Karneval in Wien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ferdinand Groß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Karneval in Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[75]
Karneval in Wien.
Von Ferdinand Groß.       Mit Illustrationen von W. Gause.


Gschnas- und Kostümball der Künstler.

Von allen Seiten singt es und klingt es; von rechts und links drängen die Tonfluthen auf uns ein, mit Sirenenstimmen lockend, daß wir untertauchen mögen in ihnen, untertauchen mit Leib und Seele, vergessen alles Weh und alles Schicksal, mit Sorglosigkeit entschlossen, die klingenden, hochgehenden Wellen über unseren im Takte sich bewegenden Häuptern zusammenschlagen zu lassen. Die Wiener Musik hat ihre großen leuchtenden Augen auf uns gerichtet, sie verlangt, daß wir tanzen; sie schlängelt sich in unsere Ohren und fährt uns dann in die Beine, und wenn wir ihr gebieten wollen, innezuhalten und uns nicht über den Ernst des Daseins hinwegzutäuschen, kichert sie und klappert mit ihren Schellen und stellt sich auf den Kopf und stimmt verführerische Weisen an, so süß, so selig, so gebieterisch, daß wir die Kniee beugen vor ihr und vor der Großmacht, deren Herold sie ist: vor unserem Fasching. Und die Walzer von Johann Strauß berücken uns mit ihrem berühmten Kunststückchen: aus wehmüthigen, von Herzeleid durchzitterten Anfängen die hinreißendsten Melodien emporzuzaubern, als hätten sie die Melancholie nur heraufbeschworen, um sie weidlich zu verspotten, um zu bekunden, daß die Wagschale, in welcher die Traurigkeit liegt, federleicht in die Höhe schnellt, wenn in die andere Wagschale ein paar Körnlein Faschingsfreude gestreut werden. Was die Zeit an Wien auch geändert hat, die Kaiserstadt an der Donau verliert ihre gute Laune nicht. Vorübergehend lernte sie das Hangen und Bangen in schwebender Pein wohl kennen, aber ihrer natürlichen Anlage entspricht es, schließlich immer wieder himmelhoch aufzujauchzen. Ein Lied, das unsere sogenannten „Volkssänger“ mit unfehlbarer Wirkung vorzutragen pflegen, endigt mit dem Schlußreim: „Alleweil munter! Der Wiener geht nit unter!“ Nein, der Wiener geht wirklich nicht unter, das heißt: in so fern man seinen Untergang darin erblickte, daß er sich durch Kriegsgefahr und Pestilenz, durch politische Enttäuschungen und geschäftliche Krisen etwa beirren ließe in der Neigung, die heiteren Seiten des Lebens mit Ueberzeugung zu genießen.

Im Laufe der Zeiten hat der Wiener Fasching manche Umgestaltung erlitten. Er müßte keine Schöpfung der Sterblichen sein, wenn er sich immer gleich bliebe. Im Vormärz, im alten Wien, spielte der Hausball, die Unterhaltung in der Familie, eine wichtige Rolle. Bescheidene Ansprüche und einfache Leistungen hielten einander das Gleichgewicht. Die Toiletten waren billig, die tanzenden jungen Leute zahlreich, und aus den Hausbällen heraus wurde viel geheirathet. Heute besitzt diese Art von Tanzfesten lange nicht mehr die Wichtigkeit wie früher; wir haben uns in weit höherem Grade an die Oeffentlichkeit gewöhnt, aber nur an eine beschränkte; denn wir gehen mit unserer Lustigkeit

[76]

Wiener Fasching: Gestalten vom Lumpenball.

nicht auf die Straße hinaus wie Venedig, Rom oder Köln, wir machen unsere Vergnügungen innerhalb der vier Wände ab; nur haben diese sich erweitert: wir finden nicht mehr das naive Behagen an dem zu Tanzzwecken ausgeräumten Wohnzimmer; der große, prächtig ausgestattete, taghell erleuchtete Ballsaal ist uns ein Bedürfniß geworden. Ehemals gab der Wiener Fasching sich auch im Freien zu erkennen. Die letzte Spur solcher Regung ist mit dem öffentlichen Aufzuge verschwunden, der früher alljährlich in dem Vororte Ottakring zu Ehren des Karnevals in Scene gesetzt wurde. Auch sonst sind manche Verschiebungen eingetreten. Die Maskenbälle zeigen seit etwa zehn Jahren einen Verlust an Vornehmheit und an gesellschaftlicher Bedeutung; der Boden, auf welchem Frauen aus der guten Gesellschaft sich in Maske bewegen können, ohne sich etwas zu vergeben, ist im Vergleiche mit vergangenen Tagen erheblich enger geworden; er beschränkt sich derzeit auf das Operntheater, das zu solchem Zwecke für etliche Abende umgewandelt wird, und auf die kaiserlichen Redoutensäle.

Ein Umschwung ungünstiger Natur ist auch auf dem Gebiete der aristokratischen Bälle zu verzeichnen. Staatliche Verhältnisse brachten es mit sich, daß ein beträchtlicher Theil des Geburtsadels, dessen Tanzfeste einst zu den auserlesensten Einzelnheiten des Wiener Faschings zählten, Wien nicht mehr als seinen eigentlichen Wohnsitz ansieht, sondern sich in die verschiedenen Provinzialhauptstädte und auf ländliche Schlösser und Besitzungen zurückzieht. Der kaiserliche Hof ist ebenfalls stiller geworden.

So ließe sich noch an manchen Momenten erweisen, daß der Wiener Fasching nach dieser und jener Richtung an Lebhaftigkeit und allgemeiner Wirkung Einbuße erlitten; aber der unparteiische Karnevalsgeschichtschreiber wird andererseits feststellen müssen, daß unserem Karneval noch immer ein reiches Maß von Kraft und Fülle, von Witz und Temperament, von althergebrachter Eigenart innewohnt und daß er sich – wenn von seinen Zweigen auch allerlei Blätter abfallen – doch von Jahr zu Jahr verjüngt und am Dreikönigstage wie ein Phönix von seinem am Aschermittwoch vorher erfolgten Tode neu erwacht.

Die Maskenbälle, wie gesagt, sind nicht mehr, was sie waren. Die besuchtesten fanden früher im Diana- und Sofiensaale statt, zwei Badeanstalten, deren Bassins überdeckt wurden, um als Tanz- oder eigentlich Plauderboden zu dienen. Das Dianabad zieht es jetzt vor, auch im Winter Schwimmlustige zu empfangen, und nur das Sofienbad ist der Ueberlieferung treu geblieben. Aber hierher verirren elegante Masken sich nur in seltenen Exemplaren. Auf den Opernredouten, auf der jeudi-gras-Redoute (die fremdsprachige Bezeichnung ist gang und gäbe für Donnerstag vor Fasten geworden) und der Faschingsdienstagsredoute, welche in der kaiserlichen Burg stattfinden – das letztgenannte Fest verbunden mit der Ziehung der sogenannten Armenlotterie, welche einen Haupttreffer von tausend Dukaten bietet – auf diesen Bällen giebt es immerhin noch eine Menge geschmackvoller, feiner weiblicher Masken, und bei einer solchen Gelegenheit holte unser Zeichner W. Gause sich sein Modell, eine Wienerin, die sich in die Tracht des Direktoriums gesteckt und ihr Gesicht mit Hilfe der Halblarve zu einem reizenden Räthsel gestaltet hat. Das ist sicherlich eine Maske, die in den Ballsaal nicht bloß Hunger, sondern auch Geist mitbringt, vielleicht gar keinen Hunger und sehr viel Geist. Und wer weiß, ob sie – die Halblarve neckt uns, indem sie so wenig verräth – nicht auch zu einer der Gruppen zu ihrer Linken oder Rechten gehört, die von zwei Kostümfesten der bildenden Künstler stammen! Die eine Gruppe erinnert an die niederländische Kirmeß, die andere, deren Gestalten zumeist chinesisch gekleidet sind, an jene Nacht, als die Künstler die Parole ausgegeben, man möge bei ihnen in allen erdenklichen Nationaltrachten erscheinen.

Diese Künstlerfeste wechseln zwischen farbensatter Pracht und einem lachenden Uebermuthe, der geradezu Purzelbäume schlägt.

Ein Jahr gestattet das Programm die Entfaltung stilvollen Prunkes; das andere Jahr kommen Humor, Satire und Parodie an die Reihe. Herrschen die letzteren, so haben wir es mit einem „Gschnas“-Feste zu thun. „Gschnas“ heißt im Jargon unserer Künstler alles, was als Menschenwerk in komischer Weise den Schein von etwas annimmt, was es nicht ist: Seidenstoffe aus Papier, Metallrüstungen aus Kartoffeln, vorsündfluthliche Thiere aus Kistenbrettern u. dergl. m.

Unsere – sagen wir galanter Art: schöne – Unbekannte aus der Aera des Direktoriums besucht sicherlich auch Elitebälle. Diese geben dem Wiener Fasching einen wichtigen Beitrag zu seiner Physiognomie. Schier jeder Stand, jede Körperschaft hat einen Eliteball. Obenan steht derjenige der industriellen Gesellschaften, den traditionell der Kaiser mit den Erzherzogen besucht und auf dem bis vor einigen Jahren auch die Kaiserin erschien, und das Tanzfest des Journalisten- und Schriftstellervereins „Concordia“. An der Hochschule hat jede Fakultät, ausgenommen die theologische, ihren Abend; die Burschenschaften sondern sich zu Kränzchen ab, und wer mit alledem nicht genug hat, bekommt Gelegenheit zum Tanzen auf den Veranstaltungen unserer unzähligen Geselligkeitsvereine, welche sich sammt und sonders bemühen, uns das zu vertreiben, was uns Menschen ohnehin so karg zugemessen ist: die Zeit.

Unseren jungen Mädchen erscheint der Fasching niemals zu lang, niemals zu reich mit Bällen und Kränzchen besetzt. Braucht es erst gesagt zu werden, wie gerne in Wien getanzt wird? Die Wienerin, ob die geborene oder die akklimatisirte, bringt in den Ballsaal ebensoviel Anmuth wie Leidenschaft mit, und daß diese von jener gezügelt wird, hat eine schön abgewogene, [77] harmonische Wirkung zur Folge. Weiß auch unsere Maske derart zu tanzen? Wir setzen das als selbstverständlich voraus. Dagegen nehmen wir als ebenso sicher an, daß sie nur vom Hörensagen die Bälle kennt, welche dem Stifte des Künstlers Gestalten und Gruppen geliefert: den Wäschermädel-, den Fiaker- und den Lumpenball. Auf letzterem setzt Jeder sein Bestreben darein, so herabgekommen als möglich auszusehen. Wer sich dem Ideal der Zerlumptheit am meisten nähern kann, hat Hoffnung auf einen der ausgesetzten Preise. Die Entscheidung fällt ein Plebiscit: die Anwesenden geben mittels Stimmzettel ihre Meinung ab; es handelt sich also um ein fachmännisches Urtheil. Die grotesken Weiberfiguren, die dabei an Aufzügen teilnehmen, werden von verkleideten Männern dargestellt. Aber es erscheinen auch leibhaftige Frauen; trotzdem ist das Tanzen Nebensache, ein Tohuwabohu durcheinanderdrängender Gruppen belebt den Saal – und das Ganze wäre eigentlich für den Beobachter ein recht trauriges Vergnügen, wenn nicht das Erträgniß einem wohlthätigen Zwecke gelten würde. Aus dem bedeutenden Reingewinn werden im Winter Hunderte armer Kinder in ausgiebigem Maße beschenkt, und so mancher Junge hat es dem tollen Feste zu danken, daß er, vor Hunger und Kälte geschützt, die Schule besuchen kann. So legt sich der Abglanz der Menschenfreundlichkeit wie ein versöhnender Schimmer sogar auf den „Lumpenball.“

Von diesem machen wir einen Sprung zu den Gästen des Wäschermädelballs – unter ihnen fehlen nicht die „Deutschmeister“, auch „Edelknaben“ genannt, Soldaten vom Regimente „Hoch- und Deutschmeister“, urwüchsige Vertreter des unverfälschten, typischen Wienerthums – und so wie die Fiaker bei den Wäschermädeln nicht fehlen, so finden diese sich wieder bei den Fiakern ein. Ich möchte es nicht unternehmen, den Wiener Fiaker, über den schon so viel geschrieben wurde, wieder einmal zu entdecken. Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Fiakerball sich noch ziemlich rein erhalten hat. Da sitzen wirklich die berühmten Kutscher und deren mit dicken Uhrketten und massiven Ringen geschmückte Gattinnen und die „Kavaliere“ – „Gaw’liere“ spricht der Fiaker aus – einträchtig beisammen. Die „Kavaliere“, das heißt die ständigen Fahrgäste der Zweispänner, zum Theile wirklich Männer von historischen Namen, behandeln ihre Lieblinge vom Kutschbocke kameradschaftlich; dagegen lassen die Fiaker sich nicht zweimal bitten sich im „Natursingen“ zu produciren, das heißt im Vortrage von Wiener Liedern derbkomischer Art, manchmal mit einem leisen sentimentalen Beigeschmacke.

Der Wäschermädelball wird von spekulativen Gastwirthen vielfach nachgemacht, und da keine gesetzlich geschützte Handelsmarke den echten kennzeichnet, gerathen Neugierige leicht in die Netze eines Unternehmers, der eine Imitation für das Urbild ausgiebt. Der Eingeweihte weiß den falschen vom echten zu unterscheiden. Dort treten so und so viel Mädchen in dem betreffenden Kostüme auf; hier hat man es wirklich mit jenen Wiener Wäschermädchen zu thun, deren Schönheit keine bloße Sage ist, und die namentlich durch die tadellos beschuhten, fein geformten Füßchen das Auge des Kenners entzücken.

Bei den Fiakern wie bei den Wäschermädchen spielen keine Orchester auf, sondern Terzette oder Quartette, welche ein eigenes Repertoire haben: halb von überschäumender Keckheit, halb von sinnlicher Schwärmerei. Einige dieser Terzette und Quartette machen ihre Sache meisterhaft und werden darum oft in Privathäuser bestellt. Für ihre Instrumente haben sie besondere Benennungen. Sie nennen die Violine „Raunzen“, die Guitarre „Klampfen“, das kleine Waldhorn „Posthörndel“ und die Ziehharmonika „Winsel“. Begleitet sie einmal ein Pianist, so figurirt das Klavier als „Wäschpracker“.

Die Musik, welche sie pflegen, trägt eine so ausgesprochene Lokalfarbe wie kaum irgend ein anderes künstlerisches Erzeugniß der Kaiserstadt an der Donau. Sie ist noch weit wienerischer als der Walzer von Strauß, der sich im Laufe von Jahrzehnten allüberall in der civilisirten Welt Bürgerrecht und eine von Beifall umrauschte, von zündender Wirkung getragene Geltung errungen hat. Während der Walzer ein Kosmopolit geworden ist, tönen uns hier Klänge entgegen, welche den unverfälschtesten Wiener Dialekt reden. Strauß spielt Tänze, die besagten Terzette und Quartette spielen Tanz (sprich: „Tahnz“ in der Einzahl wie in der Mehrzahl) – und ich müßte ein dickleibiges gelehrtes Kompendium, etwas streng Wissenschaftliches schreiben, um den Unterschied zwischen „Tänzen“ und „Tanz“ für den Nichtwiener klarzulegen. Zu den „Tänzen“ wird bloß getanzt, zu dem Tanz wird vom Publikum meist auch gesungen und im Takt mit den Händen geklatscht oder, wie es im Jargon heißt: „gepascht“.

Man dreht sich da mit entzückter Raserei bis in den hellen Tag hinein. Niemand kommt, um gesehen zu werden; Jeder und Jede will sich werkthätig unterhalten. Manche nicht eben salonfähige Bewegung mag mit unterlaufen. Beim Walzer schieben die Paare sich mehr, als sie sich drehen – sie tanzen den „Schieberischen“. An Grazie fehlt es aber auch den Tänzerinnen des Fiaker- und des Wäschermädelballes nicht; sie ist nicht sylphidenhaft genug für einen Eliteball, aber „fesch“ geht es da her, unbeschreiblich „fesch“, und nicht etwa, um mich damit zu brüsten, daß ich meine Dichter kenne, sondern weil es zur Sache gehört, citire ich aus einem der neueren Wiener Kouplets die paar Verse, welche – nicht nur für die unteren Schichten – während des Wiener Faschings in der Luft liegen:

     „Ja so a Weana Maderl[1]
     Hat an eig’nes Aderl
Für an Walzer, und den tanzt’s so gern,
Mit an wissen[2], sauber’n jungen Herrn,
Wia’s da g’wachsen san bei uns in Wean;
     Ja so a Weana Maderl
     Mit an sauber’n Kladerl,[3]
So a Bild zum Anschau’n is a Freud,
So was find’t ma’ net mehr weit und breit!“

Wiener Fasching: Maskenredoute in dem Sofiensaale.


  1. Wiener Mädchen,
  2. flotten,
  3. Kleidchen.