Melpomene/Band 2/012 Bei dem Grabe einer vortrefflichen Sängerin, die an der Kolera starb

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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 50–55
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[50]

12. Bei dem Grabe einer vortreflichen Sängerin, die an der Kolera starb

Melod. II.

1. Dort modert Rittler Katharine;
Die holde Sängerin entschlief
Mit hoch entzückter Engelsmiene,
Als Gottes Vaterstimme rief:
Komm her in meinen Sängerkohr,
Und sing mir deine Lieder vor.

2. Sie war die Tochter des gewandten
Schullehrers in dem Orte Pleß,
Des exzellenten Musikanten,
[51] Der gründlich sie gelehret es,
Was Musik ist, und Singen heißt,
Und was entzückt des Menschen Geist.

3. Sie hatte eine sanfte Kehle,
Und einen reinen Silberton,
Und sang entzückt mit Leib und Seele
In ihrer zarten Jugend schon,
Und übte fleissig sich darin,
Und ward die beßte Sängerin.

4. Sie traf die fernesten Distanzen,
Sang tief hinab und hoch hinauf,
Und lößte alle Dissonanzen
In schönste Harmonien auf,
Und, hörend ihre Arien,
Blieb Jedermann bezaubert stehn.

5. Wenn sie im Gott geweihten Hause
Zu Gottes Ruhm und Ehre sang,
Und ihr Gesang nach kurzer Pause
Von ferner Wöldung widerklang,
So wars, als sängen ihr durchs Tach
Der Kirche Gottes Engel nach.

6. Und wenn in einem Liederkranze
Ihr kräftiger Diskant erscholl,
So übertönte er das Ganze
In weiter Ferne, wie er soll,
Und hielt den ganzen Kohr exakt
Im reinsten Ton, und strengsten Takt.
[52]
7. Wenn sie mit ihrer sanften Kehle
Gefühlvoll eine Solo sang,
Und ihre reingestimmte Seele
Durch alle Töne widerklang,
So lauschte jedes Kennerohr,
Von Seligkeit entzückt, empor.

8. Sie übertraf die Philomele
Mit ihrem schmelzenden Gesang,
Und stritt mit ihrer Zauberkehle
Mit Katalani um den Rang,
Und sang voll Kraft und Majestät
Mit Maras Virtuosität.

9. Und o! ich finde keine Worte
Zu schildern die Prezision,
Womit sie dem Pianoforte
Entlockte seinen Zauberton,
Und Eß und Fiß, und moll und dur,
War ihr zum leichten Spiele nur.

10. Und wenn der Guittar straffe Saiten
Mit schnellen Fingern sie durchlief,
Um ihre Lieder zu begleiten,
Wie rührte sie das Herz so tief!
Und wenn sie immer sang und schlug,
Bekam der Hörer nie genug,

11. Doch es hierin so weit zu bringen
War es bei ihr Natur und Kunst,
Und ihre Fertigkeit im Singen
Erwarb ihr jedes Kenners Gunst,
[53] Kein Wunder nun, wenn ihr Gesang
Bis in die Residenzstadt drang.

12. Sie wurde nun dahin berufen,
Vor allen andern auserwählt,
Und auf des Hoftheaters Stuffen
Als erste Sängrin angestellt,
Und ihre große Kunst bezahlt
Mit einem prächtigen Gehalt.

13. Auf einmal kam mit schwarzem Siegel
Ein Brief bei ihren Eltern an,
Worin sie wie in einem Spiegel
Von aussen schon den Inhalt sahn;
Sie öffneten mit Zittern ihn,
Und ach! was lasen sie darin?

14. Es habe ihre Katharine
Die Kolera in beßter Kraft,
Und trotz der beßten Medizine,
In sieben Stunden hingerafft,
Und daß sie sanft zu Gott entschlief:
So lasen sie in diesem Brief.

15. Man denke sich der Eltern Schmerzen
Bei diesem schrecklichen Bericht!
Die Pulse stehn ihn ihrem Herzen
Vor Schrecken, und ihr Auge bricht
In einem heissen Thränenbach,
Und laut ertönt ihr Weh und Ach!

16. Allein umsonst sind ihre Klagen;
Es hat, ohn' alle Wiederkehr,
Der Tochter letzter Puls geschlagen;
[54] Ihr theures Kind, es ist nicht mehr:
Es ist verlohren für die Zeit,
Doch nicht auch für die Ewigkeit.

17. In München liegt ihr Leib begraben,
Jedoch nicht auch zugleich ihr Geist,
Der sich mit allen seinen Gaben
Dem athemlosen Leib entreisst,
Und sich, von Gottes Hauch belebt,
Ins Reich der Seligkeit erhebt.

18. Mag sie daher dem Weltgetümmel
Durch ihren Tod entrissen seyn;
Sie lebt dafür im Reich der Himmel
Im ewig seligen Verein,
Von keiner Trennung mehr bedroht,
Mit allen Heiligen und Gott.

19. Denn immer war ihr Seelenadel
Durch keine Sündenschuld befleckt,
Und ihr Betragen ohne Tadel,
Bis sie aufs Lager hingestreckt,
Bereitet auf des Todes Loos
Ihr tugendhaftes Leben schloß,

20. Sie hätt' vielleicht auf dem Theater
Das oft der Sünde Gift versüsst,
Die Herzensunschuld in zu spater
Verzweiflung schmerzlich eingebüsst,
So, daß die Kolera sogar
Für ihre Seele besser war.

21. Nun ist ihr Geist zu Gott erhoben,
Gezieret mit der Jungfernkron,
[55] Und wird die Liebe Gottes loben
Mit hochentzücktem Jubelton,
Der aus dem eitlen Lebenstanz
Sie flocht in seinen Liederkranz.

Kommentar

Jungs Errata (Bd. 2, S. 294) wurden in den Text eingearbeitet.

Katharina Rittler war die Tochter des Lehres Konrad Rittler in Pleß, einer kleinen Gemeinde im Unterallgäu. Mit dem „Hoftheater“ ist das Königliche Hoftheater in München (Vorgänger der Bayerischen Staatsoper) gemeint, an dem Katharina Rittler als Sängerin engagiert war.

Philomele“ ist hier ein dichterischer Ausdruck für die Nachtigall. „Katalani“ ist die berühmte italienische Opernsängerin Angelica Catalani (1780–1849); „Maras Virtuosität“ bezieht sich auf die Sängerin Gertrud Elisabeth Mara (1749–1833).