Montesinos

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Titel: Montesinos
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 519
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[519] Montesinos. Es dürfte in diesem Augenblicke in ganz Europa kaum ein Mann leben, der in so hohem Grade die Bewunderung und dankbare Verehrung aller Menschen verdiente, als Derjenige, dessen Namen gleichwohl die meisten, wenn nicht alle meine Leser hier zum ersten Male durch die Ueberschrift kennen lernen. Denn wer verdient mehr unsere Dankbarkeit, als derjenige, der die Glieder der menschlichen Gesellschaft, welche in der großen Mehrzahl als unnütze, weil ein- oder einige Mal schädlich gewesene, rein angefaulte Früchte weggeworfen werden, mit treuer Menschenliebe aufsammelt und zu heilen versucht?

Dies aber ist die Krone, welche heller als irgend welches Diadem strahlt auf dem Haupte von Montesinos, Direktor des Gefängnisses von Valencia in Spanien.

Im Jahre 1827 übernahm er dieses Amt. Er überkam das Gefängniß in dem trostlosesten Zustande. Seine frühere Thätigkeit stand nicht mit seiner neuen in irgend einer Beziehung. Er hatte keine Polizei- oder Criminalcarriere gemacht. Er hatte keine Reisen durch die europäischen Strafanstalten (ja wohl Strafanstalten!) gemacht, wo er auch fast nur negativ hätte lernen können.

Er brachte in sein neues Amt nichts mit als ein warm und edelfühlendes Menschenherz, einen festen, klaren Willen und – eine tüchtige umfassende Bildung.

In dem ersten Jahre seiner Amtsführung bildete sich sein System aus, ganz aus sich selbst, gestützt auf die genannten drei Grundsäulen seiner bewunderungswürdigen Persönlichkeit.

Nachdem sein System in seinem Geiste und – Herzen klar und vollendet vor ihm stand, hielt er und hält er noch jetzt daran fest; denn es ist eines seiner wirksamsten Mittel, eine unabänderliche Festigkeit des Verfahrens.

Nach wenigen Jahren war das valencianische Gefängniß aus einer Zwingburg trotziger, roher, fauler, unwissender Menschen eine blühende Werkstätte gesitteter, höflicher, fleißiger, wißbegieriger Arbeiter.

In der umfänglichen Anstalt findet man Werkstätten aller Art. Neben den mannichfaltigsten, wie man dem Ansehen nach glauben möchte, mit vielen Gesellen arbeitenden, gewöhnlichen Handwerken findet man eine Lithographie, Druckerei, Sammtweberei, Seidenweberei, Wagenfabrikation, Vergolderei, Eisengießerei und Anderes.

Schulstunden und reiche Gelegenheit zur Fortbildung und geistigen Unterhaltung sind in zweckmäßigster Führung vorhanden. Jährlich lernen zwischen 200 und 300 lesen und schreiben.

Montesinos darf nach dem code pénal theilweise Kostentziehung und Prügel – wodurch man sich anderwärts erzieherisches Kopfzerbrechen erspart – anwenden; er hat es aber nie gethan, weil, wie er sagt, erstere der Gesundheit nachtheilig ist und letztere entsittlichen.

Im Jahre 1836 hatte sich im spanischen Bürgerkriege Cabrera in einem Gebirge festgesetzt, wo 400 Mann aus dem valencianischen Gefängnisse am Bau einer neuen Straße beschäftigt waren. Montesinos fürchtete, daß der carlistische General Alles aufbieten werde, um sich dieser Leute für sein Heer zu bemächtigen. Er machte sich zu ihnen auf den Weg. Allein und unbewaffnet trat er plötzlich unter sie. An achtzehn hatte sich seine Besorgniß bereits bestätigt, die unter Anführung eines Aufsehers zu Cabrera gegangen waren. Die übrigen 382 folgten ihm auf unwegsamen Gebirgspfaden, um der Wachsamkeit des Carlistenführers zu entgehen, nach Valencia. Der Valencianer spricht noch mit Rührung von dem langen Zuge von „Verbrechern,“ welche man ihrem Direktor ruhig in ihr Gefängniß folgen sah.

Als man nach etwa einer Woche eines Tages früh die Thore der Anstalt öffnete, standen vor demselben – 14 von jenen Abtrünnigen, vollständig bewaffnet, aber zerlumpt und abgerissen. Sie waren mit Lebensgefahr aus Cabrera's Reihen geflohen und baten jetzt um Wiederaufnahme. Es fehlten noch 4. Drei davon kamen nach weiteren 4 Tagen und zuletzt auch der achtzehnte, der Anführer, ein alter Mann mit grauen Haaren, der mit Scham und Reue um Wiederaufnahme in die Anstalt bat.

Neben dieser Thatsache, deren man in Valencia noch manche ähnliche erzählt, bedarf es keines weiteren Beweises, daß Montesinos den Verbrecher zu heben versteht.

Seine Anstalt ist aber auch kein verschlossenes Geheimniß für die Außenwelt. Namentlich an den besuchteren Markttagen strömen schaarenweise die Landleute durch die hellen, freundlichen Räume und segnen staunend den darin waltenden Geist.

Und das Ergebniß von des edeln Montesinos Mühe? –

Anderwärts schwankt die Zahl der Rückfälligen zwischen 40 und 50.

Bei ihm zwischen 1 und 2.