebensfreude gewähren. Er fütterte nicht nur seinen Hund und seinen Kanarienvogel, auch Fliegen und Spinnen, und trug im Herbst ihr Winterfutter sorgsam ein.

So hatte Jean Paul Friedrich Richter nicht nur den klarsten, schwunghaftesten Geist, die reichste, kühnste gewaltigste Phantasie und den hohen edlen Sinn, er hatte auch das liebevollste, edelste und größte Herz, das je in eines Menschen Brust geschlagen, und dieses reiche, weiche, große, schöne Dichterherz ist’s, welches Millionen Menschenherzen entzückt, gehoben, veredelt, mit Gotteshauch erfüllt, mit Gottessegen überglüht hat und in die späte Zukunft hinein über Deutschland Segen bringen, seine Unsterblichkeit aber auch im Segen des deutschen Volks erhalten wird, „so lang die deutsche Zunge klingt.“