Melpomene/Band 2/045 Bei dem Grabe eines Selbstmörders

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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 127–131
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[127]

45. Bei dem Grabe eines Selbstmörders.

Melod. VI.

1. Hier stehen wir in kaltem Todesschauer,
Und beben scheu zurück vor einer That,
Die unser Herz mit namenloser Trauer
Und mitleidvollem Schmerz erfüllet hat.
[128] Denn ach! es legte an sein eignes Leben
Ein Mann verzweiflungvoll die Mörderhand,
Und Jedermann entfloh voll Angst und Beben,
Als man die kalte starre Leiche fand.

2. Unglücklicher! was konnte dich bewegen,
Zu rauben dir das höchste Erdengut,
Un hoffnungslos an dich die Hand zu legen,
Und dich zu morden voll der blinden Wuth?
Hast du hienieden Alles dann verlohren,
Was du gebraucht zu einer Lebensnoth?
Dann bist du einer von den größten Thoren,
Die sterben mit[1] Entsetzen vor dem Tod.

3. Hat sich vielleicht ein heimliches Verbrechen
Gelagert wie ein Berg auf deine Brust?
Und hast du an dir selbsten es zu rächen
Auf keine andre Weise mehr gewußt?
Du schlugst vielleicht aus neidischer Ursache
Wie Kain, den Bruder tod in blinder Wuth?
Verfolgte dich des Himmels heisse Rache
Mit ihrem lauten Rufe: Blut um Blut!

4. Hast du durch deinen Tod dich strafen wollen
Für deiner Sünden ungeheure Schuld?
Du hättest ja doch nicht verzweifeln sollen
An Gottes grenzenloser Vaterhuld.
Warum denn hast du nicht auf ihn vertrauet?
Denn seine Gnade ist unendlich groß,
Und nicht am Kreutze Jesum angeschauet,
Wo er für dich sein theures Blut vergoß?
[129]
5. Hast dus gethan aus Furcht vor Straf und Schande;
So wisse, was die größte Schande ist,
Wenn hier ein Mensch des eignen Lebens Bande
Verzweiflungvoll zu trennen sich vermisst,
Und eine solche Lasterthat begehet,
Die Gottes Gnade nicht verzeihen kann;
Denn ach! sie schreiet laut zu Gott, und flehet
Den Himmel selbst um seine Rache an.

6. Und welche Strafe harret des Verbrechers,
Der sich das Leben raubt, in jener Welt?
Wenn dort der Mund des allgerechten Rächers
Im Grimme sein Verdammungsurtheil fällt?
Hinweg von mir, Verfluchter! in die Hölle,
Die ewig dort zu deiner Strafe brennt,
Dort ist der Teufel ewig dein Geselle,
Der keine Hoffnung zur Erlösung kennt.

7. Und welchen Jammer, welche Schande häufet
Auf seiner Freunde und Verwandten Haupt,
Der ein in Gottes heil’ge Rechte greifet.
Und sich verzweiflungvoll das Leben raubt!
Sie wollen in die Erde sich verstecken,
Und fliehen vor den Menschen und vor Gott,
Und rufen: daß die Berge sie bedecken
Und schützen gegen Schande Hohn u. Spott.
[130]
8. Allein wir wollen voll der Liebe hoffen:
Du warest des Verstandes ganz beraubt,
Die Uhr in deinem Hirn sey abgeloffen,
Und habe dir kein Urtheil mehr erlaubt:
Denn wer begreift, wie sich ein Mensch das Leben
Mit völliger Besinnung rauben kann?
Und wer es also thut, der hat es eben
Aus Unverstand und blinder Wuth gethan.

9. Und doch! wie viele tausend Menschen kürzen
Sich mit Bedacht ihr kurzes Leben ab?
Sie folgen ihrer Leidenschaft, und stürzen,
Durch ihre Glut verzehrt, ins frühe Grab:
Denn Hoffart Geitz, verzweiflungvoller Kummer,
Und Übermaß in dem Genuß der Lust,
Und Neid und Rachsucht, und der Trägheit Schlummer,
Ersticken früh den Hauch in unsrer Brust.

10. Lasst uns daher beim Anfang schon bekämpfen
Der blinden Leidenschaften tolle Wuth,
Und ihre Wallungen im Herzen dämpfen,
Und ihnen widerstehn mit Heldenmuth;
Sonst rauben sie uns jede Lust und Freude
In dieses Lebens fröhlichem Genuß;
Wir greifen selbst in unser Eingeweide,
Und morden uns aus Lebensüberdruß.

11. Und sollten dir die Lebensmittel fehlen,
Vertrau auf Gott, der auch die Raben nährt,
[131] Und sollten dich Gewissenbisse quälen,
Bedenke, daß Gott auch die Sünder hört:
Verzweifle nicht, vertrau auf seine Gnade,
Bereu von Herzen deine Sündenschuld,
Dann weiche keinen Schritt vom Tugendpfade
Und bitte Gott um seine Vaterhuld.

12. Bereite so durch fromme Lesensweise
Dich immer vor zu einem guten Tod,
Sei bis zum Ende deiner Lebensreise
Beständig treu dem göttlichen Geboth,
Und folge dann voll Hoffnung ohne Beben,
Wenn dir des Todes Hand hinüber winckt,
Und dich nach diesem kurzen Erdenleben
Ins Reich der Seligkeit hinüber bringt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. mit, voll o. ä. ; das Wort ist in der Scanvorlage (Reprint) nicht erkennbar; eventuell ist es in einem Originaldruck deutlicher