Prinzipien der Dynamik des Elektrons (1903)

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Autor: Max Abraham
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Titel: Prinzipien der Dynamik des Elektrons
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aus: Annalen der Physik (1903). 315, Nr. 1 (Ausgegeben 30. 12. 1902), S. 105–179
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Entstehungsdatum: 1902
Erscheinungsdatum: 1903
Verlag: Johann Ambrosius Barth
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Erscheinungsort: Leipzig
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Prinzipien der Dynamik des Elektrons;
von Max Abraham.
§ 1. Einleitung und Inhaltsübersicht.

Die Arbeiten zahlreicher Physiker haben zu der Hypothese geführt, daß in den Kathodenstrahlen und Becquerelstrahlen die Atome der negativen Elektrizität, die sogenannten „Elektronen“,[1] in Bewegung begriffen sind. Für den Quotienten aus Ladung und träger Masse dieser Teilchen ergaben Versuche über Kathodenstrahlen den gleichen Wert, den man aus der einfachsten Form des Zeemaneffektes für die in der Lichtquelle schwingenden elektrischen Teilchen erhalten hatte. Dieses Resultat veranlaßte insbesondere Hrn. E. Wiechert,[2] die Theorie der Kathodenstrahlen anzuschließen an die von Hrn. H. A. Lorentz[3] herrührende Formulierung der elektromagnetischen Lichttheorie, welche die Beteiligung der Materie an den elektrischen und optischen Vorgängen auf die Bewegung elektrischer Teilchen zurückführt. Für diese „Elektronentheorie der Elektrodynamik“ wird das Problem der Dynamik des Elektrons von fundamentaler Bedeutung. Insbesondere drängt sich die Frage auf: Ist die Trägheit des Elektrons vollständig durch die dynamische Wirkung seines elektromagnetischen Feldes zu erklären, oder ist es notwendig, außer der „elektromagnetischen Masse“ noch eine von der elektrischen Ladung unabhängige „materielle Masse“ heranzuziehen? Die erstere Auffassung wurde von den Herren W. Sutherland[4] und P. Drude[5] vertreten. Wie die Herren Th. des Coudres[6] und H. A. Lorentz[7] bemerkten, hängt die Entscheidung jener Frage ab von den Trägheitserscheinungen, welche die Elektronen bei größeren, gegen die Lichtgeschwindigkeit nicht mehr zu vernachlässigenden Geschwindigkeiten zeigen; in der Tat, eine etwa vorhandene materielle Masse, die dem Teilchen als solchem anhaftet, wäre von der Bewegung unabhängig, die durch den elektromagnetischen Feldmechanismus bedingte Trägheit hingegen muß eine Funktion der Geschwindigkeit sein. Gelingt es, die Dynamik des Elektrons ohne Heranziehung einer materiellen Trägheit aufzubauen, so eröffnet sich die Perspektive auf eine elektromagnetische Begründung der gesamten Mechanik.[8]

Jenes für die Elektrodynamik wie für die Mechanik fundamentale Problem erschien seiner Lösung nähergerückt, als Hr. W. Kaufmann[9] durch Versuche über die elektrische und magnetische Ablenkbarkeit der Becquerelstrahlen nachwies, daß die Geschwindigkeit der Elektronen hier nicht weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegt, und daß ihre träge Masse wirklich mit wachsender Geschwindigkeit zunimmt. Indessen war eine Entscheidung der Frage, ob die experimentell gefundene Abhängigkeit der Masse von der Geschwindigkeit sich rein elektromagnetisch deuten läßt, bei dem damaligen Stande der Theorie nicht möglich. Hr. O. Heaviside[10] hatte zwar die magnetische Energie eines langsam bewegten Elektrons berechnet; allein der Versuch Hrn. J. J. Thomsons,[11] die „scheinbare“ Masse des kugelförmigen Elektrons bei großen Geschwindkeiten zu bestimmen, ist als mißglückt zu bezeichnen. Erfolgreicher waren die theoretischen Untersuchungen der Herren W. B. Morton[12] und G. F. C. Searle[13] über das Feld gleichförmig bewegter elektrisch geladener Leiter von ellipsoidischer Gestalt; dieselben führten zur Kenntnis der elektromagnetischen Energie des Elektrons; aus dieser läßt sich indessen nur die „longitudinale“ Masse berechnen, die sich einer Beschleunigung in der Bewegungsrichtung widersetzt, die „transversale“ Masse, die gerade bei Ablenkungsversuchen in Rechnung zu ziehen ist, wird durch die Energie nicht bestimmt. Andererseits enthalten die Formeln für die longitudinale und transversale Masse, die Hr. Eigennamen in H. A. Lorentz ohne Angabe des Beweisganges mitteilte,[14] nur die beiden ersten Glieder von Reihenentwickelungen, die nach Potenzen des Geschwindigkeitsquadrates fortschreiten; für Kathodenstrahlen geben sie eine genügende Annäherung, für Becquerelstrahlen keineswegs. Das war der Stand der Theorie, als ich meine erste Arbeit über die Dynamik des Elektrons[15] veröffentlichte. Die Formel für die transversale elektromagnetische Masse, die ich ableitete, schien zwar zunächst die empirisch gefundene Abhängigkeit von der Geschwindigkeit nicht recht befriedigend darzustellen. Es gelang indessen Hrn. W. Kaufmann,[16] nach Korrektur eines früher untergelaufenen Rechenfehlers, die Theorie mit der Beobachtung in Übereinstimmung zu bringen, indem er durch eine geeignete Methode diejenigen Fehler eliminierte, die von der ungenauen Kenntnis der Feldstärken des ablenkenden elektrischen und magnetischen Feldes herrührten. Weitere genauere Messungen bestätigten[17] die Richtigkeit der aus der elektromagnetischen Theorie abgeleiteten Formel innerhalb der Fehlergrenze der Versuche. So konnte das Resultat ausgesprochen werden: Die Masse des Elektrons ist rein elektromagnetischer Natur.

In der vorliegenden Abhandlung, über deren Inhalt ich bereits auf der Karlsbader Naturforscherversammlung berichtet[18] habe, stelle ich mir die Aufgabe, die Dynamik des Elektrons auf rein elektromagnetischer Grundlage aufzubauen. Ich schreibe dem Elektron Kugelgestalt zu, und eine in konzentrischen Kugelschichten homogene Verteilung der Ladung; insbesondere werden die beiden einfachsten Annahmen homogener Volumenladung und homogener Flächenladung bevorzugt. Daneben allerdings operiere ich auch mit homogener Volumen– oder Flächenladung eines Ellipsoides, um zu unterscheiden, welche Resultate aus den allgemeinen Grundgleichungen, und welche aus der speziellen Annahme der allseitigen Symmetrie des Elektrons folgen.

Drei Systeme von Grundgleichungen sind es, auf denen die Dynamik des Elektrons beruht. Die erste „kinematische Grundgleichung“ (I) schränkt die Freiheit der Bewegung des Elektrons ein, das System der „Feldgleichungen“ (II) ergibt das vom Elektron erregte elektromagnetische Feld, während das dritte System der „dynamischen Grundgleichungen“ (III) die Bewegungen bestimmt, die das Elektron in einem gegebenen äußeren Felde ausführt.

Die in der ersten Grundgleichung enthaltene Kinematik des Elektrons stimmt mit derjenigen des starren Körpers überein; wie die Materie an den Volumenelementen des starren Körpers, so haftet die Elektrizität an den Volumenelementen des starren Elektrons. Diese kinematische Grundhypothese mag manchem willkürlich erscheinen; mancher wird, auf die Analogie der gewöhnlichen, elektrisch geladenen festen Körper sich berufend, die Vorstellung vertreten, daß die ganz enormen Feldstärken, die an der Oberfläche des Elektrons herrschen — dieselben übertreffen die unserer Messung zugänglichen um das Billionenfache — im stande sind, das Elektron zu deformieren; am kugelförmigen Elektron würden sich alsdann die elektrischen und die elastischen Kräfte das Gleichgewicht halten, so lange als das Elektron ruht; durch die Bewegung des Elektrons aber würden die Kräfte des elektromagnetischen Feldes, und daher auch die Gleichgewichtsform des Elektrons geändert werden. Es ist nicht diese Vorstellung, die zur Übereinstimmung mit dem Experiment geführt hat. Auch schien mir die Annahme eines deformierbaren Elektrons aus prinzipiellen Gründen unzulässig zu sein. Denn sie führt zu der Konsequenz, daß bei der Formänderung von den elektromagnetischen Kräften, oder gegen sie Arbeit geleistet wird, daß also außer der elektromagnetischen Energie eine innere potentielle Energie des Elektrons heranzuziehen ist. Wäre das wirklich notwendig, so wäre bereits die elektromagnetische Begründung der Theorie der Kathoden– und Becquerelstrahlung, eines rein elektrischen Vorganges, unmöglich, dann wäre auf die elektromagnetische Begründung der Mechanik von vornherein zu verzichten. Es ist nun unser Ziel, die Dynamik des Elektrons rein elektromagnetisch zu begründen; daher dürfen wir ihm ebensowenig Elastizität, wie materielle Masse zuschreiben. Wir hoffen umgekehrt die Trägheit und die Elastizität der Materie auf Grund der elektromagnetischen Auffassung verstehen zu lernen.

Eine der soeben angedeuteten verwandte Überlegung mag Heinrich Hertz geleitet haben, als er in seinen „Prinzipien der Mechanik“ nur solche kinematische Zusammenhänge zuließ, deren Bestehen weder Erzeugung noch Zerstörung kinetischer Energie bedingt. Das war notwendig, weil er alle Energie auf kinetische Energie bewegter Massen, alle Kräfte auf kinematische Verbindungen zurückführen wollte. Dem Einwande, daß wir starre Verbindungen in Wirklichkeit nur angenähert realisiert finden, begegnet Hertz mit den Worten:[19] „auf der Suche nach den wirklichen starren Verbindungen wird unsere Mechanik vielleicht zur Welt der Atome herabzusteigen haben“. Nun, die elektromagnetische Mechanik steigt noch weiter herab; in den Atomen der negativen Elektrizität, diesen Kugeln, deren Radius nur den billionten Teil eines Millimeters beträgt, nimmt sie eine starre, unveränderliche Anordnung der elektrischen Ladung an. Daß es zulässig ist, von starren Verbindungen zu reden, bevor man von Kräften gesprochen hat, das hat Hertz überzeugend dargetan. Unsere Dynamik des Elektrons unterläßt es überhaupt, von Kräften zu reden, die das Elektron zu deformieren bestrebt sind. Sie spricht nur von „äußeren Kräften“, die ihm eine Geschwindigkeit oder Drehgeschwindigkeit zu erteilen vermögen, und von „inneren Kräften“, die, vom Felde des Elektrons herrührend, jenen das Gleichgewicht halten. Und auch diese „Kräfte“ und „Drehkräfte“ sind nur Hülfsbegriffe, die definiert werden durch die kinematischen und die elektromagnetischen Grundbegriffe. Das Gleiche gilt von Worten wie „Arbeit“, „Energie“, „Bewegungsgröße“, bei deren Wahl allerdings das Bestreben maßgebend war, die Analogie der elektromagnetischen Mechanik zur gewöhnlichen Mechanik materieller Körper deutlich hervortreten zu lassen.

Die Feldgleichungen und die dynamischen Grundgleichungen werden im zweiten Abschnitte in Anlehnung an die Lorentzsche Theorie entwickelt. Im dritten Paragraphen wird nachgewiesen, daß man aus dieser Theorie nicht nur eine elektromagnetische Energie, sondern auch eine elektromagnetische Bewegungsgröße ableiten kann. Das hat zuerst Hr. Poincaré[20] hervorgehoben; er zeigte, daß bei Einführung einer solchen der Schwerpunktsatz für Elektronensysteme gilt, und behauptete von dem Flächensatz das Gleiche. Die Existenz einer elektromagnetischen Bewegungsgröße ist für die Dynamik des Elektrons von fundamentaler Bedeutung. Sie allein ermöglicht die Zurückführung der inneren Kräfte auf einen vom elektromagnetischen Felde des Elektrons abhängigen „Impuls“ und „Drehimpuls“, und gestattet so eine vereinfachte Berechnung der elektromagnetischen Masse und des elektromagnetischen Trägheitsmomentes. Von ihr hängt auch das sehr bemerkenswerte Resultat ab, daß die Dynamik der wichtigsten Klasse von Bewegungen des Elektrons, der „ausgezeichneten Bewegungen“, sich in die analytische Mechanik Lagranges einordnen läßt. Ich habe darum geglaubt, eine neue Ableitung der elektromagnetischen Bewegungsgröße geben zu sollen; mit Hülfe von Vektoranalysis wird der skalare Ausdruck für die virtuelle Arbeit der inneren Kräfte umgeformt und so gleichzeitig die Poincarésche Transformation der inneren Kraft und die entsprechende der inneren Drehkraft erhalten. Durch Einführung des transformierten Ausdruckes der virtuellen Arbeit der inneren Kräfte wird ferner, im vierten Paragraphen, die dynamische Grundgleichung (III) auf eine Form (VII) gebracht, die dem d’Alembertschen Prinzip entspricht; auch ergeben sich die „Bewegungsgleichungen“ (VII a, b) des Elektrons, welche die zeitlichen Änderungen des Impulses und des Drehimpulses bestimmen. Die größere Schwierigkeit der mathematischen Behandlung dieser Bewegungsgleichungen gegenüber den Bewegungsgleichungen der gewöhnlichen Mechanik ist darin begründet, daß Impuls und Drehimpuls nicht in einer gleichzeitig allgemeinen und strengen Weise als Funktionen der jeweiligen Geschwindigkeit und Drehgeschwindigkeit zu bestimmen sind, sondern für jede einzelne Bewegung, ihrer Vorgeschichte gemäß, gesondert durch Integration der Feldgleichungen ermittelt werden müssen.

Im fünften Abschnitte gelangen wir, nachdem die Feldgleichungen auf ein im Elektron festes Koordinatensystem bezogen sind, zu der Einsicht, daß eine Klasse „ausgezeichneter Bewegungen“ besondere Beachtung verdient. Dieselbe ist dadurch ausgezeichnet, daß das Feld, beurteilt von einem mit dem Elektron starr verbundenen Gerüst aus, stationär ist, und durch die hiermit verknüpfte Eigenschaft des für die inneren Kräfte maßgebenden Vektors, der Gradient eines „Konvektionspotentials“ zu sein. Zu den ausgezeichneten Bewegungen gehört unter anderen gleichförmige Translation und gleichförmige Rotation.

Reine Translation wird in den nächsten vier Paragraphen (6—9) untersucht. Die Gesetze des Feldes, das von einem gleichförmig bewegten Elektron erregt wird, sind im wesentlichen bereits in den oben zitierten Arbeiten der Herren Morton und Searle enthalten; unbekannt aber blieb jenen Autoren die aus den Feldgesetzen folgende Tatsache, daß Impuls und Energie sich in der aus der analytischen Mechanik bekannten Art aus der „Lagrangeschen Funktion“ ableiten lassen, einer Funktion, die definiert ist als Differenz der magnetischen und elektrischen Energie, und die sich ausdrückt durch ein über das Volum des Elektrons erstrecktes, vom Konvektionspotential abhängiges Integral. Für reine Translation gilt das erste Axiom Newtons. Es gilt auch das zweite Axiom, d. h. es läßt sich eine „elektromagnetische Masse“ definieren; dieselbe ist freilich kein Skalar, wie die Masse der gewöhnlichen Mechanik, sondern ein Tensor von rotatorischer Symmetrie, dessen Komponenten, die longitudinale und die transversale Masse, in verschiedener Weise von der Geschwindigkeit abhängen. Allerdings gilt das zweite Axiom nur für quasistationäre, d. h. für nicht zu rapide beschleunigte Bewegungen; es zeigt sich jedoch, daß in praxi alle beobachtbaren Geschwindigkeitsänderungen und Ablenkungen durchaus quasistationär erfolgen.

Im zehnten Abschnitt wird die allgemeine Untersuchung der „ausgezeichneten Bewegungen“ wieder aufgenommen. Eine Betrachtung, die sich auf den Energiesatz und auf die Impulssätze stützt, führt zu dem Resultat, daß für stationäre und quasistationäre Bewegungen dieser Klasse die Lagrangeschen Gleichungen gelten. Im elften Paragraphen wird die Anwendung auf die Rotation des Elektrons gemacht, im zwölften diejenige auf translatorische Bewegung eines Ellipsoides.

Die mathematische Formulierung aller der zu entwickelnden Beziehungen gewinnt nicht nur größere Eleganz, sondern auch engeren Anschluß an die physikalische Auffassung, wenn man die Vektorenrechnung verwendet. Was die geometrische Bedeutung der Begriffe und Symbole dieses Kalküls anbelangt, so verweise ich auf meinen Artikel in der Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften;[21] ich begnüge mich hier damit, die im folgenden gebrauchten Symbole und Rechnungsregeln zusammenzustellen. Dabei werden Vektoren im allgemeinen mit deutschen Lettern bezeichnet, ihre Komponenten durch den Index kenntlich gemacht. Wir definieren folgende

Symbole:

, das „innere Produkt“ der Vektoren und , ist der Skalar:

, das „äußere Produkt“ der Vektoren und , ist der Vektor, dessen Komponenten sind:

, die „Divergenz“ des Vektors , ist der Skalar:

Häufig verwandt wird die als „Gaußscher Satz“ bekannte Transformation eines Raumintegrales in ein Oberflächenintegral:

, der „Curl“ des Vektors , ist der Vektor, dessen Komponenten sind:

, der „Gradient“ des Skalars , ist ein Vektor mit den Komponenten:

ist der Skalar:

ist der Vektor mit den Komponenten:

ist der Vektor, dessen Komponenten sind:

Auch der mit der Vektoranalysis nicht Vertraute überzeugt sich durch Nachrechnen leicht von der Gültigkeit folgender

Rechnungsregeln:

vermöge des Gaußschen Satzes kann man diese Rechnungsregel auch schreiben:

der Gauß’sche Satz ergibt:

Wir geben eine Übersicht über die wichtigsten der im folgenden benutzten

Bezeichnungen.

Zeit.

, , Kartesische Koordinaten.

Volumenelement.

Flächenelement der Begrenzung des Feldes.

äußere Normale desselben.

Vektor der Translationsgeschwindigkeit des Elektrons.

Vektor der Rotationsgeschwindigkeit.

Vektor, der den Abstand eines Punktes des Elektrons vom Mittelpunkte anzeigt.

Geschwindigkeitsvektor des Punktes.

Vektor der virtuellen Verrückung.

dessen Komponenten.

Betrag der translatorischen Geschwindigkeit.

Lichtgeschwindigkeit.

Quotient der beiden Größen.

Feldstärken des vom Elektron erregten elektrischen bez. magnetischen Feldes.

Feldstärken des äußeren Feldes.

Poynting’scher Strahlvektor.

, , elektrische, magnetische und gesamte Energie.

Lagrangesche Funktion.

, der Impulsvektor bez. sein Betrag.

Drehimpuls.

äußere Kraft.

äußere Drehkraft.

, Arbeit der inneren bez. äußeren Kräfte.

skalares Potential.

Vektorpotential.

Konvektionspotential.

räumliche Dichte der Elektrizität.

Ladung des Elektrons, in abs. elektrostatischem Maße.

Betrag der Ladung, elektromagnetisch gemessen.

elektromagnetische Masse bei geringen Geschwindigkeiten.

longitudinale Masse.

transversale Masse.

elektromagnetisches Trägheitsmoment.

Radius des Elektrons.

§ 2. Die Grundgleichungen.

Dem Elektron, dem Atome der negativen Elektrizität, schreiben wir die Ladung zu, die wir durch absolute elektrostatische Einheiten ausdrücken. Das in den Kathodenstrahlen und Becquerelstrahlen bewegte freie Elektron betrachten wir als eine Kugel von dem unveränderlichen Radius . Über die Verteilung der Ladung machen wir die beiden einfachsten Annahmen, die möglich sind. Die Elektrizität soll entweder gleichförmig über das ganze Volumen der Kugel, oder gleichförmig über ihre Oberfläche verteilt sein; diese beiden Fälle werden wir durch die Benennungen „Volumenladung“ und „Flächenladung“ unterscheiden. Bei den allgemeinen Entwickelungen indessen rechnen wir stets mit einer endlichen räumlichen Dichte , indem wir den Fall der Flächenladung als Grenzfall einer gleichförmigen Verteilung über eine sehr dünne, von zwei konzentrischen Kugeln begrenzte Schicht auffassen.

Die Elektrizität soll, das ist unsere erste Grundhypothese, an den Volumenelementen des starren Elektrons haften, wie die Materie an den Volumenelementen des starren Körpers. Es soll demnach für die Bewegungen des Elektrons, und der an ihm haftenden Elektrizität, die Kinematik des starren Körpers gelten. Es bezeichne den Vektor, welcher die Geschwindigkeit des Mittelpunktes des Elektrons nach Richtung und Betrag anzeigt, oder die „Translationsgeschwindigkeit des Elektrons“; sei der Vektor, der durch seinen Betrag die Drehgeschwindigkeit um den Mittelpunkt, durch seine Richtung die Lage der Drehachse angibt; der vom Mittelpunkt nach einem beliebigen Punkte des Elektrons gezogene Radius Vektor werde geschrieben; dann ist die Geschwindigkeit der Punkte des Elektrons bestimmt durch die kinematische Grundgleichung:

(I)

Wie in der analytischen Mechanik, so ist es auch in der Dynamik des Elektrons zweckmäßig, neben der wirklich stattfindenden Bewegung eine nur gedachte „virtuelle" Verrückung der Punkte des Elektrons in Betracht zu ziehen, welche ihrerseits der kinematischen Grundgleichung genügt; wir bezeichnen sie mit , ihre Komponenten mit , , . Letztere haben die Gleichungen zu erfüllen:

(Ia)

die aussprechen, daß die virtuelle Verrückung nicht mit Formänderung verbunden sein darf.

Ist die Bewegung des Elektrons bekannt, so ist das vom Elektron erregte elektromagnetische Feld bestimmt durch die Feldgleichungen der Lorentzschen Theorie:

(II)

bezeichnen hier die in absolutem Gaußschen Maße gemessenen Feldstärken des vom Elektron erregten Feldes, die Lichtgeschwindigkeit. Gegenüber der Hertz–Heavisideschen Form der Feldgleichungen tritt nur insofern eine Änderung ein, als der Leitungsstrom durch Konvektionsstrom ersetzt ist. Dabei ist der Konvektionsstrom stets durch die absolute Bewegung des Elektrons bestimmt; die Feldgleichungen (II) beziehen sich auf ein im Äther festes Koordinatensystem. Es zeigt sich, daß einer bestimmten absoluten Geschwindigkeit der Translation, die gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, in der Dynamik des Elektrons die Bedeutung einer kritischen Geschwindigkeit zukommt.

Es mag bereits hier eine Form der Feldgleichungen angegeben werden, die sich enger an das ursprüngliche Maxwellsche Gleichungssystem anschließt; ihre Wichtigkeit für die Elektronentheorie ist insbesondere von den Herren Th. des Coudres[22] und E. Wiechert[23] hervorgehoben worden. Es seien , das „skalare Potential“, und , das „Vektorpotential“, den folgenden Differentialgleichungen gemäß bestimmt:

(II)
Dann ergeben sich durch Differentiation die Feldstärken:
(II)

Diese Form der Feldgleichungen setzt in Evidenz, daß das Feld angesehen werden kann als Superposition der Erregungen, die von den einzelnen Volumenelementen des Elektrons ausgehend mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum hinaus eilen.

Das Elektron befinde sich nun in einem gegebenen äußeren Felde von den Feldstärken , . Zur Bestimmung der Bewegungen, die es ausführt, ist noch eine weitere Grundgleichung notwendig, die „kinetische“ oder „dynamische“ Grundgleichung. Zu dieser führt uns folgende Überlegung. Die Herren H. A. Lorentz und E. Wiechert haben gezeigt, daß man die Kräfte, welche auf ruhende und auf strömende Elektrizität im elektrischen bez. im magnetischen Felde wirken, aus der Elektronentheorie ableiten kann, wenn man für die auf das einzelne Elektron wirkende Kraft den Ansatz macht:

Dabei wird das Elektron als Punktladung aufgefaßt. Wir unterscheiden die Volumenelemente des Elektrons, und definieren die auf das Volumenelement wirkende äußere Kraft durch

(1)

Nun gilt aber das Maxwell–Hertzsche Prinzip der Einheit der elektrischen und magnetischen Kraft. Dürfen wir diesem Prinzip vertrauen, so müssen wir die Unterscheidung eines von der Anwesenheit des Elektrons unabhängigen „äußeren“ und eines vom Elektron selbst erregten „inneren“ Feldes als eine künstliche ansehen. In Wirklichkeit gibt es immer nur ein einziges Feld von den Feldstärken , . Demgemäß stellen wir der äußeren Kraft eine innere, an dem Volumenelement des Elektrons angreifende Kraft gegenüber:

(1a)
Wir bezeichnen ferner die über das Volumen des Elektrons erstreckten Integrale
(1b)
(1c)

als virtuelle Arbeit der äußeren bez. der inneren Kräfte, und stellen die Forderung auf: Für jede virtuelle Verrückung des Elektrons verschwindet die Summe der virtuellen Arbeiten der inneren und äußeren Kräfte.

(III)

Das ist unsere „dynamische Grundgleichung“.

Wenden wir die Gleichung (III) zuerst auf eine virtuelle Translation, alsdann auf eine virtuelle Rotation an, so zerfällt sie in die beiden Vektorgleichungen:

Wir nennen

(1d)
(1e)

die resultierender äußere Kraft bez. Drehkraft,

(1f)

und

(1g)

hingegen die resultierende innere Kraft bez. Drehkraft.

Jene beiden, in der skalaren Gleichung (III) enthaltenen Vektorgleichungen besagen dann: Die resultierenden inneren und äußeren Kräfte und Drehkräfte halten sich das Gleichgewicht

(IIIa)
(IIIb)

Die kinematische Grundgleichung (1), die Feldgleichungen (II) und die dynamischen Grundgleichungen (III) das sind die Grundlagen der Dynamik des Elektrons.

§ 3. Elektromagnetische Energie und elektromagnetische Bewegungsgröße.

In diesem Abschnitte sollen aus den Feldgleichungen zwei Sätze abgeleitet werden, die den Sätzen von der Energie und der Bewegungsgröße entsprechen. Die Energetik des elektromagnetischen Feldes ist von Maxwell, Poynting und Hertz entwickelt worden; die Ausdrücke für die elektromagnetische Energie und für die Energiestrahlung, zu denen die Maxwell–Hertzsche Theorie führt, bleiben auch in der Elektronentheorie gültig, wie Hr. H. A. Lorentz zeigte.[24] Der Vollständigkeit wegen erbringen wir den Beweis.

Die „Leistung der inneren Kräfte“ beträgt

Dieser Ausdruck wird durch Heranziehung der Feldgleichung (IIa) auf die Form gebracht

da ferner, nach Rechnungsregel :

so folgt, mit Rücksicht auf die Feldgleichung (IIb):

(IV)

Hier bezeichnet

(2)

den Poynting’schen Strahlvektor, mithin das zweite Glied der linken Seite die durch die Begrenzungsfläche des Feldes nach außen hindurchtretende Strahlung. Die Gleichung IV besagt demnach: Leistung der inneren Kräfte und Ausstrahlung erfolgen auf Kosten der Größe

(2a)

die man als elektromagnetische Energie des Feldes bezeichnet.

In entsprechender Weise wie die Existenz einer elektromagnetischen Energie läßt sich auch die Existenz einer elektromagnetischen Bewegungsgröße aus den Feldgleichungen ableiten. Das hat Hr. H. Poincaré, gestützt auf eine zuerst von Hrn. H. A. Lorentz[25] angegebene Umformung des Ausdruckes (1f) der inneren Kraft, gezeigt;[26] er hat ohne Angabe des Beweises behauptet, daß der Ausdruck (1g) der inneren Drehkraft eine ähnliche Transformation gestatte. Wir erhalten die beiden Transformationen mit einem Schlage, indem wir den Ausdruck (1c) für die virtuelle Arbeit der inneren Kräfte mit Hülfe von Vektoranalysis umrechnen.

Der Vektor der virtuellen Verrückung war zunächst nur für die Punkte des Elektrons definiert. Wir erweitern jetzt seine Definition folgendermaßen. Wir denken uns ein mit dem Elektron starr verbundenes Gerüst konstruiert, das alle Bewegungen des Elektrons mitmacht, die wirklichen, wie die virtuellen. Wir verstehen jetzt unter die virtuelle Verrückung eines Punktes des Elektrons oder des Gerüstes; vermöge dieser erweiterten Definition sind die Komponenten der virtuellen Verrückung nunmehr stetige Funktionen der Koordinaten; es gelten im ganzen Raume die Differentialgleichungen

(3)

denn Elektron und Gerüst sind nur virtueller Translationen und Rotationen, aber keiner Formänderung fähig.

Den Ausdruck (1c) der virtuellen Arbeit der inneren Kräfte dürfen wir jetzt als ein über das ganze, von der Fläche 0 begrenzte Feld erstrecktes Integral ansehen, zu dem die außerhalb des Elektrons liegenden Volumenelemente nur darum keine Beiträge liefern, weil sie von elektrischer Ladung frei angenommen werden. Wir können dasselbe durch partielle Integration umformen. Wir erhalten zunächst, die Definitionsgleichung (1a) des Vektors , die Feldgleichungen IIa, c, sowie die Rechnungsregel () verwendend:

Wir setzen

(3a)

(3b)

(3c)

Wir rechnen und , den elektrischen und magnetischen Anteil der virtuellen Arbeit , einzeln um, wobei jetzt die Komponenten der Vektoren , , als stetige, differenzierbare Funktionen der Koordinaten und der Zeit zu betrachten sind. Die Anwendung der Regel () ergibt:

(3d)

Drückt man das innere Produkt des Vektors und des Gradienten von durch die Komponenten von und aus, so bemerkt man, daß die Differentialquotienten von nach den Koordinaten nur in solchen Verbindungen eingehen, die infolge der Gleichungen (3) verschwinden. Es wird:

Mit Hülfe der Feldgleichung (IIb) läßt sich der Faktor von auf die Form bringen:

entsprechende Ausdrücke gelten für die Faktoren von und . Daher wird

Da ferner, mit Rücksicht auf Regel (), und die aus (3) folgende Beziehung

zu setzen ist, so erhält der Ausdruck (3d) schließlich die Form:

(3e)

gibt dabei die zur Begrenzung normale Komponente der virtuellen Verrückung an; das Oberflächenintegral hängt nur von der elektrischen Feldstärke, nicht von der magnetischen ab. Ein entsprechendes, nur von der magnetischen Feldstärke abhängiges Oberflächenintegral läßt sich von dem Ausdruck (3c) abspalten.

Die Rechnungsregeln () und () beachtend, schreiben wir

(3f)

Nun besteht nach Regel () die Identität:

beide Terme lassen sich umformen. Nach der Regel wird, mit Rücksicht auf (Gleichung (IId)) und (Gleichung (3)):

man erhält daher:

denn die von herrührenden Terme fallen den Gleichungen (3) zufolge fort. Wir schreiben, Regel verwendend,

Ferner gilt nach Regel :

Mithin wird schließlich

und es nimmt (3f) die Form an:

(3g)

Durch Addition von (3e), (3g) erhält man schließlich den transformierten Ausdruck für die virtuelle Arbeit der inneren Kräfte:

(3h)

Das hier auftretende Oberflächenintegral hängt mit den sogenannten „Maxwellschen Spannungen“ zusammen. Wir bezeichnen die Kraft, die von den Maxwellschen Spannungen des vom Elektron erregten Feldes auf die Flächeneinheit der das Feld einschließenden Fläche ausgeübt wird, mit , deren Komponenten mit , , . Dann ist bekanntlich:

Die Komponenten sind mit dem negativen Vorzeichen versehen, weil wir, anders als im allgemeinen üblich ist, unter diejenige Kraft verstehen, die von dem inneren Teile des Feldes auf die Fläche 0 ausgeübt wird. Die „virtuelle Arbeit der von den Maxwellschen Spannungen ausgeübten Kraft" beträgt

Diese Beziehung in (3h) einführend, erhalten wir:

(V) .

Diese Gleichung gilt für jede virtuelle Verrückung des Elektrons und des mit ihm starr verbundenen Gerüstes. Durch Anwendung auf virtuelle Parallelverschiebung gelangt man sofort zur Lorentz-Poincaréschen Transformation des Ausdruckes der resultierenden inneren Kraft

(Va) ,

durch Anwendung auf virtuelle Drehung zu der entsprechenden Transformation des Ausdruckes der resultierenden inneren Drehkraft

(Vb) .

Die zur Ableitung der Relationen (Va), (Vb) verwandte virtuelle Verrückung war nur eine mathematische Hilfskonstruktion; im Grunde sind zur Herleitung dieser Relationen, ebenso wie zur Herleitung der Relation (IV), nur die Feldgleichungen verwandt worden. Bemerkenswert ist die Ähnlichkeit zwischen den Relationen (Va), (Vb) und (IV). Es wird jedesmal ein über das Volumen des Elektrons erstrecktes Integral umgeformt in ein über das ganze Feld erstrecktes Volumenintegral, und in ein Flächenintegral; dabei hängt der Integrand des Volumenintegrales vom Felde nur insofern ab, als der nach der Zeit genommene Differentialquotient eines durch die Feldstärken bestimmten Ausdruckes eingeht. Wie diese Form der Relation (IV) es war, welche die Definition einer elektromagnetischen Energie ermöglichte, so führt die entsprechende Form der Relationen (Va), (Vb) zur Definition einer elektromagnetischen Bewegungsgröße.

Wir wollen zunächst die Deutung, welche wir der Gleichung (IV) gaben, genauer analysieren. Wir denken uns zu diesem Zwecke die Begrenzung des Feldes durch fremde Körper bestimmt; daß der Poyntingsche Vektor in der Tat die auf diese Körper fallende Energiestrahlung angibt, sehen wir im Sinne der elektromagnetischen Lichttheorie als durch die Erfahrungen über Lichtstrahlung bewiesen an. Die Relation (IV) widerspricht zunächst dem Energieprinzip; die Leistung der vom Felde auf das Elektron ausgeübten Kraft und die Energiestrahlung auf die das Feld begrenzenden Körper ergeben in Summa nicht Null; wir erhalten aber das Energieprinzip aufrecht, indem wir eine neue, über das Feld mit der Dichte verteilte elektromagnetische Energie einführen, auf deren Kosten dann Leistung und Ausstrahlung erfolgen. Eine ganz entsprechende Deutung lassen nun die Relationen (Va), (Vb) zu. Was zunächst die Maxwellschen Spannungen anbelangt, so beweist die experimentelle Bestätigung des Lichtdruckes sowie der aus dem Lichtdruck folgenden Gesetze der Temperaturstrahlung, daß diese Spannungen die vom Felde auf die begrenzenden Körper ausgeübte Kraft richtig bestimmen. Dann aber widerspricht die Relation (Va) zunächst dem dritten Axiome Newtons; die vom Felde auf das Elektron einerseits, auf die begrenzenden Körper andererseits ausgeübten Kräfte heben sich nicht auf, ebensowenig heben sich der Relation (Vb) zufolge die statischen Momente dieser Kräfte auf. Wir retten aber das dritte Axiom, indem wir eine neue elektromagnetische Bewegungsgröße einführen, die über das Feld mit der Dichte verteilt ist. An allen Punkten des Feldes, an denen der Poyntingsche Vektor gerade zeitlich variiert, ist eine als dynamische Wirkung jener elektromagnetischen Bewegungsgröße zu deutende Reaktionskraft pro Volumeneinheit anzunehmen; alle diese Einzelkräfte nach den Regeln der Statik starrer Körper zusammensetzend, erhält man die resultierende Kraft und Drehkraft des Feldes, die teils am Elektron, teils an den begrenzenden Körpern angreifen. Die oben gekennzeichnete Form der Relationen (Va), (Vb) allein ist es, welche die Existenz einer elektromagnetischen Bewegungsgröße bedingt.

§ 4. Die Bewegungsgleichungen des Elektrons.

Wir nahmen soeben, um die physikalische Bedeutung der Oberflächenintegrale in den Relationen (IV) und (V) zu erläutern, die Grenzfläche des Feldes als durch fremde Körper gegeben an. In Wirklichkeit sind solche Körper stets vorhanden, und bei einer absolut strengen Behandlung des Problems der Elektronenbewegung wäre ihre Anwesenheit zu berücksichtigen. Bei Versuchen mit Kathoden- und Becquerelstrahlen wären die Wände der evakuierten Röhre, bei der elektrischen Ablenkung auch die Kondensatorplatten in Betracht zu ziehen. In diesen Körpern erfolgt die Ausbreitung des elektromagnetischen Feldes nicht gemäß den für den Äther geltenden Feldgleichungen; da wir jene Gleichungen zu Grunde legen, so müssen wir das Feld derart begrenzen, daß alle fremden Körper ausgeschlossen werden. Freilich vom Standpunkte der konsequenten Elektronentheorie aus wird man behaupten, die Materie beeinflusse die Ausbreitung des vom Elektron erregten Feldes nur insofern, als ihre eigenen Elektronen in Bewegung gesetzt werden und ihrerseits elektromagnetische Felder erregen. Bestätigt sich diese Hypothese, so wird man im stande sein, die Rückwirkung jener Körper auf die Bewegung des Elektrons in den Vektor mit aufzunehmen. Bisher ist es indessen nicht gelungen, die Einwirkung der Materie auf die Kathoden- und Becquerelstrahlen vom Standpunkte der elektromagnetischen Theorie aus befriedigend zu erklären. Probleme, bei denen diese Einwirkung wesentlich ins Spiel kommt, wie z. B. die Reflexion der Kathodenstrahlen, die Emission der Becquerelstrahlen, sind daher der theoretischen Behandlung zunächst unzugänglich. Wir beschränken uns daher auf solche Elektronenbewegungen, welche von der Materie nicht wesentlich beeinflußt sind. Wir ziehen nur rein elektrische und magnetische Einwirkungen in Betracht, die wir bei der Berechnung der Feldstärken des „äußeren" Feldes berücksichtigen. Zu diesen Einwirkungen gehören auch diejenigen, die von den anderen, im Kathoden- bez. Becquerelstrahl bewegten Elektronen herrühren; dieselben wären am einfachsten wohl so in Rechnung zu ziehen, daß man das elektrische und magnetische Feld des stationären Konvektionsstromes, den der Strahl repräsentiert, zu dem von der Batterie bez. dem Magneten erzeugten äußeren Felde hinzufügte. In dem Maße, wie die Feldstärken dieses Feldes jene überwiegen, verschwindet der Fehler, den man durch Vernachlässigung der Wechselwirkung der im Strahle bewegten Elektronen zu begehen pflegt.

Nehmen wir alle äußeren elektromagnetischen Einwirkungen auf das Elektron in die äußere Kraft und Drehkraft mit herein, und vernachlässigen den sonstigen Einfluß materieller Körper, so ist es nicht mehr notwendig, diese Körper durch eine Fläche vom Felde abzutrennen; das vom Elektron erregte Feld kann dann im ganzen Raume durch die Maxwell-Hertzschen Gleichungen bestimmt werden. Wir lassen daher die Begrenzung des Feldes in das Unendliche rücken und berechnen das Feld des Elektrons, seine Energie und Bewegungsgröße so, als ob das Elektron sich allein im Raume befände. In dieser idealisierten Form soll das Problem der Elektronenbewegung weiterhin behandelt werden.

Es läßt sich beweisen, daß die über die begrenzende Fläche erstreckten Integrale der Relationen (IV), (V), (Va), (Vb) verschwinden, wenn jene Fläche ins Unendliche rückt. Es sei etwa die Aufgabe gegeben: Es soll die Dynamik eines Elektrons entwickelt werden, welches bis zur Zeit t=0 sich in Ruhe befand und dann der Einwirkung äußerer Kräfte ausgesetzt wird. Nun pflanzt sich bekanntlich die durch Bewegung des Elektrons erregte Störung des Feldes mit einer endlichen Geschwindigkeit fort, nämlich mit Lichtgeschwindigkeit; nach den unendlich entfernten Punkten der Begrenzungsfläche gelangt sie mithin erst nach unendlicher Zeit. Zu jeder endlichen Zeit ist das Feld dort noch das ursprüngliche elektrostatische; "daher verschwindet hier der Poyntingsche Vektor, und somit das Flächenintegral der Relation (IV); der magnetische Teil der von den Maxwellschen Spannungen ausgeübten Kraft verschwindet ebenfalls, der elektrische Teil nimmt mit der reziproken vierten Potenz der Entfernung ab. Ist die Fläche etwa eine Kugel, deren Mittelpunkt mit der Anfangslage des Mittelpunktes des Elektrons zusammenfallt, so konvergieren die über die Fläche erstreckten Integrale der Relationen (V), (Va), (Vb) mit wachsendem Radius der Kugel gegen Null, und zwar diejenigen der Relationen (V), (Vb) mindestens wie die reziproke erste Potenz, dasjenige der Relation (Va) mindestens wie die reziproke zweite Potenz dieses Radius. Gehen wir von der genannten ersten Problemstellung aus, so dürfen wir demnach die betreffenden Terme streichen.

Bisweilen ist es zweckmässig, eine andere Fragestellung zu Grunde zu legen: Wie bewegt sich ein Elektron, dessen Geschwindigkeit von Anbeginn an (t=-∞) bis zur Zeit t=0 nach Größe und Richtung konstant war, und das dann der Einwirkung äußerer Kräfte ausgesetzt wird. Hier wird man die Kugel wiederum so konstruieren, daß ihr Mittelpunkt mit der Lage des Mittelpunktes des Elektrons zur Zeit t=0 zusammenfällt. Man wird ihren Radius so groß wählen, daß die nach diesem Zeitpunkte vom Elektron ausgehenden Störungen sie noch nicht erreicht haben; dann herrscht auf der Kugel immer das Feld, welches der ursprünglichen gleichförmigen Bewegung entspricht. Nun wird im § 6 nachgewiesen werden, daß in einem solchen Felde die Feldstärken mit der reziproken zweiten Potenz der Entfernung vom Mittelpunkte des Elektrons abnehmen. Daraus folgt, daß bei Vergrößerung des Radius der Kugel die Flächenintegrale der Relationen (IV), (Va) mindestens mit der reziproken zweiten Potenz, diejenigen der Relationen (V), (V b) mindestens mit der reziproken ersten Potenz des Radius gegen Null konvergieren. Auch wenn man diese zweite Problemstellung zu Grunde legt, verschwinden beim Grenzübergang die Flächenintegrale. Jene Relationen lassen sich daher einfacher interpretieren.

Wir nennen das über den unendlichen Raum erstreckte Integral

(5) die „Energie des Elektrons"

und unterscheiden ihre Bestandteile

(5a) als elektrische Energie,
(5b) als magnetische Energie.
Die Relation (IV) schreiben wir jetzt
.

Diesen Ausdruck mit Hülfe der kinematischen Grundgleichung (I) und der dynamischen Grundgleichungen (IIIa) und (IIIb) umformend, erhalten wir:

(VI) .

Diese Gleichung formuliert das Energiegesetz: Die zeitliche Zunahme der Energie des Elektrons ist gleich der Leistung der äußeren Kräfte.

Werden in den Relationen (Va), (Vb) die Flächenintegrale gestrichen, so ersetzen diese Relationen die inneren Kräfte vollständig durch die dynamische Wirkung der elektromagnetischen Bewegungsgröße. An allen Punkten des Feldes, wo die Dichte der elektromagnetischen Bewegungsgröße zeitlich variiert, greift an dem mit dem Elektron starr verbunden gedachten Gerüst eine entsprechende Reaktionskraft, nämlich

pro Volumeneinheit,

an. Die geometrische Summe aller dieser Kräfte ergibt die resultierende innere Kraft, die Summe ihrer statischen Momente die resultierende innere Drehkraft. Ebenso wird jetzt, der Relation (V) zufolge, die virtuelle Arbeit der inneren Kräfte ersetzt durch die virtuelle Arbeit, welche jene Reaktionskräfte bei einer virtuellen Verrückung des Elektrons und des Gerüstes leisten.

Führt man nunmehr die Relation (V) in die dynamische Grundgleichung (III) ein, so erhält diese die Form

(VIII) .

Diese Formulierung der Bewegungsgesetze entspricht dem d'Alembertschen Prinzip.

Eine andere Formulierung der Bewegungsgesetze erhalten wir, wenn wir die Relationen (Va), (Vb) in die Form (IIIa), (IIIb) der dynamischen Grundgleichung einsetzen. Wir nennen

(5c) den „Impuls des Elektrons",
(5d) , seinen „Drehimpuls",

bezogen auf den Mittelpunkt des Elektrons. Es wird

(5e)

bedeutet die zeitliche Änderung, welche der vom Mittelpunkte des Elektrons aus nach einem im Raume festen Punkt gezogene Radius Vektor bei der Bewegung des Elektrons erfahrt. Da die Geschwindigkeit jenes Mittelpunktes anzeigte, so ist

zu setzen. Mithin wird

,

und daher

(5f) .

Durch Kombination von (5e), (5f), (Va), (Vb) und (IIIa), (IIIb) folgen die Gleichungen, welche die zeitliche Änderung des Impulses und des Drehimpulses bestimmen, die sogenannten „Impulssätze"

(VIIa) ,
(VIIb) .

Diese „Bewegungsgleichungen des Elektrons" entsprechen ganz den Differentialgleichungen, die man für die Bewegung eines starren Körpers in einer idealen Flüssigkeit aufgestellt hat. Doch sind, bei dem mechanischen Probleme, die Komponenten des Impulses und des Drehimpulses lineare Funktionen der jeweiligen Geschwindigkeit der Translation und Rotation. Bei dem elektrodynamischen Probleme ist das nicht der Fall; die Abhängigkeit dieser Größen von den Komponenten der Geschwindigkeit ist durchaus keine lineare. Ja, strenge genommen, hängen Impuls und Drehimpuls überhaupt nicht allein von der momentanen Bewegung, sondern von der ganzen Vorgeschichte der Bewegung des Elektrons ab. Denn Impuls und Drehimpuls sind durch Integrale über das den ganzen Raum erfüllende Feld definiert, dieses aber entsteht durch Superposition der Störungen, die das Elektron von Anbeginn an bis zu dem betrachteten Momente ausgesandt hat. Dieser Umstand bedingt die große Komplikation unseres Problems, welche eine gleichzeitig allgemeine und exakte Behandlung der Dynamik des Elektrons als aussichtslos erscheinen läßt. Nur für spezielle Klassen von Bewegungen gelten Funktionsbeziehungen zwischen den Komponenten der jeweiligen Geschwindigkeit und denen des Impulses, und nur bei sehr geringer Geschwindigkeit der Translation nehmen dieselben eine lineare Form an.

§ 5. Umformung der Feldgleichungen und der Bewegungsgleichungen durch Einführung eines mit dem Elektron starr verbundenen Koordinatensystems.

Bereits im dritten Abschnitte haben wir ein mit dem Elektron starr verbundenes Gerüst konstruiert. Wir wollen jetzt die zeitlichen Änderungen berechnen, welche die Feldstärken , sowie das Vektorpotential in einem Punkte dieses mit dem Elektron bewegten Gerüstes erfahren; wir beziehen dabei diese Vektoren auf ein in dem Gerüst festes Achsenkreuz, das die Drehbewegung des Elektrons mitmacht. Es sind also die zeitlichen Änderungen der drei Vektoren, beurteilt von dem Gerüst aus, die wir suchen; wir schreiben sie

.

Durch Einführung derselben in die Feldgleichungen werden diese auf das mit dem Elektron starr verbundene Achsenkreuz bezogen.

setzt sich aus drei Bestandteilen zusammen; erstens ist die an dem betreffenden Punkte des Raumes gerade stattfindende zeitliche Änderung in Rechnung zu setzen. Hierzu kommt die Änderung, die daher rührt, daß der betreffende Punkt des Gerüstes sich mit der Geschwindigkeit durch den Raum bewegt; sie beträgt . Endlich ist diejenige Änderung in Betracht zu ziehen, welche infolge der Rotationsbewegung des Koordinatensystems hereinkommt; aus der Mechanik starrer Körper ist bekannt,[27] daß diese Änderung durch auszudrücken ist. Die resultierende Änderung ist daher

(6) ,

in entsprechender Weise ergibt sich

(6a) ,
(6b) ,

Die Vektoren und , der Impuls und der Drehimpuls des Elektrons, wurden stets auf den Mittelpunkt des Elektrons bezogen; sie sind durch Integrale über den ganzen Raum definiert. Bei ihnen fällt die zweite Ursache der zeitlichen Änderung fort; es sind daher, wie für den starren Körper, so auch für das Elektron die auf das mitbewegte Koordinatensystem bezogenen zeitlichen Änderungen des Impulses und des Drehimpulses

(6c) ,
(6d) .

Wie wir durch Konstruktion des mit dem Elektron starr verbundenen Gerüstes die Definitionsgleichung (I) des Geschwindigkeitsvektors erweiterten, so können wir jetzt auch die Gleichung (1a), welche den für die inneren Kräfte maßgebenden Vektor definierte, und die sich zunächst nur auf die Punkte des Elektrons bezog,

,

in allgemeinerem Sinne deuten. Außerhalb des Elektrons gibt der Vektor die Kraft an, welche auf einen am Gerüst befestigten elektrischen Einheitspol wirken würde. Sein magnetisches Gegenstück, der Vektor

(7) ,
stellt die Kraft dar, welche das Feld auf einen mit dem Gerüst bewegten magnetischen Einheitspol ausüben würde.

Wir stellen der Gleichung (6) eine andere gegenüber, die sich ergibt, wenn man den Vektor vermöge der Feldgleichungen (IIg), (IIh) durch die Potentiale Θ, ausdrückt

.

Nach der Rechnungsregel ϑ ist

;

da ferner, mit Rücksicht auf die kinematische Grundgleichung

und

zu setzen ist, so folgt:

.

Es wird daher

.

Berücksichtigen wir jetzt die Relation (6), und setzen zur Abkürzung

(7a) ,

so folgt

(7b)

als Ausdruck des Vektors .

Es ist selbstverständlich für die Berechnung des Gradienten, des Curl und der Divergenz gleichgültig, ob man mit einem im Raume festen, oder ob man mit einem bewegten Achsensystem operiert. Denn hier käme ja nur die jeweilige relative Lage der Achsenkreuze, nicht deren Bewegung in Betracht; jene Operationen ergeben nun Vektoren und Skalare, Größen also, die von der Orientierung des Koordinatensystems unabhängig sind; diese sind invariant gegenüber Koordinatentransformationen. Da wir vektorielle Schreibweise benutzen, so können wir uns die Umrechnung der nur von der räumlichen Verteilung des Feldes abhängigen Skalaren und Vektoren ersparen. So können wir z. B. die Feldgleichung (IIh) unmittelbar auf das neue Achsensystem beziehen; mithin folgt aus (7b) die Relation

(7c) ;

dieselbe stellt eine Umformung der zweiten Feldgleichung (IIb) auf unser im Elektron festes Axenkreuz dar; sie ergibt sich auch aus Gleichung (6b) in entsprechender Weise, wie jetzt mit Hülfe von (6a) die erste Feldgleichung (IIa) umgerechnet werden soll.

Wir berechnen den Curl des durch (7) definierten Vektors , wobei wir die Rechnungsregel η anwenden

.

Da nun zu setzen ist, so folgt, mit Rücksicht auf die Feldgleichungen (IIa), (IIc)

.

Demnach ergibt (6a)

(7d) ,

eine Gleichung, die als auf das Gerüst bezogene erste Feldgleichung zu bezeichnen ist. Die dritte und die vierte Feldgleichung (IIc), (IId) gelten, nach der obigen Bemerkung, in unveränderter Form.

Die neue Form der Feldgleichungen legt es nahe, eine Klasse „ausgezeichneter Bewegungen" näher zu betrachten. Die ausgezeichneten Bewegungen sind dadurch charakterisiert, daß die Felder des Skalars Φ sowie des Vektors , beurteilt von dem mit dem Elektron festen Gerüst aus, stationär sind. Für diese Bewegungen verschwindet , mithin auch ; aus (7c) folgt daher: Das Feld des Vektors ist, bei den ausgezeichneten Bewegungen, ein wirbelfreies. Nach (7b) ist φ der Skalar, dessen Gradient der Vektor ist; derselbe ist durch (7 a) bestimmt, und wird in dem betrachteten Falle „Konvektionspotential" genannt. Nur diejenigen Felder, die ausgezeichneten Bewegungen des Elektrons entsprechen, besitzen ein Konvektionspotential.

Wir rechnen nun auch die Bewegungsgleichungen (VIIa), (VIIb) auf das mit dem Elektron rotierende Achsenkreuz um, indem wir die Relationen (6c), (6d) in dieselben einführen. Die umgeformten Bewegungsgleichungen sind:

(8) ,
(8a) ,

Da nach den Rechnungsregeln (γ, α) die Identität besteht:

,

so gilt die Relation

.

Die Einführung in die Energiegleichung (VI) ergibt

(8b) .

Diese aus dem Energiesatz und den Impulssätzen deduzierte Relation ist für das folgende wichtig; denn sie stellt eine allgemeine, von der speziellen Art der äußeren Kräfte unabhängige Eigenschaft des vom bewegten Elektron erregten Feldes dar. Wir erhalten eine andere Form dieser Relation, wenn wir beachten, daß es für Skalare wie W, und gleichgültig ist, ob wir bei der Berechnung ihrer zeitlichen Änderung ein festes oder ein rotierendes System zu Grunde legen, daß mithin

,


zu setzen ist. Dann wird

(8c) .

Das ist die Energie und Impuls verknüpfende Relation, die uns im § 10 zu den Lagrangeschen Gleichungen führen wird. Wir geben noch einige dort zu verwendende Beziehungen an.

Aus der Definition der Vektoren folgen die Identitäten

,


.
Nun ist nach den Rechnungsregeln (α, β, γ):
,

folglich nach (I), (5c), (5d)


.

Wir erhalten mithin

(9) ,
(9a) ,

Durch Addition bez. Subtraktion folgt

(9b) ,
(9c) .

Ein anderer Ausdruck für die Differenz der magnetischen und der elektrischen Energie folgt aus den Feldgleichungen (II); nach (IIh) ist

,

die Rechnungsregel ζ ergibt

,

wenn wir zunächst das Feld wieder durch eine Fläche 0 begrenzen. Die Feldgleichung (IIa) ergibt

.

Andererseits ist, nach (IIg)

,

oder nach Regel ε

.

Läßt man nun die Fläche 0 in das Unendliche rücken, so konvergieren die Flächenintegrale gegen Null, sowohl bei der ersten, wie bei der zweiten der im § 4 erwähnten Problemstellungen. Bei der ersten Voraussetzung über den Anfangszustand sind an der Kugelfläche überhaupt Null, ist, wie in der Elektrostatik, der reziproken dritten Potenz des Kugelradius proportional, mithin verschwindet das entsprechende Flächenintegral mit der -1ten Potenz des Kugelradius. Das Gleiche gilt bei allen stationären, insbesondere bei den im § 10 betrachteten ausgezeichneten Bewegungen, nehmen hier stets mit der -1ten, mit der -2ten Potenz des Abstandes vom Mittelpunkt des Elektrons ab; die Flächenintegrale verschwinden daher beim Grenzübergang mit der -1ten Potenz des Kugelradius. Es folgt jetzt, gemäß (7a):

(9d) ,

eine Relation, die natürlich nur dann einen Sinn hat, wenn das über dem unendlichen Raum erstreckte Integral

einen endlichen Wert besitzt; für die Felder der ausgezeichneten Bewegungen ist das, wie in § 10 bewiesen wird, der Fall.

§ 6. Gleichförmige Translation.

Wir gehen jetzt zur Behandlung spezieller Bewegungen über, wobei wir folgendermaßen verfahren. Wir nehmen eine Bewegung an, welche der kinematischen Grundgleichung (I) Genüge leistet; alsdann bestimmen wir aus den Feldgleichungen (II) das elektromagnetische Feld. Endlich überzeugen wir uns davon, daß die dynamischen Grundgleichungen (III) erfüllt sind, und zwar gehen wir dabei aus von derjenigen Umformung der dynamischen Grundgleichungen, welche wir die „Bewegungsgleichungen" nannten (Gleichung VIIa), (VIIb). Diese Umformung setzte allerdings das Verschwinden gewisser, über die ins Unendliche gerückte Begrenzung erstreckter Integrale voraus; wir müssen uns jetzt nachträglich davon überzeugen, daß die Feldstärken sich im Unendlichen in der Weise verhalten, wie es für das Verschwinden jener Integrale erforderlich war.

Das in diesem Abschnitte zu behandelnde Problem macht über den Anfangszustand die zweite der im § 4 erwähnten Annahmen. Das Elektron soll sich seit unendlich langer Zeit translatorisch mit einer nach Richtung und Betrag konstanten Geschwindigkeit bewegen. Eine solche Bewegung, für die ϑ = 0, zu setzen ist, ist mit der kinematischen Grundgleichung (I) ohne weiteres verträglich. Wir legen die x-Achse der Bewegungsrichtung parallel, sodaß wird, und setzen für den Betrag der Geschwindigkeit , für dessen Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit q/c=β.

Um das Feld zu ermitteln, gehen wir aus von der Form (IIe bis h) der Feldgleichungen. Wie erwähnt, ist das Feld des skalaren Potentiales Φ, wie auch dasjenige des Vektorpotentiales als entstanden anzusehen durch Superposition der Beiträge, welche von den Volumenelementen des Elektrons, ihrer Geschwindigkeit entsprechend, ausgesandt worden sind. Das Feld hängt somit ab von der Geschwindigkeit, mit der das Elektron von Anbeginn an bis zu dem betreffenden Zeitpunkt sich bewegt hat. Bei der gleichförmigen Bewegung nun, um die es sich jetzt handelt, ist in jedem Moment die Vorgeschichte der Bewegung dieselbe. Mithin ist das Feld des Skalars Φ und des Vektors bezogen auf ein translatorisch mitbewegtes Achsenkreuz, konstant. Gleichförmige Translation gehört daher zu den ausgezeichneten Bewegungen.

Die Feldgleichungen (II) bezogen sich auf ein im Äther festes Koordinatensystem; legen wir jetzt ein mitbewegtes System zu Grunde, so ist mit Rücksicht auf den stationären Charakter des Feldes

zu setzen; die Gleichungen (IIe), (IIf) werden dann

(10)

Mithin folgt

(10a)

Aus dem so bestimmten skalaren und Vektorpotential leiten die Gleichungen (IIg), (IIb.) das elektromagnetische Feld ab:

(10b)
(10c)

Die Komponenten des Vektors sind:

(10d)

Diese Gleichungen können wir zu einer Vektorgleichung zusammenfassen

(10e) .

Da die betrachtete Bewegung zu den ausgezeichneten gehört, so hätte die Existenz eines Konvektionspotentiales, dessen Gradient der Vektor ist, auch direkt aus den Ergebnissen des § 5 gefolgert werden können; der erhaltene Wert desselben folgt in der Tat aus (7a), (10a). Was endlich den Vector

anbelangt, so folgt aus (10c):

(10f)

Mit Rücksicht hierauf ergeben die Gleichungen (9c), (10d):

(10g)

Der letzte Wert hätte auch direkt aus der Definition der elektrischen und magnetischen Energie, und der Gleichung (10c) gewonnen werden können. Die Gleichung (9b) ergibt, mit Rücksicht auf (10f):

(10h) .

Es ist zu betonen, daß die Gleichungen (10) bis (10h) für eine beliebige Verteilung der elektrischen Ladung gelten; die über die Symmetrie des Elektrons gemachte Annahme wurde bisher nicht herangezogen.

Wir untersuchen jetzt das Verhalten des Skalars Φ im Unendlichen. Wir bilden das Elektron und sein Feld ab auf ein ruhendes System, das vermöge der Transformation

(11a)

in Richtung der x-Achse gestreckt ist; die Transformation führt zu einem reellen Systeme, wenn β < 1 ist, d. h. wenn die Geschwindigkeit des Elektrons die Lichtgeschwindigkeit nicht erreicht. Nehmen wir das an, so wird der Skalar Φ in dem deformierten Systeme durch die Poissonsche Gleichung bestimmt

(11a) .

Es ist demnach Φ zu deuten als Potential eines Rotationsellipsoids, das über sein Volumen, oder über eine Oberflächenschicht homogen geladen ist. In der Potentialtheorie lernt man, daß ein solches Potential im Unendlichen von der ersten Ordnung des reziproken Abstandes vom geladenen Körper verschwindet. Das Gleiche gilt, den Gleichungen (10a), (10e) zufolge, für und Φ; aus (10b), (10c), (10d) folgt, daß die Komponenten von im Unendlichen von der zweiten Ordnung verschwinden. Auch wenn man, mit Hülfe der Transformation (11), zum bewegten Elektron zurückkehrt, ändert sich dieser Sachverhalt nicht. Damit sind auch bei der zweiten im § 4 gemachten Annahme über den Anfangszustand die Voraussetzungen als richtig dargetan, auf denen der dort gegebene Beweis für das Verschwinden der Oberflächenintegrale der Relationen (IV), (V), (Va), (Vb) beruhte. Jeder mit derartigen Rechnungen Vertraute, der das Bedürfnis fühlt, den angedeuteten Beweis genauer auszuführen, und ihn auf beliebige Verteilung der Ladung auszudehnen, wird dabei keine prinzipielle Schwierigkeit finden. Hier würde ein genaueres Eingehen auf die betreffenden Rechnungen die Aufmerksamkeit allzusehr von anderen, für das vorliegende Problem wesentlicheren Gesichtspunkten ablenken. Von Wichtigkeit ist das Resultat: Die Bewegungsgleichungen (VIIa), (VIIb) sowie das d'Alembertsche Prinzip (VII) und der Energiesatz (VI) dürfen angewandt werden, wenn der Anfangszustand (von t=-∞ bis t=0) gleichförmiger Translationsbewegung entspricht, vorausgesetzt, daß deren Geschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit nicht erreicht.

Die letztere Voraussetzung wollen wir als erfüllt annehmen. Dann ist also weiter auf Grund der Bewegungsgleichungen zu untersuchen, ob zur Aufrechterhaltung gleichförmiger Translationsbewegung die Einwirkung einer äußeren Kraft bez. Drehkraft notwendig ist, oder nicht. Da das Elektron sein Feld, und mithin auch seinen Impuls und Drehimpuls translatorisch mitführt, so ist

;

eine äußere Kraft ist daher nicht erforderlich, wohl aber eine äußere Drehkraft , es sei denn daß der Impulsvektor der Bewegungsrichtung parallel orientiert ist. Daß eine äußere Drehkraft angreifen muß, wenn der Impuls schief zur Bewegungsrichtung orientiert ist, folgt in der Tat aus den allgemeinen Impulssätzen. In diesem Falle ändert sich nämlich beständig das statische Moment des Impulses, bezogen auf einen im Räume festen Punkt, da der Impuls ja am Mittelpunkt des Elektrons angreifend zu denken ist. Diese Änderung des statischen Momentes der Bewegungsgröße erfordert eben die dauernde Einwirkung einer äußeren Drehkraft. Kräftefrei kann eine gleichförmige Translationsbewegung dann und nur dann vor sich gehen, wenn der Impulsvektor in Richtung der Bewegung weist.

Ob diese Bedingung der kräftefreien Bewegung erfüllt ist, das hängt von Form und Verteilung der konvektiv bewegten Ladung ab. Hier kommt nun die Symmetrie zur Geltung, die wir dem Elektron zuschrieben. Wir wollen zunächst die Annahmen über die Form und Ladungsverteilung etwas allgemeiner halten; wir setzen voraus, daß beide symmetrisch sind in Bezug auf zwei aufeinander senkrechte, durch die Bewegungsrichtung gelegte Ebenen. Wir zeigen, daß bei dieser Annahme die zur Bewegungsrichtung senkrechten Komponenten des Impulses verschwinden.

Wir wählen die beiden Symmetrieebenen als (xy), (xz)-Ebene; dann ist sofort ersichtlich, daß die Differentialgleichung (10) Form und Sinn bewahrt, wenn man y mit -y, z mit -z vertauscht. Mithin ist

.

Mit Rücksicht auf (10b), (10c) folgt hieraus:

Zur (xy)-Ebene symmetrisch sind .

Zur (xy)-Ebene antisymmetrisch sind .

Zur (xz)-Ebene symmetrisch sind .

Zur (xz)-Ebene antisymmetrisch sind .

Da , so folgt: ist antisymmetrisch zur (xz)-Ebene, ist antisymmetrisch zur (xy)-Ebene. Es zerstören sich also die Beiträge, die zwei spiegelbildlich zur (xz)-Ebene liegende Volumenelemente zur Komponente des resultierenden Impulses liefern, und ebenso diejenigen, die zwei spiegelbildlich zur (xy)-Ebene liegende Volumenelemente zur Komponente , liefern. Man beweist übrigens durch weitere Verfolgung der Symmetriebetrachtungen leicht, daß alle drei Komponenten des Drehimpulses verschwinden. Uns interessiert hier nur das Ergebnis: Ist die Verteilung der bewegten Ladung symmetrisch zu zwei aufeinander senkrechten, durch die Bewegungsrichtung gelegten Ebenen, so ist der Impulsvektor der Bewegungsrichtung parallel orientiert.

Die Bedingung der stationären kräftefreien Bewegung wäre also z. B. erfüllt für ein homogen geladenes Ellipsoid, das parallel einer der drei Hauptachsen fortschreitet; wir werden indessen im § 12 zeigen, daß von diesen drei möglichen Bewegungen nur diejenige parallel der größten Achse stabil ist. Für unser kugelförmiges Elektron mit homogener Volumen- oder Flächenladung aber ist die obige Symmetriebedingung für Bewegung in einer beliebigen Richtung erfüllt. Für das Elektron gilt demnach das erste Axiom Newtons in folgender Fassung: War die Bewegung des Elektrons von Anbeginn an eine gleichförmige, rein translatorische, und war die Geschwindigkeit kleiner als die Lichtgeschwindigkeit, so ist, um die Bewegung gleichförmig zu erhalten, keine äußere Kraft oder Drehkraft erforderlich.

§ 7. Ableitung des Impulses und der Energie aus der Lagrangeschen Funktion.

Wir nennen mit Rücksicht auf die später sich ergebenden Analogien zur analytischen Mechanik die Differenz der magnetischen und der elektrischen Energie des Elektrons seine „Lagrangesche Funktion":

(12) .

Die aus (10g) folgende Gleichung

wird mit Hülfe von (IIc), (10e) und der Regel ε auf die Form gebracht

.

Rückt die Begrenzung des Feldes ins Unendliche, so verschwindet φ von der ersten Ordnung, von der zweiten Ordnung, wie im vorigen Abschnitte gezeigt wurde; mithin verschwindet beim Grenzübergange das Flächenintegral. Es gilt also die von Searle[28] herrührende Relation:

(12a) .

Dieselbe drückt die Lagrangesche Funktion aus durch ein über das Volumen des Elektrons erstrecktes, vom Konvektionspotential abhängiges Integral.

Bei der hier betrachteten gleichförmigen Translation hängt die Lagrangesche Funktion, bei gegebener Elektrizitätsverteilung, nur von der Geschwindigkeit q ab. Wir differenzieren nach dieser, wobei wir von (10g) ausgehen:

.
Wir schreiben unter dem Integralzeichen partielle Differentialquotienten nach q, um anzudeuten, daß die Differentiation sich auf einen bestimmten Punkt des bewegten Systems bezieht; da die Ladungsverteilung von der Geschwindigkeit unabhängig angenommen wird, so ist zu setzen. Nun ergibt aber (10d) für das zweite der obigen Integrale den Ausdruck:
.

Mit Rücksicht auf (10c) und das Verhalten von φ und im Unendlichen erhält man als Wert dieses Integrals

.

Das erste Integral mit Hülfe von (10e) umformend, gelangen wir zu der Relation:

oder

(12c) .

Die in die Bewegungsrichtung fallende Komponente des Impulses wird erhalten, indem man die Lagrangesche Funktion nach der Geschwindigkeit differenziert; die Relation (12c) entspricht derjenigen, die man in der analytischen Mechanik „erste Zeile der Lagrangeschen Gleichungen" nennt.

Aus (12), (12c), (10g) (10h) folgt jetzt auch der aus der analytischen Mechanik bekannte Ausdruck der Energie durch die Lagrangesche Funktion:

(12d) .

Die Relationen (12) bis (12d) gelten für beliebige Ladungsverteilung; die über die Symmetrie des Elektrons gemachten Annahmen wurden bei ihrer Ableitung nicht verwandt. Die Symmetrie des Elektrons bedingt, wie im § 6 gezeigt wurde, daß der Betrag des Impulses wird. Die Gleichungen (12c), (12d) gestatten es daher, die Berechnung des Impulses und der Energie des Elektrons zurückzuführen auf die Bestimmung der Lagrangeschen Funktion.

Um mit Hülfe von (12a) die Lagrangesche Funktion des Elektrons zu ermitteln, bestimmen wir zunächst das Konvektionspotential. Den Gleichungen (10), (10c) des vorigen Paragraphen zufolge hat dasselbe der Differentialgleichung zu genügen:

(13)

Bei der Lösung derselben bedienen wir uns eines von H. A. Lorentz,[29] sowie auch von Searle[30] angewandten Abbildungsverfahrens. Wir bilden das bewegte System S, nämlich das kugelförmige Elektron und das Feld seines Konvektionspotentiales, auf ein ruhendes System S' ab durch die Transformation

(13a) .

Das System S ' entsteht also, indem S parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis gestreckt wird. Die Ladung entsprechender Volumenelemente soll dabei die gleiche, also

(13b)

sein. Alsdann ergibt (13):

(13c) .

Das elektrostatische Potential φ' im ruhenden Systeme S' hingegen erfüllt die Poissonsche Gleichung

(13d) .

Mithin folgt

(13e) .

Diese Gleichung führt die Bestimmung des Konvektionspotentiales im bewegten Systeme S zurück auf die Bestimmung des elektrostatischen Potentiales in dem gemäß (13a), (13b) deformierten Systeme S'. Es folgt

.

Schreiben wir

für die elektrostatische Energie des Systemes S', so wird der Ausdruck (12a) für die Lagrangsche Funktion

.
Die Bestimmung der Lagrangeschen Funktion ist so zurückgeführt auf die Berechnung der elektrostatischen Energie eines ruhenden Systems; dasselbe entsteht aus dem bewegten dadurch, daß eine Streckung (13a) parallel der Bewegungsrichtung ausgeführt wird, wobei die Ladung der Volumenelemente, mithin auch die Gesamtladung, konstant bleibt.

Dieses Resultat gilt für beliebige Ladungsverteilung; wir wenden es jetzt auf unser kugelförmiges Elektron vom Radius a an. Im Falle gleichförmiger Volumenladung des Elektrons ist sein Bild in S' ein gleichförmig über sein Volumen geladenes Rotationsellipsoid von den Halbachsen

(14a) .

Liegt der Fall der Flächenladung vor, so ist in S' die Ladung e gleichförmig verteilt über eine äußerst dünne, von zwei ähnlichen und ähnlich gelegenen Ellipsoiden begrenzte Schicht. Das Potential φ' der letzteren Verteilung ist bekanntlich in dem Hohlräume konstant, die Verteilung entspricht mithin der Gleichgewichtsverteilung auf der Oberfläche eines leitenden Ellipsoids. Nennen wir Q' die Kapazität eines Ellipsoides von den Halbachsen (14a), so gilt die Formel[31]

(14b) .

Die elektrostatische Energie des Systems S' beträgt daher bei Flächenladung:

(14c) .

Den Fall der Volumenladung aber können wir sofort auf denjenigen der Flächenladung zurückführen. Es gilt nämlich in der Potentialtheorie der bemerkenswerte Satz:[32] Die Selbstpotentiale (elektrostatischen Energien) zweier Ellipsoide von gleicher Form, von denen das eine gleichförmig über sein Volumen geladen ist, während bei dem anderen die Verteilung der nämlichen Gesamtladung der Gleichgewichtsverteilung auf der Oberfläche des leitenden Ellipsoides entspricht, verhalten sich wie 6:5. Daraus folgt, als elektrostatische Energie des Systems S', bei Volumenladung:

(14d) .

Nach Gleichung (14) besteht dasselbe konstante Verhältnis 6:5 zwischen den Werten der Lagrangeschen Funktion des Elektrons bei Volumenladung bez. Flächenladung.

Bei Volumenladung ist die Lagrangesche Funktion

(15) .

Nach (12c) beträgt der Impuls des Elektrons

(15a)

und, nach (12d), die Energie

(15b) .

Durch Addition bez. Subtraktion von (15), (15b) ergeben sich für den magnetischen bez. elektrischen Anteil der Energie die Werte:

(15c) ,
(15d) ,

Entwickelt man die beiden letzten Ausdrücke in Reihen, die nach Potenzen von β² fortschreiten, und vernachlässigt Größen von der Ordnung β4, so wird:

(15e) .

Bei den geringen Geschwindigkeiten langsamer Kathodenstrahlen ist mithin die elektrische Energie von der Geschwindigkeit unabhängig, die magnetische dem Quadrate derselben proportional, wie die potentielle bez. die kinetische Energie der gewöhnlichen Mechanik. Hier gilt noch diejenige Voraussetzung, auf der fußend die analytische Mechanik zu den Beziehungen gelangt, welche Energie und Impuls mit der Lagrangeschen Funktion verknüpfen. Bei größeren Geschwindigkeiten gilt diese Voraussetzung nicht mehr; die Abhängigkeit der elektrischen und magnetischen Energie von der Geschwindigkeit ist hier eine kompliziertere. Unsere elektromagnetische Begründung jener Beziehungen jedoch gilt für beliebige, unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegende Geschwindigkeiten. Sie dehnt den Machtbereich der Lagrangeschen Mechanik in sehr bemerkenswerter Weise aus.


§ 8. Quasistationäre Translationsbewegung. Elektromagnetische Masse.

Die beiden letzten Abschnitte lehrten Feld, Energie und Impuls kennen, die gleichförmiger Translation des Elektrons entsprechen. Dieselben hängen nur von der Geschwindigkeit ab; das gilt freilich in Strenge nur dann, wenn die Geschwindigkeit seit unendlich langer Zeit eine gleichförmige war. Jede Beschleunigung, die das Elektron einmal erfahren hat, wirkt in der Weise nach, daß von dem Orte, in dem das Elektron sich damals befand, elektromagnetische Kugelwellen mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum hinaus eilen. Die Feldstärken dieser Wellen, mithin auch die Dichten der in ihnen enthaltenen Energie und Bewegungsgröße, hängen von der damals dem Elektron erteilten Beschleunigung ab. Hat überhaupt jemals eine Beschleunigung stattgefunden, so sind Energie und Impuls nicht mehr ausschließlich von der momentanen Geschwindigkeit abhängig, die Formeln des vorigen Paragraphen gelten dann also nicht mehr exakt. Dieser Umstand erschwert die strenge Behandlung ungleichförmiger Elektronenbewegung. Wir werden uns einer Annäherungsmethode bedienen, die sich bereits in der Elektrodynamik des Leitungsstromes bewährt hat.

Ist der elektrische Strom, der einen Leitungsdraht durchfließt, stationär, d. h. war die Stromstärke seit jeher konstant, so ist das magnetische Feld durch die Stromstärke bestimmt; sobald aber der Strom seine Intensität ändert, entspricht das Feld nicht mehr genau der momentanen Stromstärke; dasselbe hängt auch von der zeitlichen Änderung der Stromstärke ab. Bei schnellen Schwingungen, von der Frequenz der Hertzschen, kommt diese letztere Abhängigkeit wesentlich in Betracht; sie gibt sich insbesondere durch die Wellen kund, die von einem Hertzschen Erreger ausgesandt werden. In der Theorie der Wechselströme geringerer Frequenz hingegen pflegt man diesen Umstand nicht zu beachten. Man berechnet das magnetische Feld der jeweiligen Stärke und Verteilung des Stromes gemäß so, als ob der Strom stationär wäre; aus der Energie des so berechneten Feldes leitet man die Selbstinduktion ab, die einer zeitlichen Änderung der Stromstärke entgegenwirkt. Diese Theorie des „quasistationären Stromes" hat sich für hinreichend langsame Stromschwankungen als durchaus zuverlässig erwiesen; die in ihr nicht enthaltene Ausstrahlung kommt nur bei sehr rapiden Stromschwankungen in Betracht.

Dem stationären Leitungsstrom entspricht hier stationärer Konvektionsstrom, das ist gleichförmige Elektronenbewegung. Dem quasistationären Strome entspricht „quasistationäre Bewegung". Wir bezeichnen eine Bewegung des Elektrons als quasistationär, wenn die Geschwindigkeitsänderung so langsam erfolgt, daß man den Impuls aus der jeweiligen Geschwindigkeit, wie bei stationärer Bewegung, berechnen kann. Wann es gestattet ist, eine Bewegung als quasistationär zu betrachten, darüber werden wir im nächsten Paragraphen Auskunft zu gewinnen suchen.

Der Selbstinduktion in der Theorie des Leitungsstromes entspricht in der Dynamik des Elektrons die „elektromagnetische Masse". Es hat, wie in der Einleitung erwähnt wurde, das Experiment dazu geführt, den Elektronen eine träge Masse zuzuschreiben, eine Masse, die bei den Geschwindigkeiten der langsamen Kathodenstrahlen merklich konstant, bei denen der Becquerelstrahlen Funktion der Geschwindigkeit ist. Es hat sich also hier das zweite Axiom Newtons wenigstens in dem Sinne bestätigt, daß der Quotient aus Beschleunigung und Kraft von dem Betrage der Kraft unabhängig ist. Um ein derartiges Verhalten aus der elektromagnetischen Theorie zu deduzieren, gehen wir aus von einer Bewegung des Elektrons, welche dem ersten Axiome Newtons Genüge leistet, nämlich von reiner Translationsbewegung. Wir ändern sie durch eine äußere Kraft ab; erfolgt die Beschleunigung quasistationär, so läßt sich die Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung in der Tat durch eine elektromagnetische Masse charakterisieren.

Bei quasistationärer, rotationsloser Bewegung ist der Impuls des Elektrons seiner jeweiligen Geschwindigkeit parallel gerichtet; es ist mithin ; ferner verschwindet der Drehimpuls. Es ist also die zweite der Bewegungsgleichungen (VII b) ohne Heranziehung von Drehkräften durch die angenommene reine Translationsbewegung erfüllt. Der Impuls wird durch die äußere Kraft der ersten Bewegungsgleichung (Vila) gemäß abgeändert. Es ist

(16)

Der Betrag G des Impulses ist dabei, wie angenommen wird, nur von der jeweiligen Geschwindigkeit q abhängig.

Wir zerlegen die äußere Kraft in eine Komponente parallel der Bewegungsrichtung, und eine zu dieser senkrechte Komponente . Erstere ruft eine Zunahme der zur Bahn tangentialen Komponente des Impulses hervor, letztere eine Änderung der Impulsrichtung. Da und in Sichtung der Bewegung weisen, so sind die in Richtung der Bahntangente fallenden Komponenten der zeitlichen Änderung dieser Vektoren gleich den zeitlichen Änderungen ihrer Beträge. Es folgt:

.

Den Quotienten der in Richtung der Bewegung genommenen Komponenten von Kraft und Beschleunigung

(16a)

nennen wir „longitudinale elektromagnetische Masse". Die zur Bewegungsrichtung senkrechte Komponente der zeitlichen Änderung des Impulses berechnet man folgendermaßen. Der Impulsvektor ist stets der Bewegungsrichtung parallel; er wird, wie diese, mit der Winkelgeschwindigkeit (q/r) im Räume gedreht, wenn r den Krümmungsradius der Bahn bezeichnet. Die gesuchte Komponente von beträgt demnach ; sie weist nach dem Krümmungsmittelpunkte der Bahn hin. Die Kraftkomponente , welche diese Impulsänderung hervorruft, ist demnach gleichfalls dem Krümmungsradius der Bahn parallel; die entsprechende Komponente der Beschleunigung beträgt q²/r, mithin der Quotient aus transversaler Kraft und transversaler Beschleunigung, die „transversale elektromagnetische Masse"

(16b) .

Bei langsamer Bewegung ist, wie sich durch Reihenentwickelung von (15a) ergibt, der Impuls G annähernd der Geschwindigkeit q proportional. Hier wird die longitudinale Masse der transversalen gleich; dieses bei langsamen Kathodenstrahlen experimentell gefundene Resultat wird durch die Formeln (16a), (16b) im Sinne der elektromagnetischen Theorie erklärt. Als Grenzwert beider Massen erhält man:

(16c) ,

wo

bei Volumenladung,


bei Flächenladung;

ε=|e|/c bezeichnet hierbei den Betrag der Ladung, gemessen in absoluten elektromagnetischen Einheiten. Die genauesten Messungen an Kathodenstrahlen[33] ergaben:

.

Mithin erhalten wir als Radius des Elektrons

(16d)

Der geringfügige Unterschied des Zahlenfaktors, der Volumen- und Flächenladung trennt, kommt hier nicht so sehr in Betracht, wie die Unsicherheit in der Kenntnis des elektrischen Elementarquantums. Setzt man die Ladung des Elektrons gleich der Ionenladung, so gilt[34]

2 · 10-10 < |e| < 20 · 10-10,

mithin

10-13 cm < a < 10-12 cm,

Die elektrische Feldstärke |e|/a², die an der Oberfläche des ruhenden Elektrons herrscht, beträgt in absoluten elektrostatischen Einheiten 2·1015 bis 2·1016; von derselben Größenordnung ist die magnetische Feldstärke, die bei großen Geschwindigkeiten an der Oberfläche des Elektrons auftritt. Die Feldstärken, mit denen unsere Theorie rechnet, übertreffen demnach billionenfach die der direkten Messung zugänglichen.

Ist die Geschwindigkeit des Elektrons nicht mehr klein gegen die Lichtgeschwindigkeit, so ist der Impuls nicht mehr der Geschwindigkeit proportional; dann hängen longitudinale und transversale Masse von der Geschwindigkeit ab, und zwar in verschiedener Weise. Die Formel (15a) ergibt:

(16e)
(16f)

Diese Formeln für longitudinale und transversale Masse beziehen sich sowohl auf Volumenladung; wie auf Flächenladung.

Die Formel (16f) ist es, die von Hrn. W. Kaufmann auf Grund seiner Messungen über die Ablenkbarkeit der Becquerelstrahlen im Intervalle (β=0,60 bis β=0,95 etwa) geprüft wurde. Er fand die Formel innerhalb der Fehlergrenze der Versuche (1 Proz. bis 1,5 Proz.) bestätigt. Messende Versuche bei mittleren Geschwindigkeiten (β=0,3 bis β=0,6) liegen bisher nicht vor. Ebensowenig liegen Versuche über longitudinale Beschleunigung rasch bewegter Elektronen vor, welche etwa zur Prüfung der Formel (16e) herangezogen werden könnten. Auch würde diese Formel wohl hier nicht so gute Dienste leisten, wie die Formeln (15a), (15b) für Impuls und Energie, welche direkt die vom äußeren Felde in einer gegebenen Zeit bez. auf einer gegebenen Strecke dem Elektron erteilte Geschwindigkeit bestimmen.

Ordnet man nach aufsteigenden Potenzen von β, so erhält man die für β < 1 konvergenten Reihenentwickelungen:

(16g) ,
(16h) .

Aus denselben geht hervor, daß, den Grenzfall sehr langsamer Bewegung ausgenommen, die longitudinale Masse stets größer ist, als die transversale. Ist nun die äußere Kraft schief zur Bewegungsrichtung orientiert, so ruft ihre longitudinale Komponente eine geringere Beschleunigung hervor, als die transversale Komponente. Der resultierende Beschleunigungsvektor schließt daher mit der Bewegungsrichtung einen größeren Winkel ein, als der Kraftvektor, es sei denn, daß beide Winkel 0 oder π/2 betragen. Die funktionelle Beziehung zwischen Kraft und Beschleunigung wird in der Dynamik des Elektrons durch eine lineare Vektorfunktion allgemeiner Art, als in der gewöhnlichen Mechanik, dargestellt. Die elektromagnetische Masse, das Koeffizientensystem der linearen Vektorfunktion, ist ein Tensor[35] von rotatorischer Symmetrie, dessen Symmetrieachse durch die Bewegungsrichtung des Elektrons bestimmt ist.

§ 9. Ausstrahlung des beschleunigten Elektrons. Grenzen der quasistationären Bewegung.

Die Definition einer elektromagnetischen Masse, und die Gültigkeit des zweiten Newtonschen Axiomes in der soeben angegebenen Fassung, setzt wesentlich quasistationäre Bewegung voraus. Welches sind nun die Grenzen des quasistationären Bewegungszustandes? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Will man genau den Fehler berechnen, den man begeht, wenn man bei einer gegebenen ungleichförmigen Bewegung den Impuls von der jeweiligen Geschwindigkeit nach Gleichung (15a) abhängen läßt, so muß man exakt das Feld angeben, welches der Vorgeschichte der Bewegung entspricht. Hier indessen, wo es nur auf die rohe Abschätzung der Größenordnung des begangenen Fehlers ankommt, werden wir uns einer anderen, in diesem Abschnitte darzulegenden Methode bedienen. Dieselbe ersetzt das Elektron durch einen elektrischen Punkt und berechnet Feld und Impuls mit Hülfe des von den Herren E. Wiechert[36] und Th. des Coudres[37] in der Lorentz-Festschrift aufgestellten Potentialpunktgesetzes. Sie geht dabei von folgender Problemstellung aus.

Das Elektron soll von Anbeginn an in gleichförmiger translatorischer Bewegung begriffen gewesen sein; deren Geschwindigkeit bezeichnen wir mit . Zur Zeit t1 im Punkte P1 beginnen äußere Kräfte einzuwirken. Das Intervall der jetzt beginnenden ungleichförmigen Bewegung dauere bis zur Zeit t2; das Elektron mag sich dann im Punkte P2 befinden. Von nun an werde wieder eine der Richtung und dem Betrage nach konstante Geschwindigkeit angenommen. Man warte dann noch eine gewisse Zeit (t3-t2). Auf Grund des Punktgesetzes läßt sich über das Feld, das zur Zeit t3 besteht, folgendes aussagen.

Außerhalb der Kugel K1, die um P1 mit dem Radius c(t3-t1) konstruiert ist, entspricht das Feld der durch bestimmten stationären Bewegung. Innerhalb der Kugel K2, die um P2 mit dem Radius c(t3t2) konstruiert ist, herrscht das Feld, welches gleichförmiger Geschwindigkeit zukommt. Wir nehmen an, daß die Lichtgeschwindigkeit niemals erreicht oder überschritten wurde; alsdann liegt K2 stets innerhalb K1; nur der von diesen beiden exzentrischen Kugeln begrenzte Teil des Feldes hängt von der Beschleunigung ab, die dem Elektron im Intervalle t1 bis t2 erteilt worden ist. In solchen Gegenden des Feldes nun, deren Abstand vom Elektron groß gegen dessen Radius ist, darf das Elektron als Punktladung aufgefaßt werden. Machen wir die

Annahme A: (t3 − t2)(c − q2) groß gegen a,

die besagt: Der Abstand des dem Elektron nächsten Punktes der Kugel K2 ist groß gegen den Radius des Elektrons, so gilt dasselbe a fortiori für alle außerhalb der Kugel K2 liegenden Punkte. Hier darf man das Feld aus dem Punktgesetze berechnen, freilich nur dann, wenn noch eine zweite Annahme erfüllt ist. Die Ableitung des Punktgesetzes beruht nämlich auf einer stillschweigend gemachten Voraussetzung, die hier, wo es sich um ungleichförmige Bewegung handelt, nicht übergangen werden darf. Es wird beim Beweise des Gesetzes das Elektron zunächst als räumlich ausgedehnt angesehen; seine Volumenelemente liefern zu den Feldern des skalaren Potentiales Φ und des Vektorpotentiales Beiträge, die mit Lichtgeschwindigkeit nach dem betreffenden Aufpunkte hineilen, und die wesentlich von der Geschwindigkeit des Volumenelementes abhängen. Wenn nun die Geschwindigkeit des Elektrons sich merklich geändert hat in der Zeit (2a/c-q), die das Licht braucht, um über das bewegte Elektron der Bewegungsrichtung parallel hinzustreichen, so sind für die einzelnen Volumenelemente verschiedene Geschwindigkeiten in Rechnung zu setzen, wenn man das Feld in demjenigen Aufpunkte ermitteln will, auf den das Elektron gerade hineilt. Es wird dann der Grenzübergang zur Punktladung unzulässig; er ist nur dann gestattet, wenn die

Annahme B: klein gegen 1

erfüllt ist. Die relative Beschleunigung darf also nicht zu groß, und die Geschwindigkeit nicht zu nahe der Lichtgeschwindigkeit sein. (Auf ungleichförmige Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit darf das Punktgesetz überhaupt nicht angewandt werden.)

Wir nehmen die Beschleunigung, die in dem Zeitintervalle t1 bis t2 stattfindet, so gering an, daß die Annahme B gilt, und warten bis zu einem Momente t3, welcher die Annahme A erfüllt. Dann darf man das Feld innerhalb des von den Kugeln K1, K2 begrenzten Raumes aus dem Punktgesetz ableiten.

Die Herren E. Wiechert und Th. des Coudres haben sich auf die Berechnung der Potentiale Φ, beschränkt; das elektromagnetische Feld einer beschleunigten Punktladung aus den Gleichungen (IIg), (IIh) abzuleiten, haben sie unterlassen. Nachdem ich die etwas umständliche Durchrechnung der Differentiationen ausgeführt, und so die Feldstärken ermittelt hatte, habe ich die Energie und den Impuls berechnet, welche in dem von den beiden Kugeln eingeschlossenen Teile des Feldes enthalten sind. Mit wachsender Zeit t3 nehmen die Radien der beiden Kugeln dauernd zu. Dabei konvergieren jene Größen gegen bestimmte Grenzwerte , für die ich folgende Ausdrücke gefunden habe. Ich setze:

(17)
Dabei bezeichnet η den Winkel, den die Vektoren der Geschwindigkeit und der Beschleunigung in dem betreffenden Zeitpunkte einschlossen. Dann wird
(17a) ,
(17b) .

Diese Formeln ergeben die vom beschleunigten Elektron ausgesandte Energie- und Impulsstrahlung. Die Formel (17a) wäre heranzuziehen, wenn es sich um die Berechnung der Energie der Röntgenstrahlen handelt, die beim Aufprall sehr rasch bewegter Elektronen erregt wird. (Doch muß die Annahme (B) erfüllt sein.) Man kann jene Formel folgendermaßen deuten. Die auf die Zeiteinheit berechnete Energiestrahlung beträgt

.

Im Grenzfalle sehr langsamer Bewegung erhält man bei longitudinaler wie bei transversaler Beschleunigung die bekannte Formel

.

Bei rascher Bewegung hingegen ist die Ausstrahlung eine andere, je nachdem es sich um longitudinale, oder um transversale Beschleunigung handelt. In ersterem Falle wird

η = 0, ,

in letzterem

Bei transversaler Beschleunigung ist die Energiestrahlung geringer als bei longitudinaler; das Gleiche gilt von der Impulsstrahlung. Die auf die Zeiteinheit berechnete Impulsstrahlung wird nach (17b) durch einen Vektor vom Betrage

gegeben; derselbe weist parallel der Richtung, in der das Elektron sich bewegte, als ihm die betreffende Beschleunigung erteilt wurde.

Die Formel (17b) soll nun dazu dienen, den Gültigkeitsbereich der Theorie der quasistationären Bewegung abzugrenzen. Jene Theorie würde den zur Zeit t3 dem Felde zukommenden Impuls aus der momentanen Geschwindigkeit q2 des Elektrons so berechnen, ab ob die Bewegung von Anbeginn an eine gleichförmige gewesen wäre, d. h. aus Gleichung (15a). Wir nennen den so berechneten Impuls, den wirklich im Felde zur Zeit t3 enthaltenen. Es läßt sich nun leicht beweisen, daß in dem Maße, wie das Zeitintervall (t3-t2) wächst, gegen den Grenzwert

(18)

konvergiert. In der Tat, aus der Art, wie nach § 6 die Feldstärken des stationären Feldes sich im Unendlichen verhalten, schließt man, daß in dem von der Kugel K2 eingeschlossenen Felde bereits der ganze Impuls steckt, wenn die Zeit t3 die Annahme (A) erfüllt; aus demselben Grunde verschwindet gegen der Impuls des außerhalb K1 liegenden Feldes, das der gleichförmigen Geschwindigkeit q1 entspricht; der Impuls des zwischen den beiden Kugeln liegenden Feldes endlich beträgt . Mithin wird der Impuls des ganzen Feldes zur Zeit t3 durch (18) gegeben. Die Theorie der quasistationären Bewegung setzt nun

(18a) ,

d. h. sie vernachlässigt den ausgestrahlten Impuls. Der von ihr bei der Berechnung des Impulses begangene relative Fehler beträgt mithin

(18b) .

Machen wir die

Annahme C: klein gegen ,

so ist, mit Rücksicht auf (17b), (18a), bei Einwirkung einer äußeren Kraft , die ihre Richtung in dem Intervalle t1 < t < t2 nicht wesentlich ändert, der Fehler (18b) zu vernachlässigen. ist dabei aus der Theorie der quasistationären Bewegung zu berechnen.

Es ist bei longitudinaler Beschleunigung:

,

bei transversaler Beschleunigung:

.

Dabei ist nach (16c), (16e), (16f) bei Volumenladung

zu setzen. Mithin kann man die Bedingung durch zwei andere ersetzen:

(C1) klein gegen 1

bei longitudinaler Beschleunigung,

(C2) klein gegen 1

bei transversaler Beschleunigung.

Ist die Beschleunigung ihrem Betrage nach so gering, und liegt die Geschwindigkeit um so viel unterhalb der Lichtgeschwindigkeit, daß die Bedingungen (C1) bez. (C2) erfüllt sind, so darf man die stattfindende Impulsänddrung aus der Theorie der quasistationären Bewegung berechnen, freilich nur dann, wenn gleichzeitig die Bedingung (B) gilt. Gilt die Annahme (B) nicht, so wird die auf dem Punktgesetz fußende Überlegung hinfällig, die uns zu der Bedingung (C) führte. Wir schreiben die Bedingung (B):

(B) klein gegen 1.

Eine ausführliche Diskussion der Frage, welche von den Bedingungen (B), (C) mehr und welche weniger verlangt, würde hier zu weit führen. Bei langsamer Bewegung, das übersieht man sofort, ist der Faktor von in (B) größer als in (C1), (C2); es sind hier demnach alle Bewegungen, auf die das Punktgesetz anzuwenden ist, noch als quasistationär zu betrachten. Um zu beurteilen, mit welcher Annäherung jene Bedingungen bei rascheren, aber noch beobachtbaren Bewegungen erfüllt sind, greifen wir einen möglichst ungünstigen Fall heraus, nämlich die raschesten der von Kaufmann untersuchten Becquerelstrahlen; für dieselben ist β=0,95, 1-β=0,05, ψ(β)=3. Da es sich um transversale Beschleunigung handelt, kommt die Formel (C2) in Frage, in der

gesetzt werden mag; r, der Krümmungsradius der Bahn, betrug im magnetischen Felde von 300 absoluten Einheiten 12 cm. Setzt man endlich a = 10-12, so erhält man für die Größen, die nach (C2) bez. nach (B) klein gegen 1 sein sollen, denselben Wert 3·10-12. Und wenn man das magnetische Feld selbst 100 mal stärker macht, so erreicht der bei der Anwendung des Punktgesetzes und der Theorie der quasistationären Bewegung begangene relative Fehler immer noch nicht 10-9. Man sieht hieraus: In allen praktischen Fällen ist auch auf die raschesten Becquerelstrahlen die Theorie der quasistationären Bewegung anzuwenden.

Übrigens würde man fehl gehen, wenn man versuchen würde, durch Berücksichtigung des Gliedes die Theorie zu verbessern. Haben wir doch immer nur das idealisierte Problem behandelt, bei dem das Elektron als allein im Räume befindlich betrachtet wurde. Gerade die vom Elektron ausgesandte Strahlung aber wird wesentlich durch die Körper, die das Feld begrenzen, beeinflußt werden. Ferner sind sehr viele Elektronen in den Kathodenstrahlen und Becquerelstrahlen vorhanden. In einem magnetischen oder elektrischen Felde werden dieselben „kohärent" beschleunigt. Da die Dichten der Energie und der Bewegungsgröße nicht linear in den Feldstärken sind, so superponieren sich Energie- und Impulsstrahlung der einzelnen Elektronen keineswegs. Die Formeln (17a), (17b) geben nur die Ausstrahlung bei inkohärenter Beschleunigung des Elektronenschwarmes. (Bei der Emission der Röntgenstrahlen dürfte solche vorliegen.) Die freie Bewegung des Elektronenschwarmes, und ebenso die magnetisch oder elektrisch abgelenkte stellt einen stationären Strom vor; die Ausstrahlung eines solchen ist Null. Hieraus erhellt, daß unsere Theorie, indem sie die Ausstrahlung des einzelnen Elektrons vernachlässigt, gerade innerhalb derjenigen Grenzen der Genauigkeit bleibt, die ihr durch Vernachlässigung des Einflusses der fremden Körper und der Wechselwirkung der einzelnen Elektronen von vornherein gezogen wurden.
§ 10. Ableitung der Lagrangeschen Gleichungen für die ausgezeichneten Bewegungen.

Im siebenten Abschnitte zeigten wir, daß für reine Translationsbewegung einer beliebig verteilten Ladung gewisse Relationen der analytischen Mechanik gelten, welche die Zurückführung des Impulses und der Energie auf eine einzige Funktion ermöglichen. Der dort gegebene Beweis setzt in Evidenz, daß es sich hierbei um Eigenschaften des von gleichförmiger Bewegung der Elektrizität erregten stationären Feldes handelt; hatten wir doch damals Beschleunigungen überhaupt noch nicht in Betracht gezogen. In diesem Abschnitte nun wollen wir den Gültigkeitsbereich der Lagrangeschen Mechanik noch weiter ausdehnen; wir wollen auch rotatorische Bewegungen einbeziehen, welche zur Klasse der „ausgezeichneten Bewegungen" gehören. Dabei wollen wir einem anderen Beweisgange folgen. Wir gelangen zu den zwischen der Lagrangeschen Funktion und den Impulskomponenten bestehenden Beziehungen, indem wir den Energiesatz und die Impulssätze auf quasistationäre Bewegungen anwenden. Dieser zweite allgemeinere Beweis legt so — dadurch ist er dem ersten überlegen — die dynamischen Wurzeln der Lagrangeschen Gleichungen bloß; er arbeitet hingegen nicht so klar, wie der erste Beweis, die Tatsache heraus, daß es im Grunde die Eigenschaften der stationären Felder sind, die es gestatten, die Dynamik der ausgezeichneten Bewegungen aus der Lagrangeschen Funktion abzuleiten. Andererseits kann, gerade weil es sich um die Ableitung von Eigenschaften stationärer Bewegungen handelt, die Heranziehung quasistationärer Bewegungen keinem Bedenken unterliegen. Es können ja die Beschleunigungen willkürlich, und zwar so gering gewählt werden, daß der beim Rechnen mit quasistationärer Bewegung begangene Fehler beliebig klein wird. Im Grenzfall einer unendlich kleinen Beschleunigung gelten alle erhaltenen Relationen exakt; diejenigen unter ihnen, welche die Beschleunigungskomponenten nicht mehr enthalten, formulieren Eigenschaften der stationären Bewegung.

Das Feld der ausgezeichneten Bewegungen (vgl. § 5) war, von dem mit dem Elektron starr verbundenen Gerüst aus betrachtet, stationär. Diese charakteristische Eigenschaft kam der reinen Translationsbewegung einer beliebig verteilten Ladung zu (vgl. § 6); in der Tat werden wir in § 12 die Stabilität der Translation eines Ellipsoides auf Grund der jetzt zu entwickelnden Beziehungen behandeln. Ziehen wir aber Rotationen in Betracht, so wollen wir uns stets auf unser allseitig symmetrisches Elektron beschränken. Wir untersuchen Bewegungen desselben, bei denen die Vektoren der translatorischen und rotatorischen Geschwindigkeit konstante Beträge und im Räume feste Richtungen besitzen. Hier gilt in betreff der Vorgeschichte der Bewegung die gleiche Überlegung, die im § 6 angestellt wurde; sie führt zu dem Schlüsse, daß das Feld, bezogen auf ein mit der Geschwindigkeit rein translatorisch bewegtes Koordinatensystem, stationär ist; mithin nehmen die Feldgleichungen (IIe), (IIf) die Form an:

(19) ,
(19a)
(19b) ,
(19c) .

Die x-Achse ist dabei wieder in die Translationsrichtung gelegt. Auch hier überzeugt man sich mit Hülfe der Potentialtheorie leicht davon, daß die Potentiale und die Feldstärken sich im Unendlichen so verhalten, wie es bei der Herleitung des Energiesatzes (VI) und der Impulssätze (VIIa), (VIIb) vorausgesetzt wurde.

Welche von den betrachteten Bewegungen gehören der Klasse der ausgezeichneten Bewegungen an? Bei welchen sind die Fehler des Skalars Φ und des Vektors auch dann stationär, wenn man sie von dem mit dem Elektron rotierenden Gerüst aus betrachtet?

Aus der Form der Differentialgleichungen (19) bis (19c) geht sofort hervor, daß die x-Achse eine Vorzugsrichtung des Feldes ist, wenn überhaupt translatorische Bewegung angenommen wird. Alsdann aber ist das Feld, vom Gerüst aus betrachtet, dann und nur dann stationär, wenn die im Räume feste Richtung des Vektors eine feste Lage im Gerüst besitzt, d. h. wenn die Richtungen der Bewegung und der Drehachse zusammenfallen. Also: gleichförmige Translation, verbunden mit gleichförmiger Rotation um die Bewegungsrichtung, ist eine „ausgezeichnete" Bewegung des Elektrons; sie enthält als Spezialfälle: Reine Translation und reine Rotation. Da das Feld dieser Bewegung sowohl in Bezug auf ein nur translatorisch mitbewegtes, als auch in Bezug auf ein gleichzeitig mitrotierendes Koordinatensystem stationär ist, so müssen Impuls und Drehimpuls des Feldes konstante Beträge und solche Richtungen besitzen, die sowohl im Räume, als auch im Elektron fest sind. Ihre Richtungen fallen also zusammen mit der gemeinsamen Richtung der Vektoren , ϑ. Es folgt daraus: Die betrachtete Bewegung des Elektrons erfüllt die Bewegungsgleichungen (VIIa), (VIIb) ohne die Einwirkung einer äußeren Kraft oder Drehkraft zu erfordern.

Um näheres über das Feld der in Rede stehenden Bewegung zu erfahren, setzen wir in den Gleichungen (19) bis (19c) ϑyz=0 und zur Abkürzung ϑx = ϑ, und erhalten

(20) ,
(20a) ,
(20b) ,
(20c) ,

Setzen wir, wie im § 6

,

so werden diese Differentialgleichungen auf die Form gewöhnlicher Potentialgleichungen gebracht. Wie dort, so folgt auch hier, daß Φ und im Unendlichen von der ersten Ordnung des reziproken Abstandes vom Elektron verschwinden. aber würden Potentialen von Massen entsprechen, deren Vorzeichen für entgegengesetzte z bez. y das entgegengesetzte sind, deren Gesamtmasse also Null ist; solche Potentiale verschwinden im Unendlichen von der zweiten Ordnung. Daraus folgt aber, daß der durch (7 a) definierte Skalar

,

der hier bei der ausgezeichneten Bewegung die Bedeutung des Konvektionspotentiales besitzt, von der ersten Ordnung verschwindet; da ferner die Komponenten der Feldstärken im Unendlichen mindestens von der zweiten Ordnung verschwinden, so folgt, ebenso wie im § 7, aus der Regel ε die Relation

(20d) .

Auch die Gültigkeit der Gleichung (9d) des § 5 setzt das Verschwinden gewisser über die unendlich ferne Grenzfläche erstreckter Integrale voraus, das nunmehr leicht zu verifizieren ist. Ferner beruht die Gleichung (9d) auf der Annahme, daß dem über das ganze unendliche Feld erstreckten Integrale

ein endlicher Wert zukommt. Von der Richtigkeit dieser Annahme müssen wir uns jetzt überzeugen, umsomehr, als wir weiterhin, den stationären Charakter des Feldes berücksichtigend, den Differentialquotienten dieses Integrals nach der Zeit gleich Null setzen werden. Aus den Differentialgleichungen (19) bis (19c) folgt auf Grund der Symmetrieeigenschaften des Elektrons:

Φ, sind symmetrisch zur (yz)-Ebene, mithin

antisymmetrisch zur (yz)-Ebene,

ist symmetrisch, antisymmetrisch zur (xz)-Ebene,

ist symmetrisch, antisymmetrisch zur (xy)-Ebene.
Wir berechnen nun das Integral:
.

Nach (IIg), und da

zu setzen ist, wird

,


.

Aus dem obigen folgt nun aber sofort, daß

antisymmetrisch zur (yz)-Ebene,


antisymmetrisch zur (xz)-Ebene,

antisymmetrisch zur (xy)-Ebene.

Addiert man die Beiträge, welche acht durch Spiegelung an der Koordinatenebenen auseinander entstandene Volumenelemente zu dem Integrale liefern, so erhält man als Summe Null. Es folgt das Verschwinden des Integrals

(20e) .

Jetzt ergibt die Gleichung (9d) als Ausdruck der Lagrangeschen Funktion

(21) .

Dieselbe gilt also nicht nur für reine Translation einer beliebig verteilten Ladung [vgl. (12 a)], sondern auch für die anderen betrachteten ausgezeichneten Bewegungen des Elektrons. Aus (21), (20d) und (9c) folgt weiter:

(21a) .

Daher werden die rechten Seiten von (9b), (9c) gleich, und wir erhalten

(21b)

Für reine Translation war , mithin (21a) gültig; (21b) war in (10g), (10h) enthalten.

Nunmehr gehen wir auf die Relation (8c) zurück, welche aus dem Energiesatz und den Impulssätzen gewonnen war. Für die ausgezeichneten Bewegungen nimmt dieselbe jetzt die Form an

(21c)

Hierbei wurden die zeitlichen Änderungen der Vektoren , ϑ einem im Elektron festen Achsenkreuz aus beurteilt; auf dasselbe Achsenkreuz sind dementsprechend auch zu beziehen. Auf die betrachteten stationären Bewegungen angewandt, bei denen , ϑ konstanten Betrag und feste Richtungen im Elektron besitzen, und auch Impuls und Lagrangesche Funktion konstant sind, würde die Gleichung (21c) nichts Neues lehren; es würde sich rechts wie links Null ergeben. Wir dürfen aber die Relation (21c) auch anwenden auf solche quasistationären Bewegungen, welche eine Folge ausgezeichneter Bewegungen darstellen. Denn die Gleichung (8 c) bezog sich auf beliebige Bewegungen, und (21c) entstand aus jener, indem die für die betrachteten stationären Bewegungen bewiesene Relation (21b) eingesetzt wurde. Es ist nun gerade das für die quasistationären Bewegungen charakteristische, daß Impuls, Drehimpuls, elektrische und magnetische Energie aus der momentanen Geschwindigkeit und Drehgeschwindigkeit so berechnet werden, als ob die Bewegung stationär wäre. Werden Geschwindigkeit und Drehgeschwindigkeit allmählich abgeändert, doch so, daß der Bewegungszustand in jedem Momente zu der in Rede stehenden Klasse gehört, so gelten die Relationen (21b), (21c). So können wir z. B. reine Translation einer beliebig verteilten Ladung, ob nun zu ihrer Fortdauer eine äußere Drehkraft erforderlich sein mag oder nicht, quasistationär abgeändert denken; doch muß hierbei stets ϑx = ϑy = ϑz = 0 sein, sonst würde die Bewegung aufhören, eine ausgezeichnete zu sein; die Komponenten von jedoch können beliebig abgeändert werden, und ihnen entsprechen jederzeit die Werte, welche die Lagrangesche Funktion, sowie die Komponenten von gerade besitzen. Es folgt, daß für hinreichende kleine, aber sonst beliebige Werte von

die Beziehung besteht:


.

Daraus ergeben sich die Komponenten des Impulses, bezogen auf Achsen, die im bewegten Systeme fest sind

(22) .

Das ist die „erste Zeile der Lagrangeschen Gleichungen".

Haben wir es andererseits mit reiner Rotation des Elektrons zu tun, bei der zu setzen ist, so können wir ϑx ϑy ϑz uns in beliebiger Weise quasistationär abgeändert denken. Die Gleichung (21c) führt dann zu den Relationen

(22a) .

Ist jedoch die Rotation verbunden mit Translation in Richtung der Drehachse, so dürfen nicht die zu dieser Richtung der x-Achse) senkrechten Komponenten ϑy, ϑz, unabhängig geändert werden, ohne daß die Bewegung den Charakter einer ausgezeichneten verliert. Es sind hier nur ϑx, unabhängige Variable, es wird mithin

(22b) .

Wir sahen jedoch bereits oben, daß in diesem Falle Impuls und Drehimpuls in Richtung der x-Achse weisen; es verschwinden mithin die übrigen Komponenten dieser Vektoren. Zusammenfassend sagen wir:

Bei den betrachteten ausgezeichneten Bewegungen sind Impuls und Drehimpuls durch die erste Zeile der Lagrangeschen Gleichungen bestimmt. — Dieses Resultat gilt für quasistationäre Bewegungen, die eine Folge ausgezeichneter Bewegungen darstellen, mit beliebiger Annäherung, wenn die Beschleunigungen hinreichend gering sind; es gilt mithin exakt für die stationären Bewegungen, die wir untersuchen. Als zweite Zeile der Lagrangeschen Gleichungen können wir die Bewegungsgleichungen (8), (8a) bezeichnen, in denen die Impulskomponenten auf im Elektron feste Achsen sich beziehen; hier sind die Relationen (22), (22a), (22b), welche die Impulskomponenten als partielle Differentialquotienten der Lagrangeschen Funktion nach den Geschwindigkeitskomponenten ausdrücken, einzutragen, falls es sich um eine quasistationäre Folge ausgezeichneter Bewegungen handelt. Die Energie derartiger Bewegungen ist vermöge (21b) in der aus der analytischen Mechanik bekannten Art aus der Lagrangeschen Funktion abzuleiten.

Eine vereinfachte Formulierung der Lagrangeschen Mechanik erhält man, wenn man von den Lagrangeschen Gleichungen zum „Hamiltonschen Prinzip" übergeht. Seine Bedeutung als Minimal- oder Maximalprinzip wird allerdings durch die Einschränkung auf die ausgezeichneten Bewegungen beeinträchtigt. Wir begnügen uns damit, den Beweis für rein translatorische Bewegungen zu führen; dabei gehen wir auf die Gleichung (VII) zurück, welche in unserer elektromagnetischen Mechanik das d'Alembertsche Prinzip vertrat. Wir integrieren über ein Intervall t0 bis t1 und erhalten

.

Die virtuellen Parallelverschiebungen δs der Punkte des Elektrons bez. des mit ihm starr verbundenen Gerüstes denken wir uns dabei so vorgenommen, wie es das Hamiltonsche Prinzip verlangt; es müssen Anfangslage und Endlage dieselben sein für die wirkliche, wie für die variierte Bewegung (δs=0 für t=t0, t=t1), und ferner sind entsprechende Lagen der wirklichen und der variierten Bewegung gleichzeitig durchlaufen zu denken. Dann gilt

.

Partielle Integration nach der Zeit ergibt:

.

Nun ist aber

,
und ferner, nach (22)
,

mithin

(23) .

Für quasistationäre Translationsbewegungen gilt das Hamiltonsche Prinzip. Dabei ist die Bewegung des Elektrons nur durch virtuelle translatorische Verrückungen abzuändern; in ähnlicher Weise ist die Gültigkeit des Prinzips bei den anderen ausgezeichneten Bewegungen einzuschränken.

Für die betrachteten ausgezeichneten Bewegungen, die gleichzeitig quasistationär verlaufen, haben wir die analytische Mechanik Lagranges aus den Grundgleichungen der Dynamik des Elektrons hergeleitet. Dieses Resultat ist nicht nur von erkenntnistheoretischer, sondern auch von ökonomischer Bedeutung, weil es die Dynamik jener Bewegungen auf die Berechnung der Lagrangeschen Funktion zurückführt. Die Lagrangesche Funktion ist dabei, vermöge (21), ebenso wie bei reiner Translation, durch ein über das Volumen des Elektrons erstrecktes, vom Konvektionspotential abhängiges Integral bestimmt; das Konvektionspotential wiederum ist durch (7a) auf das skalare Potential Φ und das Vektorpotential zurückgeführt. Im nächsten Paragraphen werden wir die reine Rotation des Elektrons, und im übernächsten die Translation des Ellipsoïdes mit Hülfe der Lagrangeschen Funktion behandeln.

§ 11. Rotierendes Elektron. Elektromagnetisches Trägheitsmoment.

In den Entwickelungen der Abschnitte 6 bis 9 wurde immer die Annahme gemacht, daß keine äußere Drehkraft auf das Elektron wirkt. Wann tritt nun eine äußere Drehkraft Θ auf?

In einem homogenen elektrischen Felde wird nach (1e):

(24) .

Denn hier ist für alle Punkte des Elektrons der gleiche Vektor. Da nun für unser allseitig symmetrisches Elektron ist, so folgt: In einem homogenen äußeren elektrischen Felde tritt keine Drehkraft auf. Wenn das Elektron rotationslos ist, so gilt für homogene magnetische Felder das Gleiche; hier ist ebenfalls für alle Punkte des Elektrons der gleiche Vektor.

Anders, wenn das Elektron bereits in Rotation begriffen ist; dann tritt im Vektor ein Glied

auf, das vermöge der Rechnungsregeln β, δ auf die Form

gebracht wird. Die Ausführung der Integration ergibt in diesem Falle

(24a)

als resultierende Drehkraft im homogenen magnetischen Felde im Falle von Volumenladung. (Bei Flächenladung wäre statt zu setzen). Die Drehkraft steht also senkrecht auf der Richtung der Drehachse und derjenigen des magnetischen Feldes.

In homogenen Feldern treten drehende Kräfte auch dann auf, wenn ursprünglich keine Rotation stattfand. Wir wollen etwa den Fall behanden, daß der Kathodenstrahl ein inhomogenes elektrisches oder magnetisches Feld senkrecht zu den Kraftlinien durchsetzt; die x-Achsen legen wir parallel der Strahlrichtung, die positive y-Achse parallel der elektrischen Feldstärke , oder, wenn es sich um magnetische Ablenkung handelt, die negative z-Achse parallel der magnetischen Feldstärke . Der Vektor weist dann jedesmal in Richtung der y-Achse. Seinen Betrag nennen wir F. (Im ersten Falle wird , im zweiten . Die Feldstärke soll nun längs der x-Achse variieren; F'=dF/dx ist ein Maß für die Inhomogenität des Feldes. Innerhalb des vom Elektron eingenommenen Bereiches ist mit genügender Annäherung F=F0+F0'·x zu setzen, wo F0, F0' sich auf den Mittelpunkt des Elektrons beziehen. Alsdann wird die äußere Kraft: , die äußere Drehkraft aber:

(24b)

bei Volumenladung.

Wie verhält sich nun das Elektron gegenüber der Einwirkung drehender äußerer Kräfte? Diese Frage beantworten wir zunächst für den Fall, daß die Geschwindigkeit des Mittelpunktes Null ist. Die reine Rotation gehört, wie im vorigen Abschnitte gezeigt wurde, zu den ausgezeichneten Bewegungen, deren Dynamik von der Lagrangeschen Funktion abhängt. Wir berechnen dieselbe auf dem dort angegebenen Wege. Zunächst bestimmen wir die Potentiale Φ, , indem wir in den Gleichungen (20) bis (20c) β=0 setzen; ϑ gibt dabei den Betrag der Drehgeschwindigkeit an; daß wir die x-Achse der Drehachse parallel gelegt haben, ist hier unwesentlich. Es gelten die Differentialgleichungen

(25)

Nach (7a) wird

(25a)

und nach (21) ist die Lagrangesche Funktion zu berechnen. Bei Volumenladung des kugelförmigen Elektrons vom Radius (a) werden die Differentialgleichungen für integriert durch den Ansatz

(25b)

Derselbe erfüllt auch für r=a die Stetigkeitsbedingungen, die den Potentialen räumlicher Massenverteilungen vorgeschrieben sind, und verhält sich im Unendlichen so, wie es verlangt wird. Da ferner , und Φ ein elektrostatisches Potential, so wird:

Die Ausführung der Integration ergibt
(25c)

als Lagrangesche Funktion des rotirenden Elektrons im Falle von Volumenladung.

Im Falle der Flächenladung ergibt eine entsprechende Rechnung:

(25d) .

Die additive Konstante ist für die Dynamik unwesentlich. Der variable Teil der Lagrangeschen Funktion ist proportional dem Quadrat der Drehgeschwindigkeit, wie bei einer starren materiellen Kugel. Setzen wir

(25e) (bei Volumenladung),

so ergeben die Gleichungen (22a), da ist,

(25f) oder .

Der Drehimpuls ist hier, wie wir bereits im § 10 erkannten, der Drehachse parallel. p gibt das „elektromagnetische Trägheitsmoment" an. Die Gleichung (16c) ergibt:

(25g) bei Volumenladung.

Bei Flächenladung hingegen erhält man:

(25h) .

(Bei einer mit der Masse M gleichförmig über Volumen oder Oberfläche belegten materiellen Kugel ist bekanntlich das Trägheitsmoment:

bez. .)

Für quasistationäre Rotationsbewegung gilt, nach (VIIb), die Bewegungsgleichung:

(26) .

Rotiert etwa das Elektron im homogenen magnetischen Felde, so ist die Drehkraft durch (24a) bestimmt. Es wird:

(26a) .

Der Vektor steht immer senkrecht auf ϑ; mithin bleibt der Betrag der Drehgeschwindigkeit konstant. Die Richtung der Drehachse beschreibt im Räume eine reguläre Präzessionsbewegung um die Richtung des magnetischen Feldes.[38] Die Winkelgeschwindigkeit dieser Präzession beträgt (bei Flächenladung ), ist also durch die Kathodenstrahlkonstante ε/μ0=1,865·107 bestimmt. Würde man Erscheinungen kennen, bei denen diese Präzessionsbewegung sich kundgibt, so könnte man zwischen Volumen- und Flächenladung entscheiden.

Erteilt man dem rotierenden Elektron eine translatorische Bewegung, so entfernt es sich aus dem Bereiche der ausgezeichneten Bewegungen. Ist indessen die Geschwindigkeit q, bez. die Drehgeschwindigkeit ϑ so gering, daß β² und β·aϑ/c gegen 1 zu vernachlässigen sind, so zerfällt, den Differentialgleichungen (19) bis (19c) zufolge, das Vektorpotential in zwei Teile; der eine Teilvektor hängt linear von , der andere linear von ϑ ab. Das Gleiche gilt mithin von der magnetischen Feldstärke ; die elektrische aber ist bei so langsamer Bewegung als konstant zu betrachten. Folglich zerfällt auch der Poyntingsche Vektor, und somit auch der Impuls und der Drehimpuls in je zwei derartige Vektoren. Die in linearen Teile werden erhalten, indem man ϑ=0 setzt, hier fanden wir . Die in ϑ linearen Teile erhält man, indem man setzt; sie betragen . Daher wird auch bei gleichzeitiger Translation und Rotation zu setzen sein

(27) ,

falls β², β·ϑa/c gegen 1 zu vernachlässigen sind.

Wir berechnen jetzt die Drehgeschwindigkeit, die dem langsam bewegten Elektron in einem inhomogenen Felde erteilt wird, und zwar in dem speziellen Falle, der zu dem Ausdrucke (24b) der äußeren Drehkraft führte. Die Bewegungsgleichungen lauten hier

(27a) .

Ist q die ursprünglich vorhandene, der x-Achse parallele Geschwindigkeit der im Kathodenstrahle bewegten Elektronen, und wächst die vom äußeren Felde herrührende Kraft F vom Werte 0 für x=x0 bis zum Werte F1 für x=x1 an, so ist, bei geringer Bahnkrümmung, die in x1 erreichte seitliche Geschwindigkeit

(27b)

wo den Mittelwert der Kraft anzeigt.

Die erreichte Drehgeschwindigkeit hingegen ist:

(27c) .

Wir berechnen den Quotienten der Energien der rotatorischen und der seitlichen translatorischen Bewegung, die in dem inhomogenen Felde entstanden sind. Er beträgt nach (25g)

(27d)

Nehmen wir nun an, daß das äußere Feld auf einer Strecke x1-x0=0,1 cm vom Wert Null bis zu seinem endgültigen konstanten Werte anwächst, und setzen , so beträgt der Quotient doch nur bis 10-22. Wir schließen: selbst in so inhomogenen Feldern verschwindet die Energie der entstandenen Drehbewegung durchaus gegen die der fortschreitenden Bewegung, wenigstens bei langsamen Kathodenstrahlen. Die Annahme übrigens, die der Gleichung (27) zu Grunde lag, daß β·ϑa/c klein gegen 1 sein soll, ist hier sicher erfüllt; denn ϑa/q=ϑa/cβ ist bereits klein gegen 1; ist also β² klein, so ist β·ϑa/c noch weit kleiner.

Bei raschen Elektronenbewegungen, wo in den Differentialgleichungen (19) bis (19c) der Faktor (1-β²) berücksichtigt werden muß, ist es weit schwerer, den Einfluß drehender Kräfte zu untersuchen. Drehbewegung um die Translationsrichtung allerdings kann man auf Grund der Ansätze des § 10 behandeln; ich habe die Lagrangesche Funktion einer solchen Bewegung berechnet, unterlasse indessen die Mitteilung des Resultates, da das Problem ein gar zu spezielles ist. Ausserordentlich starke Rotationen können allerdings unter Umständen bei Becquerelstrahlen den Charakter der freien Bewegung des Elektrons, wie auch insbesondere denjenigen der magnetisch abgelenkten in sehr komplizierter Weise beeinflussen; doch zwingt bisher nichts dazu, solche Rotationen als vorhanden anzunehmen. Vielmehr befindet sich diejenige Theorie, welche die Drehbewegungen als unwesentlich für die Dynamik des Elektrons betrachtet, im Einklange mit dem Experimente.

§ 12. Stabilität translatorischer Bewegung.

Im sechsten Abschnitte wurde bewiesen, daß zur Erhaltung gleichförmiger Translationsbewegung einer beliebig verteilten Ladung im allgemeinen eine äußere Drehkraft

(28)

erforderlich ist. Nur wenn der Impuls der Richtung der Geschwindigkeit parallel weist, ist kräftefreie stationäre Bewegung möglich. Die Formeln (22) des § 10 gestatten es, die Bedingung der kräftefreien stationären Bewegung in der Form zu schreiben

(28a) .

Wir bezeichnen mit die Komponenten der Geschwindigkeit, bezogen auf ein in der elektrischen Ladung festes Achsenkreuz. Ist die Lagrangesche Funktion für Bewegung in einer beliebigen Richtung bekannt, so bestimmen die Gleichung (28a) diejenigen Richtungen, denen parallel eine kräftefreie Translation möglich ist; wir wissen bereits aus § 6, daß für ein homogen geladenes Ellipsoid die drei Hauptaxen diese Bedingung erfüllen. Es entsteht nun aber die Frage, welche dieser möglichen Translationsbewegungen stabil sind. Wir geben zunächst ein Kriterium für die Stabilität der Translationsbewegung einer beliebig verteilten Ladung, und machen alsdann die Anwendung auf das Ellipsoid.

Die Lage der auf ihre Stabilität hin zu prüfenden Richtung markieren wir in der bewegten Ladung, und wählen sie als x-Achse. Die Bedingungen (28a) müssen jedenfalls erfüllt sein, sie ergeben:

(28b) für .

Der Betrag des Impulses ist:

(28c)
Wir denken uns nun die Bewegungsrichtung abgeändert; die Ebene, in der die Ablenkung erfolgt, wählen wir als xy-Ebene; es ist also jetzt . Zur Aufrechterhaltung der so abgeänderten Bewegung ist eine äußere Drehkraft erforderlich, deren z-Komponente ist
.

Die entsprechende Komponente der „inneren Drehkraft", die jener das Gleichgewicht hält, ist demnach:

(28d)

Wir nennen nun die ursprüngliche Bewegung eine stabile, wenn diese durch Abänderung der Bewegungsrichtung erweckte innere Drehkraft stets dahin strebt, die in der Ladung feste x-Achse in die neue Bewegungsrichtung einzustellen. Das ist dann und nur dann der Fall, wenn für ist.

Wir entwickeln die rechte Seite von (28d) in eine nach Potenzen von fortschreitende Reihe. Das Anfangsglied ist Null nach (28b). Das in lineare Glied beträgt:

.

Mithin ist das Stabilitätskriterium für kleine Abänderungen der Bewegungsrichtung zu formulieren durch:

(28e)

bei beliebiger Lage der zur Bewegungsrichtung senkrechten y-Achse.

Wir entwickeln andererseits die Lagrangesche Funktion in eine Taylorsche Reihe, die nach Potenzen von fortschreitet, wir schreiben L0 den Wert der Funktion für . Wir wollen ferner die Abänderung der Bewegung in der Weise vollzogen denken, daß der Betrag der Geschwindigkeit konstant bleibt, mithin

setzen. Dann wird

wenn Glieder dritter Ordnung in nicht berücksichtigt werden. Nach (28b), (28c) wird alsdann
(28f) .

Das Stabilitätskriterium (28e) ist mithin dann und nur dann erfüllt, wenn kleine Abänderungen der Bewegungsrichtung bei konstant gehaltenem Betrage der Geschwindigkeit stets die Lagrangesche Funktion verkleinern. Es folgt:

Die Translationsbewegung einer beliebig verteilten Ladung ist stabil, wenn die Lagrangesche Funktion für die betreffende Richtung ein Maximum besitzt, bei konstantem Betrage der Geschwindigkeit.

Auf solche stabile Bewegungen ist nicht nur die Formel (16a) für die longitudinale Masse, sondern auch die Formel (16b) für die transversale Masse anzuwenden. Denn wenn auch keine wirkliche Einstellung der in der Ladung festen x-Achse in die abgeänderte Impulsrichtung bez. Bewegungsrichtung erfolgen wird, sondern eher ein Oszillieren um dieselbe, so werden doch im Grenzfall hinreichend kleiner Bahnkrümmungen die Richtungen des Impulsvektors und des Geschwindigkeitsvektors keine merklichen Abweichungen aufweisen, mithin die Voraussetzungen zutreffen, auf denen die Formel (16b) beruhte.

Wir berechnen die Lagrangesche Funktion des homogen über sein Volumen geladenen Ellipsoides für eine beliebige Bewegungsrichtung: Wir legen wieder die x-Achse in die Bewegungsrichtung, die jetzt eine beliebige Lage im Ellipsoid haben soll. Die Gleichung (14) des § 7 ergibt für die Lagrangesche Funktion den Ausdruck:

(29) .

Dabei bedeutet W'e die elektrostatische Energie derjenigen Verteilung der Ladung e, die entsteht, wenn das Ellipsoid einer Streckung parallel der x-Achse im Verhältnis unterworfen wird.

Durch diese Streckung entsteht wieder ein Ellipsoid, mit den Achsen a' b' c'. Die elektrostatische Energie eines solchen beträgt:[39]

(29a)

Es kommt nun darauf an, diejenige Richtung im ursprünglichen Ellipsoid (mit den Halbachsen a, b, c) zu finden, der parallel die Streckung ausgeführt werden muß, um die elektrostatische Energie des gestreckten Ellipsoids zu einem Minimum zu machen.

Da die x-Achse im allgemeinen schief zu den Hauptachsen des Ellipsoides liegt, so schreiben wir seine Gleichung:

(29b) .

Die ganze Funktion dritten Grades von s, die gleich Null gesetzt die negativen Halbachsenquadrate -a², -b², -c² als Wurzeln ergibt, und die demgemäß bei Coordinatentransformen invariant bleibt, ist

(29c) .

Es besteht mithin die Identität

(29d) .

Die Gleichung des gestreckten Ellipsoides sei

(29e) .

Da durch die Substitution

(29f) ,

(29b) in (29e) übergehen soll, so ist zu setzen

(29g) ,

folglich

(29h) .

Der Identität (29d) entspricht hier folgende:

(29i) .
Da ferner, mit Rücksicht auf die vorgenommene Streckung, die Volumina der beiden Ellipsoide sich verhalten wie
a' · b' · c' · : a · b · c · = 1:λ,

so folgt:

(30) .

und mit Rücksicht auf (29 c), (29d)

(30a)

Die Gleichung des zur x-Achse senkrechten Durchschnittes durch das ursprüngliche Ellipsoid wird erhalten, indem in (29b) x = 0 gesetzt wird:

(30b) .

Wir nennen h1, h2 die beiden Halbachsen dieses Durchschnittes. Dann ist

(30c) .

Die soeben berechnete Funktion zweiten Grades von s allein ist es, die auf der rechten Seite von (30a) die Abhängigkeit von der Lage der x-Achse bekundet; sie ist multipliziert mit einem von dem konstanten Streckungsverhältnis 1:&lambda; abhängigen, stets positiven Faktor. Für ein gegebenes, positives s wird mithin D(s; a',b',c') sicher dann den größten Wert annehmen, wenn für die betreffende Lage der x-Achse sowohl , als auch ihre größten Werte besitzen. Das ist nun in der Tat der Fall; denn (h1 · h2) ist proportional dem Flächeninhalt der Ellipse (30b), und dieser ist bekanntlich am kleinsten, wenn die (yz)-Ebene durch die beiden kleinsten Halbachsen des Ellipsoides gelegt wird; ferner folgt aus der für je drei senkrechte Halbmesser des Ellipsoides gültigen Relation

,

daß sein Maximum erreicht, wenn die x-Achse mit der großen Halbachse des Ellipsoids zusammenfällt. Legt man also die x-Achse durch die große Halbachse, so nimmt, für ein beliebiges positives s, D (s; a', b', c') seinen größten Wert an.

Aus (29a) folgt: Bei Streckung parallel der großen Achse wird die elektrostatische Energie W'e des gestreckten Ellipsoides ein absolutes Minimum. Gleichung (29) besagt jetzt: Die Lagrangesche Funktion wird für Bewegung parallel der großen Achse ein absolutes Maximum bei konstanter Geschwindigkeit. Mit Rücksicht auf den oben bewiesenen Satz folgt hieraus:

Für das mit homogener Volumenladung erfüllte Ellipsoid ist die Bewegung parallel der großen Achse stabil.

Dieses Resultat kann von Wichtigkeit werden, wenn man gezwungen sein sollte, etwa bei dem positiven Elektron die Annahme allseitiger Symmetrie aufzugeben. Geht man dann etwa zu Rotationsellipsoiden über, die parallel der Rotationsachse fortschreiten, so dürfen das nur verlängerte, nicht abgeplattete Rotationsellipsoide sein. Bei letzteren wäre die Bewegung instabil.

Wiesbaden, im Oktober 1902.
(Eingegangen 23. Oktober 1902.)

  1. Vgl. W. Kaufmann, Die Entwickelung des Elektronenbegriffes, Verhandl. der 73. Naturforscherversammlung in Hamburg p. 115; Physik. Zeitschr. 3. p. 9. 1901.
  2. E. Wiechert, Göttinger Nachrichten p. 87. 1898; Grundlagen der Elektrodynamik p. 93. Leipzig 1899.
  3. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern‎. Leiden 1895.
  4. W. Sutherland, Phil. Mag. 47. p. 269. 1899.
  5. P. Drude, Ann. d. Phys. 1. p. 566 u. p. 609. 1900.
  6. Th. des Coudres, Verhandl. d. phys. Gesellsch. zu Berlin 17. p. 60. 1898.
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  8. W. Wien, Arch. Néerland. (2) 5. p. 96. 1900. (Lorentz–Festschrift); Ann. d. Phys. 5. p. 501. 1901.
  9. W. Kaufmann, Göttinger Nachrichten p. 143. 1901.
  10. O. Heaviside, Phil. Mag. 27. p. 324. 1889; Electrical Papers 2. p. 505.
  11. J. J. Thomson, Recent researches p. 21. 1893.
  12. W. B. Morton, Phil. Mag. 41. p. 488.
  13. G. F. C. Searle, Phil. Trans. 187 A. p. 675. 1896; Phil. Mag. 44. p. 329. 1897.
  14. H. A. Lorentz, Physik. Zeitschr. 2. p. 78. 1900.
  15. M. Abraham, Göttinger Nachrichten p. 20. 1902.
  16. W. Kaufmann, Göttinger Nachrichten p. 291. 1902.
  17. W. Kaufmann, Verhandl. der 74. Naturforscherversammlung in Karlsbad; Physik. Zeitsçhr. 4. p. 54. 1902.
  18. M. Abraham, Verhandl. der 74. Naturforscherversammlung in Karlsbad; Physik. Zeitschr. 4. p. 57. 1902.
  19. H. Hertz, Die Prinzipien der Mechanik p. 41. Leipzig 1894.
  20. H. Poincaré, Arch. Néerland. (2) 5. p. 252. 1900. (Lorentz–Festschrift.) Eine eigentümliche Ableitung der elektromagnetischen Bewegungsgröße aus dem Impulse bewegter Faradayscher Röhren gab J. J. Thomson, Rec. res. p. 9 1893.
  21. M. Abraham, Encyklopädie d. mathem. Wissensch. 4. Art. 14.
  22. Th. des Coudres, Arch. Néerland. 5. p. 652. 1900. (Lorentz–Festschrift.)
  23. E. Wiechert, Arch. Néerland. 5. p. 549. 1900. (Lorentz–Festschrift.); Ann. d. Phys. 4. p. 667. 1901.
  24. H. A. Lorentz, Versuch einer Theorie der elektr. u. opt. Erscheinungen in bewegten Körpern. p. 22. Leiden 1895.
  25. H. A. Lorentz, l. c. p. 26.
  26. H. Poincaré, Arch. Néerland. (2) 5. p. 252. 1900.
  27. Vgl. z. B. E. J. Routh, Die Dynamik der Systeme starrer Körper. 1. p. 225. Leipzig 1898.
  28. G. F. C. Searle, Phil. Trans. 187 A. p. 675-713. 1896. In meiner früheren Mitteilung (Gött. Nachr. p. 29. 1902) habe ich U=We-Wm „Kräftefunktion des Elektrons" genannt und die Analogie zur elektrostatischen Energie in den Vordergrund gestellt.
  29. H. A. Lorentz, l. c. p. 36. ff.
  30. G. F. C. Searle, Phil. Mag. 44. p. 329. ff. (1897).
  31. Vgl. z. B. J. C. Maxwell, Treatise 1. p. 244 der deutschen Übersetzung.
  32. In meiner ersten Mitteilung (Göttinger Nachrichten p. 36. 1902) gab ich einen Beweis dieses Satzes; der Satz ergibt sich sofort, wenn man in den Ausdruck für die elektrostatische Energie des Vollellipsoides [§12 Gl (29a)] den bei E. Betti (Lehrb. d. Potentialtheorie p. 259. 1885) angegebenen Ausdruck für die Kapazität (Q') des leitenden Ellipsoides einsetzt. Dann erhält man als Energie des Vollellipsoides.
  33. S. Simon, Wied. Ann. 69. p.599. 1899; W. Seitz, Ann. d. Phys. 8. p. 33. 1902-
  34. Vgl. E. Riecke, Lehrb. d. Phys. II. 2 Aufl. p. 382 u. 386. 1902.
  35. Vgl. W. Voigt, Die fundamentalen physikalischen Eigenschaften der Krystalle. Leipzig 1898; M. Abraham, Encykl. der mathem. Wissensch. 4. Art. 14. 1901.
  36. E. Wiechert, Arch. Néerland. (2) 5. p. 549. 1900; Ann. d. Phys. i. p. 667. 1901.
  37. Th. des Coudres, Arch. Néerland. (2) 5. p. 652. 1900.
  38. Vgl. W. Voigt, Gött. Nachr. 1902; Ann. d. Phys. 9. p. 115. 1902, Gleichung 56—58. Dort wird das Trägheitsmoment des Elektrons noch nicht elektromagnetisch gedeutet.
  39. Vgl. E. Betti, Lehrbuch der Potentialtheorie, p. 134. 1885.