Oberlandesgericht München – Impfzwang

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Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 2. März 1886
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1886, Nr. 18, Seite 142–144
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Kurzbeschreibung: Der gesetzliche Impfzwang kann nicht durch Strafzahlungen umgangen werden
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 2. März 1886

in der Sache gegen den Fabrikbesitzer M. B. in U. wegen Uebertretung des Impfgesetzes.

Der Angeklagte wurde, weil sein am 11. Dezember 1883 geborenes Kind der Impfung entzogen blieb, am 7. Juli 1884 und wiederholt am 24. Juni 1885 bestraft, leistete auch der am 28. Juli 1885 vom k. Bezirksamt W. an ihn ergangenen Aufforderung, das genannte Kind binnen vierzehn Tagen impfen zu lassen und den Impfschein vorzulegen, keine Folge, und wurde deshalb durch schöffengerichtliches Urtheil vom 22. Oktober 1885 wegen Uebertretung nach §. 14 Absatz 2 des Impfgesetzes zu einer Geldstrafe von fünfzig Mark verurtheilt. Die Strafkammer hat seine hiegegen eingelegte Berufung verworfen. Hierdurch sollen nach der Revision des Angeklagten die §§. 14 Abs. 2 des Impfgesetzes und §. 15 Abs. 2 der hiezu erlassenen Vollzugsverordnung vom 24. Februar 1875 verletzt worden sein, weil im Impfgesetz nicht vorgeschrieben sei, daß Eltern so lange bestraft werden sollen, bis sie den Nachweis der geschehenen Impfung ihrer Kinder erbracht haben, und auch die bezeichnete Vollzugsverordnung nicht anordne, daß die erfolglos gebliebene Aufforderung an die Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen, nach eingetretener Bestrafung der Eltern wiederholt werden solle, demnach aber eine mehrmalige Bestrafung wegen einer und derselben Uebertretung ausgeschlossen sei. Die Revision ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Die in §. 1 Ziff. 1 des Impfgesetzes vom 8. April 1874 (Reichs-Ges.-Bl. S. 31) gegebene Vorschrift, daß jedes Kind vor dem Ablaufe des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres der Impfung mit Schutzpocken unterzogen werden soll, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugniß die natürlichen Blattern überstanden hat, ist eine gebietende, und beruht auf dem, dem Gesetze zu Grunde liegenden Princip des Impfzwangs (Verhandlungen des deutschen Reichstags 1873 Bd. I S. 281; 1874 Bd. III S. 22 und 26, [143] Bd. I S. 102, 226 ff.). Gemäß Z. 4 des Gesetzes ist die Impfung, wenn sie ohne gesetzlichen Grund unterblieben ist, binnen einer von der zuständigen Behörde – in Bayern gemäß §. 1 Abs. 1 der allerh. Verordnung vom 24. Februar 1875, den Vollzug des Impfgesetzes betr. (Gesetz- und Verordnungs-Blatt Seite 117), von der Distriktspolizeibehörde – zu setzenden Frist nachzuholen.

Von der zuständigen Behörde werden nach §. 7 des Gesetzes Listen der, der Impfung unterliegenden, Kinder aufgestellt, und über jede Impfung wird nach Feststellung ihrer Wirkung von dem Arzte ein Impfschein ausgestellt, in welchem bescheinigt wird, entweder, daß durch die Impfung der gesetzlichen Pflicht genügt ist, oder, daß die Impfung im nächsten Jahre wiederholt werden muß (§. 10 Abs. 1). In den ärztlichen Zeugnissen, durch welche die gänzliche oder vorläufige Befreiung von der Impfung nachgewiesen werden soll, wird bescheinigt, aus welchem Grunde und auf wie lange die Impfung unterbleiben darf (§. 10 Abs. 2). Nach §. 12 des Gesetzes sind Eltern, Pflegeeltern und Vormünder gehalten, auf amtliches Erfordern mittelst der vorgeschriebenen Bescheinigungen (§. 10) den Nachweis zu führen, daß die Impfung ihrer Kinder und Pflegebefohlenen erfolgt oder aus einem gesetzlichen Grunde unterblieben ist.

Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich zur Genüge, daß der Impfzwang, wenn nicht ein gesetzlicher Befreiungsgrund nachgewiesen wird, so lange fortdauert, bis durch die Impfung der gesetzlichen Pflicht genügt ist, und selbstverständlich müssen ebensolange auch die gesetzlichen Zwangsmittel zur Anwendung gebracht werden, denn außerdem würde das Gesetz seinen Zweck nicht erreichen können.

Als Zwangsmittel normirt das Gesetz in §. 14 Abs. 2 gegen Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, deren Kinder und Pflegebefohlene ohne gesetzlichen Grund und trotz erfolgter amtlicher Aufforderung der Impfung oder der ihr folgenden Gestellung entzogen geblieben sind, eine Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder Haft bis zu drei Tagen. Auf diese Strafe ist daher zu erkennen, wenn Eltern der an sie nach §. 4 des Gesetzes ergangenen behördlichen Aufforderung nicht Folge geleistet haben, und es bedarf nach dem Gesagten keiner ausdrücklichen Bestimmung im Gesetze, daß die Aufforderung nach §. 4 und die Bestrafung nach §. 14 Abs. 2 zu wiederholen ist, wenn trotz der Bestrafung der neuerlichen Aufforderung nicht Folge geleistet und der gesetzlichen Pflicht nicht genügt wird, da jede solche Unterlassung eine neue Auflehnung gegen den Impfzwang und somit eine neue Strafthat in sich schließt. In diesem Sinne ist auch die Bestimmung in §. 15 Abs. 2 der Verordnung vom 24. Februar 1875 – auf deren Anwendung übrigens das angefochtene Urtheil, in welchem sie nur als Interpretationsbehelf [144] in Anzug genommen ist, gar nicht beruht – aufzufassen, welche vorschreibt, daß, wenn der Nachweis der Impfung oder eines gesetzlichen Befreiungsgrundes nicht erbracht ist, hievon der betreffenden Staatsanwaltschaft Anzeige zu machen und den Betheiligten eine Frist zur Nachholung der Impfung nach §. 4 des Impfgesetzes vorzusetzen ist. Eine andere Auffassung würde dem Impfgesetze widerstreiten.