Ogier von Dänemark

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Autor: Heimbert Paul Friedrich Hinze
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Titel: Ogier von Dänemark.
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aus: Neue Thalia. 1792–93. 1792, Erster Band, S. 79–91
Herausgeber: Friedrich Schiller
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[79]
II.
Ogier von Dänemark.
dramatisches Denkmahl.

Bekannt ist Ogiers Nahme. Seine Thaten sind es vielleicht weniger. Entfernung seiner Zeit, und Entfernung unsers Geschmacks von seiner Zeit haben den staubigen Schleyer des Alters und der Vergessenheit darüber hingebreitet.

Ogier verlor seinen geliebten Baldwin, durch die Hand des Sohns seines Kaysers. Es war der süße Erstling seiner Liebe und seines Herzens, seiner Jugendträume seligstes Erinnern. Nach einem fehlgeschlagnen Angriff der Rache auf das Leben des Mörders, muß er, in das Schloß des Erzbischofs Turpin verwiesen, seinen Vaterschmerz in sich zurückzwingen, und, auf das Bewußtseyn gerechter Sache sich lehnend, allein von der Zeit es abwarten, ob sie seinen Prozeß noch disseits des ewigen Richterstuhls schlichten werde, oder [80] nicht. Der glückliche Ausgang eines entscheidenden, für ganz Frankreich wichtigen Zweykampfs mit dem Riesen Bruhier, worin Ogier obsiegt, führt ihm endlich die gewünschte Gelegenheit herbey, wo er den Damm seines Herzens nach Willkühr durchreissen darf. Man liefert ihm den Mörder seines Baldwin in die Hände; der Vater darf jezt der Richter seyn; die Einwilligung Karls des Großen, und die unerschmeichelte Zustimmung einer ganzen Versammlung sind auf seiner Seite; sein Schmerz darf jetzt ausbrechen; denn immer war er eher Mensch, als Held. Wer erwartet hier einen andern Ausgang, als den, welchen die Natur der Sache selbst zu begünstigen scheint? Ogiers Schwerdt ist gezückt; aller Augen haften an seiner Schneide; in diesem Momente muß der entscheidende Streich fallen, und –

Ach! unsre Thränen sanken vorhin auf sein unschuldigblutendes Vaterherz; aber jetzt starren wir an seiner Größe hinauf. Der Sonnenstrahl seiner Hoheit trocknet [81] die befeuchtete Wange, und das aufgeregte Mitleid schwillt in Bewunderung über.

Kayserliches Gezelt, am Ufer der Loire.

Karl der Große; Karlmann; der Erzbischof Turpin; Ogier; Ritter und Edle des Reichs; Eindringendes Volk.

Karl. sitzend; ihm zur Rechten steht sein Sohn, zur Linken der Erzbischof. Er erhebt sich. Deinem Arme, mein Ogier, verdank’ ich diesen glorreichen Sieg über die Afrikaner, und die Ruhe unsers Reichs. Die Völker der Heiden haben bereits meine Grenzen verlassen, und ich sehe nur glückliche Unterthanen um mich her. Es ist die Frucht deiner Tapferkeit. Der heutige Tag ist euch Allen so herrlich aufgegangen, noch herrlicher wird er euch untersinken. Ob er es auch mir wird? – Ach, die Krone drückt hart in mein Haupt; es ruht sich nicht leicht auf dem Pfühl eines Kaysers. [82] Die Sorgen des Herrschers sind minder sanft, als die Sorgen des Gehorchers. Aber, wißt! Es sind süße Schmerzen gegen die Leiden eines Vaters der sein köstlichstes Kleinod zu verlieren fürchten muß. Kein Purpur deckt seine Quaalen zu; es schlägt nur noch fürchterlicher darunter. – Ich habe dir mein kayserliches Wort gegeben, Ogier; ach! gieb es dem Vater jetzt zurück, wenn du dem Kayser vielleicht weniger wohl willst. Vor den Großen meines Reichs legt’ ich dieß Wort in deine Hände; und deine ritterlichen Hände empfingen es; ich darf es nicht wieder zurücknehmen. Aber bluten lassen darf ich mein Herz, und du magst seine Wunden sehen. Rede; – was verlangst du?

Ogier. kalt. Daß Ihr Euer Wort heilig haltet.

Karl. Und sonst nichts, als das? – Deine runzelvolle Stirn und dein düsterrollendes Auge haben früher gesprochen, als deine Zunge. Man spricht von dir, du habest [83] einst geliebt. Da war Liebe eine Verirrung der Natur. Dein Herz ist hart, wie deine Rüstung. Auch an Elisenens Brust hat es nicht weicher geschlagen. – Wie oft, wenn du, im wildesten Getümmel, neben mir rittest, und mein Schwerdt sich über das Haupt des Unbewehrten schwingen wollte, hast du meine Rechte sanft an dich gehalten, und den Streich verhindert. Dann sah ich dich, – du lächeltest. Deß freut’ ich mich fast im Innern. – Armer Kayser, das war ein andrer Ogier! Nur ihre Waffen und ihr Nahme war Eins. Jener verehrte die Natur; in diesem hat sie sich selbst gelästert. Oder besitzest du Muth genug, zu zeigen, daß ich irrte?

Ogier. Wenn Ihr nicht irrtet, würde man mich eines Irthums zeihen können. Kayserwort ist Gotteswort. Rein und heilig; fest und ewig. An beyden mag ich nicht irre werden. Thut, was Ihr verspracht, und liefert mir Euren Sohn aus.

Karl. schmerzlich. Theuer läßt du mich deinen Sieg bezahlen! daß ich ihn dir wiedergeben [84] könnte! – Ich habe den Himmel meines Volkes mit einer Hölle für mein Herz erkauft. – O, bey dem Dreyeinigen! der Kauf kann nicht bestehen. Dieser Handel hat Euch reich, und mich zum Bettler gemacht. – Ogier! bey dem Schatten deines großen Ahnen Doolin, bey deinem Ruhme, bey deinem ritterlichen Nahmen, bey – darf ich dieses Wort noch aussprechen? – bey der Liebe zu deinem guten Kayser, beschwör’ ich dich: zerreiße nicht mein väterliches Herz. Siehe, dieser da ist mein Sohn …

Ogier. ernst. Und meines Sohnes Mörder.

Karl. Seine Jugend hat ihn dazu gemacht.

Ogier. Mich hat sie kinderlos gemacht.

Karl. mit steigendem Affekt. Und darum soll ich es auch werden? O über den bedächtigen Mörder! – Was meinem Sohne den Dolch gab, muß ihn dir aus der Hand winden. Was meinen Sohn entschuldigt, [85] muß dich anklagen, was ihn rechtfertigt, dich verdammen. Wie? Hab’ ich ihn etwa für deine Blutgier groß gezogen, oder hast du darüber mit seiner Mutter geschlichtet? Wie?

Ogier. ohne Interesse. Keins von beyden. Aber Ihr habt mir Euer Wort gegeben.

Karl. im höchsten Affekt. Nun, dann rede der Kayser, wenn du den Vater nicht hören willst. Barbar, du sollst ihn nicht haben. er faßt ans Schwerdt; Ogier geht ihm beherzt einen Schritt entgegen. Dumpfes Murren im Volke. Gehorche, Vasall!

Erzbischof Turpin. Dazwischentretend. Friede, im Nahmen Gottes! Haltet, gnädigster Monarch; zurück, Ogier! – Noch nicht lange haben wir dem Herrn des Lebens und des Todes ein Danklied gesungen für die Ruhe, die er seinem Volke, nach Schweiß, und Blutvergießen, wiedergab; wollen wir seinen Zorn von Neuem reizen? [86] – Verzeiht, mein gnädigster Kayser; ich muß so reden. Euer Wohl gilt mir über Alles. Was ist äusserer Schein von Eintracht, wenn Groll und Zwiespalt das Innere verwüsten? Ein aussen fruchtbarer Berg, mit Wäldern und Gesträuchen bewachsen, in dessen Schooße eine verzehrende Lava kocht. – O, mein Kayser, daß ich also zu Euch sprechen muß. Aber mein Schweigen wäre Verbrechen. Ich kann Eurer Rede nicht beypflichten; denn Ihr habt geschworen, und wißt selber, was ein Schwur ist. Ritterpflicht mag nicht bestehen, wenn Kayserwort zu einem Scherze wird; da lößt sich das Band, das Euer Volk an Euerm Herzen festhielt, von selbst ab, und Treue heißt ein Mährchen. – Mächtigster Kayser, du, der so manchen stolzen Feind bekämpfte, bekämpfe einmal dein eigen Herz. Gieb uns ein Beyspiel, dessen Grösse Jahrhunderten ein Räthsel bleiben, das keine Sage verschweigen, kein Geschichtsbuch übergehen wird. Handle so: daß sich einst Nachwelten staunend zurufen: [87] „Wir können’s nur denken; Karl allein konnt’ es thun!“ (große Pause. Mit Nachdruck.) Karl der Große!

Karl. Gott! So muß ich denn – (Schmerz erstickt seine Worte.)

Erzbischof. Gesegnet sey der Augenblick, da mein Kayser also sprach. Wer verkennt Euch in diesen Worten noch? – Und nun (sich zu Ogier wendend) nur noch weniges an dich.

Ogier. mit abgekehrtem Gesicht. Macht es kurz.

Erzbischof. So kurz, als ob ich meinen Todtfeind segnen wollte. – Du rechnest dein Geschlecht bis in die Zeiten der Tafelrunde hinauf; wohl dir, daß du das kannst. Aber weißt du auch, was diese Tafelrunde so unsterblich gemacht hat? Ihre Ritter waren nicht bloß Helden, sie waren auch edelmüthige Menschen. Heldenmuth, ohne Menschlichkeit, ist ein geschlifnes Schwerdt in Knabenhand, und Heldenthaten [88] allein verwehen, wie der Staub, den die Hufen deines Rosses aufwerfen, noch ehe sie einer zwoten Generation sich nähern. Edelsinn ist der Faden, an welchem sich Heldenmuth fortspinnt, und wenn Edelsinn den Einschlag gab, bilden Heldenthaten endlich ein unzerreißbares Gewebe. – Groß war dein väterlicher Schmerz, als du deinen Baldwin verlorest, das weiß ich; und gerecht, das fühl’ ich. Aber, sprich selbst; die Wunden, welche dir sein Tod ins Herz schlug, können unmöglich noch bluten, oder – du hättest schon dein Leben mit ihnen weggeblutet. Sie müssen längst verharrscht seyn. Und wie, Ritter? Thaten dir denn ihre Wehen so süße, daß du das Bild dieser Leiden mit so vieler Inbrunst zurückwünschen kannst? Oder glaubst du, daß Kaysergefühle weniger Menschengefühle, und Kayserthränen weniger rührend, als Ritterthränen, sind? – Ogier, was brächtest du ganz Frankreich für ein Opfer, wenn du deinen Ansprüchen entsagen, und dem Mörder deines Sohnes mit [89] Liebe verzeihen wolltest. (warm) Höchste Beleidigung und höchste Verzeihung umarmen sich in schönen Seelen ja so gerne! – Leg einmal alle deine Heldenthaten zusammen, und wäge sie jetzt gegen das einzige, ärmliche Wörtchen: „Ich verzeihe!“ – O! du würdest bald sehen, welche Schale den Ausschlag gäbe, und dich wundern über dich selbst und dein unedles Zaudern.

Ogier. beleidigt. Bischof, laßt den Ritter unangetastet. Ihr wißt nicht, was einem Ritter edel, oder unedel ist.

Erzbischof. (zum Kayser.) Gnädigster Monarch, mein Geschäft naht sich seinem Ende, das Eure seinem Anfang. Ich weiß, Ihr seyd gefaßt; hintergeht unser Erwarten nicht.

Karl. halbleise. Darf ich anders?

Erzbischof. mit wehmüthigem Blick, halb auf den Kayser und halb auf Ogier. Ogier! –

Ogier. Die Hand an sein Herz legend. Auch ich darf nicht anders.

[90] Karl. mit anscheinender Fassung. Gebt ihm meinen Kar… Thränen ersticken die zwote Sylbe; er wendet das Gesicht ab.

Der Erzbischof naht sich schweigend dem zitternden Karlmann, und führt ihn bey der Hand zu Ogier. Mit Gerassel reißt dieser sein breites Schwerdt heraus; seine Linke greift wüthend in Karlmanns Haar. Furchtbarfeyerliche Stille der Versammlung. Das Schwerdt saust in die Höhe. Der Kayser schauert sichtbar zusammen. Aengstlich hervorbrechendes Seufzen der Menge.

Ogier. läßt plözlich den Prinzen fahren, und wirft sein Schwerdt von sich. Sein Gesicht verzieht sich in ein weiches Lächeln, wie wenn man freudig überrascht wird, oder jemand überrascht zu haben glaubt. O, mein Kayser! (sich niederwerfend.) Sieh mich hier zu deinen Füßen! Vergieb, ich that dir wehe; aber ich that es, um dir nicht noch weher thun zu müssen. Blick herab, gnädigster Kayser. Hier knie’ ich, und hier steht dein Sohn, dessen Leben mir so heilig, als dein eignes, [91] ist; unser Schuldbrief ist zerrissen, so wahr der Himmel mir meine Schulden nicht vorbehalten wolle. – Sey getrost! dein Karlmann lebt; da, nimm ihn aus meinen Armen zurück.

Allgemeines Jauchzen:

„Heil, Heil dem edlen Ogier!“

Zärtliches Umarmen zwischen Vater und Sohn.

H. P. F. Hinze [1].
  1. Ich ersuche den Verfasser dieses Aufsatzes, meinem Verleger oder mir, von seinem Wohnort Nachricht zu geben, da der Brief, der diesen Aufsatz begleitete, während meiner Krankheit an mich eingelaufen, von einer fremden Hand erbrochen worden und verloren gegangen ist.
    S.

Erläuterungen (Wikisource)

Der Autor erhielt für dieses Werk nach zweimaliger Mahnung ein Honorar von einem Louisdor. Dies wird durch einen Brief Schillers an den Verleger Göschen belegt. (E-Text des Briefes)