Merkwürdige Trauergebräuche

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Autor: Walther Kabel
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Titel: Merkwürdige Trauergebräuche
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aus: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 5. Bd., S. 170–172
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
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Der Artikel erschien unter der Verfasserangabe W. Kabel ebenso in: Deutscher Hausschatz. Illustrierte Familienzeitschrift, Jahrgang 1912/13, Heft 3, S. 122–123.
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[170] Merkwürdige Trauergebräuche.

Alle alten Völker gaben dem Schmerz um den Verlust eines Angehörigen oder einer allgemein verehrten Person in der eigenartigsten Weise Ausdruck. Im alten Ägypten zerschlug und zerkratzte man sich Gesicht und Brust, beschmierte man sich mit Erde und Öl und entsagte Reinlichkeit und Schmuck. Die Trauergebräuche der alten Germanen und der Israeliten sind bekannt, ebenso die Sitte der indischen Witwenverbrennung. Eine weitverbreitete Äußerung des Schmerzes stellen die sogenannten Trauerverstümmelungen dar, wie man sie bei den Naturvölkern noch heute vorfindet. Ihren letzten Beweggrund haben diese in dem bei primitiven Völkern ganz allgemein vorhandenen Glauben an die Unnatürlichkeit des Todes, der in jedem einzelnen Falle von einem Mitmenschen verursacht sein muß. Da nun niemand sicher sein kann, daß nicht auch er selbst jenen Tod verursacht hat, so ergehen sich nicht nur einzelne, sondern ganze Stämme in wilder Selbstanklage und legen sich, um sich dem Toten gegenüber zu rechtfertigen, die unerhörtesten Martern auf, die sogar zum Abschneiden einzelner Gliedmaßen ausarten. Besonders Fingeropfer galten früher als Ablösungsformen für das Leben der Witwe oder [171] fürstlicher Diener, die dem Gatten oder Häuptling in den Tod zu folgen hatten. Diesen Brauch haben noch jetzt einige nordamerikanische Indianerstämme. Auf den Sandwichinseln wurde beim Tode des Herrschers jedem Untertan ein Vorderzahn ausgeschlagen oder die Ohren abgeschnitten. Bei den alten Lakedämoniern versammelten sich beim Tode des Königs in langem Zuge Männer und Weiber am Grabe und rissen sich mit Dornen Hautfetzen von der Stirn. Die Skythen schnitten sich Stücke vom Ohr ab, schoren sich das Haupthaar vollständig und ritzten sich die Nase mit parallelen Strichen. Erwähnt sei auch, daß die Einwohner der ägyptischen Stadt Kynopolis, deren heiligstes Tier der Hund war, sich die Kopfhaare gegenseitig ausrissen, sobald eines dieser Tiere starb.

Aber auch an europäischen Höfen hat manch wunderliche Trauersitte geherrscht, die man heute als geradezu barbarisch bezeichnen wird. Für die verwitweten Königinnen von Frankreich bestand Jahrhunderte hindurch die Verpflichtung, nach dem Tode ihres königlichen Gemahls erst sechs Wochen auf dem Paradebett des Verstorbenen, dann weitere sechs Wochen vor dem Bett zu sitzen und ein volles Jahr lang das Sterbezimmer nicht zu verlassen. Dieses Trauerreglement haben erst die Bourbonen abgeschafft. In Dänemark mußte früher die verwitwete Königin sogar die ersten drei Nächte nach dem Tode ihres Gatten auf der Totenbahre zubringen. Fraglos stammten all diese Gebräuche noch aus den ältesten heidnischen Zeiten her. Wie diese Trauergebräuche, so hat auch im Laufe der Zeit die Farbe der Hoftrauer gewechselt. Die Trauerfarbe für gekrönte Häupter war keineswegs immer das heute übliche Schwarz. Besonders in Frankreich, das doch früher in allem tonangebend war, bestimmten die Herrscher nach ihrem persönlichen Geschmack die Trauerfarbe. So ordnete Ludwig XI. bei seinem Regierungsantritt an, daß die Farbe der Trauer um seinen Vater Karl VII. scharlachrot sein sollte. Ludwig XV., der 1726 zuerst ein offizielles Trauerreglement aufstellte, bestimmte Violett als Trauerfarbe. Erst das 19. Jahrhundert hat dann allmählich an allen Höfen allgemein das Schwarz [172] eingeführt. Eine Ausnahme bildet China. Dort trauert das Volk um seinen dahingegangenen „Sohn des Himmels“, je nach den Rangstufen in weißen, blauen und grauen Trauerkleidern.