MKL1888:Feuerbach

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 6 (1887), Seite 201204
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Feuerbach. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 201–204. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Feuerbach (Version vom 13.09.2022)

[201] Feuerbach, Dorf im württemberg. Neckarkreis, Oberamt Stuttgart, an der Linie Bretten-Friedrichshafen der Württembergischen Staatsbahn, mit evang. Kirche, Fabrikation von Chininwaren und Firnis, Weinbau, Steinbrüchen und (1880) 4549 Einw.

Feuerbach, 1) Paul Johann Anselm, Ritter von, berühmter deutscher Kriminalist, geb. 14. Nov. 1775 in dem Dorf Hainichen bei Jena, zu Frankfurt a. M., wo sein Vater Advokat war, erzogen, studierte seit 1792 in Jena Philosophie, dann die Rechte und habilitierte sich, nachdem er durch seine „Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats“ (Erfurt 1798) ehrenvoll in die Reihe der Kriminalisten getreten war, daselbst als Privatdozent. 1801 erhielt er in Jena eine außerordentliche Professur der Rechte, womit der Eintritt in den dortigen Schöppenstuhl verbunden war, und bald darauf die ordentliche Professur des Lehnrechts, folgte aber 1802 einem Ruf nach Kiel, 1804 nach Landshut, wo er den Auftrag bekam, den Entwurf zu einem bayrischen Strafgesetzbuch auszuarbeiten, infolgedessen er 1805 als Geheimer Referendar in das Ministerialjustiz- und Polizeidepartement nach München versetzt, 1806 zum ordentlichen Mitglied jenes Departements und 1808 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt ward. Bereits 1806 that F. durch seinen Entwurf zur Abschaffung der Folter den ersten Schritt zur Beseitigung der Mißbräuche in der bayrischen Kriminaljustiz. Die wesentlichste Verbesserung der Rechtspflege begründete das von ihm entworfene neue „Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern“ (Münch. 1813), das mit einigen Änderungen 16. Mai 1813 die königliche Genehmigung empfing, in Sachsen-Weimar, Württemberg und andern Staaten bei der Bearbeitung neuer Landesgesetzbücher zu Grunde gelegt, in Oldenburg als Gesetzbuch angenommen und auch ins Schwedische übersetzt wurde. Gleichzeitig arbeitete er seit 1807 auf königlichen Befehl den Code Napoléon in ein bürgerliches Gesetzbuch für Bayern um, das 1808 und 1809 teilweise im Druck erschien, aber nicht in Wirksamkeit getreten ist. Die ihm 1812 zugewiesene Redaktion des Codex Maximilianeus besorgte er gemeinschaftlich mit dem Freiherrn v. Aretin und dem Staatsrat v. Gönner. Bei der Wiederherstellung der deutschen Unabhängigkeit bethätigte F. seinen Nationalsinn durch mehrere Schriften, unter andern durch die „Über deutsche Freiheit und Vertretung deutscher Völker durch Landstände“ (Leipz. 1814). Im J. 1814 ward er zum zweiten Präsidenten des Appellationsgerichts in Bamberg, 1817 zum ersten Präsidenten des Appellationsgerichts für den Rezatkreis in Ansbach, 1821 zum Wirklichen Staatsrat befördert, nachdem er bereits früher (1808) geadelt worden war. Auf einer Reise nach dem Schwalbacher Bad starb er 29. Mai 1833 in Frankfurt a. M. Feuerbachs erste schriftstellerische Versuche, philosophische Abhandlungen, sind in Meißners Zeitschrift „Apollo“ und in Niethammers „Philosophischem Journal“ von 1795 enthalten. Sein erstes selbständiges Werk: „Über die einzig möglichen Beweisgründe gegen das Dasein und die Gültigkeit der natürlichen Rechte“ (Leipz. u. Gera 1795), war gegen Rehberg gerichtet. Noch größern Beifall fanden seine Werke: „Kritik des natürlichen Rechts“ (Altona 1796); „Anti-Hobbes, oder über die Grenzen der bürgerlichen Gewalt und das Zwangsrecht der Unterthanen gegen ihre Oberherren“ (Gieß. 1798); „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“ (Erfurt 1799 u. Chemn. 1800, 2 Tle.), worin er, wie schon in der Schrift „Über die Strafe als Sicherungsmittel vor künftigen Beleidigungen des Verbrechers“ (das. 1799) und in der von ihm mit Grolman und v. Almendingen herausgegebenen „Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde“ (Götting. 1800 u. Gieß. 1803, Bd. 2 u. 3), im Gegensatz zur Kantschen Theorie von der Strafe, als Zweck der Strafe die Abschreckung bezeichnete. Die Abschreckungstheorie, auch seitdem Feuerbachsche Theorie genannt, führte er systematisch aus in dem „Lehrbuch des gemeinen, in Deutschland geltenden peinlichen Rechts“ (Gieß. 1801; 14. Aufl. von Mittermaier, das. 1847). Seinen „Zivilistischen Versuchen“ (Gieß. 1803, 1. Teil) folgte eine ausführliche „Kritik des Kleinschrodschen Entwurfs zu einem peinlichen Gesetzbuch für die kurpfalzbayrischen Staaten“ (das. 1804, 3 Bde.). Durch seine Sammlung „Merkwürdige Kriminalrechtsfälle“ (Gieß. 1808 u. 1811, 2 Bde.; 3. Aufl., das. 1839) wurde zuerst einer tiefern psychologischen Behandlung solcher Fälle Bahn gebrochen. Kleinere Schriften aus dieser Periode sind: „Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnis zur positiven Rechtswissenschaft“ (Landsh. 1804); „Blick auf die deutsche Rechtswissenschaft“ (Münch. 1810); „Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung“ (Landsh. 1812). An seine „Betrachtungen über die Geschwornengerichte“ (Landsh. 1813) schlossen sich die „Erklärung über meine angeblich geänderte Überzeugung in Ansehung der Geschwornengerichte“ (Jena 1819) und „Über Öffentlichkeit und Mündlichkeit der gerichtlichen Verhandlungen“ (Gieß. 1821) sowie als zweiter Band hierzu die Schrift „Über die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren Frankreichs“ (das. 1825). Später lieferte er noch die „Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen“ (Gieß. 1828–1829, 2 Bde.; 3. Aufl., Frankf. a. M. 1849) und „Kleine Schriften vermischten Inhalts“ (Nürnb. 1833, 2 Abtlgn.). Endlich ist von ihm zu erwähnen: „K. Hauser, Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“ (Ansb. 1832). In seinen Mußestunden beschäftigte er sich mit einer metrischen Übersetzung und einem Kommentar des indischen Gedichts „Gita Govinda“. Von hohem Interesse ist das von seinem Sohn Ludwig bearbeitete „Leben und Wirken A. v. Feuerbachs“ (Leipz. 1852, 2 Bde.). F. hinterließ fünf Söhne, die sich sämtlich durch schriftstellerische Thätigkeit nach verschiedenen Richtungen hin ausgezeichnet haben.

[202] 2) Anselm, Archäolog, ältester Sohn des vorigen, geb. 9. Sept. 1798, gest. 8. Sept. 1851 als Professor der Philologie in Freiburg, hat sich besonders durch das Werk „Der vatikanische Apollo“ (Nürnb. 1833; 2. Aufl., Stuttg. 1855) einen geachteten Namen erworben. Seine „Nachgelassenen Schriften“ (Braunschw. 1853, 4 Bde.) enthalten im 1. Band: „Leben, Briefe und Gedichte“ (hrsg. von Henriette F.), im 2.–4. Band: „Geschichte der griechischen Plastik“ und „Kunstgeschichtliche Abhandlungen“ (hrsg. von Hettner).

3) Karl Wilhelm, Mathematiker, Bruder des vorigen, geb. 30. Mai 1800 zu Jena, gest. 12. März 1834 als Professor der Mathematik am Gymnasium in Erlangen. Er schrieb: „Eigenschaften einiger merkwürdigen Punkte des geradlinigen Dreiecks“ (Nürnb. 1822) und „Grundriß zu analytischen Untersuchungen der dreieckigen Pyramide“ (das. 1827).

4) Eduard August, Rechtsgelehrter, Bruder des vorigen, geb. 1. Jan. 1803, gest. 25. April 1843 als ordentlicher Professor der Rechte an der Universität in Erlangen, erwarb sich auf dem Gebiet des germanischen Rechts einen Namen durch seine Schrift „Die Lex salica und ihre verschiedenen Rezensionen“ (Erlang. 1831).

5) Ludwig Andreas, berühmter Philosoph, Bruder des vorigen, geb. 28. Juli 1804 zu Landshut, studierte in Heidelberg Theologie, ward durch Daubs Vorlesungen für die Philosophie Hegels gewonnen, ging, um letztern zu hören, 1824 nach Berlin, habilitierte sich 1828 zu Erlangen als Privatdozent der Philosophie, machte jedoch als Dozent wenig Glück und wurde als Hegelianer angefeindet. Seine anonym erschienene Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ (Nürnb. 1830; 3. Aufl., Leipz. 1876), in welcher er eine Religion, die sich ein Jenseits als Ziel setze, für einen Rückschritt erklärte, wurde konfisziert, sein Gesuch um eine außerordentliche Professur wiederholt (zuletzt 1836) abgeschlagen, worauf er die akademische Laufbahn verließ, um sich nach Ansbach und (seit 1836) auf das drei Stunden von diesem entfernte Schloß Bruckberg in litterarische Einsamkeit zurückzuziehen. Hier, wo er 1837 mit seiner treuen Lebensgefährtin Bertha Loew eine glückliche Ehe schloß, sind in ländlicher Muße bis zum Jahr 1860, wo ihn Familienverhältnisse zur Übersiedelung auf den bei Nürnberg gelegenen Rechenberg bewogen, fast alle seine Hauptwerke entstanden. Nachdem er bereits unter dem unpassenden Titel: „Abälard und Heloise“ (Ansb. 1833; 3. Aufl., Leipz. 1877) in humoristisch-philosophischen Aphorismen eine Parallele zwischen der realen und idealen Seite des Lebens veröffentlicht hatte, begann er mit seiner „Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie“ (Ansb. 1833–1837, 2 Bde.), die sich, wie seine „Kritiken auf dem Gebiet der Philosophie“ (das. 1835), durch klassische Schärfe der Charakteristik auszeichnete, den Kampf der Vernunft gegen die Theologie, des Wissens gegen den Glauben, den er im dritten Band: „Pierre Bayle nach seinen für die Geschichte der Philosophie und der Menschheit interessantesten Momenten“ (das. 1838) in pikanter Weise fortsetzte, und wobei dieser selbst wie die vorgenannten Denker seinen persönlichen Ansichten zur Folie dienten. Seit 1837 trat er in Verbindung mit Ruge und den „Halleschen Jahrbüchern“, später „Deutschen Jahrbüchern“, in welchen sich sein Bruch nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit der Hegelschen Philosophie vollzog. Zwar nahm er diese noch in der Schrift „Über Philosophie und Christentum“ (Ansb. 1839) gegen die „fanatischen Verketzerer aller Vernunftthätigkeit“ in Schutz; aber noch in demselben Jahr sagte er sich durch die Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Philosophie“ von der dialektischen Methode und deren Meister los, dessen Philosophie er in Naturalismus umbildete. F. erklärte in dieser Schrift alle Spekulation, die über die Natur und den Menschen hinaus will, mit dürren Worten für „Eitelkeit“, den absoluten Geist für eine „Schöpfung des subjektiven Menschengeistes“; in der Rückkehr zur Natur fand er die einzige „Quelle des Heils“. Wie auf den Bruch mit der Theologie (besonders in der in den „Jahrbüchern“ erschienenen Kritik des „positiven“ Sengler) jener mit Hegel, so folgte auf diesen in Feuerbachs Hauptwerk: „Das Wesen des Christentums“ (Leipz. 1841, 4. Aufl. 1883), der Zerfall mit der ganzen christlichen Philosophie. Der Satz, den auch Schleiermacher gelegentlich aufstellt, daß der angeblich nach Gottes Ebenbild geschaffene Mensch vielmehr umgekehrt das Göttliche nach seinem eignen Ebenbild schaffe, wird hier zum Ausgangspunkt der Naturgeschichte des Christentums. F. erklärt die Religion für einen Traum des Menschengeistes, Gott, Himmel, Seligkeit für durch die Macht der Phantasie realisierte Herzenswünsche; was der Mensch Gott nenne, sei das Wesen des Menschen selbst; homo homini deus! Im Unterschied von den beiden gleichzeitigen Kritikern des christlichen Dogmas, D. Strauß und B. Bauer, war es F. weder, wie Strauß, darum zu thun, den wissenschaftlichen Wert desselben zu bestimmen, noch, wie B. Bauer, Angriffe auf die Konstitution und die Urkunden des Christentums zu machen; sein Ziel war die Beantwortung der Frage: welchen Sinn, welche Bedeutung, welchen Zweck und Ursprung im Geiste des Menschen hat die Religion überhaupt und die christliche insbesondere? Zur Ergänzung derselben ließ er dem „Wesen des Christentums“ die Schrift „Das Wesen der Religion“ (Leipz. 1845), mehrere Aufsätze in den „Deutschen Jahrbüchern“, in Wigands „Vierteljahrsschrift“, das Schriftchen „Das Wesen des Glaubens im Sinn Luthers“ (Leipz. 1844, 2. Aufl. 1855), die „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ (das. 1843) und die „Vorlesungen über das Wesen der Religion“ (zuerst im Druck erschienen 1851) folgen, welche sämtlich „die Aufgabe der neuern Zeit, die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie“ zu fördern bestimmt waren. Letztere wurden ursprünglich 1848 zu Heidelberg infolge einer an F. von seiten der dortigen Studentenschaft ergangenen Einladung gehalten und bezeichneten, wie das „tolle Jahr“ selbst, einen Wendepunkt in Feuerbachs Leben. Eine durchaus beschauliche Natur, fand er die handelnden Personen der Zeit „unter seinem Maß“ und zog sich unter dem Eindruck der praktisch gewordenen Revolution ebenso wie unter jenem der brutalen Reaktion in sein philosophisches Asyl zurück. Während die Zeit unter den Nachwehen der mißlungenen Umwälzung sich von dem spekulativ-theologischen Gebiet ab- und dem naturwissenschaftlich-materialistischen zuwandte, vollendete F. sein letztes religionsphilosophisches Werk und schuf gleichzeitig seinen anthropologischen Naturalismus zum offenen Materialismus um. Jenes, unter dem Titel: „Theogonie oder von dem Ursprung der Götter nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums“ (Leipz. 1857, 2. Aufl. 1866), welches den Grundgedanken der Vorlesungen über das Wesen der Religion, daß die Götter „personifizierte Wünsche“ seien, in erweiterter Form wiederholt, erregte nicht entfernt mehr das Aufsehen seiner litterarischen Vorläufer. Dieser hat in einer berühmt gewordenen Rezension von Moleschotts „Lehre [203] der Nahrungsmittel für das Volk“ (1850) der neuern deutschen Materialistenschule das Schlagwort formuliert: „der Mensch ist, was er ißt“. Diese letzte Gestalt seiner Philosophie enthält Feuerbachs letztes Werk, dessen Titel und Resultat jenem seines ersten verwandt, dessen philosophischer Standpunkt aber das gerade Gegenteil jenes des ersten ist, die Schrift „Gottheit, Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkt der Anthropologie“ (Leipz. 1866). Dasselbe sollte ursprünglich eine Grundlegung der Moral liefern, welch letztere F. als eine „empirische Wissenschaft“ bezeichnete; da er jedoch im Verlauf von der Ethik abgekommen und auf sein Lieblingsthema, Kritik der spekulativen Philosophie durch Physiologie, geraten war, so schrieb er in seinen letzten Lebensjahren (1868 und 1869) ethische Betrachtungen nieder, die unvollendet geblieben und erst aus seinem Nachlaß herausgegeben worden sind. Feuerbachs äußere Verhältnisse hatten sich seit dem Fehlschlagen der Revolution trübe gestaltet; 1860 verlor er durch unverschuldete Unglücksfälle seine liebgewordene Heimat auf dem Bruckberger Schloß sowie die bescheidene Rente, die bis dahin dem Philosophen ein beschränktes, aber unabhängiges Einkommen gesichert hatte. Die Existenz auf dem Rechenberg bei Nürnberg (1860–72), wo er sich nach seinem eignen Ausdruck „wie ein Fluß ohne Bett“ vorkam, wurde durch zahlreiche Beweise von Freundschaft, die ihm aus allen Ländern und aus allen Ständen (auch aus dem Bauernstand) zukamen, verschönert. Ein Denkmal der für beide Teile charakteristischen Seelenfreundschaft, welche F. seit 1862 mit dem originellen oberösterreichischen Landmann und Schenkwirt Konrad Deubler in Goisern bei Ischl verband, ist in seinem im Nachlaß unter dem Titel: „Philosophisches Idyll oder Ludwig und Konrad“ herausgegebenen Briefwechsel mit diesem erhalten. Das Ende Feuerbachs, der eine von der gewöhnlichen deutscher Philosophen ganz verschiedene Lebensweise auf dem Land, in Flur und Wald, als Jäger und Fußwanderer, im Verkehr, statt mit Studierten, mit Leuten aus dem Volk zu führen gewohnt war, wurde durch wiederholte Schlaganfälle herbeigeführt, deren letztem er 13. Sept. 1872 erlag. Daß der als Materialist verrufene Philosoph des Humanismus als Mensch reiner Idealist, human im besten Sinn des Wortes war, dafür legen sein echt deutsches Familienleben, seine rührende Liebe zur Gattin und (einzigen) Tochter Eleonore und seine Wahrheits- und Menschenliebe atmende Korrespondenz Zeugnis ab. Feuerbachs sämtliche Werke sind (Leipz. 1846–66) in 10 Bänden erschienen, wobei die frühern Schriften mannigfache Zusätze, aber auch merkliche Modifikationen nach seinem spätern Standpunkt erfahren haben. Vgl. Grün, Ludwig F., in seinem Briefwechsel und Nachlaß dargestellt (Leipz. 1874, 2 Bde.); „Briefwechsel zwischen L. F. und Christian Kapp, 1832–48“ (das. 1876); Beyer, Leben und Geist L. Feuerbachs (das. 1872); Starcke, Ludwig F. (Stuttg. 1885).

6) Friedrich, Bruder des vorigen, geb. 29. Sept. 1806 zu Landshut, studierte Philologie, wandte sich aber später als Philosoph der Richtung seines Bruders Ludwig zu, um, nach seiner eignen Äußerung, „zu predigen, was dieser lehrte“. Von ihm erschien: „Theanthropos“, eine Reihe von Aphorismen (Zür. 1838); „Die Religion der Zukunft“ (1. Heft, Zür. u. Winterth. 1843; 2. Heft: „Die Bestimmung des Menschen“, Nürnb. 1844; 3. Heft: „Mensch oder Christ?“, das. 1845); „Die Kirche der Zukunft“ (Bern 1847); „Gedanken und Thatsachen“ (Hamb. 1862) etc. F. starb 24. Jan. 1880 in Nürnberg.

7) Anselm, Maler, Sohn von F. 2), geb. 12. Sept. 1829 zu Speier, begab sich, als sich während seiner Gymnasialstudien in Freiburg sein Künstlerberuf unzweideutig dargethan, 1845 für zwei Jahre nach Düsseldorf, wo er sich anfangs an W. Schadow, dann an Rethel anschloß, dessen großartige Auffassung seinem Wesen mehr entgegenkam. Nach kurzem Aufenthalt in der Heimat (1848) ging F. nach München, wo ihn Rahl eine Zeitlang fesselte. Doch war sein Streben bereits damals auf eine größere Ausbildung im Kolorismus gerichtet, und er begab sich daher 1850 nach Antwerpen und 1851 nach Paris, wo er noch die modernen Meister studierte und in Coutures Atelier eintrat, dem er nach seinem Geständnis eine große Förderung seiner malerischen Technik verdankte. Zwei seiner ersten Gemälde: Hafis in der Schenke und der Tod Pietro Aretinos, zeigen den Einfluß Coutures, weisen aber auch bereits auf das Vorbild der Venezianer hin, denen er sich später noch enger anschloß. Im J. 1854 nach Karlsruhe zurückgekehrt, erhielt er 1855 die Mittel zu einer Studienreise nach Italien, die ihn zunächst nach Venedig, wo er Tizians Himmelfahrt kopierte, und von da nach Florenz und Rom führte, wo sich im Studium von Michelangelo und Raffael allmählich seine eigentümliche Richtung ausbildete. Er strebte danach, die Größe und Erhabenheit des historisch-monumentalen Stils mit dem Reichtum des venezianischen Kolorits zu verbinden, geriet aber bei diesem Streben insofern auf einen Abweg, als er die Leuchtkraft der Lokalfarben durch graue Zwischentöne abdämpfen zu müssen glaubte, wodurch er den Erfolg seiner bedeutendsten und genialsten Kompositionen beeinträchtigte. Fast alle seine Schöpfungen waren daher bis zu seinem Tod heftigen Angriffen ausgesetzt, und es scheint, daß seine bittern Lebenserfahrungen sein ohnehin zu Melancholie geneigtes Gemüt derartig niederdrückten, daß er vor der Zeit aufgerieben wurde. Die glücklichste Zeit seines Lebens war die Periode seines römischen Aufenthalts von 1857 bis 1872, während welcher er im Grafen von Schack einen hochherzigen Beschützer fand, der den größten Teil seiner Werke ankaufte. In dieser Zeit entstanden: Dante und die edlen Frauen in Ravenna (1858), Francesca da Rimini und Paolo Malatesta, Laura und Petrarca, Hafis am Brunnen, die Pietà (1863) und die Kinderbilder: Idyll aus Tivoli, belauschtes Kinderkonzert und Mutterglück. War in diesen Gemälden neben der klassischen Formengebung noch ein romantischer Zug zu finden, so wandte sich F. von da ab fast ausschließlich der Darstellung antiker Gegenstände im Gewand des modernen, aber durch eine völlig plastische Formenbehandlung gedämpften und gebundenen Kolorismus zu. Diesem Ideal ist er am nächsten in der Iphigenia (1871, Galerie zu Stuttgart), welche man als die vollendetste Verschmelzung des klassischen und des romantischen Stils bezeichnen darf, und in dem Gastmahl des Plato (1873, Berliner Nationalgalerie) gekommen. Minder gelungen, namentlich weil die Komposition nicht einheitlich genug und der Ausdruck der Figuren zu übertrieben ist, sind die Amazonenschlacht, das Urteil des Paris und mehrere Bilder aus der Sage der Medea. Im J. 1873 wurde F. als Professor an die Akademie nach Wien berufen und erhielt dort den Auftrag, einen Saal im Gebäude der Akademie mit Plafondmalereien zu dekorieren. Es gelang ihm nur, das Hauptbild, den Sturz der Titanen, zu vollenden. Seine geniale Natur war für eine Lehrthätigkeit nicht geschaffen, und er schied bereits 1876 aus seiner Stellung aus. In den letzten Jahren seines [204] Lebens führte er ein Gemälde für den Justizpalast in Nürnberg, Huldigung Ludwigs des Bayern, neben dem Titanensturz aus. Die scharfe Beurteilung des letztern auf der Münchener Ausstellung von 1879 scheint seinen Tod beschleunigt zu haben. Er starb 4. Jan. 1880 in Venedig. Vgl. „Ein Vermächtnis von Anselm F.“ (2. Aufl., Wien 1885, autobiographische Aufzeichnungen etc. enthaltend); O. Berggruen, Die Galerie Schack (das. 1883).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 319
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[319] Feuerbach, (1885) 5085 Einw.