Melpomene/Band 2/009 Bei dem Grab eines Mädchens, das sich zu tod tanzte

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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 40–45
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[40]

9. Bei dem Grab eines Mädchens, das sich zu tod tanzte.

Melod. XVI. I.

1. Wir stehn verhüllt in Trauerflor
An diesem Grab, und beben;
Denn ach! in wildem Tanz verlohr
Ein Mädchen hier sein Leben;
Sie starb aus Unvorsichtigkeit,
Weil sie die Tanzeslust zu weit
In blinder Wuth getrieben.
[41]
2. Sie war bei einem Hochzeitmahl
Von einem Anverwandten;
Da gab es Menschen ohne Zahl
Von Freunden und Bekannten,
Da wollte jeder Bursche nun,
Der tanzen kann, drei Tänze thun
Mit diesem schönen Mädchen.

3. Sie wagte schanderhalb es nicht,
Es einem abzuschlagen;
Auch ward ihr schönes Angesicht
Dabei zur Schau getragen,
Auch tanzte sie so prächtig, daß
Die Tochter der Herodias
Nicht schöner tanzen konnte.

[4.] So tanzte sie mit Heftigkeit
Voll Wonne und Entzücken,
Und ließ dem Athem keine Zeit,
Und wollte fast ersticken,
Denn ach! sie tanzte so geschwind,
Als wie mit seiner Braut der Wind.
In einem Wirbeltanze.

5. Da war ohn’ Unterlaß von Schweiß
Ihr Leib und Kleid durchdrungen,
Und ihr Geblüt rann glüend heiß
Durch die empörten Lungen,
Die Wangen glüten purpurroth,
Und aus entflammten Augen droht
Ein Blitz herauszufahren.

6. Doch tanzte sie ohn’ Unterlaß
Wie rasend und von Sinnen,
[42] Als wäre dieß der größte Spaß,
Um Alles zu gewinnen,
Und hatte so die ganze Nacht
In wildem Tanze zugebracht,
Dem Tod entgegen tanzend.

7. Sie machte endlich sträubend los
Sich aus dem Arm der Tänzer
An Kopf und Hals und Armen blos,
Und unterm Arm den Spenzer,
Und in den kalten Sturm hinaus,
Und eilte ganz vergnügt nach Haus,
Im Bette auszuruhen.

8. Jedoch, schon unter Wegs begann
Es heftig sie zu frieren,
Sie zog daher den Spenzer an,
Die Kälte nicht zu spüren:
Allein sie war des Fiebers Raub,
Und zitterte wie Espenlaub,
Und knirschte mit den Zähnen.

9. Sie legte sich ins kalte Bett,
Und hoffte zu erwarmen,
Nahm ihre Zuflucht zum Gebeth
Und seufzte um Erbarmen;
Allein sie wurde nicht erhört,
Ihr Wohlbefinden war gestört,
Verlohren die Gesundheit.

10. Der Fieberfrost, den sie empfand,
Gieng glücklich zwar vorüber,
Allein im ganzen Leib entstand
[43] Dafür ein heisses Fieber,
Und nahm so plötzlich überhand,
Daß man sogleich für nöthig fand,
Den Arzt um Hülf zu rufen.

11. Der Arzt erschien, und brachte ihr
Die besten Medizinen;
Sie nahm sie ein mit heisser Gier
Und hoffte Hülf aus ihnen;
Allein da half kein Mittel mehr,
Denn ihr Geblüt war schon zu sehr
Entflammt in Fieberhitzen;

12. Und plötzlich nahm der kalte Brand
In ihren Blutgefässen
Undwiderstehlich überhand,
Und unerachtet dessen,
Was man zu hemmen ihn gethan,
So fuhr er fort auf seiner Bahn,
Und drang ihr schon zum Herzen.

13. Die Zunge wurde starr und schwarz,
Und konnte sich nicht recken,
Der Schleim im Schlunde zäh wie Harz,
Und blieb im Halse stecken,
Das Angesicht ward braun und blau,
Und aufgedunsen stier und grau
Die sonst so holden Blicke.

14. Da starb ihr letzter Athemzug
Im kalten Todesfächeln,
Und ach! ihr armes Herze schlug
Im letzten Hauchesröcheln;
[44] Erstorben ist ihr Augenglanz,
Und ihres Lebens wilder Tanz
In Todestanz verwandelt,

15. Um ihre starre Leiche stehn
Die Eltern und Geschwistern,
Wo sie vor Leiden fast vergehn,
Die ihr Gemüth verdüstern,
Und senken auf ihr frühes Grab
Den thränenvollen Blick hinab,
Aus dem sie es befeuchten.

16. Jedoch es glänzt ein Hoffnungstrahl
Der ihren Schmerz versüsset:
Sie hab durch ihre große Qual
Für ihre Schuld gebüsset,
Und durch den Tod, durch ihre Schuld
Herbeigeführet, Gottes Huld,
Und Seligkeit gefunden.

17. O möchte doch ihr Beispiel uns
Des Besseren belehren:
Daß wir die Absicht unsres Thuns
Und Lassens nie verkehren,
Und nie, was unser Lebensziel
Verlängern soll, im Lustgefühl
Durch Übermaß verkürze.

18. Nun ruhe sanft, Unglückliche!
In deinem frühen Grabe,
Wir hoffen, daß in jener Höh
Dir Gott verziehen habe,
[45] Was du aus Unvorsichtigkeit
Gethan, und bitter schon bereut,
Und dich verschonen werde.