Märchen-Almanach (Hauffs Werke Bd 4)

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Autor: Wilhelm Hauff
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Titel: Märchen-Almanach
Untertitel:
aus: W. Hauffs Werke, Bd. IV: Märchen-Almanach, S. 5–268
Herausgeber: Max Mendheim
Auflage:
Entstehungsdatum: 1827
Erscheinungsdatum: 1891–1909
Verlag: Bibliographisches Institut
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Erscheinungsort: Leipzig und Wien
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch die Anmerkungen des Herausgebers aus diesem Band
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Märchen-Almanach.


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Einleitung des Herausgebers.

Märchen sind Kinder der Königin Phantasie, Geschwister der leichtfüßigeren Träume, die fröhlich und leicht auf die Erde hinabhüpfen und den schlummernden Menschen weben und malen, was ihnen das Herz beglückt und das Auge erfreut“ – so schildert Hauff in der lieblichen Einleitung „Märchen als Almanach“[1] zu seiner ersten Märchensammlung den Ursprung und das Wesen dieser Erzählungsart und der Träume, bei letzteren allerdings allein an die sorglosen, erfreuenden und beglückenden Träume der Kinder denkend. In der Rahmenerzählung seines zweiten Märchen-Almanachs macht er dagegen einen Unterschied zwischen eigentlichen Märchen, in denen die Begebenheiten von dem gewöhnlichen Gange des Lebens abschweifen, fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, auf wunderbare Weise handelnd eingreifen, wobei wir oft in fremde Länder und ferne Zeiten versetzt werden, und zwischen Erzählungen, „die man gemeinhin Geschichten nennt“. – „Die bleiben ganz ordentlich auf der Erde“, fährt er in seiner Erläuterung fort, „tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, sondern durch sich selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird.“

Hauff hat diese Erklärung, die eigentlich mit der Handlung der Geschichte des Scheiks von Alessandria und seiner Sklaven direkt nichts zu tun hat, zweifellos deshalb eingefügt, weil er das Gefühl hatte, in diesem Märchenbande wie auch schon in dem ersten nicht lauter Geschichten vereinigt zu haben, die den Namen Märchen im eigentlichen Sinne verdienen. So decken sich z. B. die Rahmenerzählungen seiner Märchen-Almanache sowie ferner im ersten die Geschichten vom Gespensterschiff und der abgehauenen Hand, im zweiten die vom Juden Abner, vom Affen, die Geschichte Almansors und auch die in diesem Bande enthaltene J. Moriers vom gebackenen Kopf mehr mit dem, was er für „Geschichten“ erklärt, als mit wirklichen Märchen. Als eine dritte Art [8] könnten endlich die im dritten Almanach aufgenommenen, angeblich sagenhaften Erzählungen betrachtet werden, wenn nicht Hauff hier wesentlich Erzeugnisse seiner eigenen Phantasie als Sagen ausgäbe, wobei er allerdings auch deren Ton vorzüglich trifft.

Hauffs zweiter, wahrscheinlich in Paris geschriebener und im Herbst 1826 wieder bei Gebrüder Frankh in Stuttgart erschienener Märchen-Almanach „Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven“ weicht seinem Inhalte nach insofern von den beiden anderen ab, als er nicht nur Erzählungen Hauffs, sondern auch vier Geschichten anderer[2] enthält. Zwischen diese, die natürlich in die gesammelten Werke Hauffs später nicht mit aufgenommen werden konnten, war nun ursprünglich auch wieder, wie zwischen seine eigenen, je ein Stück der Rahmenerzählung eingeschoben. Mit der Weglassung jener Geschichten aber wurden von G. Schwab und anderen Herausgebern auch Teile der Rahmenerzählung gestrichen oder doch verkürzt und verschoben, während in unserer Ausgabe der vollständige Text wiederhergestellt worden ist. Die Begebenheiten jener überaus anmutigen Erzählung verlegt Hauff zwar zum Teil in den Orient, läßt sie aber mit der zugehörigen Geschichte Almansors am Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu seinen eigenen Lebzeiten, spielen, ebenso die köstliche Satire „Der Affe als Mensch“, die sich auf seine Zeit und die deutschen Kleinstädte im allgemeinen bezieht. Diese drei Erzählungen, die außerdem frei von Feen und Zauberern sind, tragen also nach Hauffs Erklärung das Gepräge von „Geschichten“; hierzu ist aber auch noch „Abner, der Jude, der nichts gesehen hat“, zu rechnen, obgleich Hauff sie in den Orient und etwa hundert Jahre vor seine eigene Zeit verlegt. Das einzige (nach seiner Definition) wirkliche Märchen, das er selbst zu diesem Jahrgange des Almanachs beigesteuert hat, wäre also „Der Zwerg Nase“, eine deutsche Hexengeschichte; von den übrigen gehören hierzu noch Schölls phantastisches Märchen „Der arme Stephan“ und die beiden Märchen Wilhelm Grimms, während „Der gebackene Kopf“ Moriers von Hauff selbst zu den „Geschichten“ gerechnet wird.

Betrachtet man Hauffs Beiträge ihrer Entstehung und Grundlage nach, so wird man alle, mit Ausnahme von „Abner“ und der „Höhle von Steenfoll“, in der Hauptsache seiner eigenen Erfindung zuweisen müssen. In „Abner“ dagegen hat er einen jener Wanderstoffe behandelt, [9] die sich durch die Weltlitteratur hinziehen, in der „Höhle von Steenfoll“ eine englische Erzählung benutzt. Inwieweit er sich dabei an seine Vorbilder angeschlossen hat, ist in den Anmerkungen des Herausgebers am Schlusse dieses Bandes näher ausgeführt. Allerdings ganz rein aus seiner Phantasie geschöpft hat Hauff wohl nur selten; es finden sich bei ihm immer gewisse Anklänge an ältere Erzählungen, Sagen oder Begebenheiten, die er aber selbständig behandelt, in so ganz neuer Gestalt und mit so völlig ihm eigenen Zutaten, daß man, außer bei jenen beiden Geschichten, nicht von wirklicher Nacherzählung reden kann und ihn allein als den Schöpfer seiner Dichtungen gelten lassen muß.

Bei manchem seiner Märchen und den meisten seiner „Geschichten“ wird man nicht einmal im stande sein, ein direktes Vorbild, dem er nachgestrebt hätte, zu nennen. Am ehesten könnten außer „Tausendundeine Nacht“ hierfür wohl noch Tieck und die Romantiker in Frage kommen, insbesondere E. T. A. Hoffmann. „Tausendundeine Nacht“ freilich ist ein unzweifelhaftes Muster für Hauff gewesen, aber auch nur ein solches, kein Gegenstand der Ausbeutung den Stoffen nach. Wie viel er diese Sammlung in seiner Kindheit gehört oder studiert, wahrscheinlich auch in der Anfang der zwanziger Jahre erschienenen neuen Übertragung von Habicht, von der Hagen und Schall wieder gelesen und sich ins Gedächtnis eingeprägt haben muß, das zeigen die wiederholten Erwähnungen einzelner Erzählungen und der verschiedensten Gestalten daraus in seinen eigenen Schriften.

Der dritte Märchen-Almanach, mit der weniger durch selbständige Bedeutung hervorragenden Rahmenerzählung „Das Wirtshaus im Spessart“, enthält im ganzen weit ernster gehaltene Erzählungen als die beiden früheren, die sich darum auch viel besser für das jugendliche Alter eignen als jene, die Hauff niedergeschrieben hat in einer Zeit, da er viel zu sehr in das literarische Leben hineingezogen war und keinen solchen unmittelbaren Verkehr mehr mit Kindern hatte wie im Elternhause und während seiner Hauslehrertätigkeit. Den Ton jener damals geschriebenen Märchen trifft hier eigentlich nur die hübsche, von dem gräflichen Jäger vorgetragene Feengeschichte „Saids Schicksale“. Die Rahmenerzählung ist eine zwar gut erzählte, aber namentlich gegen den Schluß hin ziemlich triviale Nachahmung der zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts viel verbreiteten romantischen Räubergeschichten, die nach dem Vorbild von Schillers „Räubern“ und [10] des „Rinaldo Rinaldini“ von Vulpius fast immer einen bald als Bramarbas sich gebärdenden, bald sentimental schwärmenden und überaus edelmütigen und galanten Räuberhauptmann als Helden haben; doch sind die einzelnen Erzählungen bis auf die 2. Abteilung vom „Kalten Herzen“ wieder sehr geschickt in die sie umrahmende eingeflochten. „Die Sage vom Hirschgulden“, die Hauff dem Zirkelschmied in den Mund legt, verarbeitet vielleicht im Schwabenlande vorhandene Überlieferungen von den dortigen Hohenzollern[3]; einer wirklich feststehenden und verbreiteten Sage scheint aber auch sie nicht nacherzählt zu sein, obgleich Ton und Gepräge einer solchen vorzüglich getroffen sind. Dasselbe gilt von der Perle dieses Almanachs, der schönen, tiefpoetischen Erzählung des Studenten: „Das kalte Herz“, in der auch Charakter, Sitten und Gebräuche seines heimatlichen Schwarzwaldes treu und sicher vom Dichter geschildert werden.

Die düstere Geschichte „Die Höhle von Steenfoll“, die Hauff als eine „schottländische Sage“ bezeichnet und – wenig geschickt gewählt – von dem jungen Goldschmiedgehilfen Felix erzählen läßt, ist die verkürzte, aber sonst meist wortgetreue Übersetzung einer Erzählung „The Nikkur Holl“ aus dem ersten Bande der 1826 anonym erschienenen „Tales of a voyager“ von Rob. P. Gillies. Ist Hauff, was freilich nicht ganz feststeht, des Englischen mächtig gewesen, so hat er zweifellos eine eigene Übertragung geboten, wenn nicht, so muß ihm die 1827 erschienene Übertragung der „Tales“ von Ed. von Bülow als Grundlage gedient haben[3].

Endlich ist der Rahmenerzählung noch eine fünfte, nicht als selbständiges Glied hervorgehobene Geschichte einverleibt: die von dem Fuhrmann zum besten gegebene traurige Kirchhofsgeschichte, in der ein junges Mädchen durch Schreck und Grausen getötet wird. Es ist dies übrigens neben der „Geschichte Almansors“ im „Scheik von Alessandria“ und der „Geschichte von der abgehauenen Hand“ in der „Karawane“ die einzige, die einer der Beteiligten in den Rahmenerzählungen als eine wahre Begebenheit aus seinem eigenen Leben berichtet. Während aber die beiden zuletzt genannten zweifellos von Hauff erfunden sind, kann jene des Fuhrmanns recht gut in Wirklichkeit so oder ähnlich einmal vorgekommen sein.

Die zeitgenössische Kritik scheint von Hauffs zweitem Märchen-Almanach [11] nur sehr wenig Kenntnis genommen zu haben. Über den dritten Almanach lassen sich jedoch zwei Rezensionen anführen, die als Maßstab dafür gelten können, wie die Gabe Hauffs von den Mitlebenden aufgenommen wurde. In der besonderen Lobpreisung der Erzählung „Das kalte Herz“ stimmen beide am meisten miteinander überein, während sie sonst in Einzelheiten abweichende Ansichten offenbaren, im ganzen jedoch wieder beide zu einer warmen Empfehlung des Bandes kommen.

Th. Hells Besprechung in Nr. 94 des „Wegweisers“ zur „Abendzeitung“ vom 24. Nov. 1827 lautet: „Diejenigen kleinen, lieben Persönchen, für welche der Titel dieses Taschenbuch bestimmt, werden es nicht allein gern lesen und recht sehr dafür danken, wenn Papa oder Mama ihnen eins von den sauber eingebundenen und mit einigen eben nicht außerordentlichen, aber doch das junge Völkchen anziehenden Kupfern versehenen Exemplaren zur Weihnachtgabe bestimmt, sondern auch größere Leutchen werden ihr Vergnügen daran finden. Der Verfasser hat eine Erzählung von einem Wirtshause im Spessart und einer dort hausenden Räuberbande gedichtet, welche gleichsam die Einfassung zu den recht artigen Märchen bildet, die sich mehrere dort zusammentreffende Personen mitteilen. Diese Erzählung setzt sich zwischen den Märchen fort und spannt besonders in der ersten Hälfte die Aufmerksamkeit recht sehr; mit der Verwechslung von Felix und der Gräfin können wir uns aber nicht ganz einverstanden erklären und es bei der letzteren nie billigen, daß sie den armen Goldschmiedjungen in die augenscheinlichste Lebensgefahr brachte, der sie doch selbst nie ausgesetzt gewesen wäre. Der Schluß rührt und befriedigt dagegen wieder. – Unter den Märchen hat uns besonders ‚Das kalte Herz‘ ungemein gefallen, dessen Moral am Schlusse auch eine der natürlichsten und treffendsten ist. Saids Schicksale sind ebensogut erzählt und doppelt anziehend durch die Figur des allbekannten Harun al Raschid. Mit recht trockener Naivetät, wie es dem Zirkelschmied ziemte, ist die ‚Sage vom Hirschgulden‘ vorgetragen, wobei es jedoch den beiden Brüdern am Ende noch etwas trübseliger hätte ergehen sollen, und obgleich ‚Die Höhle von Steenfoll‘ den ‚Tales of a voyager‘ entlehnt ist, so ist sie doch recht wacker übertragen und nimmt sich auch in dieser Zusammenstellung schaurig genug aus. Der Ton und Vortrag ist, wie es sich für die Haltung des Ganzen ziemte, einfach, ja treuherzig möchten wir sagen, eben dadurch aber namentlich für die Jugend anlockend und fesselnd.“

[12] In Nr. 240 der „Blätter für literarische Unterhaltung“ vom 17. Okt. 1828 sagt der die Nummer 185 tragende ungenannte Mitarbeiter über den „Märchen-Almanach auf das Jahr 1828“ folgendes: „Die verschiedenen Dichtungen, aus denen diese Sammlung besteht … werden gewiß mit Recht zu den ausgezeichnetsten ihrer Art gerechnet. An Originalität, Bedeutung, Gedankenfülle und poetischer Wahrheit steht ‚Das kalte Herz‘ allen übrigen voran. Wir wissen nicht, wie viel oder wie wenig von seinem Stoff der Verfasser in der Sage vorfand; aber mochte er auch alles vorgefunden haben, die ergreifende Farbe der Wahrheit, in die er seine Fabel kleidet, die originellen Gestalten, die er seinen Geistern, dem kleinen Glasmännlein des Schwarzwaldes und dem ungeschlachten Riesen Holländermichel mitteilt, die fein ersonnenen und doch widernatürlichen Wendungen, die er seiner Erzählung und dem Schicksal seines Helden, dem Kohlen-Munk-Peter, zu geben weiß, und mit denen er unser Interesse fesselt, wie wenig Märchen dies tun, zwingen uns, den Dichter hier vollkommen auf seinem Gebiet anzuerkennen und zu bedauern, daß eine so versprechende Blüte so früh den Lebensstürmen zum Opfer fallen mußte. Dies Märchen gilt uns denn auch geradezu für das Beste, was Hauff in dieser Stilart hinterlassen hat; es unterhält und befriedigt auf eine wirklich seltene Art und schließt sich in einen Kreis von poetischen Fiktionen und einfachen Naturwahrheiten ein, der nicht schöner und glücklicher erfunden werden kann. Die Sage vom ‚Hirschgulden‘ steht ihr durch die originelle Zeichnung des alten ‚bösen Wetters von Zollern‘ an Verdienst nahe, an Bedeutung und feiner Einkleidung jedoch nach. ‚Saids Schicksale‘, die Erzählung des Jägers, klingen in dieser Umgebung etwas fremdartig und passen nicht recht zu dem Ton des Ganzen; der Verfasser verirrt sich hier nach dem Morgenlande hin, wo es ihm an tüchtigen Wegweisern fehlt. Die ‚Höhle von Steenfoll‘ schmeckt nach einem ausländischen (englischen) Original und hat uns wenig gefallen. Ihre Bedeutung ist fast null, und die Erfindung selbst, den gespenstigen Zug des Kapitäns van Swelder und seiner verunglückten Schiffsmannschaft abgerechnet, nicht glücklich. Desto löblicher ist wieder die Erfindung in der einleitenden und einrahmenden Erzählung selbst … So endet dies heiter erfundene und geschickt durchgeführte Werk gewiß zur vollen Befriedigung jedes an Nachdenken gewöhnten Lesers …“





  1. Vgl. Bd. 2, S. 63 ff., dieser Ausgabe.
  2. Vgl. Bd. 2, S. 62, dieser Ausgabe.
  3. a b Vgl. die Anmerkungen am Schlusse dieses Bandes.

Inhaltsübersicht

Märchen-Almanach auf das Jahr 1827

Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven

Märchen-Almanach auf das Jahr 1828

Das Wirtshaus im Spessart