Oberhof oder Reichshof Dorsten

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Textdaten
Autor: J. E. H. Rive
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Titel: Oberhof oder Reichshof Dorsten
Untertitel: Verhältniß der Stadt Dorsten zu dem Kapitul zu Xanten
aus: Über das Bauerngüterwesen in den Grafschaften Mark, Recklinghausen, Dortmund und Hohen-Limburg, in dem vormaligen Stifte Essen, Herzogthume Cleve (an östlicher Rheinseite) und in den Herrschaften Broich und Wertherbruch, I. Hauptabschnitt, 2. Abtheilung, Grafschaft Recklinghausen, S. 241–248
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1824
Verlag: Johann Peter Bachem
Drucker: Johann Peter Bachem
Erscheinungsort: Köln
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Originaltitel:
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Quelle: Digitalisat des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte
Kurzbeschreibung: Beschreibung der Stadt Dorsten und ihres Verhältnisses zum Stift in Xanten und dem Herzog von Kleve
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[241]

§. 96.

E. Der Oberhof oder Reichshof Dorsten.

Wir haben schon oben gehört, wie dieser Reichshof von Enriga oder Embza, der letzten Gräfin von Recklinghausen, durch eine testamentarische Verfügung an das berühmte und reiche Capitel zu Xanten gekommen ist. Zu diesem Oberhofe gehören eine große Anzahl von Bauernhöfen und Kotten, und es ist mit völliger Gewißheit anzunehmen, daß der Grund und Boden, worauf die Stadt Dorsten erbauet ist, und die Stadt selbst zu diesem Oberhofe gehört haben. Es ergiebt sich dieses unbestreitbar aus der in der Anlage XXXIV abgedruckten Urkunde vom 31sten Mai 1251, worin der Erzbischof Konrad von Köln die Stadt Dorsten als ein Allodium der Kirche von Xanten anerkennt, und derselben alle ihre Rechte darin vorbehält. Wie sich dann auch aus einem unter Zif. XXXV angelegten Zeugenverhör vom 23sten Junius 1228 bewährt, daß und in welcher Art das Capitel zu Xanten schon früher die niedere und hohe Gerichtsbarkeit in gedachter Stadt ausgeübt hat.

Noch in den neuesten Zeiten wurde aus vielen, und zwar aus den bedeutendsten dasigen Häusern zu der Renthei des Capitels zu Xanten, welche sich zur Erhebung der Zinsen und Pächte aus jenem Oberhofe in Dorsten befand, ein Canon bestehend in einem sogenannten Müschelchen, einer kleinen Münze, einer Fischschuppe ähnlich, die schon lange selten, dann unter den gangbaren Münzen nicht mehr gezählt worden, und endlich ganz verloren gegangen ist, entrichtet. Nachdem solche Müschelchen gar nicht mehr zu haben waren, so wurde für jedes ein kölnischer Stüber ge[242] zahlt und angenommen. Dieser Canon war übrigens ein Rutscherzins, der an einem gewissen Tage im Jahr und zwar nach Anlage XXXV in fine auf Mariä Himmelfahrtstag zu einer bestimmten Stunde, nicht früher und nicht später, bezahlt werden mußte, dergestalt daß derselbe, wenn die Zahlung nicht in der bestimmten Stunde erfolgte, mit jeder folgenden Stunde sich verdoppelte. Der Rentmeister oder, wie er auch sonst genannt wurde, der Speicherverwalter des Capitels zu Xanten hatte dagegen die Verpflichtung, jedem der Zahlenden bei der Zahlung ein Glas Wein zu reichen. Auf diese Weise zog gedachtes Capitel aus einem solchen, zwar eine gewisse Art von Oberherrlichkeit bekundenden, Bekenngelde gar keine pekuniäre Vortheile, und da den geistlichen Herren in spätern Zeiten wohl sehr wenig an einer derartigen, von ihnen vielleicht nicht einmal verstandenen Oberherrlichkeit gelegen seyn mochte, so ward in den jüngeren Zeiten den Zinspflichtigen verstattet, diesen Canon mit einem Capital von 5 Rthlr. Clevisch abzulösen. Von dieser Erlaubniß haben viele Besitzer solcher zinspflichtiger Häuser Gebrauch gemacht, um sich einer Last zu entziehen, die sie sich als Gefahr und sogar ihren völligen Ruin drohend dachten. Ja mancher Hausherr, der sich durch den Schulmeister hatte ausrechnen lassen, daß ein solches Müschelchen, zu dem Werthe von 1 Stbr. angeschlagen, mit jeder Stunde verdoppelt nach Ablauf von vier und zwanzig Stunden für diese letzte Stunde 139,810 Rthlr. 8 Stbr. ausmachen würde, war deshalb so in Angst gesetzt, daß er nicht nur jedesmal bei Anschaffung eines neuen Kalenders den bedeutungsvollen Tag darin anstrich, sondern auch mit großen Buchstaben und Zahlen auf der Stubenthür Tag und Stunde aufgezeichnet hielte, mit der Weisung an alle Hausbe[243] wohner, darauf zu achten und daran zu erinnern. Übrigens soll in ältern Zeiten das Capitel von Xanten auf dieses Gerechtsam streng gehalten, und jede Versäumung in Entrichtung des fraglichen Zinses, wo nicht nach der ganzen Strenge der ursprünglichen Verpflichtung, jedoch hart bestraft haben, wie dieses sich aus mehrern deshalb geführten und bis an die Reichsgerichte gebrachten desfallsigen Prozessen ergeben. In neuern Zeiten ist darüber kein Beispiel vorgekommen, und dieses vielleicht aus dem Grunde, weil theils die Verpflichtungen aufmerksamer, und theils die Rentmeister nachsichtiger geworden.

Hierzu kommt noch, daß ein großer Theil der nahe bei und um der Stadt Dorsten gelegenen Gärten, Ländereien und Wiesen in dem befragten Oberhofe behandigungspflichtig war, und daß daraus jährlich an den sogenannten xantischen Speicher Zinsen in Naturalien oder in Geld bezahlt werden mußten, welches wenigstens bis zu den Zeiten der Einführung der fremden Gesetzgebung unweigerlich geschehen ist.

Überdieß findet sich in der vorangeführten Anlage XXXV in fine eine sehr merkwürdige historische Notiz, wornach in ältern Zeiten dem Dechanten des gedachten Capitels, wenn er in der Stadt Dorsten übernachtete, die Ehre zu Theil ward, daß ihm der Bürgermeister der Stadt die Schlüssel derselben überbrachte.

Mit diesen Verhältnissen der Stadt Dorsten zu dem Capitel zu Xanten scheint der Umstand in Verbindung zu stehen, daß das Hobsgericht[1] jedesmal in der Pfarrkirche der Stadt gehalten wurde, und daß die Renthei des Capitels zu Xanten, so wie auch späterhin die des Herzogs von Arenberg, welcher vermöge des Reichsfriedens-Deputations-Schlusses[2] vom 25ten Februar 1803 an dessen Stelle getreten ist, die Verpflichtung[244] auf sich hatte und noch hat, das in jener Pfarrkirche zur Unterhaltung des sogenannten ewigen Lichts erforderliche Öhl, und alles Wachs zu den Lichtern auf den Altären zu liefern. Man glaubt nämlich hieraus die Folgerung ziehen zu dürfen, daß der Oberhof Dorsten, aus welchem sich einzig und allein das vorgefundene Verhältnis des Capitels zu Xanten zu der Stadt Dorsten ableiten läßt, sich bei dem Entstehen dieser Pfarrkirche in einer weit nähern Verbindung, als in welchem selbe späterhin gegen sie erschien, befunden habe.

Was den Oberhof Dorsten und die unter demselben begriffenen Hobsgüter betrifft, so finden sich darüber sehr merkwürdige Notizen in dem unter Nr. XXXVII angelegten Notarial-Document vom Jahr 1401 den 8ten August, und insbesondere

1) daß das Capitel zu Xanten wahrer Eigenthümer des befragten Oberhofes und der dazu gehörenden Hobsgüter, mit Ausschluß des den Besitzern oder Behandigten daran zustehenden Erbnutzungsrechtes sey;

2) daß der Regel und der Gewohnheit nach sechs Geschworne Hobsleute, welche aus neun Besitzern gewisser benannter Hobsgüter gewählt wurden, vorhanden seyen, welche sich jährlich viermal versammelten, um die Klagen anzuhören und Recht zu sprechen;

3) daß die Hobshörigen zur Erbtheilung, jedoch mit Ausnahme des Heergeweides und der Gerade, pflichtig seyen;

4) daß Jeder, welcher mit zu diesem Oberhofe gehörigen Gütern behandigt, selbst huldig und hörig seyn, und die Güter in Person besitzen und bewirthschaften müsse;

5) daß es von der Gnade und der Nachsicht des Capitels abhange, wenn es den Unfug gestatte, daß zwar hörige und huldige Personen ihre Hobsgüter von anderen besitzen und bewirthschaften ließen;

[245] 6) daß die neu Antretenden eine gewissen Summe entrichten mußten;

7) daß im Falle des kinderlosen Absterbens des Besitzers eines Hobsgutes die nächsten Erben desselben, oder derjenige, welchem diese solches gestattet, oder übertragen, ein solches erledigtes Gut gegen eine gewisse Summe wieder gewinnen und erwerben konnten, und daß das Capitel kein Recht hatte diesem zu widersprechen, wenn der neue Gewinnende oder Besitzer bereit war, die gutsherrlichen Abgaben und was sonst Rechtens davon zu leisten, das Gut selbst zu bewohnen und zu bewirthschaften, und solches bei seinen alten Rechten zu conserviren;

8) daß die Hobsgüter, selbst mit Consens des Capitels, nicht getheilt werden durften;

9) daß nicht alle Besitzer der Hobsgüter dem Capitel einen Eid zu leisten brauchten; sondern daß dieses bloß auf die Hobsgeschworenen beschränkt war;

10) daß von Alter her der Herzog von Cleve Schirmvogt des Hofes zu Dorsten gewesen, und daß derselbe für sein Recht von den Hobsleuten jährlich fünf und zwanzig Mark als Vaightbede (Vogtei-Beede) bezogen, welche unter ihnen nach einem alten Gebrauche, für den einen mehr für den andern weniger, vertheilt gewesen; daß zudem dem Schirmvogt von jedem bewohnten Hobsgute ein Huhn, Vastauen-Hoyn (Fastnachtshuhn) gebührt, welches derselbe durch seinen dazu bestellten Bothen von den Höfen habe abholen lassen; daß eben so die benannten Hobsleute verbunden, dem gedachten Schirmvogt alljährlich auf dem nächsten Sonntag nach Margaretha nach dem Hause Götterswick vier Zugpferde zu senden, um das Getraide des Schirmvogten in die Scheune zu fahren; daß aber derselbe gehalten gewesen, für diese Pferde das [246] Futter zu reichen, so lange als sie gearbeitet und nicht zurückgesandt worden, welches an dem Sonntage vor Johannes Enthauptung hätte geschehen müssen; daß besagter Schirmvogt dafür verbunden, die Hobsleute des Hofes Dorsten zu vertheidigen, und bei allen ihren Rechten, Gewohnheiten und Freiheiten zu schützen und zu wahren; diese aber dagegen demselben zu ferner nichts an Diensten und Leistungen, als vorbesagt, verpflichtet gewesen;

11) daß der Herzog von Cleve die Vogteigelder oder Vogtbeeden weder unmittelbar selbst noch durch seine Diener bezogen, sondern anderen zu Lehn gegeben habe, und

12) daß das Capitel zu Xanten über die erledigten Hobsgüter (d. h. über solche, zu welchen keine hofesrechtmäßige Erben Ansprüche haben) frei verfügen konnte, jedoch mit vorherigem Rath und Einwilligung der Hobsgeschwornen und der übrigen Hobsleute.

Die Hofesrechte selbst waren aus dem Lathenrecht des Bischofshofes zu Xanten, extrahirt im Jahr 1556, dessen oben §. 52 Erwähnung gethan ist, und dessen unten näher erwähnt werden wird, entnommen. Die eigentlichen Hobshöfe durften ihrer eigenthümlichen Natur nach, so wie auch nach den in dem Veste Recklinghausen bestehenden Consolidations-Gesetzen, nicht getheilt werden. Nur einer der Erben konnte zu dem Hobsgute gelangen, und dieser war der älteste Sohn der letzten Besitzer, und in Ermangelung von Söhnen die älteste Tochter. Die übrigen Kinder mußten, wenn sie das Hobsgut verließen, mit einem Brautschatz und Ausrüstung, welche gewöhnlich durch das Herkommen bei jedem Hofe bereits bestimmt waren, sonst aber mit Bewilligung des Hobsgerichtes festgestellt wurden, abgefunden werden.

[247] Hinsichtlich der Übertragung der zu dem Oberhofe gehörenden Hobsgüter bei Lebzeiten des Besitzers an den gesetzlichen Nachfolger bemerkt der Vestische Statthalter in seinem, im vorigen §. angezogenen Berichte, daß ein solcher Übertrag an jedem beliebigen Orte geschehen könne, wenn nur die Erklärung in Gegenwart zweier Hobsgeschwornen, des Hobsdieners und des Hobsschreibers abgegeben, von letzterm zum Protokoll genommen, und darüber bei der nächsten Zusammenkunft, oder Versammlung des Hobsgerichts referirt werde. Wenn der Hobshörige diese Art des Übertrages unterlassen, so habe das Capitel nach dem Tode des Besitzers zwar ein Recht zur Erbtheilung; jedoch nur in dem Maße, daß der Erbfolger das beste Pferd für sich vorabziehe. Für das übrige Mobilarvermägen trete das Capitel mit in die Reihe aller Erben, der ihm zufallende Theil werde von zweien Hobsgeschwornen ganz gering taxirt, und bleibe dem Hofes-Erben ohne weiters für das Taxatum.

Zum Schlusse legen wir noch in Ansehung des Oberhofes Dorsten, und seiner Verhältnisse zu dem Capitel zu Xanten in der Anlage XXXVII ein merkwürdiger Vergleich zwischen gedachtem Capitel und Hermann von Westerholt, sodann unter Nr. XXXVIII einige aus verschiedenen Hobsregistern oder Hobsprotokollen ausgezogenen Stellen bei, welche letzte sowohl für den Geschichtsforscher als auch für den Rechtsgelehrten, hinsichtlich des deutschen Privatrechts, sehr interessante Materialien enthalten zur Beurtheilung des Hobswesens überhaupt, und des Oberhofes Dorsten insbesondere. Letzte geben und nämlich merkwürdige Aufschlüsse

1) über das Hobsgericht, und wann und wo es gehalten wurde, so wie daß von dem Hobsgericht zu Dorsten die Sachen an den Oberhof Recklinghausen, [248] und von da weiter an den obersten Hof zu Dortmund verwiesen werden konnten;

2) über den Speicher, welchen das Capitel zu Xanten in Dorsten damals schon, und zwar auf dem nämlichen Platz, wo selber sich jetzt noch befindet, zu unterhalten berechtigt war;

3) über die Erbtheilung;

4) über die Aus- und Einwechselung in und aus dem Hofe;

5) über die Hobsgerichts-Beisitzer, oder Hobsgeschworene, damals Haues-Lauers oder Hofes-Laurer (von Lauren, Aufpassen, Acht geben) genannt;

6) und 7) von dem Rechte der Hofesbesitzer und dem Capitel an dem auf den Hobshöfen befindlichen Gehölze;

8) von dem Maße, worin die Früchte zu dem Speicher geliefert werden mußten;

9) über die Synode, oder das Send- oder Sitten-Gericht, welches mit dem Hobsgericht verbunden war, und mit Zuziehung des Pfarrers zu Dorsten über die Hobsleute gehalten wurde. (Hiermit ist die Nr. 13 in Verbindung zu setzen, welche zu dieser den Commentar liefert).

10) Über die Verpflichtung des Capitels zu Xanten, die in der Pfarrkirche zu Dorsten erforderliche Beleuchtung zu bestreiten.

11) über die Freilassung aus der Hörigkeit, über Ein- und Auswechselung zweier Personen gegen einander, über die Überträge der Güter, über Abfindung, Brautschatz, Leibzucht, u. s. w.

Der Inhalt der Anlage XXXIX zeigt, wie das Capitel zu Xanten auch die Jagdgerechtigkeit in dem Veste Recklinghausen in Anspruch genommen und ausgeübt habe.

Anmerkungen

  1. zuständig für die Angelegenheiten der Domkapitelhöfe
  2. Reichsdeputationshauptschluss