RE:Ameise

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Insekt mit Fleiss, Gewandtheit und Ordnungsliebe, Feind des Landwirts
Band I,2 (1894) S. 1820 (IA)–1822 (IA)
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Ameise (μύρμηξ, formica). Arten der A. wurden bei den Alten nur wenige unterschieden. Genannt werden: die μεγάλοι (Arist. Hist. an. VII 24, 583 b 17), die wohl identisch sind mit den nicht in Sicilien vorkommenden ἱππομύρμηκες (Arist. Hist. an. VII 28, 606 a 5) und den formicae herculaneae der Römer (Plin. n. h. XXX 29). Κνίπες erscheint nur bei Arist. π. αἰσθ. 5, 444 b 12 als Name einer kleineren A.-Art (vgl. aber Aubert-Wimmer Aristot. Tierkunde I 166). Irrtümlicherweise sah Aristoteles (Hist. an. IV 2, 523 b 19 und sonst) in den geflügelten A. eine eigene Art. Aelians weisse (n. a. IV 5) und babylonische (XVII 42) A., ebenso die giftige Art solipugae des Plinius (n. h. XXIX 92. VIII 104. XXII 163) gehören wohl der Fabel an.

Über ihre Lebensweise wird viel berichtet, vieles ins Fabelhafte gesteigert. Besonders Fleiss, Gewandtheit, Ordnungsliebe wird an ihnen gepriesen. Hauptstellen: Arist. Hist. an. IX 155, 622 b 20ff. Plin. XI 108ff. Plut. de soll. an. 11. Dazu im einzelnen: sie halten auf Ordnung im Gehen (Ael. n. a. II 25), schützen sich durch kunstvolle Erdbauten vor Überschwemmungen (ebd. XVI 5), trocknen ihr feucht gewordenes Getreide (ebd. VI 43), verhüten das Keimen der gesammelten Körner (vgl. Lauchert Physiologus 17), schaffen sich Wege, halten förmlich Markt ab, begraben ihre Toten (Aelian. n. a. V 49. VI 43. VI 50), lösen sie sogar aus (Plut. a. a. O.), arbeiten auch in mondhellen Nächten, aber nicht bei Neumond (Aelian. n. a. I 22. Plin. n. h. II 109. XVIII 292). Sie haben keinen Winterschlaf, legen auch im Winter ‚Eier‘ (die Puppen sind gemeint), Arist. Hist. an. V 31, 542 b 30. Plin. n. h. XI 108. Die A. galt bisweilen als giftig (vgl. über die solipugae oben; Hesych überliefert s. μυρμηκιά als Sprichwort ὁ πτύσας εἰς μυρμηκιὰν οἰδεῖ τὰ χείλη). Wenn die Giftschlange A. verspeist hat, ist sie noch gefährlicher. Arist. frg. 372 Teubn. = Schol. Il. XXII 93. In Persien galten sie als unrein und wurden wie die Schlangen von den Magiern getötet. Herod. I 140.

Dass die A. zu den Feinden des Landwirts gerechnet werden, ist selbstverständlich. Auch hier wird ihnen aber Falsches nachgesagt, z. B. sammeln die A. nicht Korn für den Winter trotz Stellen wie Verg. Georg. I 186; doch vergl. darüber Linsenbarth Jahrb. f. Phil. 1891, 706. Als Gegenmittel empfiehlt schon Aristoteles Hist. an. IV 95, 534 b 22 Ausräuchern mit Dosten (origanum) und Schwefel oder Hirschhorn oder στύραξ; dazu kommen dann später eine Menge weiterer, auch abergläubischer Mittel. Vgl. im allgemeinen Geop. XIII 10, dann Colum. de arb. 14. Pallad. I 35 (Asche von Schnecken oder weisse Kreide). IV 10, 21 (Mischung von Rötel und Essig, oder Rötel, Butter und Theer). IV 10, 29 (ein aufgehängter coracinus [1821] schützt den Feigenbaum), vgl. auch den Artikel Aberglauben S. 68f. Plinius n. h. XXIX 138 beschreibt, wie man mit Hülfe der A. Grillen fange. Die alten Mediciner verwenden teils die A. selbst (die formica herculanea zerrieben gegen Hautschäden, Plin. n. h. XXX 29), teils die A.-‚Eier‘ (Plin. n. h. XXXI 134, gegen Gehörleiden XXIX 133, Spinnenbisse XXIX 88), auch Bären heilen sich damit (Plut. de soll. an. 20. Plin. n. h. VIII 101. X 199. Aelian. n. a. VI 3). Von A. ausgegrabene Erde hilft gegen geschwollene Drüsen (Plin. n. h. XXX 39) oder beim Vieh gegen Schlangenbiss (Veget. III 79). Der Teil einer Kröten- oder Froschleber, welchen A. nicht berühren, ist gut gegen alle Gifte, Plin. n. h. XXXII 50. XI 196.

Mantische Bedeutung wird den A. vielfach gegeben, vgl. Fronto ep. p. 137, 3 Nab. formicularum et apicularum ostentis res maximae portenduntur. Sie sind Wetterpropheten (Arat. 956. Plin. n. h. XVIII 364. Plut. de soll. an. 11). Dem schlafenden Midas tragen sie als Knaben Körner in den Mund (auf späteren Reichtum gedeutet) Cic. de div. I 78 (vgl. Biene). In Lanuvium erscheinen sie als Dienerinnen der dort verehrten Schlange (Aelian. n. a. XI 16). Warnend und Unheil bedeutend ist das Auftreten der A. bei den von Plut. Kimon 18. Suet. Tib. 72; Nero 46 erzählten Omina.

Märchenhaftes: Die Nachricht Herodots (III 102 und dazu Stein) von indischen goldgrabenden Riesen-A. wird oft wiederholt (vgl. Aelian. n. a. III 4 und dazu Jacobs) und ausgeschmückt, zu Grunde liegt ein indisches Märchen. Auch von aethiopischen goldgrabenden A. wusste man zu erzählen, vgl. Jacobs zu Aelian. n. a. IV 27 und ein Orakel bei Berthelot Coll. des Alchim. grecs p. 95. Rohde Gr. Roman 442. Das Märchen wusste auch von streitbaren, schätzehütenden Riesen-A. im Hymettos (vgl. Crusius Philol. Vers. Görlitz 1889, 44 und unten die Sprichwörter). Auch Alexanders Heer muss gegen Riesen-A. kämpfen (Ps.-Kallisth. II 29). Hülfreiche A. verrichten für Psyche das Auslesen der Körner bei Apul. met. VI 10, vgl. Friedländer Sittengesch. I 543. Über des Pherekrates Komödie ‚Ameisenmenschen‘ haben wir nur Vermutungen, vgl. Kock Com. Att. I 178 und Zielinski Märchenkomödie 1885, 28. 62.

Über Verwandlungssagen vgl. Art. Myrmex und Myrmidonen. Eine solche mag auch der Fabel Aes. 294 Halm zu Grunde liegen.

In der Tierfabel tritt besonders der Fleiss der A. hervor. So Aesop 401 Halm. Babr. 126, ähnl. 295. Phaedr. IV 24. Aesop 296 eine Fabel von der dankbaren A. (Marx Märchen v. dankbaren Tieren 126). In Sprichwörtern und Redensarten ist die A. bald Ausdruck des kleinsten (ἢ μύρμηξ ἢ κάμηλος Luc. Sat. ep. 19. Diogenian II 89; ἔνεστι κἀν μύρμηκι χολή Zenob. III 70), bald erscheint sie als das fleissige Tier (Otto Sprichw. d. Römer 690ff.), bald ist der A.-Haufen und sein Getriebe ein Bild der Menge, der Unruhe (Aesch. Prom. 451. Theokr. XV 45. Seneca de tranq. 12, 3, vgl. Hesych. s. μυρμηκιά), ein Abbild des Menschenstaates (Luc. Icarom. 19), aber auch Sitz des Reichtums (vgl. die oben berührten Märchen): ἀγαθῶν μυρμηκιά (Zenob. [1822] I 11), μυρμάκων πλοῦτος (Theokr. XVII 107). Über einen A.-Stein myrmecitis vgl. Plin. n. h. XXXVII 187. Über bildliche Darstellungen von A. auf Münzen vgl. die Nachweise bei Imhoof-Blumer und Keller Tier- und Pflanzenbilder 46f. Taf. VII 24. 25.

Übrigens hiess μύρμηξ auch eine Löwenart (Strab. XVI 774. Aelian. n. a. VII 47, vgl. Lauchert Physiol. 21).