RE:Comites 15

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Comes civitatis in gothischen Städten
Band IV,1 (1900) S. 641643
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15) Comes civitatis. Ein Brief des Ostgothenkönigs Theodorich trägt die Adresse: Comitibus defensoribus et curialibus Ticinensis civitatis (Cassiod. var. IV 45). Wenn hier die C. mit den Defensores und den Decurionen zusammenwirken, aber an erster Stelle vor ihnen genannt werden, so folgt daraus, dass sie an der Spitze der städtischen Verwaltung standen. Der Plural zeigt, dass mehr als einer vorhanden war, und dazu passt es, dass sich unter den Anstellungsformularen des Cassiodor (VII 3. 26) eine formula comitivae Gothorum per singulas civitates und eine formula comitivae diversarum civitatum findet, die sich offenbar auf zwei verschiedene Ämter beziehen. Mithin befanden sich in jeder Stadt oder doch in allen wichtigeren Städten je zwei C., ein gothischer und ein römischer. Der letztere besass nur die comitiva secundi ordinis (var. VII 26, 3); der erste wird jedenfalls dem primus ordo angehört haben, da er den Titel vir inlustris (var. IV 12. 46; vgl. III 24, 2) [642] oder vir sublimis führt (var. VII 3, 1. IX 11, 14, 1. 10. CIL XI 268. Ennod. 60, 1; vgl. Cassiod. var. II 35), also der höchsten Rangclasse zugezählt wird. Beide haben milites unter sich, doch ist deren Aufgabe keine kriegerische (Cassiod. var. VI 22, 3: exercitu uteris pacato, nec pericula belli subis et armorum pompa decoraris), da sie ihnen nur als Ehrenwache dienen (var. VI 22, 3. 23, 3) und als Apparitoren ihre Befehle ausführen (var. VI 25. VII 28). Denn dass auch der Gothe nicht etwa den comites rei militaris zuzuzählen ist, sondern als Beamter der Civilverwaltung gilt, wird ausdrücklich gesagt (var. X 29, 1. VI 22, 3). Seinen vollständigen Titel bietet die Inschrift CIL XI 268, wo folgendermassen zu ergänzen ist: vir subl(imis) Gudila com(es) [ord(inis) pr(imi) et cura]tor r(ei) p(u)b(licae); sie verbreitet auch Licht über die Entstehung dieses Amtes. Wie oben S. 634 dargelegt ist, wird die Comitiva mit sehr vielen Stellungen zunächst als persönliche Auszeichnung für deren Inhaber verbunden; bei manchen Ämtern wiederholt sich diese Ehrung aber so oft, dass sie endlich ganz regelmässig wird und der Comes dann auch als untrennbarer Bestandteil in den Titel des betreffenden Amtes übergeht (s. Comes Isauriae Nr. 45, Mauretaniae Nr. 59, sacri stabuli Nr. 88). Auf diese Art ist der curator civitatis erst häufig, dann regelmässig zum comes et curator civitatis geworden, und dies kürzte man zu comes civitatis ab (CIL X 6226), wie man den comes primi ordinis et dux Isauriae (CIL VI 1674) zum Comes Isauriae machte. Theodorich verdoppelte das Amt und schuf damit seinen Gothen eine Vertretung in der höchsten städtischen Magistratur; damit sie im stande seien, den Übergriffen der Provincialbeamten mit der nötigen Autorität entgegenzutreten, verlieh er diesen comites Gothorum die Würde von viri illustres und ernannte dazu Leute, die sich Kriegsruhm erworben hatten (Cassiod. var. X 29, 1) oder auf andere Weise Ansehen besassen. Durch den höheren Rang und grösseren Einfluss des gothischen Comes wurde aber der römische immer mehr in den Hintergrund gedrängt, so dass in den Briefen des Cassiodor ausser dem Formular seiner Ernennung gar nicht von ihm die Rede ist. Wir werden uns daher im folgenden auf die Besprechung des comes Gothorum beschränken müssen. Übrigens bietet auch nur dieser ein besonderes Interesse dar, weil er durch sein Verhältnis zum gothischen Teil der Stadtbevölkerung eigentümliche Functionen erhalten hat, während der römische Comes civitatis sich in seiner Thätigkeit wahrscheinlich in nichts von dem älteren curator civitatis unterschied.

Comites Gothorum haben wahrscheinlich in keiner grösseren Stadt gefehlt; nachweislich sind sie in folgenden: Comum (var. II 35. Ennod. 60, 1), Faventia (CIL XI 268), Massilia (var. III 34), Neapolis (var. VI 23–25), Ravenna (var. VII 14), Syracusae (var. VI 22. LX 11. 14), Ticinum (var. IV 45. X 29). Auch der comes insulae Curitanae et Celsinae wird in den gleichen Kreis gehören (var. VII 16). Vielleicht ist auch der Comes Romanus (var. VII 13) ursprünglich nichts anderes gewesen, als ein gothischer Curator civitatis, aber wenn diese Beamten in den übrigen Städten durch die Fürsorge für die Statuen und sonstigen Denkmäler [643] des Altertums nur gelegentlich in Anspruch genommen waren (var. II 35. CIL XI 268), so gewann diese Thätigkeit in Rom eine solche Ausdehnung, dass sie jede andere zurückdrängte und zuletzt den ganzen Competenzkreis des comes Romanus ausgefüllt zu haben scheint.

In erster Linie ist der comes Gothorum Civilrichter (var. VI 22, 1. 23, 1. 3. VII 16. IX 14, 4; vgl. IV 12. 46), und zwar entscheidet er Processe, in denen beide Teile Gothen sind, allein, solche, wo eine Partei Römer ist, mit Hinzuziehung eines rechtsgelehrten Römers (var. VII 3, 1. IX 14, 7). Stehen zwei Römer einander gegenüber, so geht aber der Streit nicht an den römischen Comes civitatis, sondern an den Statthalter der Provinz (var. VII 3, 1: quos per provincias dirigimus cognitores), wie dies auch früher Brauch war. Doch scheint es auch in diesem Falle gestattet gewesen zu sein, die Sache vor das Gericht des Comes Gothorum zu bringen, aber nur wenn die Streitenden sich freiwillig dazu vereinigten (var. IX 14, 7). Jedenfalls werden auch Processe von Römern durch gothische Comites civitatum entschieden, ohne dass dies als ungesetzlich erschiene (var. IV 12. 46). Ferner haben sie den Schmuck der Städte zu beaufsichtigen und öffentliche Bauten zu leiten; so stellen sie zerstörte Statuen her (CIL XI 268), forschen nach dem Verbleib von geraubten (var. II 35) und erheben Gelder für den Mauerbau ihrer Stadt (var. IX 14, 2). In den Seestädten beaufsichtigen sie den Handel und stellen Maximaltarife für die zu verkaufenden Waren fest (var. VI 23, 4. IX 14, 9), üben also einen Teil der Polizeigewalt. Kraft dieser Kompetenz haben sie von den Handelsschiffern Boote oder Schiffe zu requirieren, wenn solche für die königlichen Transporte erforderlich sind, eine Thätigkeit, die namentlich bei dem comes Ravennas von Bedeutung ist (var. VII 14, vgl. IV 45). Von Fremden, die ohne Erben verstorben sind, ziehen sie das Vermögen für den Fiscus ein (var. IX 14, 3). Botschaften des Königs werden durch sie den Unterthanen verkündigt (var. IX 11, 3). Mommsen Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde XIV 499. Grossi-Gondi bei Ruggiero Dizionario epigrafico II 528.

[Seeck. ]