Marizko die Slovakin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Marizko die Slovakin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 521–524
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege. Nr. 8.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[521]
Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 8. Marizko die Slovakin.


Am 15. Juli des vorigen Jahres hatte die siebente preußische Division (Magdeburger) unter dem Befehle des Generallieutenant von Franseky die Hauptstadt Mährens, das lustige Brünn, verlassen, um vorerst die Thaya-Linie und den Eisenbahnknoten Lundenburg zu besetzen, demnächst aber auf Preßburg zu marschiren, die Verbindung des Benedek’schen Corps mit Wien zu verhindern und eine Basis für die eigenen Operationen jenseits der Donau, namentlich gegen die feindliche Hauptstadt zu gewinnen.

Südlich von Lundenburg längs der Eisenbahn, bei einer wahrhaft tropischen Hitze, staubbedeckt, in langen Colonnen zogen die sonnenverbrannten Bataillone und Schwadronen dahin, unaufhaltsam der ungarischen Grenze zu. Mehr und mehr zurück trat schon der feenhaft schöne Felskegel bei Nikolsburg zur Rechten des Wegs, während links wie ein Traumgebilde, in langen, kaum sichtbaren Curven aus dem blauen Aether heraus bereits die Umrisse der kleinen Karpathen hervorschauten. Und war es denn [522] nicht ein Traum, daß die preußischen Feldzeichen nun, nach so wenigen Wochen bereits an der Grenze Ungarns wehten? Nein, kräftiger und bestimmter setzen sich schon die Berge da drüben gegen den Himmel ab, glühender brennt hier bereits die Sonne, als bei uns daheim, hier wächst im Kalkstaube am Wege schon die Rebe und der Kukuruz – anderes Land und andere Leute!

Bei Ravensburg[WS 1] hatte die Division die äußersten Spitzen des Cavaleriecorps des Prinzen Albrecht passirt und marschirte nun, in der Erwartung auf den Feind zu stoßen, auf Dürnkrut, ein Städtchen an der March. Während gegen Mittag das Gros der Division auf einer Wiese östlich dieses Ortes die Bivouacs bezog, seine Laubhütten baute und die tagtägliche Kuhfleischsuppe bereitete, wurden eine Schwadron des Magdeburgischen Husarenregiments, zwei Compagnien Infanterie und eine Batterie an die March detachirt, um als Flankendeckung gegen alle etwaigen Angriffe von dorther zu dienen. Nachdem wir ein dichtes, schattiges Gehölz passirt hatten, welches uns bisher jede Aussicht benahm, lag unmittelbar vor uns der schlammige, trübfluthende Fluß mit seinen steilen, lehmigen Ufern und jenseits desselben breiteten sich weite Grasflächen aus, über welche hinweg fessellos bis zu den fernen Karpathen die Blicke streiften, weit, weit hinein in’s Morgenland.

Ein betäubendes Hurrah brach plötzlich los. Einem gemeinsamen Impulse folgend hielt das Detachement und schaute dort hinüber und sah sich doch nicht satt an dem neuen, fremdartigen Anblicke. Wie ein riesengroßer, smaragdgrüner Teppich, meilenweit und so flach wie ein See, breitete sich der saftige Wiesengrund ohne jede Unebenheit oder Unterbrechung vor unseren staunenden Blicken aus. Ringsumher war kein Baum, kein Haus zu sehen, nur einige Tümpel mit wehendem Schilfe zeigten sich und ganz am Horizonte, wie eine Palissadenreihe, eine schnurgerade Allee, die Chaussee von Göding nach Preßburg. Der tiefblaue, schön geschwungene Höhenzug der kleinen Karpathen, hinten im Osten noch überragt von höheren, kaum erkennbaren Gebirgsstöcken, rahmte dieses Grasmeer ein und bildete den malerischen Abschluß desselben.

Drückend heiß brannte die Sonne hernieder, ganze Fluthen von Licht und Glanz verschwenderisch herabsendend, und in dieser Hitze schien die Fläche sich zu beleben, das Gras in langen Wellen zitternd sich zu bewegen, gleich dem Ocean. Lautlose Stille rings umher. Kaum aber hatten unsere Augen eine Minute lang den so unerwarteten Anblick überschaut, als auch schnell wie der Wind einige Reiter die Reihen verließen und das Ufer auf und nieder galoppirten, um eine Fuhrt zu suchen. Aber vergebens, überall war das Wasser zu tief oder der Grund zu schlammig, und ein kecker Officier, der mit Zuruf und Sporen sein bäumendes Roß weiter hineintrieb in die hochaufspritzende Fluth, hätte um ein Haar seine Kühnheit mit dem Leben bezahlt.

Es war in der That fatal. Dort drüben, kaum dreitausend Schritte vor uns, auf dem weiten Anger, in Heerden ohne Zahl weideten Pferde und Rinder, von slovakischen Hirten bewacht, die in ihren leinenen Gewändern, die wehende Halina malerisch um den Nacken geschlungen, auf ihren kleinen Steppenpferden pfeilschnell diese Heerden umkreisten und mit ihren langen Peitschen in Ordnung hielten. So mancher von unseren Gäulen lag bei Benateck und Chlum erschossen, nirgends hatten wir bisher Gelegenheit gehabt, diese empfindlichen Lücken wieder auszufüllen, und nun, da dicht vor uns Hunderte von Pferden weideten, wo es schien, als brauchte man nur die Hand nach ihnen auszustrecken, hinderte uns der tückische Fluß dieselben zu erreichen. Was war zu thun?

Noch galoppirten dort drüben die Hirten arglos hin und her, noch spitzten die Mutterstuten mit der blechernen Schelle nicht mißtrauisch die scharfen Ohren, augenscheinlich waren wir bisher noch unbemerkt geblieben im tiefen Schatten der Bäume, indessen –

„Einen Führer her,“ rief da der Rittmeister ungeduldig, „schnell einen Führer!“ und fort sprengten ein Unterofficier und zwei Mann, die Carabiner auf der Lende, nach dem Städtchen. Alles schaute ihnen nach in gespanntester Erwartung.

Doch sieh’ da, etwas weiter stromaufwärts, aus einem schmalen Waldwege heraus, treten jetzt langsam zwei Slovakenmädchen und ein alter Mann, Hacke und Spaten auf der Schulter, und nähern sich dem Flusse. Einen Augenblick lang bleiben sie halten, der Alte streift seine weiten Beinkleider herauf, die Dirnen schürzen sich hoch die rothen Röcke empor und nun – o Freude, schreiten sie alle Drei, Einer hinter dem Andern, in den Fluß. Vorauf geht behutsam tastend der alte Slovak, sorgsam den Grund mit dem Hackenstiele sondirend, ihm nach waten die stattlichen Mädchen. Mancher Husar schaute heimlich lachend dort hinüber, wo jene eben das steile Ufer emporklimmend und schüttelnd und stampfend ihre brennendrothen Gewänder ausschwenken.

Nun aber wird es mit einem Male unter den Bäumen lebendig. Im Handumdrehen sind die Fouragirstränge von den Sätteln losgemacht, die Schwadron stürzt sich das Ufer hinab und einen Augenblick später folgen die grünen Husaren schäumend und spritzend durch die so ahnungslos verrathene Fuhrt den rothen Slovakendirnen, die nun, jene plötzlich gewahr werdend, zum Tode erschrocken einen Augenblick wie versteinert stehen bleiben, dann aber, Spaten und Karst von sich werfend, wie aufgescheuchte Rehe eilenden Fußes zu entfliehen suchen.

Jedoch umsonst, denn schnell sind sie überholt, rechts und links jagen jubelnd die preußischen Reiter schon an ihnen vorüber und athemlos, mit klopfenden Herzen bleiben sie stehen, das Schrecklichste über sich ergehen zu lassen. Da reitet der Rittmeister auf goldglänzendem Fuchshengste wie der Blitz an sie heran, wirft ihnen lachend einen blanken preußischen Thaler vor die Füße und ruft gut gelaunt: „Schönen Dank euch hesca holka!“ und ehe sie nur Zeit haben, sich von ihrem Erstaunen zu erholen, bevor die Mädchen noch wagen die dunklen Augen zu dem Officier zu erheben, sprengt dieser schon wie ein Feuerstreifen wieder über die weite Pußta dahin, seinen Husaren nach, die er in mächtigen Sprüngen einholt. Wie verzaubert, festgewurzelt am Erdboden stehen die beiden Slovakinnen und sehen den Husaren nach, wie dieselben, sich in zwei Linien theilend, in flüchtigem Galopp dahinjagen.

Jetzt haben auch die Hirten die feindlichen Reiter erblickt, wiehernd begrüßt eine Mutterstute die fremden Pferde und einen Augenblick später erhebt sich ein furchtbarer Lärm, Alles ist Geschrei und Verwirrung. Blitzschnell umkreisen die Csikos ihre Heerden und lassen die schweren Peitschen sausend den Thieren um die Köpfe fahren, daß diese sich hoch aufbäumen, zähnefletschend fahren die bösen Wolfshunde zwischen die Rinder mit scharfem Bisse, Alles umsonst. Schon kommen rechts und links die Husaren dahergesprengt, als wüchsen sie aus dem Erdboden, Hirten und Heerden überholend; in weitem Bogen umfassen sie dieselben, immer näher und näher umkreisen sie sie und jetzt mit hochgeschwungener Rechten stürzen sie sich mit lautem Halloh auf den wirren Knäuel, daß die Erde bebt. Einige Minuten lang hört man nur ein entsetzliches Durcheinander von Thier- und Menschenstimmen, Fluchen, Wiehern, Bellen, Brüllen, Jubel und Gelächter, bis sich endlich das Chaos entwirrt und die Husaren mit etwa zwanzig gelassoten Pferden lustig von dannen traben, während ihnen die armen Hirten erschrocken und betrübt nachschauen.

Noch steht am Flusse der alte Slovak mit den beiden Mädchen, die das ganze Unheil angerichtet hatten, und starren sprachlos dort hinüber, noch haben sie sich nicht erholt von ihrem Schrecken, gewaltig noch pocht das Herz unter dem faltigen Hemde, da kommen die Preußen mit ihrer Beute schon wieder zurückgetrabt, rufend und winkend, setzen spritzend durch die Fuhrt und verschwinden spurlos drüben im Schatten der Bäume. Langsam beugt sich endlich eines der beiden Mädchen zur Erde und hebt das große, blanke Geldstück auf, welches ihr der glänzende Officier zugeworfen hatte; kopfschüttelnd, halb ängstlich, halb erfreut, betrachten es die Drei, dann aber schreiten sie flüchtigen Fußes über die weite Ebene, hin zu den betrübten Hirten und ihren geplünderten Heerden. –

Etwas stromabwärts von Dürnkrut, dicht an der March, steht unter hohen Linden ein kleines Fährhaus. Für gewöhnlich liegt vor demselben eine große Fähre, die an einem Drahtseil hin- und hergezogen wird. Sie vermittelt den Verkehr zwischen Oesterreich und Ungarn für die hiesige Gegend, denn auf acht Meilen Weges, zwischen Göding und Anger, giebt es keine feststehende Brücke über den Fluß. Diese Fähre nun hatten die Oesterreicher auf ihrem Rückzuge zerstört, das Drahtseil aber abgeschnitten und in’s Wasser geworfen, und so waren denn die preußischen Pioniere eben in vollster Thätigkeit, die Verbindung zwischen beiden Ufern durch eine Pontonbrücke wieder herzustellen. Vor dem Fährhäuschen auf einer Bank im Schatten der Bäume saßen ein ziemlich beleibter [523] Stabsarzt und ein bildhübscher, junger Artillerie-Officier, welche zusahen, wie die Kanoniere oberhalb der Brücke ihre Geschütze durch Erdaufwürfe deckten und dazu gemeinsam aus einem Glase eine Limonade tranken, bestehend aus Wasser, Rum und sauerem Lieferungswein.

„Wäre es Ihnen reckt, Doctor,“ hub nach einer längeren Gesprächspause der Officier an, „wenn wir zur Abwechselung ‘mal eben nach Ungarn hinübergingen? die Brücke ist gleich fertig.“

„Mit dem größten Vergnügen,“ antwortete dieser, seinen Maserkopf ausklopfend; „diese verdammten Kirschblätter,“ fuhr er dann kopfschüttelnd fort, „schmecken auch gar zu cannibalisch; wenn man doch nur erst einmal wieder eine ordentliche Pfeife Tabak hätte!“

„Und ein Stück Brod „fügte der Officier hinzu.

„I, mit dem Brode, das geht noch eher,“ erwiderte Jener, „wir haben ja Fleisch, aber Tabak! wer kann bei dieser abscheulichen Hitze existiren ohne eine Pfeife Tabak!“

„Na, trösten Sie sich, Doctor,“ lachte der Artillerielieutenant und stand von seinem Sitze auf, „jetzt rücken wir nach Ungarn hinüber und in drei Wochen, wenn’s Glück gut ist, liegen wir Beide beim Großtürken im Quartier, rauchen aus seinen Gala-Tschibuks und lassen uns von den reizendsten Odalisken die Fliegen fortwedeln.“

Damit zog er den Stabsarzt mit sich fort und Beide schritten über die eben vollendete Brücke hinüber.

„Wetter noch einmal, ist das hier heiß in Ungarn!“ hub der corpulente Arzt an, als er das steile Ufer drüben glücklich erklommen hatte und sich den Schweiß von der Stirn abtrocknete. „Des ist ja hier wie in einem Backofen, das höhere Affenklima – puh! Aber originell, pittoresk,“ fuhr er fort, „das muß man sagen. Sehen Sie einmal zum Beispiel da drüben die stolzen Silberreiher über dem Schilfe, und diese Jejend hier ist doch janz anders als bei uns herum in Salzwedel.“

„Ja, das will ich meinen,“ sprach der Officier lächelnd, „das ist hier so ein kleiner Vorgeschmack der Pußta. Am meisten aber interessiren mich die Leute hier, in ihren malerischen Trachten. Schauen Sie nur ‘mal da drüben das Mädchen an, welches, wie es scheint, auf uns zukommt, wie hübsch sie aussieht, welch’ herrlicher hoher Wuchs, welch’ graziöse Bewegungen!“

„In der That, nicht übel, wirklich pittoresk,“ erwiderte der Doctor, während ein schlankes, sonnverbranntes Mädchen von etwa siebenzehn Jahren schnell auf die beiden Männer zukam.

Lustig flatterte ihr beim Gehen der kurze, rothe Rock um das wohlgeformte Bein, unter dem schneeweißen Kopftuche hervor schaute ein hübsches, gebräuntes Gesicht mit einem Paar großer, dunkler Augen, den Busen bis zum Hals hinauf verhüllte züchtig das grobe Hemde, zierlich gestickt und in Falten gelegt. Wie die Slovakin näher heran kam, hob sie die gefalteten Hände empor, schaute halb bittend, halb ängstlich die beiden Preußen an und murmelte einige unverständliche Worte. Ihre Blicke wanderten dabei wie suchend von Einem zum Andern. Plötzlich ergriff sie schnell die fette Hand des Doctors und führte sie, ehe dieser es noch verhindern konnte, an ihre Lippen.

„Nanu!“ rief der Stabsarzt und wurde ordentlich verlegen, „was will denn die kleine Hexe? Laß doch los!“

Doch schnell wie der Blitz war das Mädchen mit bittender Geberde schon an den Officier herangetreten, sie erfaßte mit ihren braunen kleinen Händen dessen Rechte und drückte sie einen Augenblick lang fest an ihren Busen, wobei sie mit flehender Geberde wieder einige Worte murmelte.

Ganz roth vor Schreck, zog der Officier seine Hand zurück, aber wer beschreibt sein namenloses Erstaunen, als er nun gewahr wird, daß er einen blanken preußischen Thaler in derselben hält. Ganz sprachlos stand er da und besah bald das Geldstück, bald das Mädchen, das mit leidenschaftlichen Geberden unverständliche Worte sprach. Der Doctor lachte aus vollem Halse.

„Donnerwetter, des is wirklich jut!“ rief er in der besten Laune, „und einen janz richtigen Thaler, den sie Ihnen da schenkt. Du bist ja ein janzes Wettermädel von einer Hexe, was red’st Du denn da? – he? – Nix resommi, nix resommi!“

Je mehr der Doctor lachte, desto mehr verlor die braune Dirne alle Scheu. Sie trat auf denselben zu, erfaßte seinen Arm, schaute ihm eindringlich mit ihren dunklen, sprechenden Augen in’s Gesicht und deutete bald nach der Pußta, bald auf den Thaler in des Lieutenants Hand, bald auf den Wald am andern Ufer des Flusses.

„Verstehen Sie das, werther Freund?“ frug der Doctor immer noch herzlich lachend.

„Nicht eine Silbe,“ antwortete Jener, „auf meine Ehre, das Mädchen ist rein des Teufels. Was will sie nur mit dem Thaler hier sagen?“

„Ja, wenn ich das wüßte, Verehrtester! Aber eine jöttliche Geschichte das! Schenkt Ihnen mir nichts dir nichts einen Thaler. Es is grauenhaft, was Sie für Glück haben beim schönen Geschlecht. Nicht wahr, liebe Kleine, hübscher Kerl, gefällt Dir wohl, was?“ und dabei kniff der gutgelaunte Stabsarzt das Mädchen in die braune Backe.

Diese aber lächelte, warf den letzten Rest von Furcht von sich und immerfort nach der Brücke deutend, sprach sie eifrig: „Vamos pan, vamos! – Nach Brucken, nach Brucken!“ und leicht wie eine Gazelle sprang sie den Männern voraus nach der Brücke, nur ab und zu sich umschauend, ob diese ihr auch folgten.

Und der Stabsarzt und der Officier schritten hinterher und zerbrachen sich darüber die Köpfe, was dies Mädchen eigentlich von ihnen wollte, am meisten über den geschenkten Thaler, und an Neckereien unterwegs ließ es der Doctor nicht fehlen. So kamen sie zu dem Fährhause, wo eben die Frau des Schiffers in dem kleinen Rahmen der Hausthür sichtbar wurde. Auf diese zu eilte jetzt die Slovakin mit Hast, ergriff beide Hände derselben und begann eindringlich in sie hineinzureden.

Geduldig standen die Männer und hörten den Worten des Mädchens zu, die sich wie ein Strom aus ihrem hübschen Munde ergossen, sie staunten über den gewaltigen Fluß ihrer Rede und die sprechenden Blicke und Geberden, welche dieselbe begleiteten. Endlich, hochroth und klopfenden Herzens, schwieg die Slovakin, nur ihre Augen wanderten noch mit stummer Bitte hin und her und blieben endlich mit einem unbeschreiblich seltsamen und lieblichen Ausdrucke auf dem hübschen Officier haften.

Und nun begann die Frau ihre Uebersetzung – schnell löste sich das Räthsel: die Husaren hatten ihren Verwandten zwanzig Pferde fortgenommen. Diese wären nur arme Hirten und für die Pferde verantwortlich, sie kämen in’s Unglück, wenn sie die Thiere nicht wieder zurückerhielten. Die beiden Männer möchten doch bei ihren Landsleuten Fürbitte für die armen Slovaken thun, dann wollte Marizko, so hieß die Kleine, dem schönen Officier auch das Geldstück schenken, welches sie heute Morgen von einem Husaren erhalten hätte. Und während nun Marizko von Neuem zu bitten begann, fielen in ihren Discant sieben bis acht Baßstimmen im Chor mit ein, und die beiden Preußen erblickten eben so viele Männer, in dem phantastischen Slovakenkleide, mit Gesichtern braun wie Mahagoni, die auf ihre Stäbe gelehnt um sie herum standen; dies waren die Hirten, des Mädchens Verwandte.

Eine halbe Stunde später hatten diese Männer fünfzehn von den requirirten Pferden, die zu klein oder zu schwach für den Dienst waren, zurückerhalten, über die anderen aber einen Schein empfangen; schwatzend und lachend kamen sie mit denselben zur Fähre. Marizko aber weigerte sich standhaft, den Thaler wieder zurückzunehmen, bis endlich der Officier eine eben aufgeblühte Rose aus dem Gärtchen des Fährhauses pflückte und dazu legte. Dann nahm das Mädchen Blume und Geldstück mit einem unendlich süßen Blicke des Dankes. Einen Augenblick später schon saß sie auf dem Rücken eines der kleinen Steppengäule, gleich darauf trappelte die Cavalcade über die Schiffbrücke, erklomm den Uferrand und jagte wie der Wind in die Pußta hinein, und schnell entschwand sie den Blicken Derer, die ihr nachschauten.

Der Abend brachte ein schweres Gewitter, die Nacht kam; ganz durchnäßt und hungrig lag der junge Officier in seinen Mantel gehüllt in einer kleinen Hütte aus Bretern und Zweigen, welche die Hand seines Burschen kunstlos ihm gebaut hatte. Nach elf Uhr ließ der Regen nach, am Flusse flackerten wieder die Feuer, die Kanoniere lagen bei ihren geladenen Geschützen und drüben jenseits der Brücke, bis an die Knöchel im Wasser standen die schützenden Doppelposten, weit vorgeschoben auf der Pußta. Eben war der Officier im Begriffe einzuschlafen, schon begannen leichte Traumgebilde ihn zu umgaukeln, als er plötzlich neben sich etwas rascheln hörte und wieder erwachte. Er schaut auf – eine [524] menschliche Gestalt verdunkelt den Eingang der kleinen Hütte und zeichnet sich grell gegen das Feuer ab, welches am Ufer unstät auf und ab flackert.

„Wer ist da?“ ruft der Erwachende. Keine Antwort. „Wer ist da?“ fährt er empor. Da faßt eine warme, kleine Hand die seinige, unverständliche Worte von Mädchenlippen hört er flüstern dicht vor seinem Ohre, einen Augenblick lang preßt sich ein kleiner Mund süß auf den seinen. Und „Marizko, Marizko!“ ruft wonnetrunken der Officier, „reizende Marizko!“ und streckt die Arme empor, das liebliche Mädchen zu umfassen, aber seine Arme fassen nur die leere Luft, wie ein Schatten war die Slovakin entflohen, die Hütte war leer.

„Wach’ ich denn oder träume ich?“ murmelt der Officier und springt vom Lager auf, reibt sich die Augen und tritt schnell vor die Hütte. Aber Alles ist still, Niemand zu sehen. Drüben brennen die Feuer, rings umher liegen die Soldaten in ihre Mäntel gehüllt und schlafen; nichts regt sich weit und breit.

Früh am anderen Morgen erwachte der Artillerie-Lieutenant nach unruhigen Träumen, der Trompeter blies Reveille, die Feuer waren heruntergebrannt, drüben hinter den Karpathen färbte sich der Himmel bereits purpurroth. Er will sich erheben, da faßt seine Hand etwas Kaltes. Er schaut hin, und siehe da, neben seinem Lager steht ein dicker, bunt bemalter Krug und daneben liegt ein Strauß, drei rothe prachtvolle Rosen. Ganz wunderbar wird es dem Officier um’s Herz, als er die Blumen nimmt und an seine Lippen drückt.

„Also doch Marizko!“ spricht er leise vor sich hin, „also war’s kein Traum!“ und steckt die Blumen an seine Brust.

„Sie sind ja heute so merkwürdig langweilig, Verehrtester,“ sprach der Stabsarzt beim Rendezvous zu seinem Freunde, dem blonden Artillerie-Officier, „was ist Ihnen denn?“

„Wollen Sie nicht einmal trinken, Doctor?“ erwiderte dieser, ohne dem Frager eine Antwort zu geben, und holte aus dem Marketender-Fuhrwerk heraus eine dickbäuchige irdene Flasche mit merkwürdigen Malereien.

„Nanu, werther Freund, was ist denn das? Donnerwetter, wo haben Sie denn den her? das ist ja ein prachtvoller Ungarwein, so was habe ich in meinem Leben noch nicht getrunken!“ Und weiter bekam der Doctor keine Antwort, denn der Gefragte hatte nun seinerseits den Krug ergriffen, trank durstig von dem goldenen Nektar und: „Auf Dein Wohl, Marizko!“ murmelte er dabei mit seltsam bewegtem Herzen.



Anmerkungen (Wikisource)