Kaiserin Eugenie und der „Meermann“

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kaiserin Eugenie und der „Meermann“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 680
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Kaiserin Eugénie mit ihrem Sohn in Saint-Cloud
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[680] Kaiserin Eugenie und der „Meermann“. Bei dem kürzlich in Saint-Cloud gefeierten Feste, dem Namenstage des Schutzpatrons dieses Ortes, einem Volksfeste nach Art unserer Kirchweihfeste, wo es nicht blos Buden mit Spielsachen, Leckereien und Putzgegenständen, sondern auch Schaubuden mit allen erdenklichen Merkwürdigkeiten giebt, machte es sich die Kaiserin Eugenie zum Vergnügen, in einfachster Toilette und verschleiert mit ihrem Sohn, dem kaiserlichen Prinzen, verschiedene dieser Schaubuden zu besuchen. Vor einer derselben stand ein Ausrufer, welcher mit Hinweisung auf ein groteskes Gemälde über der Thür die Menge einlud, sich ein seltsames, noch nie dagewesenes Phänomen anzuschauen, einen Meermann oder Fischmenschen, der halb Mann, halb Fisch oder Seehund sei und, obwohl früher außerordentlich wild gewesen, doch jetzt so weit gezähmt worden, daß er sogar gelernt habe, „Papa“ und „Mama“ zu sagen.

„Immer heran, meine Herrschaften, es ist die Pflicht jedes gebildeten Menschen, sich dieses Ungethüm zu betrachten, dessen Gleichen noch kein Mensch je erblickt hat, denn Seejungfern und Meerweiber sind schon eine alte, längst bekannte Geschichte, aber einen Meermann hat noch Niemand producirt!“

Das erschien dem kleinen Prinzen doch gar zu lockend und er bat seine Mutter, ihm diese Merkwürdigkeit zu zeigen. Lächelnd gewährte die Kaiserin den Wunsch, winkte dem sie begleitenden Kammerherrn und trat in die Bude ein. Hier ergötzte sich die Menge daran, das „Ungethüm“ zu betrachten, von dem man indessen blos die Arme und den Kopf mit langem, wirrem Haar und einem ganz mit Bart verdeckten Gesicht bemerkte, während der übrige Körper unter dem Wasser in einem tiefen Bassin verschwand, so daß man sich nicht davon überzeugen konnte, ob er einem Fisch oder einem Menschen gehöre. Der Meermann gab grunzende, unarticulirte Töne von sich, verschlang auf Commando lebendige Tauben und Frösche, sagte auch „Papa“ und „Mama“, wurde jedoch so ungehalten über die muthwilligen Neckereien eines kecken, jungen Burschen, daß dieser sich erschreckt zurückzog.

Der kleine Prinz drängte seine Mutter weiter heran, um das Ungeheuer besser sehen zu können, aber kaum hatte dieses einen Blick auf die Kaiserin geworfen, als es einen durchdringenden Schrei ausstieß, die Hände vor das Gesicht hielt und hinter den Coulissen der Bude verschwand.

Die Neugierde der Kaiserin war durch dies seltsame Benehmen rege geworden, sie ließ durch den Kammerherrn genaue Erkundigungen einziehen und erfuhr so nach und nach, daß der „Meermann“ der tief gesunkene Sohn einer vornehmen Familie war, der früher zu den bekanntesten Mitgliedern der Pariser jeunesse dorée gehörte, aber nach dem Beispiel des Herzogs von Grammont-Caderousse sein Vermögen leichtsinnig vergeudete und sich endlich in unabsehbare Schulden stürzte. Lange Zeit saß er im Schuldgefängniß, und als er dann aus Clichy entlassen wurde, suchte er sein Glück in der militärischen Laufbahn, aber auch hier gab er den sträflichen Leichtsinn nicht auf, unterschlug Gelder, die der Regimentscasse gehörten, wurde aus seinem Regiment ausgestoßen und stieg immer tiefer und tiefer in Schmach und Elend hinab.

Gott weiß, was der Unselige Alles betrieben, um sein Dasein zu fristen, bis er schließlich bei einer vagabondirenden Gauklerfamilie Brod und eine Zuflucht vor den Nachforschungen der Polizei gesucht hatte. Hier mußte er natürlich mit „arbeiten“ und hatte sich zum „Meermann“ hergegeben, da er zur Erlernung anderer Künste nicht mehr jung und geschmeidig genug war.

Der Anblick der Kaiserin, deren Kreisen er früher so nahe gestanden, erweckte die bitterste Scham und Trostlosigkeit in ihm, wenn er auch sicher sein konnte, daß sie ihn unmöglich erkennen werde. Die hohe Dame fühlte ihr Herz von tiefem Mitleid bewegt und beschloß, noch einen Versuch zu machen, den Ausgestoßenen in der menschlichen Gesellschaft zu rehabilitiren. Sie verschaffte ihm eine kleine Anstellung, wo er wenig mit Anderen in Berührung zu kommen hatte, und der arme Mensch ist so glücklich darüber, daß man hoffen darf, er werde sich dieser Güte würdig erweisen.