Ossietzky spricht

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Autor: Carl von Ossietzky
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Titel: Ossietzky spricht
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aus: Die Weltbühne. 28. Jahrgang 1932, Nummer 27, Seite 8–10.
Herausgeber: Carl von Ossietzky
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Erscheinungsdatum: 5. Juli 1932
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
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[8] Ossietzky spricht

Nach Notizen von Johannes Bückler

Ich betrachte die in Aussicht stehende Amnestie nicht als eine Hintertür, durch die ich entschlüpfen möchte. Aber es findet in diesen Tagen eine Konferenz in Genf statt, in der die deutsche Regierung sich über die Abrüstung zu entscheiden hat. Es kann dies ein Wendepunkt des deutschen Schicksals sein. Und während die deutschen Vertreter in Genf erklären, daß ihnen der Abrüstungsvorschlag von Hoover nicht weit genug geht, wird in der Heimat ein Prozeß geführt, in dem der Vertreter der Anklage den Soldatenstand nur verherrlichen kann. Ich fürchte von diesem Prozeß schlimme außenpolitische Folgen; ebenso wie sie durch das Urteil des Reichsgerichts im Weltbühnenprozeß eingetreten sind. Der Prozeß kann zu größeren [9] Schädigungen des deutschen Ansehens führen, als die ganze Sache wert ist.

Seit 1912 habe ich den Krieg bekämpft. Ich gehörte schon vor dem Krieg einer pazifistischen Organisation an. Ich bin kein Novembersozialist oder -pazifist. Was ich im Krieg gesehen, hat meine Meinung über ihn und das Kriegshandwerk durchaus bestätigt. Den Artikel in der ‚Weltbühne‘, der ja nicht von mir selbst stammt, und wegen dessen ich hier angeklagt bin, vertrete ich vollständig. Ich habe niemals lieber vor dem Gericht gestanden als grade wegen dieses Artikels, der ganz meiner Auffassung entspricht. Doktor Tucholsky, den Verfasser, habe ich 1919 in Berlin in einem Kreise kennen gelernt, aus dem die alljährlich im August stattfindenden „Nie-wieder-Krieg“-Demonstrationen entstanden sind.

1919 erschienen auch in der ‚Weltbühne‘ die ersten pazifistischen Glossen von Tucholsky. Aus jener Zeit stammt die Abneigung des Reichswehrministeriums gegen die ‚Weltbühne‘. Später waren wir geradezu der Gegenpol der Politik des Reichswehrministeriums.

Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß der Krieg nichts Heroisches bedeutet, sondern daß er nur Schrecken und Verzweiflung über die Menschheit bringt. Grade weil wir wissen, daß die machtpolitische Situation für uns im Augenblick nicht günstig ist, grade deshalb müssen wir eine lapidare Sprache führen. Aber diese lapidare Sprache geht von Laotse über die Bibel und Kant durch die ganze Literatur. Alle haben den Krieg als Mord und das Soldatenhandwerk als Mörderhandwerk gekennzeichnet. Das Wort Mörder wird hier nicht in einem juristischen sondern in einem sittlichen Sinne gebraucht. Seit zweitausend Jahren streitet man sich um diese Dinge herum. Es scheint sich hier um eine Frage der Quantität zu handeln. Das ist der ewige Zwiespalt zwischen der Staatsmoral und dem Individuum. Man kann das auf die Formel bringen: dem kleinen Mörder schlägt man den Kopf ab, dem großen setzt man einen Lorbeerkranz auf.

Wir sind keine Fanatiker und keine Bilderstürmer, aber wir halten es für nötig, daß eine deutliche Sprache geführt wird. Wenn die Anhänger des Kriegs gegen uns aufmarschieren, dann heißt es auch Verräter, Feigling, und der Pazifist gilt als zuchthauswürdig. Wir aber, die wir in einem ständigen Angriff gegen den Krieg stehen, müssen uns der Terminologie bedienen, die dafür seit zweitausend Jahren vorliegt.

Wir vertreten heute keine isolierten Gedanken mehr. Seit einigen Jahren besteht der Kelloggpakt, durch den die Reihe der Mittel, die die Staaten gegeneinander anwenden dürfen, beschränkt worden sind, und der den Krieg out of law stellt.

Ich fasse den Prozeß als ein Kesseltreiben des Reichswehrministeriums gegen Pazifisten auf. Es ist auch kein Zufall, daß keine der großen Frontsoldatenorganisationen mit ihren Hunderttausenden von Mitgliedern sich beleidigt fühlt; jeder Frontsoldat würde den Vorwurf ruhig einstecken. Höchstens die Offiziere können sich beleidigt fühlen, die in den Krieg einen Ehrbegriff hineingetragen haben, der nicht hineingehört.

[10] Ich habe eben einen der merkwürdigsten Augenblicke meines Lebens gehabt, als in das Plaidoyer meines Verteidigers von der Straße die Klänge der Militärmusik hereintönten. Ich weiß nicht, ob man darin ein bedenkliches Symbol sehen soll oder einen belanglosen Zufall. Aber vielleicht ist durch diesen Klang der Staatsanwaltschaft von heute die Stimme ihres Herrn mitgeteilt worden.

Ich bin vielleicht der Einzige hier im Saal gewesen, der über den Strafantrag auf sechs Monate Gefängnis nicht erstaunt gewesen ist. Denn es bleibt für mich bestehen, daß eine bestimmte Denkrichtung verfolgt werden soll. Es ist aber falsch, wenn man annimmt, daß es sich in dem Weltbühnenartikel um die Diffamierung eines Standes handelt, es handelt sich um die Diffamierung des Krieges. Wir greifen aber hier nicht nur an, sondern wir verteidigen das Recht auf Leben. Was nützt den Toten des Weltkriegs die Ehre, die hier angeblich geschützt werden soll? Was nützen Denkmäler des unbekannten Soldaten den Gefallenen? Erst muß der Mensch leben, dann kann seine Ehre geschützt werden!

Der Antrag des Staatsanwalts beweist, wie sehr die Staatsanwaltschaft unter den Einfluß des Nationalismus geraten ist, der sich einbildet, die wahre deutsch Nation zu verkörpern.

Ich wende mich an das Gericht mit der Beteuerung, daß ich durch zwanzig Jahre eine gute und anständige Sache vertreten habe. Eine Gesinnung kann man nicht unter Beweis stellen. Hier muß geglaubt werden. Ganz gleich, wie das Urteil ausfällt, ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für die Idee weiter kämpfen, die ich für Recht erkannt habe.