Palmeta und Pineta

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Autor: Franz Keller-Leuzinger
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Titel: Palmeta und Pineta
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 428–430
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Palmeta und Pineta.
Ein tropisches Vegetationsbild.
Von Keller-Leuzinger.

Als sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Banden beutelustiger Spanier über den neuen Continent ergossen, waren sie erstaunt, auf den Vorbergen des mexicanischen Hochlandes, wo sie sich nach Durchwanderung des feucht-heißen Küstenstriches zum ersten Male wieder an frisch sprudelnden Quellen erlaben konnten, zwei Pflanzenformen bei einander zu finden, die sie, als Vertreter sehr verschiedener Klimate, sonst nur an räumlich weit aus einander liegenden Punkten zu sehen gewohnt waren: Palmen und Nadelhölzer, Palmeta und Pineta. Die ersteren hatten sie zuvor nur in dem sonnenglühenden Afrika oder in dem südlichsten schmalen Küstenstriche ihrer Heimath, die letzteren auf den unwirthlichen Höhen ihrer Sierras, oder, wenn das Kriegsgeschick den Einen und Andern schon weiter verschlagen, in den jedem Südländer doppelt fremd erscheinenden europäischen Norden gefunden. Hier aber, auf dem Boden der neuentdeckten Welt, standen sie Stamm an Stamm: die mächtige, stolz aufgeschossene Pinie und in deren Schatten die zierliche Palme mit den schwanken, dicht befiederten Wedeln, sodaß dieselbe Brise, welche diese letzteren zerzauste, auch die mächtigen, quirlständigen Candelaberäste der Araucaria, jener hundert bis hundertfünfzig Fuß hoch wachsenden Coniferen- (Nadelholz-) Gattung, erzittern machte.

Die merkwürdige Vereinigung dieser beiden Pflanzen ist indessen keineswegs auf die neue Welt, oder gar auf jene mexicanischen Hochlande beschränkt; überall, wo innerhalb der Tropen oder der nächst angrenzenden Zone durch eine größere Erhebung über den Meeresspiegel, sowie durch reichliche atmosphärische Niederschläge die hauptsächlichen Bedingungen zu dem Gedeihen beider Formen erfüllt sein werden, müssen sich dieselben vorfinden; so in Indien an den Abhängen des Himalaya, und so in den Südprovinzen von Brasilien, wo hinter dem bis auf sechstausend Fuß sich erhebenden Küstengebirge ein breites Hochland mit einer mittleren Erhebung von zweitausend Fuß gegen die gewaltige Rinne des Paraná und Uruguay allmählich sich niedersenkt.

Wenn wir bei unseren Forschungsreisen auf dem Iguassúflusse in der brasilianischen Provinz Paraná einige der überall herumliegenden dürren Endbüschel der Araucarienäste brennend [429] in das entleerte Zelt schleuderten, um die durch den starken Thau feucht gewordenen Leinwandzelte ’ zu trocknen, so hatte vielleicht keine fünfzig Schritte davon entfernt einer der Köche eben eine schöne Palme gefällt, um sich des jüngsten Triebes, des sogenannten Palmits oder Palmkohles, zu culinarischen Zwecken zu bedienen.

Es ist überhaupt ein interessantes Stück Land, jener an der Grenze der Tropen gelegene Theil der großen transatlantischen Monarchie, wo sich hinter dem breiten Waldgürtel, welcher längs der Küste sich hinzieht und die Abhänge der Serra do Mar bedeckt, die herrlichen Prairien der Campos geraes entrollen, gleichsam als Vorspiel zu den unabsehbaren Pampas der argentinischen Republik. Während weiter nach Süden die Hügel niedriger und niedriger werden, um an den Ufern des eigentlichen La Plata in der trostlosesten Graswüste gänzlich zu verschwinden, erfreuen in jenen Breiten noch kühne Bergformen des Wanderers Auge, oft von mächtigen, wild ausgezackten, an ausgedehnte Burgtrümmer erinnernden Sandsteinnrissen gekrönt, und die Einförmigkeit des graugrünen Grasteppichs wird noch da und dort durch scharf abgegrenzte Waldinseln unterbrochen, die einen Umfang haben, der zwischen wenigen hundert Schritten und einigen Meilen schwankt.

Diese Waldinseln oder Capoes de Mato, wie die Brasilianer sie nennen, erheben sich meistens in den Thalmulden und kleineren Einsenkungen des Bodens, wo die zwischen dem darunterliegenden felsigen Gerüste und den oberen Erdschichten rinnenden Wasser auch während der trockenen Jahreszeit noch einen gewissen Grad von Feuchtigkeit zu unterhalten im Stande sind; seltener sieht man sie auf den eigentlichen Rücken der Hügel, wo sie den Winden zu sehr ausgesetzt sind.

Insel im Iguassú-Flusse (Brasilien).
Nach der Natur aufgenommen von F. Keller-Leuzinger.

Auf diesen wellenförmigen Plateaus scheinen die zum Gedeihen der Palmen und Nadelhölzer nothwendigen Bedingungen vollständig vorhanden zu sein, trotz der in den Monaten Juni, Juli und August öfters unter den Gefrierpunkt sinkenden Temperatur, denn unter dem breiten Schirmdache ausgedehnter Araucarienwälder schaukeln mehrere Arten von Palmen ihre stolzen Wipfel, und zu ihnen gesellen sich, besonders an den Ufern der Bäche, die zarten Fiederkronen der verschiedenartigsten Baumfarne, jener, nächst den Palmen, schönsten aller Pflanzenformen, deren mit bronzefarbenen Borsten und Schüppchen dicht bedeckte, wie das Ende eines Krummstabs spiralförmig aufgerollte Triebe im Centrum der breiten Wedel einen so seltsamen Anblick darbieten. Dazu üppig schwellende Moose, aus deren feuchtem Schooße fingerdicke Schachtelhalme hervorsprießen, dichtverwachsene Bambusarten und dergleichen: dies Alles vollendet ein Vegetationsbild, wie es eigenthümlicher, urwüchsiger nicht gedacht werden kann.

Diese Zusammenstellung von Pflanzenformen gewinnt jedoch ein noch höheres Interesse, wenn wir uns erinnern, daß die Reste jener üppigen Vegetationsdecke unseres Planeten, welche uns in den Steinkohlenflötzen erhalten sind, im Allgemeinen eine analoge Zusammensetzung zeigen. Der Anblick der vorgeschichtlichen Urwälder, wenn es je einem menschlichen Auge vergönnt gewesen wäre, sie zu schauen, muß im großen Ganzen ein ähnlicher gewesen sein, ehe sie entwurzelt und von gewaltigen Fluthen in den Buchten einer tausendfältig zerrissenen Inselwelt zusammengeflößt, schichtenweise von Sand und Schlamm überlagert wurden und unter der Einwirkung eines bedeutenden Druckes im Laufe der Jahrtausende jenen merkwürdigen Proceß durchmachten, durch welchen uns der an denselben enthaltene Kohlenstoff in beinahe reiner Form erhalten wurde. – Sieht man doch an den Zuflüssen des Paraná sowohl wie an denen des Amazonas auch heute noch häufig genug dieselben Anhäufungen vegetabilischer Stoffe; dort weilt das Auge auf Hunderten riesiger Cederstämme, auf schlanken Palmen und vielknotigem Bambus, und der achtlos aus dem [430] Boote an’s Land Springende sinkt bis zum Knie in die Anschüttung loser, halbverwester Blätter, die kaum mit einer dünnen Schlammschicht bedeckt sind. Diese Pflanzenscenerie giebt uns ein, wenn auch nur annäherndes Bild von der Art und Weise, wie im ewigen Haushalte der Natur die gewaltigen Magazine jenes Brennstoffs gebildet wurden, ohne welche heutzutage unsere gesammte Industrie, in ihrer dermaligen Entwickelung wenigstens, unmöglich bestehen könnte.

Auch Brasilien ist reich an mächtigen Kohlenlagern, doch ist natürlich bei dem jetzigen Mangel an Arbeitskräften keine Rede von einer Ausbeutung derselben. Bleiben doch noch so viele andere Schätze des Landes unbenutzt im Schooße der Erde liegen oder verfaulen im Dunkel der Wälder, und führt doch sogar das im Allgemeinen so holzreiche Brasilien jährlich für viele Tausende schwedisches, russisches und canadisches Tannenholz ein, da dies bis jetzt billiger und leichter zu beschaffen war als das einheimische. Erst in neuerer Zeit hat sich eine Gesellschaft gebildet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die mächtigen Nadelwälder der Südprovinzen in rationeller Weise auszubeuten und dem in seiner Weise ausgezeichneten Araucarienholz die gebührende Geltung zu verschaffen.

Das Palmholz, obgleich meist aus nicht allzu fest zusammenhängenden dunkeln, hornartigen Fasern bestehend, findet in der Form gerissener Latten bei der Construction der Palmblattdächer sowie bei derjenigen der leicht aufgeschnürten Fußböden der Hütten, eine viel allgemeinere Verwendung. Die Palmen haben die härtesten, dichtesten Fasern unmittelbar unter der Rinde und nach der Mitte zu eine weichere, porösere Masse, während die Nadelhölzer nach dem Kerne zu fester werden.

Bei alledem besteht eine gewisse Aehnlichkeit im Charakter, im ganzen Habitus der beiden sich eigentlich so fern stehenden Pflanzenformen. Sie ist wohl in dem ihnen beiden gemeinsamen, gerade aufstrebenden Stamm, der Einfachheit und Symmetrie der ganzen Anlage, sowie dem Erwecken einer schwermüthigen, elegischen Stimmung zu suchen, die ja auch, was die Tanne anbetrifft, bei uns in zahlreichen Volksliedern schon ihren Ausdruck gefunden hat.

Wer je einen einsamen Ritt über die lautlosen Campos gemacht hat und in der Ferne eine der eben beschriebenen Waldinseln aus dem einförmigen Graugrün der grasbedeckten Hügel auftauchen sah, der wird diese Aehnlichkeit herausgefunden haben und sich sicher auch einer gewissen poetischen Melancholie nicht haben erwehren können. Wie ein Meer dehnt sich die wellige Ebene ringsum: kein Haus, keine Hütte weit und breit, kein Vogel, kein sonstiges Thier zu sehen oder zu hören außer ein paar Grillen, die rastlos ihr Abendlied zirpen. Am fernen Horizont zeichnen sich die von der Abendgluth golden angestrahlten Kuppen der Araucarien scharf gegen das helle Firmament, während die Wipfel der weniger hohen Palmen schon halb im Schatten liegen, bis die schnell hereinbrechende Nacht Alles in ihren Schleier hüllt und der Reiter ein nothdürftiges Unterkommen in einer halb verfallenen Hütte findet oder sein Pferd am Waldrand anbindet, um sich auf die Satteldecken zu strecken, den klaren Sternenhimmel als einziges Schutzdach.