RE:Alkinoos 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sohn des Nausithoos, Enkel des Poseidon und der Periboia
Band I,2 (1894) S. 1544 (IA)–1547 (IA)
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Alkinoos (Ἀλκίνοος, in Prosa meistens Ἀλκίνους). A. Bei Homeros nur in der Odyssee vorkommend, auf Scherie, ist Sohn des Nausithoos, Enkel des Poseidon und der vom Gigantenkönig Eurymedon erzeugten Periboia (VII 56ff.), Bruder des jungverstorbenen Rhexenor (VII 63), vermählt mit dessen einziger Tochter Arete (VII 65ff.), die ihm die Nausikaa (VI 15ff. 56f.) und fünf Söhne (VI 62) gebiert: davon zur Zeit von Odysseus Ankunft zwei erwachsen, drei noch unerwachsen, nämlich Halios, Laodamas, Klytoneos (VIII 119); Oberkönig von 12 Phaiakenkönigen, ἀγχίθεοι (V 35), denen er sich als dreizehnter zurechnet (VIII 390f.) und von denen er Rat annimmt (VII 155, die Scholien EV erklären ἀγχίθεοι a. a. O. aus der Abstammung von Poseidon im 3. Gliede, so dass sie also des A. Vettern wären); Besitzer des geisterhaften Schiffes, das, schneller als ein Habicht (XIII 86ff.), ja als ein Gedanke (VII 36), ohne eines Steuermannes zu bedürfen, Ziel der Fahrt und Meerespfade von selbst weiss und in Dunst und Nebel sicher findet (VIII 559ff.), seine menschlichen Insassen sofort in Schlaf versenkt, ausser den rudernden Phaiaken (VII 318. VIII 445. XIII 74. 79f. mit Scholien) und durch die Heimfahrt des Odysseus [1545] berühmt geworden ist. Er stammt aus der ὑπερείη, von wo sein Vater Nausithoos durch die Kyklopen nach Scherie περικλύστῳ ἐνὶ πόντῳ vertrieben ward (VI 4ff.), wo er mit seinen Phaiaken (wie die Aithiopen ἔσχατοι ἀνδρῶν genannt) wohnt (VI 204f.). Homeros giebt ihm in den von Friedländer (Philol. VI 609) und Lehrs (Aristarch.² 405) als spät verdächtigten Versen VII 82–102 und 112–130 einen herrlichen, wie Sonne und Mond strahlenden Palast mit silbernen Säulen und goldenen Thüren und ebensolchen Hunden von Hephaistos Hand vor dem Portal und goldenen Daduchen an der Halle, inmitten wunderschöner Gärten. Von seinem Volke wird er wie ein Gott (VII 11), von den Göttern bei den Hekatomben durch sichtbares Erscheinen geehrt (VII 201). Seiner Gattin verständigem Rate räumte er bedeutenden Einfluss auf seine Entschliessungen ein. Während sonst die Phaiaken den Umgang mit Menschen nicht lieben (VII 32f.), nimmt A. doch den Odysseus und andere Schiffbrüchige gastlich auf (VII 186ff.), obwohl eine Weissagung seines Vaters ihn vor dem Zorne Poseidons über die dauernde Hinterziehung der schiffbrüchigen Opfer gewarnt hat: vor Zerschellen des rettenden Schiffs und Entrückung der Stadt hinter ein umhüllendes Gebirge (VIII 564ff. XIII 172ff. 149ff.). Die Charakteristik des feinfühligen, bescheidenen und pflichttreuen Königs und seiner Bewirtung s. bei Fleischer Roschers myth. Lex. I 237f.

Odysseus gelangt zu ihm am achtzehnten Tage nach Verlassen der Kalypsoinsel auf östlicher Fahrt; so erfüllt sich eine von Hermes, Poseidon und Leukothea gleichermassen verbürgte Weissagung, dass seine Mühsale dort ihr Ende finden und er im Wunderschiffe in die Heimat zurückgeführt werden würde (V 34. 288ff. 345; vgl. Jahrb. f. Phil. Suppl. XVI 1887, 198. 180; Philologus N.F. IV 1891, 620). Als dann nach Odysseus glücklicher Rettung (nach Hyg. fab. 125 durch naufragium und Mercuri ira durchkreuzt) Zeus auf Poseidons Beschwerde das rückfahrende Wunderschiff auf hoher See versteinert und angesichts der Stadt festgebannt hat (XIII 155ff. 162ff.), versucht A. den weiteren Vollzug des drohenden Schicksalsspruches, die Einschliessung der Stadt durch ein Gebirge, mittels Sühnhekatomben aufzuhalten (181f. 184. 159–187). Dictys VI 6 lässt den Odysseus bei A. die Schicksale der Penelope erfahren und den A. zur gemeinsamen Abreise nach Ithaka und Abwehr der Freier auffordern.

Ἀλκίνου κῆπος sprichwörtlich bei Eustath. Ismen. et Ism. amor. I 4. Alcinoi iuventus als Typus üppigen, reichlichen Lebens, Horat. ep. I 2, 28. Seit der Identification Scheries (s. d.) mit Kerkyra (durch die westfahrenden euboeischen Chalkidier, v. Wilamowitz Homer. Unters. 172. 188) erscheint daselbst ein τέμενος Ἀλκίνου (Thuk. III 70, 14), ein Ἀλκινόου λιμήν (Eustath. Dion. Per. 492); die Insel heisst Ἀλκίνου νῆσος (Ps.-Skylax 22). Das versteinerte Schiff fand man wieder in einer schiffähnlich geformten Klippe vor dem dortigen Vorgebirge Phalarium (Φαλακρόν), Plin. n. h. IV 53, wahrscheinlich der jetzt noch Καράβι (Schiff) genannten Felsklippe am Cap Kephali (Bursian Geogr. v. Gr. I 357, 2). Nach Kerkyra [1546] versetzt den homerischen A. auch Palaiphatos 21 p. 286 Westerm.

B. Dieser kerkyraeische A. hat eine abweichende Genealogie, in der er zwar auch Enkel des Poseidon heisst, aber aus dessen Ehe mit Kerkyra, der Tochter des phliasischen Asopos und der Ladontochter Metope; und nicht Sohn des Nausithoos, sondern des Phaiax (Diod. VI 72; Fragmente des Stemmas schon bei Hellanikos frg. 45 aus Steph. Byz. s. Φαίαξ, FHG I 51 und Schol. PQT Od. V 35). Diese Genealogie dominiert in der Argonautik a) des Apollonios von Rhodos IV 566ff. 990–1227 (die Scholien schweigen). A. nimmt auf Drepane-Kerkyra die von den Kolchern verfolgten Argonauten gastlich auf und fällt, als die Verfolger die Herausgabe der Medeia zu erzwingen drohen, den Schiedsspruch (1104ff.), die jungfräuliche Medeia gehöre dem Vater Aietes, die geehelichte dem Gatten Iason. Durch die listige Vermittlung der in A.s Absichten eingeweihten Arete gewinnt Iason durch eilige Ehelichung der Medeia die Gunst dieser Entscheidung für sich. A. aber gewährt auch den nun von Aietes Rachsucht sich fürchtenden Kolchern auf ihre Bitten Aufnahme auf Drepane. b) In der orphischen Argonautik 1298–1354 nimmt A. wenigstens die Medeia in den Palast auf, wenn auch der Schiedsspruch von Arete ausgeht; vgl. Apollod. I 9, 25. Hyg. fab. 23. Schol. Apoll. Rh. IV 1218. 1153 (Timaios). Tzetz. Lykophr. 175 (Φαιακία) u. überhaupt Art. Argonauten. Auf die Ankunft der Argonauten bei A. und τὸ κατὰ νόμον γενέσθαι τὴν κρίσιν Ἀλκινόου (über Medeia) wird auch vom Schol. Apoll. Rhod. IV 1218 die vom Dichter a. O. erwähnte Gründung eines kerkyraeischen Heiligtums des Apollon Νόμιος zurückgeführt. c) Pragmatisierende Genealogien α) Konon narr. 3: A., Sohn des Phaiax, überwirft sich, nachdem zu den Phaiaken von Scherie eine Abteilung Korinther (also nicht ‚Kolcher‘) gekommen sind, und die Insel den Namen Kerkyra erhalten hat, mit seinem Bruder Lokros, der Lokroi gegründet. β) Schol. Theokr. IV 32: A. (Hs. Ἄλκιμος, corr. Duker), Sohn des Aiakos, Bruder des Kroton, der Kroton gründet; vgl. Philostephanos frg. 24 (aus Et. M. p. 138, 24, FHG III 32). Arete hat in Kroton ein Denkmal, das von dem nach ihr benannten Flusse (Ἀρετάν, Pape-Benseler Ἀρέτας?) umflossen wird. Die Ähnlichkeit der Namen Ἀ. und Ἄλκιμος benutzte schon Platon (Rep. X 614 B) zu einem Wortspiel, indem er dem Ἀ. (um seiner τροφή und εἰρήνη willen: Schol. z. d. St.) einen ἄλκιμος (Schol. γεννάδας καὶ πολεμικὸς) ἀνὴρ gegenüberstellt, den Pamphylier Er (Ἦρ), dem ‚Weichling‘ den ‚Wackeren‘ (Schleiermacher Platons Werke III 1 ² 397). Wie die Irrfahrten des Odysseus in dem umfangreichen Phaiakenabenteuer ihr Ziel finden, so spitzt sich diese Schrift Platons vom Staate zu der langen wunderbaren, ‚aber wahren‘ Geschichte von jenem Pamphylier zu, der ebenfalls ausführlich von seinem Besuch in der Unterwelt erzählt; und dabei fällt in unseren Quellen zum ersten Mal das später in schwankendem Sinne sprichwörtlich gewordene Homercitat: Ἀλκίνου ἀπόλογος.

Heimisch ist die Vorstellung vom A. zugleich mit der Phaiakensage (s. d.) ursprünglich in der [1547] euboeischen Heimat der Kerkyra-Drepane besiedelnden Chalkidier (v. Wilamowitz Homer. Unters. 172. 188). Auch der Zug vom Rhadamanthys (VII 323) braucht nicht schon der jüngeren kerkyraeischen Mythenform zu gehören (s. jedoch v. Wilamowitz 188), da dieser Heros der Ahnherr ausschliesslich nordkleinasiatischer und kykladischer Urherrscherfamilien ist (vgl. Preller Gr. Myth. II³ 130). Die von Fleischer (Roschers myth. Lex. I 238f.) vertretene These, dass A. mit den Phaiaken schon in der von den homerischen Gedichten citierten ältesten Argonautik eine Rolle gespielt habe, erhält eine Stütze in der glücklichen Gleichsetzung von Kolchis mit Chalkis durch Maass (Hermes XXIII 1888, 620ff.; Götting. Gel. Anz. 1890, 352) und dessen Hinweis auf die euboeische Heimat der Kyklopen, die das Phaiakenvolk aus Hypereie vertrieben haben sollen (Herm. XXIV 1889, 644f.). Nach v. Wilamowitz ist die Argonautik erst im 8. Jhdt. durch die Korinther auf das damals schon von Chalkidiern besetzte und nur mit der Phaiakensage erfüllte Kerkyra übertragen (und mit dieser verschmolzen) worden (Homer. Unt. 170). Den Namen erklärt Eustath. zu Od. VII 60 p. 1568, 37ff. = δαΐφρων, ἐπεὶ καὶ συγγενὲς ἀλκὴ καὶ δαΐς, Suid. = δυνατός, Pape-Benseler = mutig gesinnt. Er gehört zu der zahlreichen, mit Ἀλκα-, Ἀλκι- anlautenden Sippe zu ἀλκ- ‚Wehr-‘, s. Fick Personenn. S. 9.