Menschenaffen

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Menschenaffen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, 10, 12, 17
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Menschenaffen.


Von Brehm.


I. Aeußere Umrisse.


Noch vor zwei Jahrzehnten war es leicht, über Affen zu schreiben – heutzutage ist es schwierig. Man befriedigt Niemand mehr, weder die Gläubigen, noch die Ungläubigen, weder die Anhänger der alten Anschauung, nach welcher der Mensch das Ebenbild Gottes sein soll, noch die feurigen Jünger Darwin’s, welche viel weiter zu gehen pflegen als ihr Meister selber. Jene glauben, weil sie den Kern und das Wesen der neuzeitlichen Entwickelungslehre einfach nicht verstehen oder verstehen wollen, in jedem Schimpanse ihren Großvater erblicken zu müssen; diese wollen womöglich jeden Affen als einen werdenden Menschen betrachtet wissen; jene verletzt die Bezeichnung „Menschenaffen“; diese nehmen keinen Anstand, in ihrer Entwickelung zurückgebliebene Adamssöhne „Affenmenschen“ zu nennen. Die goldene Mittelstraße zu gehen ist also schwierig, von Affen zu reden und zu schreiben aber noch mehr. Ich habe dies vielfach erfahren. Daß mich ein Herr, dessen Handschrift offenbar einen durch Hochschulen gebildeten Mann verräth, in einem nur mit „Kein Schimpanse“ unterzeichneten Briefe, Postzeichen Sangerhausen, mit den Worten anredet: „Intoleranter, inhumaner Schimpanse“ anstatt „Hochgeehrter Herr“ (wie ich das übrigens übersetzt habe), will wenig besagen; denn derartige Aeußerungen einzelner durch meine Arbeiten erzürnter Eiferer, welche niemals den Muth haben, sich zu nennen, erhalte ich zu meiner Erheiterung in Menge; daß aber unter den verschiedenen Vorträgen, welche ich gegenwärtig öffentlich halte, der die Affen behandelnde unter zehn Fällen neunmal zurückgewiesen oder nur schwach besucht wird, thut mir nicht meinetwegen, sondern lernbegieriger Zuhörer halber aufrichtig leid. „Nur nicht die Affen!“ heißt es von hier oder dort; „nur nicht die Affen in unserem Saale!“ seufzt eine fromme Gesellschaft, welche besagten Saal jedoch recht gern zu anständigem Preise vermiethet; „nur nicht die Affen!“ lispeln Frauen, welche sonst alle naturwissenschaftlichen Vorträge eifrig besuchen und mir, wie ich offen gestehe, meine liebsten Zuhörer sind; „nur nicht die Affen!“ sagen selbst vorurtheilsfreie Männer in gerechtfertigter Berücksichtigung der herrschend gewordenen Ansichten über die Art und Weise, in welcher neuerdings diese uns zunächst verwandten Hochthiere von berufenen und unberufenen, kundigen und unkundigen Schriftstellern und solchen, die es sein wollen, behandelt werden.

Die Leser dieses Blattes, welches mein würdiger „Nichtschimpanse“

[45] 

Menschenaffen, aus der Gruppe des Tschego’s im Dresdener zoologischen Garten.
Eine Studie nach der Natur von G. Mützel.

[46] aus Sangerhausen in seinem grimmigen Zorn mit den liebenswürdigsten Schimpfnamen belegt, kennen mich hoffentlich viel zu gut, als daß sie nicht annehmen sollten, ich würde ihnen die Großvaterschaft eines Gorilla, Schimpanse oder Orang-Utan rückhaltslos klarlegen, wenn ich von derselben überzeugt wäre. Dies bin ich aber nicht, obgleich ich mich als Anhänger der Lehren Darwin’s bekenne und nicht daran denke, die innige Verwandtschaft, wohlverstanden: Verwandtschaft im thierkundlichen Sinne, welche zwischen Menschen und Affen thatsächlich besteht, wegleugnen zu wollen. Hiervon bin ich im Gegentheil so durchdrungen, daß alle bisher vorgebrachten Gegengründe mir bedeutungslos erscheinen müssen. Menschen und Affen gehören in eine und dieselbe Ordnung des Thierreichs: in die der Primaten, welche ich „Hochthiere“ genannt habe, mag sich der erstere gegen diese Verwandtschaft sträuben, wie er will. Mensch und Affe sind jedoch keineswegs gleichartig, und die Kluft, welche zwischen dem am höchsten entwickelten Affen und dem auf der niedrigsten Stufe stehenden Menschen besteht, wird nicht überbrückt, mag man auch das beiderseitige Verhältniß ansehen und deuten, von welcher Seite und wie man wolle. Dies beweisen am allerdeutlichsten unsere nächsten Verwandten, die „Menschenaffen“, über welche neuerdings ein reicher Stoff zusammengetragen worden ist, weil seit dem Erscheinen der die alten Anschauungen vollständig umwälzenden Werke Darwin’s jeder irgendwie Befähigte sich bemüßigt gesehen hat, für oder wider die aus der neuzeitlichen Entwickelungslehre gezogenen Folgerungen zu schreiben, zu reden und zu lehren.

Ein im Dresdener Thiergarten vor wenigen Wochen gestorbener Menschenaffe veranlaßt mich, die in jeder Beziehung der allgemeinsten Theilnahme würdige Gruppe der Ordnung vor dem weitesten Kreise, welchen ich finden kann, zu besprechen. Besagter Affe hat neuerdings, wie ich höre, viel Staub aufgewirbelt, weil sich die Gelehrten wie die Ungelehrten noch nicht darüber einigen konnten, zu welcher der seit geraumer Zeit bekannten, mehr oder minder ausführlich beschriebenen und mit größerer oder geringerer Berechtigung unterschiedenen Arten sie ihn zählen sollten. „Hie Welf, hie Waiblingen“ – „hie Gorilla, hie Schimpanse“, schreit man sich wüthend entgegen und ficht mit Waffen, wie sie gelehrter oder gelehrtseinwollender Männer in jedem Falle unwürdig sind, indem man sich gegenseitig Unwissenheit und andere Schwächen vorwirft. So wenigstens ist mir berichtet worden; denn ich selbst habe den Streit, welcher sich, meines Wissens, bisher nur in den Tagesblättern abgespielt hat, nicht verfolgt, weil ich schon seit Jahren ausschließlich Arbeiten von Fachmännern, nicht aber bedeutungslose Auslassungen der neuerdings wie Pilze aufschießenden Thierkundigen von gestern und heute zu lesen pflege. Der so heftig geführte Streit beweist aber, daß die Frage doch eine allgemeinere Bedeutung gewonnen hat, und daß deshalb der Versuch, die Hauptzüge unserer heutigen Kunde der Menschenaffen auch dem weitesten Kreise zugänglich zu machen, eine gewisse Berechtigung hat.

Im Allgemeinen wird angenommen daß man, abgesehen von den Langarmaffen oder Gibbons, drei sogenannte Menschenaffen unterscheiden darf: den Gorilla, den Schimpanse und den Orang-Utan, fälschlich auch Orang-Utang genannt. Ueber den erstgenannten kann, dank den eingehenden Arbeiten französischer und englischer Forscher, insbesondere Isidor Geoffroy’s und Owen’s kein Zweifel herrschen; anders dagegen verhält es sich mit dem Schimpanse und dem Orang-Utan, beziehentlich den Sippen oder Untersippen, als deren Vertreter beide gelten. Man hat nämlich mehrere, ebensowohl dem Schimpanse wie dem Orang-Utan ähnelnde Menschenaffen unterschieden, benamset und beschrieben und dadurch eine Verwirrung hervorgerufen, welche, wegen des uns gegenwärtig noch mangelnden Stoffes, geradezu als unlöslich erscheinen will. Hinsichtlich der Orangaffen ist man neuerdings mehr oder weniger zu der Ueberzeugung gekommen, daß es sich in diesem Falle nur um eine einzige Art, den Orang-Utan, handeln kann, beziehentlich der nächsten Verwandten des Schimpanse aber sind die Meinungen noch getheilt; denn während Einzelne sich nicht überzeugen lassen wollen, daß Afrika mehr als zwei Menschenaffen, Gorilla und Schimpanse, beherbergt, verfechten Andere die Ansicht, daß mindestens drei dieser Thiere in diesem noch immer sehr wenig bekannten Erdtheile leben. Der Menschenaffe des Dresdener Thiergartens hat mir den Beweis geliefert, daß letztere Anschauung die richtigere ist, und ich denke mir auch, daß alle, welche die von Mützel für die „Gartenlaube“ nach dem Leben gezeichneten beiden in Frage kommenden Menschenaffen mit vergleichendem Auge betrachten, derselben Ansicht sein werden, wie ich.

Um mich allgemein verständlich zu machen, muß ich, wohl oder übel, eine leibliche Beschreibung der betreffenden Menschenaffen geben, verspreche aber im voraus, dieselbe so kurz wie möglich fassen und später um so eingehender über die Lebensverhältnisse derselben berichten zu wollen.

Unter allen stellen wir den seit dem Jahre 1847 uns bekannten Gorilla (Anthropopithecus Gorilla) obenan, den riesigsten aller Affen überhaupt, ein ebenso gewaltiges wie entsetzliches, um mit dem alten Thierkundigen Geßner zu reden, „scheußliches“ Thier. Seinen Namen erhielt derselbe in Berücksichtigung eines uralten Berichtes des Karthagers Hanno, welcher erzählt, daß eine von seiner Vaterstadt ausziehende zahlreiche Auswanderergesellschaft mit wilden haarigen, von den Dolmetschern „Gorillas“ benamseten Menschen zusammengetroffen sei. Der Gorilla erreicht, vollkommen ausgewachsen, zwar nicht die Höhe eines großwüchsigen Mannes, übertrifft ihn aber sicherlich an Stärke und Gewicht. Die Höhe von der Sohle bis zum Scheitel beträgt 1,65 bis 1,70 Meter, die Breite von einer Schulter bis zur anderen 95 Centimeter, die Länge des Kopfes und auffallend gestreckten Rumpfes zusammengenommen 1,08 Meter, die Länge der Vorderglieder ebenso viel, die der Hinterglieder dagegen nur 75 Centimeter. Bezeichnend für den Gorilla sind: der lange Kopf mit stark hervortretenden Augenbrauenwülsten, eingesenkter Stirne und lang nach hinten gezogenem Hinterhauptstheile, der ziemlich weit vorgestreckte Kinntheil des Gesichts, das sehr kleine, dem des Menschen bis auf das stets entwickelte Läppchen ähnelnde Ohr, das überaus starke Gebiß, dessen Eckzähne eine ungeheuerliche Entwickelung erlangen und dessen hinterster unterer Backenzahn mit drei äußeren und zwei inneren Höckern nebst hinterem Anhange versehen ist, die ebenso starken wie langen, fast gleichmäßig dicken Vorderarme, die gewaltigen, breiten, wegen der bis zum zweiten Gliede verschmolzenen Mittelfinger im Handteller zwar lang, im Fingertheile aber kurz erscheinenden Hände mit zwar verhältnißmäßig starken, im Vergleiche zum Menschen aber doch immer sehr schwachen und kurzen Daumen, die kurzen Ober- und wadenlosen Unterschenkel und die ungemein breiten, klumpigen Füße, deren große Daumenzehe unter einem Winkel von 60 Grad von den übrigen, unter sich größtentheils ebenfalls verbundenen absteht. Das Gesicht bis zu den Brauenbogen und der Mitte der Jochbogen, die Ohrgegend seitlich und unten, die riesig dicken Finger von der Mitte des zweiten Gliedes an, die Sohlen und Seiten der Füße und die Obertheile der Zehen sind nackt, alle übrigen Theile behaart.

Der Strich der Haare verläuft auf dem Unterarme von unten nach oben, und auf den inneren Schenkeln von vorn und oben schief nach unten und hinten, im Uebrigen gleichmäßig von vorn nach hinten und unten. Die Haare verlängern sich auf dem Oberkopfe, an den Armen und Beinen, sind verkürzt oder abgerieben auf dem Rücken und stehen spärlich auf den Bauchseiten. Die Färbung der Haare ist bei dem Männchen wie bei dem Weibchen, beim Alten wie beim Jungen dieselbe: ein düsteres Dunkelgrau mit bräunlichem Schimmer, welcher auf dem Kopfe, in Folge der hier röthlichbraun zugespitzten Haare, in deutlicheres Grauroth übergeht, wogegen auf dem Rücken und an den Oberschenkeln, deren Fell in der Regel abgerieben wird, mehr die grobe Farbe zur Geltung kommt.

So viel man bis jetzt weiß, bewohnt der Gorilla die zwischen dem Gleicher und dem fünften Grade südlicher Breite gelegenen, von den Flüssen Gabun, Muni und Fernando Vaz durchströmten Länder West-Afrikas, jedoch weniger die an der Küste, als die weiter im Innern liegenden Striche. Wie weit sein Verbreitungskreis in das Innere von Afrika sich erstreckt, weiß man nicht.

Theilweise in denselben Gegenden, jedoch viel weiter nach Norden hin, bis zur Sierra Leona sich verbreitend, lebt diejenige Art von Menschenaffen, welche man allgemein Schimpanse (Anthropopithecus troglodytes) nennt, im Alterszustande aber noch immer nicht genügend kennt. Dieses Thier, ist jetzt [47] fast in allen größeren Thiergärten vertreten, und ich habe es allein in mindestens dreißig unter sich vollkommen übereinstimmenden Stücken gesehen und wenigstens ihrer acht, männliche und weibliche, jahrelang gepflegt. Es ist kleiner, kurzrumpfiger, kurzarmiger, wohl auch kurzbeiniger und schmalhändiger als der Gorilla, soll jedoch nach Versicherung der Eingeborenen ausgewachsen immerhin bis anderthalben Meter hoch werden. Sein Kopf ist rundlicher, sein Gesichtsausdruck minder thierisch, sein Ohr größer und weniger menschenähnlich, seine Hand dünn und lang, nicht allein schmäler, sondern auch länger, was sich namentlich in den wie bei der Menschenhand nicht zum größern Theile in eine Haut eingehüllten Fingern bemerklich macht. Der Daumen ist kleiner und schmächtiger, der Fuß ebenfalls verhältnißmäßig länger und schmäler als die betreffenden Theile beim Gorilla, der Leib ähnlich behaart wie bei diesem, das Haar jedoch zu beiden Seiten des Gesichts und Kopfs stärker entwickelt, auf dem Rücken in der Regel nicht abgescheuert, auch ein größerer Theil der Oberhand und des Oberfußes nackt. Die Färbung der Haare, mit alleiniger Ausnahme derer, welche das Kinn und spärlich die Schnauze sowie das Gesäß bekleiden und weiß aussehen, ist gleichmäßig dunkelschwarz; Augenbrauengegend, Vordergesicht von der Mitte der flachen Nase an, sowie das Ohr und die Hände und Füße, soweit sie nackt, haben lederfarbene, eine maskenartig die Augen umgebende Stelle und die Wangen schwarzgraubraune, die Haut des Kopfes bläulichgraue, der Haarboden des übrigen Leibes ebenfalls lederbraune Färbung.

Von beiden Menschenaffen unterscheidet sich derjenige, welcher in Dresden lebte, so auffallend, daß er mit keinem von ihnen verwechselt werden kann. Als ich dieses äußerst merkwürdige Thier am 26. August vergangenen Jahres zum ersten Male sah, erkannte ich sofort, daß ich keinen Schimpanse vor mir hatte, glaubte damals aber, vielleicht doch einen Gorilla in ihm erkennen zu dürfen. In diesem Sinne berichtete ich, bevor ich das einschlägliche Schriftthum genauer gewürdigt, an den in Frankfurt erscheinenden „Zoologischen Garten“, beiläufig gesagt, die einzige wissenschaftliche Zeitschrift, welche von der Verwaltung eines deutschen Thiergartens herausgegeben wird. Ich bekenne auch an dieser Stelle meinen Irrthum und nehme jene Aeußerung hiermit zurück. Besagter Affe ist gewiß kein Gorilla, ebenso sicher aber auch kein Schimpanse, also jedenfalls eine neue, beziehentlich durch die bisher veröffentlichten Beschreibungen noch nicht genügend bekannt gewordene Art. Am meisten scheint er mit dem von Franquet und Duvernoy aufgestellten Tschego übereinzustimmen, und nehme ich deshalb keinen Anstand, ihn vorläufig mit diesem Namen zu bezeichnen. Irre ich mich wiederum, so ist es kein Unglück: es genügt mir, die Aufmerksamkeit auf das Thier gelenkt und auch meinerseits zu ferneren Untersuchungen Veranlassung gegeben zu haben. Zur genaueren Beschreibung will ich mich derselben Worte bedienen, welche ich in der vollständig umgearbeiteten, demnächst (im Verlage des Bibliographischen Instituts zu Leipzig) erscheinenden zweiten Auflage meines „Thierlebens“ gebraucht habe.

Der Tschego (Anthropopithecus Tschego), welchem ich, falls meine Deutung der ursprünglichen Beschreibung Duvernoy’s nicht richtig sein sollte, unter Beibehaltung des landesüblichen den wissenschaftlichen Namen Anthropopithecus angustimanus verleihen würde, ist, wie uns das höchstens fünfjährige Weibchen des Dresdener Thiergartens bekundete, bedeutend größer als der Schimpanse und vielleicht nur wenig kleiner als der Gorilla. Schon das in Rede stehende, noch sehr junge Thier hatte etwa die Größe eines sechs- bis siebenjährigen Menschenkindes erlangt: seine Höhe betrug 110 Centimeter, die Rückenlänge 53 Centimeter, die Länge des Armes von der Schulter bis zur Handwurzel 15,5, die der Hand bis zur Spitze des Mittelfingers 26 Centimeter. Der verhältnißmäßig, namentlich im Vergleiche zu dem des Schimpanse, kleine Kopf sitzt auf kurzem Halse zwischen sehr breiten Schultern, welche so hoch gezogen sind, daß die wegen der nackten Kehle leicht erkennbaren Schlüsselbeine in ihrer Richtung der senkrechten sehr nahe kommen. Der Leib ist schlank, nach den Hüften zu bedeutend verschmächtigt, der Brustkorb ebenmäßig gerundet, nicht aber, wie bei dem Gorilla und Schimpanse, von vorn nach hinten zusammengedrückt, der Bauch eingezogen, wenigstens nicht vorgewölbt, der Leib überhaupt durchaus anders, weil verhältnißmäßig länger, in der Schultergegend viel breiter, in der Hüftengegend weit schmächtiger als der des Schimpanse.

Die vergleichsweise langen Arme sind sehr kräftig, die Hände ungemein schlank und schmal, verglichen mit einer großen Manneshand nur so breit wie jene ohne den letzten Finger. Der weit zurückstehende Daumen ist lang, aber merklich schwächer als die übrigen, unter sich ziemlich gleichmäßig entwickelten, kräftigen, jedoch nicht dicken, wie bei Mensch und Schimpanse nur durch kurze, nicht weit vorragende Bindehäute vereinigten Finger, unter denen die beiden mittelsten durch ihre Stärke hervortreten. Die Nägel ähneln bis auf den etwas mehr gewölbten des Kleinfingers denen der Menschenhand, sind aber ebenfalls kleiner, als hier; die kräftigen Beine scheinen verhältnißmäßig länger zu sein als bei irgend einem bekannten Menschenaffen; die wohlgestalteten Füße, welche schwache Knöchel, aber ziemlich entwickelte Fersen zeigen, sind sehr gestreckt; die mittleren Zehen fast bis zum Ursprunge des ersten Gelenkes frei, von der langen und starken Daumenzehe weit getrennt. Am Kopfe, welcher sich außer durch seine geringe Größe auch durch Schmalheit auszeichnet, fallen namentlich die sehr stark vortretenden, mit dicker, runzeliger Haut überdeckten Augenbrauenwülste und die ziemlich großen, abstehenden, ein kleines Läppchen tragenden Ohren auf. Erstere verleihen, weil sie die kleinen, lebhaften, braunen, rundsternigen, von vielen Falten umgebenen Augen zurücktreten lassen, dem Gesichte einen Ausdruck eigenthümlicher Wildheit; letztere ähneln denen des Schimpanse, weichen also weiter von denen des Menschen ab, als die des Gorilla. Die Nase ist sehr flach gedrückt, der Nasenrücken kurz, in der Mitte durch eine tiefe Längsfurche getheilt, die Nasenspitze flach gerundet, die Nasenscheidewand beträchtlich vorgezogen, jeder Nasenflügel wulstig verdickt, wodurch die erwähnte Wildheit des Gesichtsausdruckes sich steigert.

Von der Nasenwurzel bis zum Rande der Oberlippe bildet der Umriß des Gesichts eine fast gerade Linie und an den Lippen mit dem merklich zurücktretenden Kinne einen stumpfen Winkel. Die wie das Gesicht vielfach gefalteten, sehr dünnen, weit gespaltenen Lippen sind überaus beweglich und lassen sich noch bedeutend weiter vorstrecken, als die des Schimpanse. Zwischen den breiten, aber flachen Backen und dem Maule tieft sich eine Grube ein; eine andere befindet sich am hinteren Mundwinkel. Gesicht und der größte Theil des Vorderkopfes überhaupt, Ohrgegend, Kinn und Kehle, ein schmaler Hof um die Brustwarzen, Handteller und Fußsohlen, Finger und Zehen sowie die Mitte des Gesäßes sind nackt, oder doch nur sehr spärlich behaart, auch die Innenseite der Glieder, Brust, Bauch und Hinterrücken dürftig oder dünn bekleidet. Die im Allgemeinen dunkellederbraun gefärbte Haut geht in der Gesichtsmitte zwischen Augen, Jochbogen und Lippen in ein tiefes Schwarz über, welches auch auf den Brauenbogen noch zur Geltung gelangt, hier jedoch nicht das sammtige Gepräge zeigt, wie im Gesichte. Finger und Zehen, Handteller und Fußsohlen sehen blaugrau aus. Die Behaarung entwickelt sich im Gesichte zu einem an den Schläfenleisten beginnenden, über die hintere Wangengegend verlaufenden, die vordere Kehlgegend bekleidenden schmalen Backenbart, bildet auf der Mitte des Scheitels einen nach hinten sich verstärkenden Längsstreifen, verlängert sich sodann auf Hinterkopf und Nacken, Oberrücken und Schulter ein wenig, richtet sich im Allgemeinen von vorn nach hinten oder von oben nach unten, auf dem Unterarme jedoch umgekehrt von der Handwurzel nach dem Ellenbogen, am Oberschenkel nach der Vorderseite, ist vollkommen schlicht, glatt, glänzend und mit alleiniger Ausnahme einiger graulichen Härchen am Kinne und einiger weißlichen am Gesäße schwarz gefärbt, besitzt aber einen schwachen blauen Schimmer und spielt daher etwas in letztere Farbe.

Unser Menschenaffe stammt von der Loangoküste und zwar aus Majumba oder Mayumba und ist wahrscheinlich dasselbe Thier, welches schon der am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts an der Loangoküste thätig gewesene Battel unter dem Namen „Ensego“ erwähnt, vielleicht auch mit Du Chaillu’s „Kulukamba“ gleichartig. Der schon Plinius unter dem Namen „Satyr“ bekannte Orang-Utan (Simia Satyrus) unterscheidet sich von allen afrikanischen Menschenaffen durch die verhältnißmäßig bedeutend längeren Arme, welche bis zu den Knöcheln der Füße [48] herabreichen, sowie den kegel- oder pyramidenförmig zugespitzten Kopf mit weit vorstehender Schnauze. Die Höhe des erwachsenen Orang-Utan beträgt bis 1,4 Meter, die Klafterbreite der Arme jedoch 2,4 Meter. Der Leib ist plump gebaut; der Bauch tritt stark hervor; der kurze Hals trägt vorn eine kropfartige Erweiterung, weil das Thier einen Kehlsack besitzt, welcher aufgeblasen werden kann. An den langen Gliedmaßen sitzen auch lange Hände und Füße, Finger und Zehen; die Daumenzehen tragen nicht immer platte, sondern oft krallenartig gewölbte Nägel. Das Gesicht ist häßlich, die Nase gänzlich flach gedrückt, die Nasenscheidewand weit über die Nasenflügel hinaus verlängert; die Lippen sind unschön, weil nicht allein gerunzelt, sondern auch etwas aufgeschwollen und aufgetrieben, Augen und Ohren klein, aber denen des Menschen ähnlich gebildet. In dem furchtbaren Gebisse treten die Eckzähne stark hervor und vermehren noch das Schnauzenhafte des Kinntheiles, welcher, des den Oberkiefer an Länge übertreffenden Unterkiefers halber, ohnehin weit vorgeschoben ist. Die Behaarung entwickelt sich im Gesichte bartähnlich und bildet zu beiden Seiten einen reichen Behang, deckt aber nur spärlich den Rücken und bekleidet dünn die Brust. Der Strich richtet sich auf dem Schädel, an dem Kinne und dem Unterarme nach aufwärts, übrigens abwärts; ihre Färbung ist ein dunkles Rost- oder Braunroth, welches auf Rücken und Schultern düsterer, am Bauche aber heller wird. Gesicht und Handflächen, Brust und Oberseite der Finger sind nackt und bläulich oder schiefergrau gefärbt. Alte Männchen unterscheiden sich von dem Weibchen durch bedeutendere Größe, dickeres und längeres Haar, reichlicheren Bart und eigenthümliche Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche sich halbmondförmig von den Augen nach den Ohren hin und zum Unterkiefer herabziehen und das Gesicht auffallend verhäßlichen. Junge Thiere sind bartlos, jedoch nicht minder unschön als die Alten.

Das Verbreitungsgebiet des Orang-Utan beschränkt sich auf die Sundainseln Sumatra und Borneo.

Soviel zur äußerlichen Kennzeichnung unserer Thiere, deren Leben und Sein, Wesen und Treiben, deren Kampf um das Dasein und deren Verhältniß zu dem Menschen die nächsten Abschnitte behandeln werden.

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II. Häusliches und geselliges Leben.


Unsere Kunde von den Menschenaffen ist fast in jeder Beziehung dürftig und lückenhaft, zumal soweit es sich um das Freileben der betreffenden Thiere handelt. Von Hanno und Plinius an sind Jahrtausende vergangen, bevor wir wieder etwas vernommen haben über die „wilden Menschen“, mit denen die Karthager zusammen trafen, oder über die „Satyrn“, welche uns Plinius schildert als „sehr bösartige Thiere mit einem Menschengesicht, welche auf den indischen Bergen leben, bald aufrecht, bald

[161] 

Schimpanse.
Eine Studie nach der Natur von G. Mützel.

[162] auf allen Vieren gehen und wegen ihrer Schnelligkeit nur dann gefangen werden können, wenn sie alt oder krank geworden sind.“

Erst um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts verlautet wiederum etwas über diese Thiere und zwar zunächst über den Orang-Utan. Der naturkundige Arzt Bontius berichtet aus eigener Anschauung. Er hat, wie er erzählt, diese „Waldmenschen“ einige Male gesehen. Sie gingen aufrecht und geberdeten sich ganz wie andere Menschen. Namentlich ein Weibchen benahm sich bewunderungswürdig, schämte sich, wenn es von unbekannten Leuten betrachtet wurde, bedeckte Gesicht und Blöße mit den Händen, seufzte, vergoß Thränen und übte überhaupt alle menschlichen Handlungen aus, so daß man wohl behaupten durfte, nur die Sprache habe ihm gefehlt, um ein Mensch zu sein. Es unterliege auch keinem Zweifel, daß die Waldmenschen wohl reden könnten, wenn sie wollten, es aber aus dem Grunde nicht thäten, weil sie befürchteten, zur Arbeit herangezogen zu werden. Daß sie aus einer Vermischung von Affen und indianischen Weibern herstammten, sei ganz sicher. Schouten, welcher später schreibt als Bontius, bereichert diese Angaben durch einige Entführungsgeschichten, in denen die Waldmenschen die Rolle des angreifenden, malaiische Mädchen die des leidenden Theiles spielen. Nach Angabe fast aller Berichterstatter geht der Orang-Utan stets auf den Hinterbeinen, und nur einer meint, daß er auch im Stande wäre, auf allen Vieren zu laufen.

Abgesehen von Pyrard, welcher Anfangs des siebenzehnten Jahrhunderts eine kurze Mittheilung über Schimpansen giebt, erhalten wir über die „wilden Menschen“ Hanno’s erst um hundert Jahre später eingehendere Nachrichten. Andreas Battell erzählt von den furchtbaren Waldungen der Loangoküste, welche so überfüllt sind von Pavianen, Meerkatzen, Affen und Papageien, daß Jedermann sich fürchtet, in denselben zu reisen. Namentlich zwei Ungeheuer machen den Wald im höchsten Grade unsicher: das eine dieser Scheusale heißt „Pongo“, das kleinere „Ensego“. Der Pongo hat den Gliederbau eines Menschen, ähnelt aber eher einem Riesen; sein Gesicht gleicht zwar dem eines Mannes, aber hohlliegende, von langen Brauenhaaren überdeckte Augen geben ihm einen furchtbaren Ausdruck. Der ganze Leib ist mit düsterfarbigen Haaren bekleidet, und nur durch diese und die wadenlosen Füße unterscheidet er sich vom Menschen. Stets geht er auf seinen Füßen, hält sich aber dabei mit Hülfe der im Nacken zusammengeklammerten Hände im Gleichgewichte. Seine Nahrung besteht aus Waldfrüchten; denn Fleisch ißt er niemals. Sprechen kann er nicht, und sein Verständniß ist nicht größer als das eines Viehes. Oft vereinigen die Pongos sich zu Gesellschaften, und diese tödten manchen Neger im Walde, können überhaupt nur durch vergiftete Pfeile erlegt werden. Hierauf folgt die späterhin in alle Kinderbücher übergegangene Geschichte von der Freude, welche diese Thiere beim Anblicke eines von Menschen angezündeten Feuers empfinden, wie sie sich um dasselbe scharen und sich wärmen, sich dabei höchst behaglich fühlen, aber aus Unverstand vergessen, Holz nachzulegen und dann jämmerlich aufschreien, wenn das Feuer ausgeht. Unser Berichterstatter meint offenbar den Gorilla.

Von der vorher angegebenen Zeit an wird die Naturgeschichte des Orang-Utan in rascher Folge durch mehr oder minder ausführliche Berichte gefördert; bis zum Jahre 1847 aber dauert es, bevor wir über die afrikanischen Menschenaffen weitere und eingehendere Mittheilungen erhalten. Die Berichte einzelner Beobachter sind jedoch noch nicht genügend bestätigt, die Erzählungen anderer noch nicht hinlänglich von übernommenen und selbsterfundenen Fabeln geklärt: es läßt sich daher noch immer nicht ein Lebensbild zeichnen, von dem man sagen könnte, daß jeder Strich an die rechte Stelle gesetzt, jeder Zug entsprechend ausgedrückt wäre. Wir wissen etwa Folgendes:

Alle Menschenaffen sind Waldbewohner und finden sich innerhalb ihres Verbreitungsgebietes um so regelmäßiger und häufiger, je mehr der Wald dem allgemein verständlichen Begriffe des Urwaldes entspricht. Obwohl vom Gorilla wie vom Schimpanse, Battell’s Angaben bestätigend, gesagt wird, daß Beide sehr viel auf dem Boden sich bewegen, dürfen wir sie doch zu den Baumaffen im eigentlichen Sinne des Wortes rechnen, mindestens nicht zweifeln, daß der größere Theil ihres Lebens in den Kronen dichtbelaubter Bäume verläuft. Vom Inneren ihrer Urwaldungen aus unternehmen sie allerdings Wanderungen und bequemen sich, kürzere oder längere Strecken auf dem Boden zurückzulegen; so lange ihnen aber die Möglichkeit geboten ist, von einem Zweige zum anderen überzugehen, kommen sie selten freiwillig auf den Boden herab. Maßgebend oder bestimmend für mehr oder minder strenges Baumleben ist die Länge ihrer Arme, d. h. diejenigen, welche mit den längsten Armen ausgerüstet sind, verlassen die Bäume am seltensten, diejenigen, welche die verhältnißmäßig kürzesten Arme haben, am häufigsten. Ihre Bewegungen unterscheiden sich wesentlich von denen der Ordnungsverwandten, und man darf, ohne zuviel zu sagen, behaupten, daß sie denen des Menschen mehr ähneln als jenen. Namentlich wenn sie klettern, lassen sie sich nur mit dem Menschen, nicht aber mit anderen Affen vergleichen. Hunds-, Neuwelts- und Krallenaffen klettern laufend und springend, d. h. indem sie beim Abgehen längerer Aeste in wechselseitiger Folge ein Bein um das andere bewegen und mit mehr oder minder mächtigen Sätzen von einem Aste auf den in’s Auge gefaßten springen, dabei oft Entfernungen bis zu zehn Meter wie ein fliegender Vogel oder fallender Körper durchmessen; die Menschenaffen hingegen klettern turnend, übertragen ihren Vordergliedern den größten Theil der Arbeit und gebrauchen die hinteren in der Regel als Stütze, obwohl sie recht gut im Stande sind, mit ihren eingebogenen Oberschenkeln oder selbst mit ihren Zehen kopfunterst an einem Aste sich aufzuhängen und die nun frei gewordenen Arme und Hände nach Belieben zu benutzen.

Ausgedehnte, gleichmäßig hohe Urwälder sind für das Wohlbefinden der Menschenaffen Bedingung. „Solche Wälder,“ sagt Wallace, „bilden für den Orang-Utan ein offenes Land, in welchem er sich nach jeder Richtung hin und zwar mit derselben Leichtigkeit bewegen kann, wie ein Indianer durch die Steppe oder ein Araber durch die Wüste zieht. Er geht hier von einem Baumwipfel zum anderen, ohne jemals auf den Boden herabzusteigen, würde auch in mehr gelichteten Gegenden, in denen nur Gras oder niedriges Dickicht wächst, weit größere Gefahren auszustehen haben als in seiner luftigen Höhe. Es ist ein seltsamer und fesselnder Anblick, einen Orang-Utan gemächlich seinen Weg durch den Wald nehmen zu sehen. Umsichtig läuft er einen der stärkeren Aeste entlang, halb aufrecht sich haltend, weil ihn hierzu die bedeutende Länge seiner Arme und die verhältnißmäßige Kürze der dünnen Beine nöthigen und er wie seine Verwandten mit den Knöcheln der Finger, nicht mit der Handsohle sich stützt. Stets scheint er solche Bäume zu wählen, deren Aeste mit denen des nächststehenden verflochten sind, streckt, wenn er nahe ist, seine langen Arme aus, faßt die betreffenden Zweige mit beiden Händen, scheint ihre Stärke zu prüfen und schwingt sich dann bedächtig hinüber auf den nächsten Ast, auf welchem er wie vorher weiter geht. Nie hüpft oder springt er, niemals scheint er auch nur zu eilen, und doch kommt er fast ebenso schnell vorwärts, wie Jemand unter ihm durch den Wald laufen kann. Seine langen und mächtigen Arme befähigen ihn, mit Leichtigkeit die höchsten Bäume zu erklimmen, Früchte und junge Blätter von dünnen Zweigen, welche sein Gewicht nicht aushalten würden, zu pflücken und Blätter und Aeste zu sammeln, um ein Nest zu bauen.

Ganz in ähnlicher Weise klettern auch wohl die afrikanischen Menschenaffen, Schimpanse und Tschego bestimmt so, wie wir dies an gefangenen wahrnehmen konnten. Daß der Schimpanse ebenfalls den größten Theil seines Lebens auf Bäumen zubringt, berichtet Savage und, übereinstimmend mit ihm, unser trefflicher Schweinfurth. Malerisch schildert er in seinem ausgezeichneten Werke: „Im Herzen Afrikas“, die Waldungen des wirklich im Herzen Afrikas gelegenen Niamniamlandes, welche der Italiener Galerienwaldungen genannt hat. Bäume mit gewaltigen Stämmen und von einer Höhe, welche alles bisher im Gebiete des Nil Gesehene, die Palmen Aegyptens kaum ausgeschlossen, weit in den Schatten stellen, bilden dichtgedrängte, lückenlose Reihen, in deren Schutze sich minder überwältigende im wirrsten Gemenge stufenweise abgliedern. Im Inneren dieser Uferwälder gewahrt man Säulengänge, ägyptischen Tempelhallen ebenbürtig, in besonders tiefen Schatten gehüllt und von aufeinander gelagerten Laubdecken oft dreifach überwölbt. Von außen betrachtet, erscheint Alles wie eine undurchdringliche Wand des dichtesten Blattwerkes, im Innern öffnen sich dagegen überall Laubengänge unter Säulenhallen, [163] voll murmelnder Quellen und Wasseradern. Die durchschnittliche Höhe des obersten Laubdaches beträgt fünfundzwanzig bis dreißig Meter und scheint nirgends unter zwanzig Meter herabzusinken. Mächtige Gewächsformen, welche unsere ältesten Baumriesen an Gewaltigkeit des Stammes weit übertreffen, erheben sich über alle anderen; großblättrige Baumgestalten treten dazwischen; sperrig verzweigte Sträucher, deren zum Theil riesiges Laub die Düsterheit des Kronendunkels vermehrt, verdecken dem Auge fast die höheren Wipfel, und undurchdringliche Staudenmassen füllen die übriggebliebenen Lücken in diesem großartigen Laubgewölbe. Endlos gefiederte Wedel wunderbarer und riesig entwickelter Farne scheinen gleich leichten Schleiern über die unendlichen Schätze in diesem großen Füllhorn der Natur geworfen zu sein und verleihen dem Ganzen einen bezaubernden Wechsel greller Gegensätze. Unzählige Schlingpflanzen verketten und verschlingen Bäume und Zweige dieser über alle Beschreibung prachtvollen, paradiesischen Wälder. Die Luft, welche man einathmet, ist die eines Treibhauses; denn bei einer Wärme von zwanzig bis fünfundzwanzig Grad herrscht hier eine beständig dumpfe Feuchtigkeit, von dem Hauche des Lebens selbst erzeugt, welcher zu entweichen man nicht vermag. Diese Waldungen sind es, welche eine bevorzugte Heimstätte des Schimpanse bilden, und in ihnen kommt er ebenso wenig wie der Orang-Utan zum Boden herab: sie bevorzugt er vor allen übrigen des uns bis jetzt bekannten Nilgebietes, unzweifelhaft einzig und allein aus dem Grunde, weil sie ihm ein fast ausschließliches Baum- und Kletterleben ermöglichen.

Auf dem Boden sind die Menschenaffen zwar nicht fremd, bewegen sich hier auch keineswegs plump, täppisch und langsam, aber doch nicht entfernt so geschickt und bei weitem weniger ausdrucksvoll und selbstbewußt als im Gezweige. Allerdings können sie sich zu ihrer vollen Höhe erheben und aufgerichtet auf beiden Füßen allein eine Strecke gehen, thun dies jedoch immer nur ausnahmsweise. Falls die uns bis jetzt gewordenen Berichte wahr sind – und unsere durch sorgfältige Zergliederung gewonnene Kenntniß des Leibesbaues dieses Riesenaffen scheint jene Berichte zu bestätigen – geht der Gorilla am leichtesten aufrecht. Unter den drei übrigen, welche ich sämmtlich wenigstens als gefangene Thiere habe beobachten können, ist der Tschego der beste, der Orang-Utan, wie seine langen Arme vermuthen lassen, der schwerfälligste Fußgänger. Dem Tschego genügt es, zur Erhaltung des Gleichgewichts beim aufrechten Gehen die Arme zu kreuzen; der Schimpanse muß schon die im Armgelenke abgebogenen Hände seitlich vom Kopfe ab und nach oben wenden, um das Gleichgewicht herzustellen; der Orang-Utan geht, ungereizt, blos dann aufrecht, wenn er sich mit den Händen an höheren Zweigen festhalten kann, gebraucht dann aber niemals einen Stock, wie viele Abbildungen uns glauben machen wollen. Beim Durchmessen weiterer Strecken gehen alle Menschenaffen auf Händen und Füßen, dann aber, so holperig ihr Gang auch aussieht, immerhin schneller als der Mensch. Dieses Gehen geschieht mit schiefer Richtung des Leibes, indem sich der Affe mit den Händen auf die eingeschlagenen Knöchel, mit den Füßen mehr auf die äußere Kante als auf die Sohle stützt und entweder ein Hinterbein zwischen die Vorderarme und eins außerhalb derselben setzt, oder beide Hinterbeine zwischen den Vorderarmen durchschiebt. Je länger seine Arme sind, um so mehr richtet sich der Vorderleib auf, um so wackeliger und schwankender aber wird auch der Gang. Ungeschickt bleibt er immer.

[195] Abweichend von fast allen Ordnungsverwandten sind die Menschenaffen wenig gesellig. Ausnahmsweise nur begegnet man einmal einer starken Gesellschaft, solche hat sich aber, wie behauptet wird, immer blos dann zusammengefunden, wenn irgend eine günstige Gelegenheit, beispielsweise ein der Fruchternte entgegenreifender Baum, die Vereinigung vieler veranlaßte. Wie unter Menschenkindern geschieht es dann, daß die jungen Affen, während die alten ernsterer Beschäftigung sich widmen, gegenseitig Bekanntschaften anknüpfen und munter und lustig mit einander spielen, niemals aber läßt sich unter einer solchen Heerde ein ebenso inniges Verbandsverhältniß wahrnehmen wie unter anderen Affen, welche, streng geschlossen, unter der Leitung eines in allen Lagen des Lebens geprüften, erfahrenen, weisheitsvollen Männchens ihre Geschäfte betreiben, wochen-, monate-, vielleicht jahrelang fest zusammenhalten und unter Umständen gemeinschaftlich eintreten für das Wohl der Gesammtheit oder zu Gunsten des Einzelnen. Der Menschenaffe erinnert in dieser Beziehung mehr als an die übrigen Affen an den ungesitteten, noch in seiner ursprünglichen Rohheit verharrenden Wilden, welcher ein paarweises Zusammenhalten dem Verbandsleben vorzieht. Wie unter Säugethieren die Regel, leben die alten Männchen der Menschenaffen wahrscheinlich einsam, alten, mürrischen Junggesellen vergleichbar, welche ebenfalls vorgeben, den Freuden der Welt entsagt zu haben. Gesellen sich einzelne, so sind es Weibchen mit ihren Jungen, welche vielleicht von einem Männchen geführt werden. Daß zwei alte Männchen gelegentlich mit Wuth und Ingrimm um die Weibchen kämpfen, und daß unter Umständen dabei einer den andern tödtet, scheint durch glaubwürdige Beobachtungen erwiesen zu sein: die Angabe würde übrigens auch kaum zum Zweifeln herausfordern können, da sie ja mit dem, was wir an anderen Thieren und selbst an dem hochstehenden Menschen beobachten, durchaus übereinstimmt.

Wie alle übrigen Affen und ebenso die wilden Menschen haben unsere Thiere keinen bestimmten Aufenthaltsort, sondern schweifen von einer Oertlichkeit zur anderen. Finden sie an einer Stelle Lieblingsnahrung in Menge, fruchttragende Bäume, erntereife Felder oder Pflanzungen z. B., so verweilen sie wohl auch tagelang an einer und derselben Oertlichkeit; wird die Nahrung knapp, so machen sie sich auf den Weg und ziehen weiter. Am Morgen gehen sie auf Nahrung aus; Mittags ruhen sie, und die Nacht verbringen sie auf einen bestimmten Lager. Der Orang-Utan verläßt letzteres erst, wenn die Sonne schon ziemlich hoch steht und den Thau auf den Blättern getrocknet hat; er frißt daher in den mittleren Stunden des Tages.

Falls die vorliegenden Berichte als erschöpfend betrachtet werden dürfen, besteht die Nahrung der Menschenaffen in Fruchtstoffen: Knospen, Blättern, Gras, Kraut, Sämereien und Getreide, zumal aber in Früchten. Nach Reade liebt der Gorilla eine in kleinen Büschen wachsende Grasart so, daß man seine Anwesenheit da, wo dieses Gras vorhanden ist, fast mit Sicherheit annehmen darf, nach Savage nährt sich der Schimpanse wahrscheinlich mit denselben Pflanzenstoffen, welche der Gorilla frißt: mit Früchten, Nüssen, Blatt- und Blüthenschößlingen, vielleicht auch mit Wurzeln und dergleichen; nach Wallace verzehrt der Orang-Utan mit Vorliebe Obst, und in Ermangelung desselben Blätterknospen und junge Schößlinge, zieht, wie es scheint, unreife Früchte den reifen vor, ißt auch sehr saure und stark bittere, genießt zuweilen nur den kleinen Samen einer großen Frucht und zerstört dann weit mehr, als er bedarf, bevorzugt aber vor Allem die köstliche Durian, eine ausgezeichnete, fast kopfgroße, mit furchtbaren Stacheln bewehrte, für den Menschen nur mit Hülfe eines starken Messers theilbare Frucht, deren fünf Zellen mit einem rosenfarbenen, äußerst wohlschmeckenden Brei und einigen Samenkörnern angefüllt sind. Nur der letztgenannte Menschenaffe scheint die Pflanzungen des Menschen nicht zu besuchen. Alle übrigen fallen bei passender Gelegenheit raubend und plündernd in sie ein und richten dann oft großen Schaden an, werden auch aus dem Grunde besonders lästig, weil sie dem sie angreifenden Menschen häufig als grimmige und gefährliche Gegner sich stellen.

Bei allen Raubzügen, welche Menschenaffen unternehmen, bei dem Erwerbe ihrer Nahrung überhaupt, in ihrem Auftreten dem Menschen und anderen Thieren gegenüber, in ihren Sitten und Gewohnheiten, ihrem Wesen und Gebaren, mit einem Worte in jeder ihrer Handlungen bekunden sie einen außerordentlich hohen Verstand, nämlich ebenso viel Ueberlegung wie List und Schlauheit, ein vortreffliches Gedächtniß, eine überraschende Fähigkeit, von Einem auf Anderes zu schließen etc. Ich glaube jedoch die Schilderung des geistigen Wesens der Affenmenschen besser für den letzten Abschnitt aufsparen zu dürfen, weil gefangene Menschenaffen ungleich mehr Gelegenheit zu diesbezüglichen Beobachtungen geben, als die freilebenden. Von diesen mag jetzt noch das Eine erwähnt sein, daß sie sich Nester errichten, welche als der erste Entwurf oder erste Gedanke einer Hütte im menschlichen Sinne angesehen werden müssen, also, streng genommen, nicht mit den Nestern anderer Thiere verglichen werden dürfen, weil sie, wie es scheint, nicht allein als Lager, sondern mehr noch als Schatten- oder Regendächer dienen. Einen Schutz gegen Regen oder Sonnenstrahlen schafft sich aber nur der Affe, kein anderes Thier. Diese sogenannten Nester sind nichts weniger als ordentliche Bauten; die Zweige werden abgebrochen oder geknickt und kreuz und quer über einander geschichtet. Ein von Wallace angeschossener Orang-Utan kletterte zur Spitze des Baumwipfels empor, begann ringsum Zweige abzubrechen, griff außerordentlich schnell mit seinem unverwundeten Arme nach jeder Richtung hin, brach mit der größten Leichtigkeit starke Aeste ab und legte sie rückwärts quer über einander, sodaß er in wenigen Minuten eine geschlossene Masse von Laubwerk um sich gebildet hatte, welche ihn den Blicken gänzlich entzog. Nach Versicherung der Dajaks soll sich derselbe Affe bei Regenwetter mit Blättern bedecken.

Ueber die Fortpflanzung der Menschenaffen sind wir noch nicht genügend unterrichtet und wissen eigentlich nur so viel, daß das Weibchen ein Junges, in seltenen Fällen Zwillinge zur Welt bringt, besagtes Junge auf oder in den Armen trägt, dasselbe außerordentlich liebt und seinetwegen ohne Bedenken und Zögern ersichtlicher Todesgefahr entgegentritt. Das Junge wächst unter so treuer Pflege annähernd mit derselben Schnelligkeit heran wie ein Menschenkind, wechselt etwa zwischen dem fünften und sechsten Jahre die Schneidezähne und vollendet sein Wachsthum ungefähr in derselben Zeit wie der Mensch. Wie lange das Leben eines solchen Affen währt, wissen wir noch nicht, dürfen aber dreist annehmen, daß es dem des Menschen annähernd gleichkommt.

Die alten Geschichten von Liebesverhältnissen zwischen Menschenaffen und Malaiinnen oder Negerinnen werden heutigen Tages noch überall ziemlich übereinstimmend erzählt, stoßen auch kaum auf Widerspruch bei demjenigen, welcher größere Affen [196] kennt, welcher erfahren hat, wie genau sie Männer und Frauen unterscheiden, wie bestimmt sie ihre Zuneigung zum anderen Geschlechte bekunden, wie männliche Affen Frauen entschieden Männern, weibliche dagegen Männer den Frauen vorziehen. Auch die noch in neuester Zeit wiederholten Angaben, daß die Menschenaffen, wenn sie können, Kinder stehlen, mit ihnen in den Armen einen Baum erklettern, sich mit der Betrachtung des jungen Menschenvetters vergnügen, durch ihnen vorgehaltene Leckerbissen sich aber wieder vom Baume herablocken lassen und dann das Kind hier niederlegen, halte ich nach den von mir an anderen Affen gemachten Beobachtungen für glaublich. Anders verhält es sich mit den Geschichten, welche über grimmige Zweikämpfe zwischen Eingeborenen wie Weißen und Menschenaffen gegeben werden. Daß ein Gorilla im Stande ist, einen Menschen zu tödten, wird Niemand bezweifeln, welcher die ungeheuere Stärke, erstaunliche Gewandtheit und grenzenlose Wuth eines erregten Affen überhaupt kennen gelernt hat; daß selbst der verhältnißmäßig harmlose Schimpanse oder der furchtsame Orang-Utan, angegriffen, sich ihrer Haut wehren und im Zweikampfe mit dem Menschen letzterem sehr ernsthafte Verwundungen beibringen können, geht aus übereinstimmenden Berichten gewissenhafter Beobachter zur Genüge hervor; daß jedoch irgend ein Menschenaffe, und namentlich der Gorilla, aus angeborener teuflischer Böswilligkeit beim Anblicke eines Menschen unter allen Umständen zum angreifenden Theile werden sollte, wie Du Chaillu, Ford und Savage behaupten, muß nach Reade verneint werden.

Alle die in grellen Farben aufgetragenen Erzählungen Du Chaillu’s über seine und Anderer Kämpfe mit dem Gorilla, welche gerade ihrer Schauerlichkeit halber in die verschiedensten Blätter übergegangen und dadurch in weiten Kreisen bekannt geworden sind, erledigen sich wohl am besten durch die auf fast unantastbare Gründe sich stützende Behauptung Reade’s, daß Du Chaillu niemals einen Gorilla erlegt hat. „Laßt ihn allein, so läßt er Euch auch allein,“ sagten die von dem letztgenannten Forscher befragten Jäger, unter denen er keinen einzigen fand, welcher erzählen konnte, daß seit Menschengedenken ein Mann von einem Gorilla wirklich umgebracht worden wäre. Und unter diesen Jägern befand sich einer, welcher einst mit einem Gorilla gekämpft, von ihm verwundet worden war und eine gänzlich verkrüppelte Hand davongetragen hatte. Der Leopard gilt allgemein für ein gefährlicheres Thier als der Gorilla.

Alle Menschenaffen, mit denen wir engeren Verkehr pflegen und in ein näheres Verhältniß treten können, sind als Säuglinge eingefangen und mehr oder minder mühselig aufgezogen worden. Alte Thiere werden nirgends gefangen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil weder die Neger, noch die Bewohner der früher genannten Sundainseln Mittel besitzen, sich der Thiere zu bemächtigen. Selbst die Niamniam, welche die Jagd auf Schimpansen in höchst eigenthümlicher Weise betreiben, machen hiervon keine Ausnahme. Wie diese gewandten und fleischgierigen Jäger unserem trefflichen Schweinfurth mittheilten, gehören zur Jagd auf den Schimpanse zwanzig bis dreißig entschlossene Männer, denen die heikle Aufgabe zufällt, in den verschiedenen Laubschichten, welche die Wälder über Wäldern aufbauenden Bäume darstellen, mit den Menschenaffen um die Wette umherzuklettern und dabei die gewandten und kräftigen Thiere in Fangnetze zu locken, in denen sie sich verwickeln, ohne wie sonst im Stande zu sein, kräftigen Widerstand zu leisten. Trotzdem wagt man es nicht, sie zu fesseln, sondern bringt sie einfach mit Lanzenwürfen vom Leben zum Tode.

Wer gleich mir den Ingrimm und die außerordentliche Stärke größerer Affen aus eigener schlimmer Erfahrung kennen gelernt hat, begreift dies vollständig. Alle in die Enge getriebenen Menschenaffen wehren sich verzweifelt, gebrauchen ihr furchtbares Gebiß in gefährlicher Weise, sollen sich sogar zur Abwehr des ihrem Angreifer entrissenen Speers bedienen und wüthend um sich schlagen. Die überraschende Gewandtheit der Thiere, die Schnelligkeit und Behendigkeit ihrer Angriffe wird vielleicht von kaum einem Raubthiere überboten, vielleicht noch nicht einmal erreicht. Der Besitz der kräftigen, gebrauchsfähigen, klammernden Hand verleiht ihnen außerdem Vortheile, welche kein anderer thierischer Gegner des Menschen im Kampfe mit diesem zur Geltung zu bringen vermag. Meine Ansicht stützt sich auf eine lange Reihe von Beobachtungen, welche ich an Pavianen gemacht habe. Du Chaillu’s Schilderung des angreifenden Gorilla verdient daher in dieser Beziehung Glauben. Schon Schimpansen von zwei bis drei Jahren überwältigen dreifach so alte Knaben ohne sonderliche Anstrengungen und machen selbst einem Manne zu schaffen. Ich glaube deshalb, daß man nur in seltenen Fällen ein oder zwei Jahre alte Menschenaffen einfängt, vielmehr sich einzig und allein an Säuglinge hält und dieser sich bemächtigt, indem man ihre Mutter tödtet.

Wären die Negerinnen oder Dajakinnen ebenso thierfreundlich wie die Indianerinnen Südamerikas, welche jungen Thieren mit gleicher Mutterlust die Brust reichen wie ihren eigenen Kindern und um so stolzer sind, sich um so gehobener fühlen, je mehr junge Thiere sie neben ihren eigenen Kindern nähren können, so würden wir wahrscheinlich weit kräftigere und gesündere Menschenaffen für unsere Käfige erhalten, als dies bis jetzt leider der Fall ist. In der Regel begnügt man sich, den unter die Gewalt des Menschen gelangten Affensäugling einfach mit verschiedenen Waldfrüchten oder mit der Nahrung erwachsener Menschen zu füttern, behandelt ihn nebenbei, nach Negerart, so gleichgültig als möglich und bereitet so dem beklagenswerthen, der Mutterpflege noch höchst bedürftigen Affenkinde ein jammervolles Schicksal. Wie dankbar es später jede ihm erwiesene Zärtlichkeit anerkennt, mit welcher Zuneigung und Hingabe es an einem auf seine Wünsche eingehenden Pfleger hängt, beweisen uns alle verständnißvoll gepflegten Menschenaffen zur Genüge; wie bald es sich nach Kinderart über den Verlust der Mutter tröstet, an das ihm fremde Wesen sich anschließt und in die Rolle eines verhätschelten Lieblings sich einspielt, beweist jeder gefangene Menschenaffe.

[282]
III.[WS 1] Gefangenleben.


Auf einer seiner Jagden von Dajaks herbeigerufen, sah der bekannte Forscher Wallace einen großen Orang-Utan auf einem Baume sitzen und erlegte ihn mit drei Schüssen. Während die Leute ihn zurüsteten, um ihn nach Hause zu tragen, bemerkte man noch ein Junges von höchstens Fußlänge, welches mit seinem Kopfe im Sumpfe lag und augenscheinlich am Halse seiner Mutter gehangen hatte, als sie vom Baume herabfiel. Glücklicher Weise schien es nicht verwundet, vielmehr sehr kräftig und lebhaft zu sein, begann auch, nachdem ihm der Mund vom Schlamme gesäubert worden war, laut zu schreien. Noch besaß es keinen einzigen Zahn, und erst einige Tage später kamen die beiden unteren Vorderzähne zum Vorscheine. Unglücklicher Weise vermochte Wallace nicht, Milch zu verschaffen, da weder Malaien, noch Chinesen, noch Dajaks dieses Nahrungsmittel verwenden,

[283] 

Orang-Utans.
Eine Studie nach der Natur von G. Mützel.

[284] und vergeblich bemühte er sich, eine thierische Amme zu gewinnen, sah sich daher genöthigt, dem Kleinen Reiswasser aus der Saugflasche zu geben. Bei so magerer Kost gedieh dieses erklärlicher Weise nicht, und wenn auch gelegentlich Zucker und Kokosmilch hinzugefügt wurde, um die Aetzung nahrhafter zu machen, fehlte doch immer die für dieses Alter unersetzliche Muttermilch. Steckte man dem jungen Orang-Utan einen Finger in den Mund, so saugte er mit größter Kraft, als glaube er durch Anstrengung etwas Milch herauszupressen, und erst nachdem er sich von der Vergeblichkeit seiner Bemühungen überzeugt hatte, unterließ er mißmuthig weitere und begann, ganz wie ein Kind unter ähnlichen Umständen, kläglich zu schreien. Liebkoste und wartete man ihn, so war er ruhig und ersichtlich zufrieden; legte man ihn weg, so schrie er laut auf.

Nach längerer Zeit gewöhnte er sich an einen ihm zur Wiege dienenden Kasten. Obwohl man denselben täglich mit neuer Unterlage versah und reinigte, wurde es doch sehr bald nöthig, auch ihn selbst zu waschen. Und diese Behandlung gefiel ihm, nachdem er dieselbe einige Male ausgehalten hatte, in so hohem Grade, daß er seinen Pfleger durch Schreien auf die Nothwendigkeit der Reinigung aufmerksam machte und sich erst befriedigte, wenn man ihn nach dem Brunnen trug. Hier strampelte er beim ersten kalten Wasserstrahle allerdings etwas, beruhigte sich aber doch sofort wieder, weil er das Abwaschen und mehr noch das Drücken, Reiben und Kämmen oder Bürsten seines Haares schätzen lernte. Wenn ihm das Haar gebürstet wurde, lag er ganz still und streckte Arme und Beine behaglich von sich.

Nach wenigen Tagen wurde in ihm kindliche Spiellust rege. Zuerst klammerte er sich mit allen Vieren an Alles, was er packen konnte, sodaß man den Bart sorgfältig vor ihm in Acht nehmen mußte, weil er sich mit den krummen Fingern fest in denselben einhäkelte, auch nicht losließ und die Hülfe eines Zweiten erforderlich machte. Bald aber beschäftigte er sich mit anderen Dingen, wirthschaftete mit den Händen in der Luft umher und versuchte irgend etwas zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Lappen mit zwei Händen oder mit diesen und einem Fuße zu erfassen, so schien er glücklich zu sein; in Ermangelung eines anderen Gegenstandes ergriff er seine eigenen Füße, und nach einiger Zeit kreuzte er fast beständig die Arme und packte mit jeder Hand das lange Haar der entgegengesetzten Schulter. Eine ihm gereichte Leiter gewährte später erwünschte Beschäftigung; doch war er durch die mangelhafte Ernährung bereits so abgeschwächt, daß er von ihr oft zum Boden herabfiel.

Da Wallace sah, daß er Haare so gern hatte, schnürte er ein Stück Büffelhaut in ein Bündel zusammen und stellte dieses seinem Pfleglinge zur Verfügung. Zuerst schien ihm diese künstliche Mutter aus dem Grunde außerordentlich zu gefallen, weil er mit seinen Beinen nach Belieben umherzappeln konnte und immer etwas Haar zum Festhalten fand, bald aber erinnerte er sich seiner verlorenen wirklichen Mutter und begann nach der Saugwarze zu suchen, bekam jedoch immer nur den Mund voll Haare, wurde verdrießlich, schrie heftig und ließ nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen gänzlich von seinem Vorhaben ab. Nach der ersten Woche fand Wallace, daß sich sein Pflegling leichter mit dem Löffel als mit der Saugflasche ernähren lasse, und man ihm dadurch mehr abwechselnde und nahrhaftere Kost reichen könne, mischte daher Zwieback mit Ei und Zucker, süßen Kartoffeln und dergleichen und freute sich an den drolligen Grimassen desselben, welche Billigung oder Mißfallen über die gereichte Nahrung ausdrückten. Im ersteren Fälle beleckte er die Lippen, zog die Backen ein und verdrehte die Augen mit dem Ausdrucke der größten Befriedigung, im letzteren drehte er den Bissen kurze Zeit mit der Zunge im Munde herum, als ob er versuchen wollte, ihm dadurch Wohlgeschmack abzugewinnen, und spie ihn, wenn er ihn nicht wohlschmeckend fand, regelmäßig wieder aus. Gab man ihm dieselbe Nahrung noch ein anderes Mal, so schrie er und schlug heftig um sich.

Als Wallace einen jungen, vielleicht kaum älteren Makaken erhielt, wurde die Hülflosigkeit des Orang-Utan besonders ersichtlich. Er benahm sich ganz wie ein kleines Menschenkind, lag hülflos auf dem Rücken, rollte sich langsam hin und her, streckte alle Viere in die Luft, in der Hoffnung etwas zu erfassen, war aber noch kaum im Stande seine Finger nach einem bestimmten Gegenstande hinzubringen, öffnete, wenn er unzufrieden war, seinen fast zahnlosen Mund und drückte seine Wünsche durch ein sehr kindliches Schreien aus; der Makak hingegen war in beständiger Bewegung, lief und sprang umher, wann und wo es ihm Vergnügen gewährte, untersuchte Alles, ergriff mit der größten Sicherheit die kleinsten Dinge, kletterte, turnte, setzte sich in Besitz von allem Eßbaren, was ihm in den Weg kam; kurz man konnte einen größeren Gegensatz sich nicht denken: der Orang-Utan erschien neben seinem Verwandten noch mehr als ein kleines Kind. Beide Affen wurden sogleich die besten Freunde und keiner fürchtete sich vor dem andern; der Makak behandelte aber den viel größeren Säugling, entsprechend der Hülflosigkeit desselben, bald mit dem allen Affen eigenen Uebermuthe, setzte sich ohne die mindeste Rücksicht auf dessen Leib, selbst auf dessen Gesicht, leckte die Speisereste von seinen Lippen und riß ihm schließlich das Maul auf, um zu sehen, ob etwas darin sei. Alles dies ertrug der Orang-Utan mit beispielloser Geduld; denn er schien froh zu sein, überhaupt etwas Warmes in seiner Nähe oder einen Gegenstand zu seiner Verfügung zu haben, um welchen er zärtlich seine Arme schlingen konnte.

Nach etwa Monatsfrist hatte er sich soweit entwickelt, daß er die ersten Bewegungsversuche anstellen konnte. Wenn er im Kasten lag, pflegte er sich am Rande gerade aufzurichten, und es gelang ihm das auch ein- oder zweimal, oft überstürzte er sich aber und kam so schwerfällig vorwärts. Weiter brachte er es überhaupt nicht; denn in den zwei Monaten, während welcher er unter der ungenügenden Pflege gelitten hatte, war er nicht im geringsten gewachsen und nur geistig etwas weiter vorgeschritten, hatte wenigstens gelernt, seine Wünsche durch rechtzeitiges Schreien kund zu geben; er beruhigte sich, wenn Niemand da war, und schrie um so ärger, wenn er Schritte eines Vorübergehenden vernahm.

Ob die übrigen Menschenaffen sich ebenso langsam entwickeln wie der Orang-Utan, weiß ich nicht, glaube es jedoch annehmen zu dürfen. In ihrem Betragen dagegen unterscheiden sich älter gewordene Schimpansen und Tschegos wesentlich von jenem. Der Orang-Utan macht unter allen Umständen den Eindruck eines schwerfälligen, traurigen Gesellen, dessen Gesicht gleichsam eine beredte Klage über die Erbärmlichkeit des irdischen Jammerthales ist. Er erscheint stets etwas gedrückt, unselbstständig, willenlos, bekundet wenig Achtsamkeit auf das, was um ihn her vorgeht, in seltenen Fälle schwache, ich möchte sagen, verschleierte Theilnahme für seine Umgebung, für Orts- und Zeitverhältnisse, und nur dann eine etwas gehobenere Stimmung, wenn es sich um das Essen handelt. Auch er liebt menschliche Gesellschaft und unterscheidet, so lange er jung ist, nur zwischen denen, welche sich am meisten mit ihm beschäftigen, und denen, welche sich nicht um ihn kümmern, nicht aber zwischen Mann und Frau oder dem Erwachsenen und dem Kinde. Leckereien sagen ihm zu; mehr als alles Uebrige aber befriedigen ihn Wärme und Bequemlichkeit: die strahlende Sonne wie der geheizte Ofen oder das Feuer im Kamin, ein Tuch oder eine Decke, welche er als Kleid um sich schlägt, ein ohne Mühe zu erreichender Sitz oder endlich ein weiches und warmes Lager. Um sich einen Sitz zu sichern, rafft er sich sogar zur Thätigkeit auf. Wenn er im Garten auf einen Baum geklettert ist und sich hier auf einem nach eigenem Behagen gewählten Aste niederläßt, ihm aber Jemand nachsteigt, schüttelt er die Aeste aus allen Kräften, um den Nachfolgenden abzuschrecken. Wenn er sich einmal an ein bestimmtes Lager gewöhnt hat, bettet er sich nie, ohne vorher das Heu des Lagers zurechtgelegt und ein besonderes Bündel für den Kopf gestaltet zu haben, deckt sich sodann sorgfältig zu und wickelt sich förmlich in die Decke, worauf er sich mit ersichtlicher Wonne dem Schlafe hingiebt. Seine geistige Befähigung scheint kaum geringer zu sein, als die eines Schimpanse, drückt sich aber durchaus verschieden aus. Was er thut, geschieht mit demselben ewig sich gleichbleibenden Ernste, mit derselben Lässigkeit und Theilnahmlosigkeit, welche sein ganzes Wesen kennzeichnen. Auch er lernt, läßt sich unterrichten und unterrichtet sich selbst, ahmt nach, erfindet auch wohl, besitzt aber nicht entfernt die Gewecktheit und Schnelligkeit der Auffassung wie die afrikanischen Menschenaffen, insbesondere der Schimpanse. Sein Temperament ist, um einmal Kunstausdrücke zu gebrauchen, ein phlegmatisches oder ein [285] melancholisches, während das des Schimpansen als sanguinisch und das des Gorilla als cholerisch bezeichnet werden kann.

Ueber letzteren berichtet Du Chaillu, aber freilich wiederum in seiner Alles übertreibenden Weise. Von ihm ausgesandte Jäger brachten ihm, wie er erzählt, einen jungen, etwa zwei- bis dreijährigen Gorilla, welchen sie, nicht ohne Gefahr, von der Mutter angegriffen und von dem Jungen gebissen zu werden, eingefangen, nämlich mit einem ihm über den Kopf geworfenen Tuche zugedeckt und nach landesüblicher Art gefesselt, indem sie seinen Hals in eine vorn verschlossene Holzgabel mit langem Stiele gesteckt und mit Hülfe dieser Gabel unterwegs mehr fortgestoßen als geleitet hatten. Nach Du Chaillu’s Schilderung brüllte und bellte der Gefangene, als er in das Dorf gelangte, schaute aus seinen bösen Augen wild um sich, stürzte auf Jeden los, der sich ihm nahte, versuchte den Gegner zu beschädigen, zerriß ihm die Kleider, kratzte, biß, war mit einem Worte unnahbar. Außerordentlich scheu, wollte er nicht eher essen und trinken, als bis sich die Beschauer in eine gewisse Entfernung zurückgezogen hatten. Am zweiten Tage schien er zwar noch wüthender zu sein als am ersten, begann jedoch zu fressen; am dritten Tage zeigte er sich noch mürrischer und ungeberdiger, bellte Jeden an und zog sich entweder in den fernsten Winkel seines Gefängnisses zurück oder stürzte angreifend vor. Als es ihm einmal gelungen war, aus dem Käfige, nicht aber auch aus dem Hause zu entkommen, geberdete er sich beim Erscheinen der Leute wie ein Rasender; seine Augen glänzten und der ganze Leib bebte vor Zorn. Mit Hülfe eines Netzes, welches man ihm wiederum glücklich über den Kopf schleuderte, wurde er zum zweiten Male gefesselt, brüllte, als er sich gefangen sah, entsetzlich und wüthete und tobte unter den Fesseln so, daß sich Du Chaillu auf seinen Nacken werfen mußte, um seinen Gehülfen zu ermöglichen, ihn an Armen und Beinen zu packen. Zwei Männer faßten hierauf seine Arme, zwei seine Füße und trugen ihn so, nicht ohne bedeutende Anstrengung, nach seinem Käfige zurück. Du Chaillu versichert, niemals ein so wüthendes Thier wie diesen Affen gesehen zu haben, und spricht ihm ein durch und durch boshaftes Gemüth zu, bemerkt auch, daß derselbe zehn Tage später nur deshalb gestorben sei, weil er trotz alles Widerstrebens in Ketten gelegt worden war.

Es ist möglich, daß ein älterer Gorilla in ähnlicher Weise sich beträgt, es unterliegt für mich aber keinem Zweifel, daß ein jung eingefangener sich wenig anders gebaren wird wie der Schimpanse. Meine Ansicht stützt sich auf das Benehmen des Dresdener Tschego, welches in allen wesentlichen Stücken dem gefangener Schimpansen entsprach. Diese habe ich so eingehend beobachtet wie keinen andern Affen; mit ihnen habe ich alle mir irgendwie einfallenden Versuche angestellt, um ihr geistiges Wesen zu ergründen, sie auf dasselbe zu prüfen: sie glaube ich, wenn nicht besser, so doch ebenso gut zu kennen, als irgend Jemand. Ein solcher Schimpanse ist, wenn er seine Aengstlichkeit verloren, dem Menschen sich angeschlossen, Zucht, Lehre und Sitte angenommen hat, ein bewunderungswürdiges Wesen, weil er eine geistige Beweglichkeit entfaltet, welche Jedermann in Erstaunen setzt. Ich muß noch einmal zu meinem bis jetzt ja noch nicht erschienenen „Thierleben“ zurückgreifen, um mich sachgemäß auszudrücken; denn ich glaube nicht, daß ich bessere Worte zur Schilderung des geistigen Lebens dieses Thieres werde finden können als die nachfolgenden, von denen jedes einzelne wohl überlegt ist und seiner vollen Bedeutung nach von mir verbürgt wird:

Einen Schimpanse kann man nicht wie ein Thier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigenthümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er so außerordentlich viel Menschliches, daß man das Thier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Thieres; sein Verstand steht um dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe. Es würde abgeschmackt sein, wollte man die Handlungen und Streiche eines so hoch stehenden Geschöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urtheilslosen Nachahmung stellen, wie man es hin und wieder gethan hat. Allerdings ahmt der Schimpanse nach; es geschieht dies aber genau in derselben Weise, in welcher ein Menschenkind Erwachsenen etwas nachthut, also mit Verständniß und Urtheil. Er läßt sich belehren und lernt. Wäre seine Hand ebenso willig oder gebrauchsfähig wie die Menschenhand, er würde noch ganz anders nachahmen, noch ganz anders lernen. Er thut eben, so viel er zu thun vermag, führt das aus, was er ausführen kann, was er aber auch thut, geschieht mit Bewußtsein, mit entschiedener Ueberlegung. Er versteht, was ihm gesagt wird, und wir verstehen auch ihn, weil er zu sprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit so ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über sein Begehren nicht täuschen. Er erkennt sich und seine Umgebung und ist sich seiner Stellung bewußt.

Im Umgange mit dem Menschen ordnet er sich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgange mit Thieren bekundet er ein ähnliches Selbstbewußtsein wie der Mensch. Er hält sich für besser, für höher stehend als andere Thiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterscheidet er zwischen erwachsenen Menschen und Kindern, erstere achtet, letztere liebt er, vorausgesetzt, daß es sich nicht um Knaben handelt, welche ihn necken oder sonstwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt sich Späße, nicht blos Thieren, sondern auch Menschen gegenüber. Er zeigt Theilnahme für Gegenstände, welche mit seinen natürlichen Bedürfnissen keinen Zusammenhang haben, für Thiere, welche ihn sozusagen nichts angehen, mit denen er weder Freundschaft anknüpfen, noch in irgend ein anderes Verhältniß treten kann. Er ist nicht blos neugierig, sondern förmlich wißbegierig. Ein Gegenstand, welcher seine Aufmerksamkeit erregte, gewinnt an Werth für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er versteht Schlüsse zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewisse Erfahrungen zweckentsprechend auf ihm neue Verhältnisse zu übertragen. Er ist listig, sogar verschmitzt, eigenwillig, jedoch nicht störrisch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberisch zu sein; er hat Launen und Stimmungen, ist heute lustig und aufgeräumt, morgen traurig und mürrisch. Er unterhält sich in dieser und langweilt sich in jener Gesellschaft, geht auf passende Scherze ein und weist unpassende von sich.

Seine Gefühle drückt er aus wie ein Mensch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er schmunzelt doch wenigstens, das heißt verzieht sein Gesicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derselben Weise wie ein Mensch, nicht allein durch seine Mienen, sondern auch durch klägliche Laute, welche Jedermann verstehen muß, weil sie menschlichen mindestens in demselben Grade ähneln wie thierischen. Wohlwollen erwidert er durch die gleiche Gesinnung, Uebelwollen womöglich in eben derselben Weise. Bei Kränkungen geberdet er sich wie ein Verzweifelter, wirft sich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt sein Gesicht, schlägt mit Händen und Füßen um sich, kreischt und rauft sich sein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geistesfähigkeiten, beim Schimpanse aber erscheint jede Aeußerung des Geistes klarer, verständlicher, weil sie dem, was wir beim Menschen sehen, entschieden ähnlicher ist als die Verstandesäußerung jener Thiere.

Es würde mir leicht sein, noch ganze Spalten mit Berichten über einzelne Handlungen des Schimpansen zu füllen, glaubte ich nicht, in vorstehenden sowie in früheren von mir in der Gartenlaube gegebenen Berichten schon vollständig genug gesagt zu haben. Nur eins will ich noch hinzufügen, zugleich auch zur Ergänzung des Freilebens der Menschenaffen. Sie sind die einzigen Säugethiere, sogar die einzigen Affen, welche Musik machen. Dies geschieht von den Freilebenden ebensowohl wie von den Gefangenen, allerdings in einer rohen Weise, aber doch in der unverkennbaren Absicht, sich besonders zu vergnügen. Ein Werkzeug hierzu verschaffen sie sich freilich nicht, benutzen aber entsprechende Gegenstände. Ihr Tonwerkzeug ist in Ermangelung einer Trommel ein leicht in Schwingungen zu versetzendes tönendes Holz, im Freien jeder in dieser Beziehung sich eignende hohle Baumstamm, in Gefangenschaft jedes hohlliegende tönende Brett. Der zuverlässige Reade erzählt, daß sich mehrere Schimpansen zusammenfinden und dann beim Spielen zeitweilig auch mit den Händen an hohle Bäume klopfen, um so einen auf weithin den Wald durchschallenden Ton zu erzeugen. Ich glaube die buchstäbliche Wahrheit dieser Angabe deshalb verbürgen zu können, weil gefangene Schimpansen genau dasselbe thun, sobald sie einen tönenden Gegenstand gefunden haben, und zwar indem sie mit den Händen und Füßen klopfen. Je lauter, je heller das Holz [286] tönt, um so größer ist ihre Freude. Der Beachtung werth erscheint es mir, daß die Trommel in irgend welcher Gestalt bei fast sämmtlichen auf tiefer Entwickelungsstufe stehenden Menschenstämmen sich befindet, also jedenfalls zu den ursprünglichsten Tonwerkzeugen gezählt werden muß.

Bei innigem Umgange mit einem wohlerzogenen, um nicht zu sagen gesitteten Schimpansen, kann es wohl geschehen, daß man das Thier in ihm, wenn nicht beständig, so doch für Augenblicke vergißt. Ein solcher Affe lebt sich nach und nach in der Familie ein, nimmt menschliche Sitten und Gewohnheiten an, geberdet sich in vieler Beziehung einem Menschen täuschend ähnlich, lernt beständig Neues und wird mit jedem Jahre verständiger und geistig reifer. Ob sich dies für alle Altersstufen des Menschenaffen sagen läßt, steht dahin. Wenn man den Schädel eines alten Gorilla betrachtet, ist man geneigt, es zu bezweifeln, ob man aber wirklich dazu ein Recht hat, läßt sich schwer sagen. Ein stichhaltiger Grund für ein geistiges Zurückgehen der Menschenaffen mit zunehmendem Alter läßt sich nicht anführen, und die Beobachtung anderer Affen gestattet in keiner Weise eine daraus hinausgehende Schlußfolgerung. Makaken und Paviane, welche wir viele Jahre pflegen und beobachten konnten, von denen wir bestimmt wissen, daß wir alte, ja zum Theil greisenhafte Thiere vor uns haben, nehmen mit dem Alter unbedingt an Verstand zu, und gut erzogene Affen vervollkommnen sich auch in denjenigen Beziehungen, welche wir, vom Menschen sprechend, sittliche nennen: sie verbessern, sie veredeln sich, soweit der alte Adam in ihnen es gestattet. Warum sollte dies bei Menschenaffen anders sein? Warum sollten sie, hinderte die böse Lungenschwindsucht, welche sie bei uns ausnahmslos dahinrafft, ihr Gedeihen nicht, unter Pflege, Obhut, Lehre und Unterricht des Menschen nicht eben dasselbe werden können, was der Hund geworden ist, dessen Ahnen Wolf und Schakal, Alpenwolf und Buansu waren und wie sie sonst alle heißen mögen, die wilden Kläffer, welche wahrhaft herzlich wenig gemein haben mit unserem treuesten Diener, unserem allzeit bereiten Gehülfen, unserem demüthigen Genossen, unserem Freunde, unserem Geschöpfe!?

Bis hierher darf wohl auch derjenige Naturforscher gehen, welcher einzig und allein die strenge Beobachtung des Thatsächlichen anerkennt und sich nicht verleiten läßt zu Schlußfolgerungen, für welche die Beobachtung keinen Anhalt gewährt. Und somit darf ich vielleicht mit folgenden Worten schließen: Menschen sind sie nicht, die Menschenaffen; ob sie unsere Vorgänger waren, ob unsere Vorfahren ihnen glichen, wissen wir einstweilen noch nicht, aber als eines thierischen Stammes mit uns, als unsere nächsten Verwandten werden sie jederzeit und von jedem Thierkundigen aufgefaßt werden müssen. Denn unsere nächsten Verwandten sind sie und werden sie sein und bleiben. Ob durch diese Wahrheit das Bewußtsein des Menschen in irgend einer Weise geschädigt wird, ob es nöthig erscheint, in ingrimmigen Zorn zu gerathen, wenn über Affen geschrieben oder gesprochen wird, ob der Abscheu vor der Verwandtschaft in thierkundlichem Sinne gerechtfertigt oder nicht: dies zu entscheiden überlasse ich nach Vorstehendem dem Urtheile aller vernünftigen Leser.[1]




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: IV.
  1. Wir benutzen diese Gelegenheit, um auf die vielen an uns gerichteten Anfragen zu erwidern, daß sich Dr. Brehm augenblicklich in Begleitung des Dr. Finsch und Graf Waldburg-Zeil auf der vom Bremer Polarverein veranstalteten Forschungsreise in Westsibirien befindet und uns freundlichst zugesagt hat, den Lesern unseres Blattes die Resultate seiner naturwissenschaftlichen Forschungen in einigen instructiven Schilderungen mitzutheilen.
    D. Red.