Melpomene/Band 1/008 Die Vergeltung. Bei dem Grabe Napoleons des Großen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< 008 Die Vergeltung. Bei dem Grabe Napoleons des Großen >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Melpomene
Seite: Band 1, S. 34-43
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[34]

8. Die Vergeltung.

Melod. XII.

Bei dem Grabe Napoleons des Großen.

1. Hier liegt der größte Mann bedeckt
Von einem Grabeshügel;
Gezwungen hat er abgelegt
Die Despotismuszügel:
Nun hat er auch den Wanderstab
Des Lebens abgelegt,
Und sich in diesem Felsengrab
Zur Ruhe hingestreckt.

2. Er war der Leidenschaften Spiel,
Die seine Brust zerrissen,
Und hatte weder Rechtgefühl,
Noch Tugend, noch Gewissen;
Nun aber ist ihr wilder Sturm
Im Grabe hier gestillt,
Weil nun dafür des Todes Wurm
Die hohle Brust durchwühlt.

3. Wie geizte er nach Geld und Gut,
Nach Herrschsucht, Ruhm und Ehre!
Wie lechzte er nach Menschenblut,
Als wenn es ihn ernähre!
[35] Hier aber ist sein armes Herz
Sogar vom Blute leer,
Und todt und kalt, wie Stein und Ertz,
Und regt sich nimmermehr.

4. Europas Herrscher krochen hin
Vor ihm gebeugt im Staube,
Und wurden seinem Herrschersinn,
Besiegt von ihm, zum Raube;
Hier aber ward er selbst ein Raub
Der starken Todeshand,
Und seine Macht zerfällt in Staub,
Aus welcher sie entstand.

5. Er spielte wie mit einem Ball
Mit Königen und Kaisern,
Und schmückte sich nach ihrem Fall
Mit ihren Lorbeerreisern;
Allein sie schlossen einen Bund,
Erwiederten das Spiel,
Und setzten ihn gefangen, und
An seiner Thaten Ziel,

6. Dort schlug er jede Völkerschaft
Europas in die Ketten
Der Sklaverey, um ihre Kraft
Und Freiheit zu zertretten;
Hier hat der Völker Allianz
Die Freiheit ihm geraubt,
Zertretten ihm den Siegeskranz
Auf seinem stolzen Haupt.
[36]
7. Es konnte sich kein andrer Held
Mit seiner Größe messen;
Er hätte noch die ganze Welt
Durch seine Macht gefressen:
Doch hier, im öden Grabe, mißt
Mit ihm sein Leichenstein,
Und schmutziges Gewürme frißt
Sein Fleisch und Mark und Bein.

8. Die Menschen gab er alle preis
Als Mittel ihm zu dienen;
Er hatte millionenweis
Gemordet unter ihnen:
Hier aber liegt er unbewegt,
Und preis- und athemlos,
Vom Todespfeile hingestreckt,
Bedeckt mit kaltem Moos,

9. Denn hatte er in einer Schlacht
Zehntausend Mann verloren,
So hat Paris in einer Nacht
Ihm zehnmal mehr geboren:
Hier aber kam die Reihe auch
Zum Todeskampf an ihn;
Er gab in seinem letzten Hauch
Sich der Verwesung hin.

10. Und wenn er durch die Helden ritt,
Die starben, ihn zu retten,
So trieb er sein Gespött damit,
Und sagte: pah! die Krötten!
[37] Hier machet sich an seiner Gruft
Die Rache durch Gespött
In der pikanten Rede Luft:
Hier liegt die kleine Krött!

11. Er führte seiner Helden Heer
Nach Ost, Süd, West und Norden,
Und ließ sie dort zu seiner Ehr’
In blut’gen Kriegen morden,
Und kehrte dann allein zurück
Gekrönt mit Ruhm und Sieg:
Hier aber untergieng sein’ Glück,
Wo er zu Grabe stieg.

12. Und statt zu sterben in der Schlacht,
Auf diesem Ehrenbette,
War vielmehr darauf er bedacht;
Wie er sein Leben rette.
Aus feiger Todesfurcht ergriff
Er in Gefahr die Flucht:
Hier aber wurde dieser Kniff
Umsonst von ihm versucht.

13. Es ist sein Heldenleben so
Im Osten, West und Norden,
Bei Leipzig und bei Waterloo,
Durch Flucht gerettet worden;
Er wollte selbst auf Helena
Entfliehen seiner Noth,
Und wurde seinen Hütern da
Entführt sogar vom Tod.
[38]
14. Er brauchte die Religion
Als Mittel seiner Zweke,
Und sprach von ihr mit Spott und Hohn,
Der Frevlende, der Keke;
An seinem Grabe vindizirt
Sie nun ihr altes Recht,
Wo Gottes Hand die Waage führt
Und jeden Frevel rächt.

15. Er hielt fünf Jahre lang in Haft
Den Stellvertretter Gottes,
Und machte dessen Eigenschaft
Zum Ziele seines Spottes;
Gerad so lang hat seine Haft
Auf Helena gedaurt;
In ewige Gefangenschaft
Ist er nun eingemaurt.

16. Mit kühner undankbarer Hand
Verstieß er Josephinen,
Und schloß ein neues Eheband
Mit heuchlerischen Mienen;
So ward die zweite Kaiserin
Entrissen seiner Hand,
Obwohl er stets mit festem Sinn
Der Trennung widerstand.

17. Er hat durch seine Kriegeswuth
Die ganze Welt erschüttert,
Und niemal hat sein Heldenmuth
In diesem Kampf gezittert,
Hier aber hat sein Felsenherz
[39] Gezittert vor dem Tod,
Denn dieser treibet keinen Scherz,
Und kennt kein Machtgeboth.

18. Nur seinem Machtgeboth allein
Muß Alles unterliegen;
Da helfen keine Schmeicheleyen,
Kein Flehen, kein betrügen,
Da hülft kein Pulver, keine Macht,
Kein Dolch, kein Bajonet,
Er respektiret keine Pracht,
Und keine Majestät.

19. So wurde dieser große Held
Von Gottes Hand ergriffen,
Um ihn am Ende dieser Welt
In jene einzuschiffen;
Die starke Hand des Todes griff
Das Ruder an mit Kraft
Und brachte ihn auf seinem Schiff
Ins Land der Rechenschaft.

20. Und nun! wie wird er beim Gericht
Vor Gottes Thron bestehen,
Der allergröste Bößewicht,
Den je die Welt gesehen? —
Verwegner, der in solchem Ton
Die kühne Frage wagt!
Hat nicht uns allen Gottes Sohn
Das Urtheil untersagt?

21. Er sagte: richtet nicht, damit
Ihr nicht gerichtet werdet;
[40] Und als er für die Sünder litt,
Wie hat er sich geberdet?
Er bath zu seinem Vater um
Verzeihung Gnad und Huld,
Denn ach! sie sind so blind und dumm,
Und klein ist ihre Schuld.

22. Es bleibt uns also noch ein Strahl
Der süssen Hoffnung über:
Er komme durch des Todesthal
Ins Lebensreich hinüber,
Wenn auch noch eine Zögerung
Zu dieser Gnad besteht,
Und durch das Feu’r der Reinigung
Die grosse Reise geht.

23. Er wollte ja nach seinem Plan
Die Menschen nur beglücken,
Und ließ sich nur in blindem Wahn
Das hohe Ziel verrücken;
Auch hat die Vorsicht sicherlich
Das Meiste selbst gethan,
Und machte also einen Strich
Durch seinen Herrscherplan.

24. So hatte Gott zur Züchtigung
Als Geisel ihn geschwungen,
Dabei sich unsre Besserung
Zur Schonung ausbedungen;
Durch diese hatte Gott erreicht
Den vorgestekten Zweck,
Und warf, durch unser Flehen erweicht,
Die blut’ge Geisel weg.
[41]
25. Er hatte sicher noch bereut
Die Thorheit seiner Thaten,
Und würde, hätte er noch Zeit,
Des Bessern sich berathen;
Allein geschehen bleibt geschehen,
Vorüber ist die Zeit;
Er konnte nur um Gnade fleh’n,
Und um Barmherzigkeit.

26. Wie hat er schon für seine Schuld
So schwer gebüßt auf Erden,
Mit heldenmüthiger Geduld
Ertragen die Beschwerden,
Die Gottes Hand auf ihn gelegt
Zur Strafe seiner Schuld!
Und wer die Strafe willig trägt
Erwirbt sich Gottes Huld.

27. Gott hat ja noch Begnadigung
Auch für den grösten Sünder,
Er will ja nur die Besserung
Der so[1] verirrten Kinder;
Er will den Tod des Sünders nicht,
Und wenn er sich bekehrt,
So wird beim göttlichen Gericht
Sein Fleh’n um Gnad’ erhört.

28. Nun lasset uns bescheiden in
Den eignen Busen greifen,
Und sehn, ob nicht in bösem Sinn
Wir selbst zur Hölle reifen!
Denn öfter sitzt Napoleon
[42] In unsrer stolzen Brust,
Nur kleiner, auf dem Lasterthron,
Und herrscht in böser Lust.

29. Nur fehlt es uns an seiner Kunst,
An seinen Fähigkeiten,
Und an des Glükes holder Gunst,
Und an Gelegenheiten;
Wir würden sonst vielleicht noch mehr,
Als er, des Bösen thun,
Und einstens nicht so sanft, wie er,
Im stillen Grabe ruh’n.

30. Denn Gott bestrafet, wie die That,
So auch den bösen Willen,
Wenn wir aus Ohnmacht gleich den Rath
Der Sünde nicht erfüllen;
Wer aber Gutes will, obgleich
Er es nicht üben kann,
Der wird belohnt im Himmelreich,
Als hätt’ er es gethan.

31. Laßt uns daher zu jeder Zeit
Nichts Gutes unterlassen,
Wozu uns Gott die Kraft verleiht,
Und jede Sünde hassen;
Denn dort wird ja kein Bösewicht,
Der Böses will, verschont,
Hingegen, wo die Kraft gebricht,
Der Willen selbst belohnt.

32. Ihr aber, die ihr grosse Macht
Zum Gutesthun besitzet,
[43] Seydt auf der Völker Wohl bedacht,
Und thut, was ihnen nützet;
Bedenkt: es kommt ja dort für euch
Auch die Vergeltungszeit;
Damit euch Gott im Himmelreich
Den Tugendlohn verleiht.

33. Nun ruhe sanft, erhabner Held!
In deinem Felsengrabe;
Wir hoffen: daß in jener Welt
Dir Gott verziehen habe,
Wir wenigstens verzeihen dir
Was du uns Leids gethan;
O kämen wir doch einst dafür
Mit dir im Himmel an.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Vorlage: se

Grablied auf Napoléon Bonaparte († 5. Mai 1821).

Jungs Errata (Bd. 2, S. 293) wurden in den Text eingearbeitet.