Otto Ule (Die Gartenlaube 1858/46)

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Titel: Otto Ule
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 664–666
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Otto Ule.

Unter den an Zahl täglich zunehmenden berufsmäßigen Naturforschern muß man zwei Classen unterscheiden. Die Einen haben bei ihrem Forschen nur die Förderung der Wissenschaft an sich im Auge, wobei sie dem sehr verzeihlichen Ehrgeiz huldigen, ihrem Namen in den Annalen der Wissenschaft einen Ehrenplatz zu erringen. Die Andern bestimmen ihr wissenschaftliches Streben nur nach dem Grundsatze, daß vor allen andern die Wissenschaft der Natur Gemeingut Aller sei, und ihr Ehrgeiz ist darauf gerichtet, den Dank des Volkes zu gewinnen, dem sie klare Einblicke in den Naturhaushalt und somit das Verständniß ihrer irdischen Heimathsangehörigkeit eröffneten.

Wer wollte den Rang zwischen beiden Classen abwägen? Beide sind gleicher Ehre werth, die auch beiden von dem Volke bereitwillig zuerkannt wird.

Um so betrübender ist es, daß nicht wenige Naturforscher der erstgenannten Classe mit einer gewissen Geringschätzung auf die anderen herabsehen, und die „Popularisirung“ für eine Entweihung der Wissenschaft halten. Einigen Grund zu dieser Anschauung haben Jene darin, daß sich allerdings unter die Zahl der naturwissenschaftlichen Volksschriftsteller mancher Unberufene eingedrängt und bei dem urtheilsunfähigen Publicum wohl gar einen großen Beifall gefunden hat.

Vielleicht mehr noch als hierin finden die strengen Forscher der ersten Classe einen, freilich nicht berechtigten, Grund, die Volksschriftsteller über die Achsel anzusehen, weil diese Letzteren meist nicht selbst forschen, sondern das von ihnen, den strengen Forschern, Erforschte nur weiter verbreiten, indem sie es für das Verständniß des großen Publicums zurichten.

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Otto Ule.

Bis zu welchem verbissenen Ingrimm dieser naturforscherliche Corps Geist hinreißen kann, beweisen Liebigs Ausdrücke: „Spaziergänger an den Grenzen der Naturwissenschaft,“ „Kinder an Erkenntniß der Naturgesetze,“ „Dilettanten,“ womit derselbe einen Forscher wie Moleschott zu bezeichnen wagte.

Otto Ule, dem Gleichstrebenden, würde es wahrscheinlich gleich ergangen sein, wenn sein Streben das Feld der Chemie näher berührte, denn auch er ist, und zwar noch ausgesprochener, als Moleschott, ein Volksnaturforscher, der allerdings an dem Gebäude der Physik, wo er am liebsten weilt, vielleicht noch keine neue Stufe gelegt, noch ein neues Fenster gebrochen, oder gar ein neues Stockwerk aufgesetzt hat, Dennoch geht er mit sicherem Tritt und Schritt dem Volke voran, wenn er es in den weiten Hallen und verschlungenen Gängen dieses Gebäudes herumführt, denn er ist darin vollkommen zu Hause, und mit sicherem Urtheil kann er seinen Begleitern zurufen: „duckt euch, hier sind die Wände nicht taktfest“, oder an einer andern Stelle, wo es noch finster ist: „hier wird es bald auch hell werden, das Fenster ist schon ziemlich fertig.“ Otto Ule könnte bei der Fortführung des großen Baues sich seine Stelle vollberechtigt auswählen, aber – man werde sich nur dessen recht klar – er hat als Volkslehrer dazu keine Zeit, eben so gut wie die vorhin sogenannten strengen Forscher von sich sagen können: „wir haben keine Zeit, an das Volk zu denken; die Ueberwachung unserer Experimente, unserer Beobachtungen, die Aufzeichnung der Ausweise unserer Instrumente – Alles das nimmt uns so in Anspruch, daß wir uns in die gemüthliche Stimmung eines Volksnaturforschers gar nicht versetzen können, gar nicht versetzen dürfen.“

Noch einmal, man werde sich nur dessen recht klar, daß der Volksnaturforscher, wenn er mit Hingebung seinem schönen Berufe huldigt, sich und seine ganze Zeit derselben zum Opfer bringen muß. Und in diesem Lichte wollten wir den Lesern der Gartenlaube das Bild Otto Ule’s vorführen, als eines Volksnaturforschers im edelsten Sinne des Wortes. Aus alle dem, was er schreibt, leuchtet unverkennbar die ungeschmälerte Hingebung an das Bildungsbedürfniß seines Volkes hervor.

Es bedarf der authentischen Unterlagen über Ule’s Lebens- und Bildungsgang nicht, denn dieser geht, soweit er hierher gehört, aus seinen Schriften so deutlich von selbst hervor und spitzt sich so klar und bestimmt auf den Beruf des Volkslehrers zu, daß wir in diesem Augenblicke den Mangel solcher Unterlagen kaum empfinden.

Sein erstes Auftreten als Schriftsteller im Jahre 1850 mit seinem dreibändigen Werke „das Weltall“, von welchem unseres Wissens jetzt die dritte Auflage unter der Presse ist, zeigte sofort, daß er seinen Beruf als Volkslehrer mit ernster Tiefe auffaßte. Er fügte sich darin nicht dem leider nur noch zu tief in allerlei Volk wurzelnden Gelüste nach angenehm mundender „belehrender Unterhaltung“, sondern er verlangte von seinen Lesern den Ernst der Lernbegierde. Und er hat sich nicht verrechnet. Das Buch fand eine glänzende Aufnahme, welche Ule ermuthigte, schon im Jahre darauf in seinem kleineren Buche „Die Natur. Ihre Kräfte, Gesetze und Erscheinungen im Geiste kosmischer Anschauung“, noch einen [666] Schritt weiter zu gehen. In diesem gibt er dem Volke nicht blos für seine Naturanschauung ein maßgebendes Gesetzbuch, sondern auch einen Spiegel, von dem er auf der letzten Seite selbst sagt: „hier findet ihr Freiheit und Liebe, Gesetz und Ordnung: hier findet ihr euch selbst wieder.“

Um in noch innigeren Verkehr mit den Lesern seiner Schriften zu treten und in weiteren Kreisen belehrend zu wirken, gründete Ule im Jahre 1852 im Verein mit Karl Müller und Roßmäßler die seitdem im besten Fortgange stehende Zeitschrift „Natur“. In dieser konnten die Drei mit vielen sich ihnen zugesellenden Gehülfen aus allen Gebieten der Naturwissenschaft ihren Lesern Belehrung bieten, wobei Ule nicht nur Hauptredacteur, sondern auch Hauptmitarbeiter ist, und dabei den ehrlichen Muth gehabt hat, den Verketzerungen seiner Weltanschauung namentlich in dem kritischen Beiblatte entgegenzutreten.

Treu seiner Auffassung von gründlicher Volksbelehrung auf physikalischer Basis gab er 1854 und 1857 die 2 Bände seiner „Physikalischen Bilder im Geiste kosmischer Anschauung“ heraus. In diesem Buche ist es Ule meisterlich gelungen, das allgemein herrschende Gesetz der Bewegung in allen seinen Bethätigungen dem Leser klar zu machen und dadurch das große Publicum einzuführen in das weite Entdeckungsgebiet, wo jetzt die berühmtesten Forscher unablässig beschäftigt sind und für eine nicht mehr ferne Zukunft die wichtigsten Umgestaltungen vorbereiten.

So ist denn Otto Ule nicht einer von den vielen naturwissenschaftlichen Volksschriftstellern, welche als immerhin kundige Cicerones das Volk doch mehr nur bald hierhin, bald dorthin leichten Schrittes durch die vor ihm ausgebreitete Natur führen; sondern er gleicht mehr einem kundigen Bergführer, welcher durch wohldurchdachte Führung das Interesse und die Kräfte zu steigern und zu concentriren weiß. Wir dürfen hoffen, daß er dem Volke noch lange ein solcher Führer sein werde, denn er ist noch jung und körperlich und geistig frisch. Ule ist uns seit einigen Jahren in zwiefacher Hinsicht immer als das Glied einer Trias erschienen, die er, der Physiker, mit Moleschott dem Physiologen und Strecker dem Chemiker bildet; von drei Schwestern auch durch verwandtschaftliche Bande innig aneinander gefesselt, huldigen die Drei der wissenschaftlichen Trias, welche die Gegenwart bewegt und die Zukunft beherrschen wird. Wir führen dies nicht blos an als gelegentliche Notiz über Ule’s äußeres Leben; sondern weil das äußere Leben die Basis des innern ist, so betonen wir es, daß Ule und seine beiden berühmten Schwäger durch ihre Frauen, welche ihre Männer verstehen, in ihrer wissenschaftlichen Einmüthigkeit gewissermaßen in Liebe getragen werden.