Moses Goldfarb und sein Haus

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Textdaten
Autor: Leopold Ritter von Sacher-Masoch
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Titel: Moses Goldfarb und sein Haus
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aus: Judengeschichten
Herausgeber: Johann Friedrich Hartknoch
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Erscheinungsdatum: 1878
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Erscheinungsort: Leipzig
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[27]
Moses Goldfarb und sein Haus.

[29] Ein Ghetto war es eigentlich nicht, in welchem Moses Goldfarb mit den Seinen wohnte, sondern eine echt polnische Juden-Schänke, welche hundert Schritte außerhalb des Dorfes an der Kaiserstraße stand, mit ihrem dürren Busch, ihren halberblindeten Fenstern, ihren ewigen Kothlachen vor der Thüre und den schmutzigen Trögen; aus denen die Pferde der vorüberkommenden Fuhrleute mit dem Schweif schlagend zu fressen pflegten; aber das Ghetto ist trotzdem überall, wo ein unverfälschter gläubiger Jude siedelt und die Thora ihre unsichtbaren, aber unübersteigbaren Mauern zwischen ihn und die übrige Welt schiebt, insbesondere, wo er so ganz allein, von seinen Brüdern entfernt, unter Christen lebt, wie Moses Goldfarb.

Einen Blutsauger hörte ich ihn nennen, und von respectablen Leuten zwar, zur Zeit als ich noch als [30] kleiner Knabe mit der Vogelflinte um die Schulter, die Felder und den großen Wald, die Dombrowa durchstreifte, aber war es, daß Kinder sich wenig um Prinzipien kümmern, sondern ganz nur dem Zuge ihres Herzens folgen, oder reizte mich sein übler Ruf, wie es uns in späteren Jahren so leicht bei schönen Frauen widerfährt, genug, ich kann nicht leugnen, daß die Kartschma und ihre Bewohner für mich etwas Anziehendes hatten.

Zwar wagte ich mich niemals hinein und blinzelte nur so von weitem hin, wenn ich gerade vorüberging, aber es ist mir unvergeßlich, wie ich einmal am Sabbath-Abend bis zu dem Fenster des niederen Hauses schlich, um durch die trübe Scheibe zu blicken, und sah Moses Goldfarb im seidenen Talar, mit wallendem dunkeln Barte oben an dem gedecktem Tische stehen und das Gebet sprechen, während seine Frau im rothen Schlafrock und der glitzernden Stirnbinde und seine Kinder festlich gekleidet umherstanden und auf seine Lippen blickten. Auf dem Tische duftete der Fisch in der braunen Rosinen-Sauce und lag ein großer Stritzel, [31] und von der Decke herab flammte der Kronleuchter und draußen an dem blauschwarzen Himmel stand der Abendstern in seinem erhabenen Glanze wie mit einem goldenen Feierkleide angethan.

Einen Blutsauger nannte ihn Herr Raczinski, der Besitzer des Dorfes, von dem er die hinter der Schänke gelegene Branntwein-Brennerei gepachtet hatte, einen Blutsauger nannte ihn der redliche Mandatar, der in einem verschossenen Sommer-Röcklein zu diesem Gutsbesitzer gekommen war und sich später zur allgemeinen Ueberraschung selbst ein Gut kaufte, einen Blutsauger nannte ihn der katholische Pfarrer des Dorfes und der Pastor der benachbarten deutschen Kolonie und es war dies der einzige Punkt, in dem diese beiden frommen Männer einig waren.

Merkwürdig war aber nur, daß die galizischen Bauern, als sie in dem denkwürdigen Aufstande von 1846 die Waffen gegen die polnischen Insurgenten erhoben und über 4000 Adelige niedermetzelten, keinem Juden ein Haar krümmten, ja daß die Kreisämter berittene Juden als Boten auf das flache Land entsendeten, [32] da diese allein vor der Wuth des Landvolkes sicher waren und daß auch der Gutsbesitzer Raczinski, sein Mandatar und der katholische Pfarrer, welcher die Bauern von der Kanzel herab zum Angriff auf die Kaiserlichen aufgefordert hatte, von denselben mit Schlägen bedient und gebunden nach der Kreisstadt geschleppt wurden, während Moses Goldfarb, der Blutsauger, von der ganzen Revolution nur so viel spürte, daß die Bauern bei ihm noch mehr Branntwein tranken als sonst.

Unheimlich wurde mir der ernste bleiche Jude nur einmal, als ich in einer Vollmondnacht einen im Lager geschossenen Hasen vorüberschleifte und auf der Straße menschliche Gestalten erblickte, welche sich scharf gegen den silberhellen Himmel abzeichneten, während von Zeit zu Zeit ein seltsames Geschrei an mein Ohr schlug.

Es war Moses Goldfarb, der mit den Seinen laut betete.

Als ich aber größer wurde, überschritt ich trotzdem eines Abends entschlossen die verrufene Schwelle und wurde in der großen, weißgetünchten Schankstube bald [33] heimisch. Ich war damals General, nämlich General einer kleinen Armee von Bauernknaben, welche mir blind gehorchte, ich hatte Offiziere, Soldaten und einen Fahnenträger, aber mir fehlte ein Tambour und Abraham, der älteste Sohn Goldfarb’s hatte von den ungarischen Soldaten des Regiments Máriássy trommeln gelernt. Was lag also näher, als daß er mein Tambour wurde. Mit ihm kam ich also in die Judenschänke und war auch dann, als mein Säbel und seine Trommel längst im Staube moderten, er bereits das Gespann seines Vaters lenkte und ich mich mit Cicero und Homer quälte, ein gern gesehener Gast in derselben.

Wie oft saß ich auf der niedern Bank bei dem großen grünen Ofen und sah Goldfarb zu, wie er seinen Handel machte, und den schwermüthig aussehenden Bauern, die ihren Branntwein tranken, der stets lächelnden, auf und ab trippelnden Kezia Goldfarb, deren kleine fette Hand die Kreide so kräftig handhabte, dem kleinen zerzausten Benjamin, welcher mit der gluthäugigen Esterka auf der Diele spielte, und suchte mich der [34] Fliegen zu erwehren, welche eine besondere Anhänglichkeit für Moses Goldfarb bewiesen und in schwarzen Schwärmen herumflogen wie die Wildenten auf dem Teiche von Bielka.

Ich weiß nicht, weßhalb ich bei dem hochgewachsenen Moses Goldfarb mit den reichen Locken und dem langen Barte immer an die Patriarchen des alten Bundes denken mußte, während es mir niemals einfiel, bei unserem Pfarrer oder dem Pastor an die Jünger Christi zu denken, die doch ungleich lebhafter vor meiner Phantasie standen, besonders der sanfte Johannes.

Auch gefiel mir, daß Moses Goldfarb meine Anwesenheit in seinem Hause gleich einem nothwendigen Uebel freundlich duldete, aber nie von Religion mit mir sprach, während der Pastor mich jedesmal, wenn ich zu seinen Knaben kam, bei der Hand hereinzog und mit einem Lächeln, dessen Glanz auf mich wie ranziges Fett wirkte, von den Vorzügen seiner Kirche, römischem Götzendienst und evangelischer Einfachheit predigte. Die Juden haben vor allen Bekennern anderer Religionen den Vorzug, daß sie keine Proselyten zu machen suchen.

[35] Der einzige Sohn des auserwählten Volkes unter Andersgläubigen war Moses Goldfarb darauf angewiesen, die Gebote seiner Religion strenger zu beobachten als jeder Andere, wo es anging, wo es jedoch nicht anging, war er erfinderisch, dieselben zu umgehen, ohne sie geradeaus zu verletzen und machte sich dabei die Spitzfindigkeiten des Talmud gut zu Nutze.

Das Gesetz gebot ihm, täglich bestimmte Waschungen vorzunehmen, aber das Geschäft machte ihm dieselben unmöglich, denn Moses war nicht nur ein praktischer, sondern auch ein höflicher Mann und er war unfähig, Jemanden warten zu lassen, wenn dieser Jemand auch nur ein bloßfüßiger Knecht war und nicht mehr zu sich nahm als ein Quatirl Schnaps. Also ging er zu dem Wasser hin, tauchte einen Finger ein und wusch sich, und genau so wusch sich seine Frau und wuschen sich seine Kinder.

Am Sabbath-Tage verbot ihm das Gesetz, irgend was zu thun was einer Arbeit glich, und verbot ihm auch, ein Geschäft zu machen. Nun war aber Moses nicht der Mann, ohne Noth seine Seele in Gefahr zu [36] bringen, also saß er mit Weib und Kind festlich gekleidet da und Keines von ihnen schänkte aus oder nahm ein ‚Geld.‘ Aber die Bauern andererseits die wollen ihren Branntwein trinken auch am Sabbath und sie sollen ihn auch bezahlen, was thun? Sehr einfach, die Bauern treten in die Schankstube, grüßen den Juden und nähern sich dem Schanktisch, sie wissen schon was sie zu thun haben, sie schänken sich die kleinen Blechmaße selbst voll, sprechen ihr zdruw! (Bleib gesund), stürzen den Branntwein mit einem einzigen Ruck hinab und werfen ihre Kupfermünzen durch das Loch, das der Jude in den Schanktisch gebohrt hat, in die Lade. Goldfarb blinzelt nur so ganz wenig hinüber, ob auch Alles richtig ist.

An einem Festtage darf nur so viel gekocht werden, als an diesem Tage verzehrt wird, auch dann, wenn derselbe auf einen Freitag fällt. Da aber jedes Fest nach dem Talmud durch zwei Tage gefeiert wird – der Jude daher schon am Mittwoch für den kommenden Sabbath kochen müßte, so bliebe ihm nur die Wahl, die Speisen verderben zu lassen oder das Gesetz zu [37] verletzen. Der Talmud hat indessen vorgebaut und Moses Goldfarb weiß genau, was Erub Thabschilin sagen will. Also er sagt mit dem Talmud: wenn ich am Vorabend des Festes, am Mittwoch nämlich, mich mit Speise für den Sabbath versehe und diese Speise auch nur in einem Stück Fleisch oder einem Ei besteht, habe ich dem Gesetz Genüge gethan und kann dann am Festtage so viel mir beliebt für den Sabbath kochen. Kocht also am Mittwoch ein ganzes Ei, das er bis zum Sabbath aufbewahrt, und seine Seele ist gerettet.

Moses sagt (2. Mos. 43, 7): „Gesäuertes Brod soll (am Passah-Fest) aufgegessen werden. Ganze sieben Tage soll kein gesäuertes Brod in deinen Grenzen sein.“ Die Talmudisten dehnten dieses Verbot auch auf das Geschirr aus, in dem Gesäuertes zubereitet wurde. Nun war aber dieses Verbot leicht zu erfüllen in Palästina, zur Zeit, als man ein dünnes Brod in heißer Asche buk, Tag für Tag, schwer fällt es aber jetzt, wo man Brod in Laiben in Vorrath bäckt und das Vieh mit Kleien und ähnlichem Futter genährt wird, und [38] geradezu unausführbar ist es für einen Branntweinpächter.

Was soll also der fromme Moses Goldfarb beginnen, um weder seine Seele noch seinen Leib zugrunde zu richten?

Er kennt seinen Talmud und findet ein Auskunftsmittel. Am Vorabend des Passah-Festes verkauft er seinen Branntwein, sein Korn, seine Gerste und sein Mastvieh an seinen Nachbar, den Grundwirth Frantschischek Kobilka, für viertausend Gulden, aber ist so nobel, sich mit einem Kontrakt und mit einer Drangabe von vier Groschen Schein zu begnügen, womit aber seine Noblesse noch lange nicht erschöpft ist, denn er vermiethet dem Käufer noch dazu das ganze Gebäude, in dem sich die Brennerei befindet, damit dieser das Gekaufte nicht gleich fortzubringen gezwungen ist. Nach dem Passah-Feste kommt Kobilka, sieht sehr betrübt aus und schwört, daß er nicht das nöthige Geld habe, um den Kaufkontrakt zu erfüllen. Nun kennt die Großmuth Moses Goldfarb’s keine Grenzen, er zerreißt den Kontrakt, gibt dem Bauer seine Drangabe [39] zurück, schenkt ihm den schuldigen Miethzins für das Gebäude und bewirthet ihn noch überdies mit Branntwein.

Moses Goldfarb galt übrigens bei den Juden auf zehn Meilen in der Runde nicht allein als Talmudbeflissener, sondern geradezu als ein Anhänger des großen Bescht. Das wußte seine Frau und sie traute ihm auch alle Eigenschaften dieses Wundermannes zu. Ich hörte sie ein einzigesmal mit ihm keifen, ihr Zünglein ging dabei wie der Kopf einer Viper hin und her, während Moses Goldfarb ruhig dasaß und aus seiner türkischen Pfeife dampfte. Plötzlich sah er seine schönere Hälfte fest an und sprach: Als einst ein Weib ein Spottlied sang, das die Frau des großen Bescht auf sich bezog und es ihrem Manne klagte, sprach er nur die Worte: Dieses Weib wird wohl nicht mehr reden! und – sie blieb stumm.

Kezia erschrak, verstummte und zog sich in eine dunkle Ecke zurück, noch eine Stunde später sah ich sie am ganzen Leibe zittern.

Während aber die Eltern schlicht und recht waren [40] und blieben, zeigten ihre Kinder starke Neigungen, sich dem Zeitgeiste anzuschmiegen, besonders Esterka.

Sie war eines Tages zwölf Jahre alt und mit zwölf Jahren ein vollendetes Weib, sie verstand es, mit einemmale ihren schlanken Leib in den üppigen Hüften zu wiegen, und ihre Ebenholzzöpfe in einer Weise zurückzuwerfen, daß es Einen überlief, und erst dieser verschwommene sammtene Glanz ihrer Augen, über die lange dunkle Wimpern gleich geheimnißvollen Tempelvorhängen fielen, und das spöttisch wollüstige Lachen ihres rothen Mundes!

Sie begann räthselhafte Blicke nach den ungarischen Soldaten, welche hie und da zu Abraham kamen, zu werfen und setzte gerne den Tschako Eines oder des Anderen auf die schwarzen Flechten, um dann in der Thüre zu stehen und die vorbeifahrenden Edelleute zu salutiren, sprang wie ein Reh hinaus, jedesmal wenn Graf Wladimir seinen Araber anhielt, um ihm ein Gläschen Slivovitz und seinem Pferde Brod mit Salz auf der flachen Hand zu reichen, begann Schleppen zu tragen und in einer schmierigen Nachtjacke, den Kopf voll [41] Papilloten, in der Gaisblatt-Laube hinter dem Hause Romane zu lesen aus Büchern, deren Blätter zusammenklebten. Ich sah sie in jenen Tagen nie anders als sich putzen, ob sie nun die Perlen ihrer Mama durch das Haar schlang, oder eine Rose hineinsteckte oder Gott weiß was an ihrem Busenstreifen zu richten hatte, und jeder zweite Blick galt dem Spiegel.

Nicht selten saß sie unter den Gästen und klimperte auf einer Guitarre, die sonst an einem blaßblauen Bande neben dem Bilde Koscziusko’s hing. Einmal erschien sie plötzlich in ein großes Leintuch gewickelt, mit einem Schnurrbart, den sie sich mit Kohle gezeichnet, ließ sich vor ihrer staunenden Mama auf ein Knie nieder und sang eine Arie aus Romeo und Julia, die sie bei einem Besuch in Lemberg im Theater gehört hatte.

Für mich hatte sie zugleich etwas Berauschendes wie Myrrhenduft und etwas Fremdartiges, was mich abschreckte. Als sie eines Abends im Sommer ohne ihre typische Nachtjacke mit bloßen Armen hereinkam und sich zu mir setzte, bemerkte ich mit einer Empfindung, [42] die der Furcht verwandt war, daß ihre herrlichen Arme mit langen glänzenden Haaren bedeckt waren. Ich weiß nicht, weßhalb ich sofort an die grauenhafte Guli der „Tausend und eine Nacht“ denken mußte und als sie mich plötzlich in einer halb romantischen, halb ironischen Anwandlung in die Arme schloß, da war es mir, als umarme mich eine Wölfin, oder sonst ein reißendes Thier.

Während Esterka in dieser Weise ihre Studien machte, besuchte der schmächtige, farblose Benjamin die Schule in dem nahen Städtchen. „Ich will lernen,“ pflegte er zu sagen, wenn ihn sein Vater hinausgehen hieß und den Pferden der Fuhrleute Hafer vorschütten, versenkte seine Hände in den Taschen und rührte sich nicht. „Was willst Du etwa lernen? willst Du ein Ilau werden?“ spottete Moses Goldfarb.

„Nein, ein Doktor,“ sagte der Knabe.

Eines Tages kam Abraham mit der Holzmütze auf dem Kopf und that sehr entschlossen. „Was hat der Bub,“ rief Moses entrüstet, „ist er meschügge, bringt er mir Mordgewehre in das Haus!“

[43] „Ich bin Soldat!“ erwiderte Abraham trotzig, „sie haben mich assentirt zu Graf Nugent-Infanterie.“

„Wie können sie Dich assentiren, so Du bist ein armer furchtsamer Jüd,“ schrie sein Vater auf, „und ich zahle für Dich, daß Du frei wirst“.

„Wie haißt,“ sagte Abraham, „daß ich bin furchtsam, ich hab’ Kurasch wie die Anderen und werde in den Krieg ziehen gegen die Franzosen und die Preußen.“

„Gott soll mich strafen, haste gehört, in den Krieg will er ziehen mit sein Mordgewehr,“ jammerte sein Vater.

Abraham war und blieb indeß Soldat, ging mit dem nächsten Transport nach Lemberg und mit ihm zerriß das Band das mich mit Moses Goldfarb[1] und seinem Hause verband. Nicht lange darnach verließ ich selbst Galizien.

Zehn Jahre vergingen.

Im Herbste 1857 besuchte ich die Heimath das erstemal wieder und besuchte auch die einsame Juden-Schänke. Ich fand wenig verändert. Moses Goldfarb, [44] in dessen Händen die Quart und die Branntwein-Flasche zitterten, als ich mich zu erkennen gab, hatte jetzt weißes Haar und einen echten ehrwürdigen Patriarchen-Bart, das war Alles. Abraham war als Urlauber zu Hause, er lächelte verlegen als er mich sah und doch hatte er wenig Ursache dazu, er hatte unter Radetzky auf den lombardischen Schlachtfeldern mitgekämpft und war Feldwebel geworden. Die Bauern, welche mit ihm gedient hatten, behandelten ihn wie Ihresgleichen und das will mehr sagen, als wenn irgend ein polnisches Gräflein mit ihm Bruderschaft getrunken hätte. Er war im Dorfe eine geachtete Person, trug eine blaue Militärhose und auf seinem städtischen Rocke das Dienstzeichen, nur sein Vater schien sich nicht viel aus ihm zu machen, aber einmal fing ich einen Blick seiner großen durchdringenden Augen auf, als Abraham mir in einem Kreise beurlaubter Soldaten von der Schlacht bei Mailand erzählte und ach! wie viel Liebe und wie viel Stolz lag in diesem Blick.

Einmal kam er zu mir und als ich ihm Cognac aufwartete, bat er schüchtern um ein Stückchen Speck. [45] „Ich habe es mir angewöhnt beim Regimente,“ sagte er, „aber sprechen Sie nichts vor dem Tate, es möchte ihn kränken.“

So zart ist das Gemüth eines, wie es heißt „verkommenen“ polnischen Juden.

Benjamin, der in Lemberg das Gymnasium studirte, brachte eben seine Ferien zuhause zu. Er war stark gewachsen, erschreckend mager, bleich, trug langes Haar wie ein Künstler, und „christliche“ Kleider, wie unsere Juden sagen. Er sprach viel von Literatur. Sein Lieblingsdichter war Goethe. Er ließ mich merken, daß ihm die Verhältnisse daheim zu enge waren, daß sie den hohen Flug seines Geistes hemmten, aber vor dem alten Vater zuckte er mit keiner Wimper. Als er mich aber auf der wohlbekannten Straße nachhause begleitete und der Mond tröstend über der düstern Wand der Dombrowa emporstieg, blieb er stehen, ließ seine schlotterigen Arme wie Windmühlflügel um sich herumgehen und declamirte im singenden Nasenton der Synagoge:

[46]

„O! säh’st du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein!“

Esterka war nicht zu sehen, Alle schwiegen über sie, und so vermied ich es, nach ihr zu fragen.

Und wieder einige Jahre später befand ich mich im Theater zu Lemberg, um die polnische Tragödie kennen zu lernen und Madame Aschperger als Barbara Radziwil zu bewundern. Nach dem ersten Akte musterte ich die Damen in den Logen und plötzlich entdeckte ich ein bekanntes schönes Gesicht, kein Zweifel, es war – sie hatte sogleich das Opernglas auf mich gerichtet und nickte mir jetzt lebhaft zu – es war Esterka, in der Winterpracht einer nordischen Fürstin mit den Diamanten einer Haremsrose, und ein Wink, der ebenso kokett als verständlich war, lud mich in ihre Loge.

Sie streckte mir beide Hände entgegen, als ich eintrat und begann von meiner „galizischen Geschichte“ zu sprechen, die sie gelesen hatte.

„Lesen Sie noch immer Romane?“ sagte ich, „ich dachte, Sie haben nur noch Zeit, welche zu erleben.“

Sie lachte, nahm den Fächer vor das Gesicht, [47] wurde roth und lachte wieder. Unter ihrem prächtigen Palatin kamen ihre bloßen Arme zum Vorschein mit funkelnden Bracelets und jenem zartem Flaum bedeckt, dessen Glanz mich einst so erschreckt hatte.

Als ich sie verließ, sah ich den Grafen M. in ihre Loge gehen.

Im Foyer traf ich einen andern guten Bekannten, Benjamin, oder Doktor Rosenthal, wie er sich nannte, obwohl die Fakultät, der er die Ehre anthun wollte, ihm den Doktorhut reichen zu dürfen, heute noch nicht errichtet ist. Er lobte gelassen mein Buch und sprach dann vom Theater. Sein Aussehen hatte sich wenig verändert, nur daß er eine Brille und große Vatermörder trug.

Er gestand mir endlich, daß er Kritiken schreibe über das Theater und auch Gedichte in Heine’s Manier.

„Ich habe eben Ihre Schwester gesprochen,“ sagte ich, „sie ist sehr schön geworden und scheint in glänzenden Verhältnissen zu leben.“

Er zuckte die Achseln. „Was wollen Sie,“ sagte [48] er, „ein Jeder soll sein Glück machen, aber nicht Jeder kann dies in gleicher Weise, ich mache es durch meinen Geist und sie“ – er vollendete den Satz nicht – „der Graf würde sie heirathen, wenn sie sich taufen ließe, aber wer wird den alten Vater so kränken?“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Golfarb