RE:Helladios 2

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Grammatiker aus Antinoeia
Band VIII,1 (1912) S. 98102
GND: 101003994
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2) Helladios. Die Kenntnis dieses Grammatikers und seiner Schriften verdanken wir fast ausschließlich dem umfangreichen Exzerpt, das uns Photios bibl. 279 S. 529–535 Bk. aufbewahrt hat. Die Angaben über seinen Geburtsort und seine Werke befinden sich am Schlusse. Darnach stammte er aus der am Nil gelegenen Stadt Antinoeia ἢ, ὡς αὐτὸς ἐπιγράφει, Βησαντινόου. Aus Papyrusurkunden des 4. Jhdts., bei Vitelli Papiri Fiorentini 2, 71 (1906), ergibt sich, daß jener Name gerade in dieser Stadt damals besonders häufig war; vgl. H. Heimannsfeld De Helladii Chrestomathia quaestiones selectae, Bonn. Diss. 1911, 5. Zu Βησαντινόου hatte man bisher einstimmig πόλεως ergänzt und eine sonst nirgends erwähnte Stadt Besantinopolis angenommen. Aber abgesehen davon, daß es gar nicht zu erklären wäre, warum Photios, der sich doch auf ein Selbstzeugnis des H. beruft, dennoch Antinoeia daneben gelten läßt, so hat Heimannsfeld a. a. O. 6f. aus den erwähnten Papyri den schlagenden Nachweis geliefert, daß es sich hier gar nicht um ein Ethnikon, sondern um ein Patronymikon handelt. Wenn er aber hinzufügt, quod nomen urbis Photium ex titulo operis finxisse ipsius verba docent (sie lauten ἀνεγνώσθη ἐκ τῆς Ἑλλαδίου Βησαντινόου ἐπιγραφομένης πραγματείας χρηστομαθειῶν α’ β’ γ’), so ist dies nicht nur an sich ganz unwahrscheinlich, sondern es wird die Vermutung ohne weiteres durch Orion widerlegt, der dasselbe Werk wiederholt als Βησαντῖνος ἐν τῷ (τοῖς) περὶ χρηστομαθείας, einmal in der Form καὶ οὕτω λέγει ἐν τοῖς ἰάμβοις, anführt (die Stellen bei Heimannsfeld 8f.); denn diese Zitierweise setzt ebenfalls Βησαντινόου als Ethnikon voraus. Der Irrtum ist also um Jahrhunderte älter als Photios, eine Tatsache, die auch dafür spricht, daß Orion nicht das Originalwerk, sondern, wie [99] ich aus anderen Gründen annehme, bereits dieselbe prosaische Epitome benützte, die dem Photios vorlag.

Was die Lebenszeit des H. anbelangt, so erfahren wir aus Photios a. a. O. weiter : γέγονε (was hier ‚geboren, lebte, blühte‘ heißen kann) κατὰ τοὺς χρόνους Λικιννίου (307–325) καὶ Μαξιμιανοῦ, was Haupt Opusc. II 424 ohne Grund in Μαξιμίνου d. h. Maximinus II. (305–314) änderte. Sollte Heimannsfeld 15 mit seiner Ansicht recht haben, daß πραγματεία nicht zum Titel des Originals gehörte, so würden sich auch daraus wichtige Schlüsse ergeben, da, wenn ich nicht irre, dieser Ausdruck nur von einer Prosaschrift gebraucht wird. Von anderen Werken des H., die sämtlich, wie die χρηστομαθεία, in iambischen Trimetern abgefaßt waren, zählt Photios a. a. O. 536 folgende auf: Ἀθῆναι, ὁ δὲ Νεῖλος, ὁ δὲ Αἰγύπτιος, ὁ δὲ Προτρεπτικός, ὁ δὲ Ῥώμη, ὁ δὲ φήμη, ὁ δὲ νίκη, ὁ δὲ πόλις Ἀντινόου (ein Titel, der übrigens ebenfalls gegen Besantinopolis als den wahren Namen seiner Geburtsstadt ins Gewicht fällt). Diese Schriften, die zum Teil an analoge Themata der Rhetorenschule erinnern, sind spurlos verschollen und der Zusatz des Photios δῆον δὲ ὅτι ἑκάστη ἐπιγραφὴ ὑπόθεσίς ἐστι τοῦ ἐπὶ τοῦ ἐπιγραφομένου λόγου läßt erkennen, daß auch er diese Elaborate nicht mehr aus eigener Lektüre kannte.

Das uns erhaltene große Fragment der Chrestomatheia liegt uns in einer prosaischen Fassung vor, doch sind die Spuren der ursprünglichen metrischen Form nicht ganz verwischt, wie denn, nach dem Vorgang von I. Bekker und Naber, besonders M. Haupt Opusc. II 423–427 zahlreiche Verse herausgeschält hat; vgl. ferner Meineke Philol. XIV 20f. R. Förster ebd. XXXV 710f. Crusius LVIII 584 und Heimannsfeld 14. 16. Ob aber auf Photios selbst, wie allgemein angenommen diese Umgestaltung zurückgeführt werden darf, ist sehr zweifelhaft. Viel wahrscheinlicher ist es, daß der Patriarch bereits eine prosaische Epitome vorfand. Darauf scheint mir besonders ἀνεγνώσθη ἐκ τῆς … πραγματείας χρηστομαθειῶν hinzuweisen, wenn nicht gar ἐκ in ἐκλογή zu ändern ist; vgl. Phot. bibl. 239 p. 318 ἀνεγνώσθη ἐκ τῆς Πρόκλου χρηστομαθείας γραμματικῆς ἐκλογαί. Auch der oben erwähnte Irrtum, der, wie gezeigt wurde, nicht dem Photios zur Last gelegt werden darf, spricht für diese Annahme. Jedenfalls wäre damit, wenn auch nicht der buntscheckige Inhalt, der zweifellos dem Originalwerk zukam, sondern vor allem der merkwürdig ungleiche Umfang der Exzerpte einigermaßen motiviert, da man diesen kaum dem subjektiven sachlichen Interesse des Photios wird zuschreiben können.

Das Exzerpt enthält im ganzen rund 80 mit ὅτι beginnende Details, eine Anreihung, die bei Photios auch sonst häufig begegnet, und die an die Art der διὰ τί-ὅτι Problemata des Aristoteles und der alexandrinischen λυτικοί erinnert. Ja, manche λύσεις werden eigentlich erst durch die entsprechenden ζητήματα (διὰ τί) verständlich, und so werden diese wohl, sei es im Original, sei es in der von mir postulierten Epitome, nicht gefehlt haben.

Der Inhalt muß von der denkbar buntesten [100] Art gewesen sein. Neben prosodischen, orthographischen, etymologischen und rein grammatischen Notizen begegnen uns allerlei Angaben über Verwandtschaftsnamen, Anredeformeln, Euphemismen, Sklavennamen, Sprichwörter, über eine Parodie eines Sophoklesverses durch Philonides, über frostige Ausdrücke in den Dramen des Tyrannen Dionysios, über berühmte Männer, die an Phthiriasis starben, über Tyrannen niedriger Herkunft, über den Magnet, über die φιλανθρωπία der Athener, über Demosthenes, Harpalos und Philipp, über die angebliche Feindschaft zwischen Platon und Aristoteles usw. usw. – alles in ganz zwangloser Aneinanderreihung, bei der nirgends eine Disposition nach sachlichen Gesichtspunkten, geschweige denn eine alphabetische Anordnung sich erkennen läßt. Denn daß gelegentlich athenische Dinge unmittelbar aufeinanderfolgen, berechtigt in keiner Weise zu dem von Heimannsfeld 23 gezogenen Schluß: similia similibus tamquam aqglutinata esse videantur. Bei der Rolle, die Athen in dieser Memorabilienliteratur naturgemäß spielt, war dies auch ohne Ideenassoziation selbstverständlich. Die in einem Falle jetzt vorliegende Zusammenstellung ist also schon wegen des ganz heterogenen Inhalts der Einzelheiten gewiß rein zufällig und erst durch die Epitome oder den Exzerptor geschaffen. Das Werk erinnert lebhaft an Gellius und die zahlreichen enzyklopädischen Arbeiten eines Telephos, Pamphilos, Favorinos, Philon von Byblos, Alexandros Kotyaios u. a.; s. auch Heimannsfeld 25.

Dieses der Schule dienende Werk – sein didaktischer Zweck ergibt sich aus der metrischen Form – scheint nun bald in Vergessenheit geraten und dann verloren gegangen zu sein, denn in den späteren, großen lexikographischen Kompendien finden sich, außer bei Orion (s. o.), keine sicheren Spuren seiner direkten Benützung; vgl. R. Reitzenstein Griech. Etymol. 63. 391, 1. 392, 2 und bes. Heimannsfeld a. a. 0. 8–14. Auch bei Suidas nicht, obwohl Bergk PLG II⁴ 362 und Förster Herm. XIV 469, s. Ἑρμίας, einen Trimeter zu erkennen glaubten und daher H. als Verfasser der Glosse vermuteten. Aus demselben Grunde hat M. Haupt a. a. O. Schol. Eur. Med. 613 σύμβολα … οὕτως Ἑλλάδιος mit dem Verfasser der Chrestomathie wohl mit Recht in Verbindung gebracht, aber daß dem Scholiasten das Original noch vorgelegen hat, ist nicht eben wahrscheinlich.

H. verfügte noch über ein sehr umfangreiches, gelehrtes Quellenmaterial, dessen Reichtum noch höher zu veranschlagen sein würde, wenn des Photios’ Exzerpt seinerseits nur auf einer Epitome des Originals beruhte. Von Dichtern werden, außer Homer und Menander, noch zitiert Hesiod, Epicharmos, Sophokles, Dionysios I, Aristophanes, Philonides, Kerkidas, Kallimachos, Aratos, Euphorion, Nikandros; von Prosaikern Hippokrates, Xenophon, Demosthenes, Galen. Von Gelehrten begegnen in dem Exzerpt Polemon, Didymos und Aelius Dionysios, aber weder diese Namen, noch Ausdrücke wie μυθολογεῖται, ἱστοροῦνται, gestatten irgend welchen Schluß auf des H. unmittelbare Gewährsmänner. Wir sind daher in der Quellenfrage, wie in zahlreichen analogen Fällen, bei dem fragmentarischen Charakter [101] des Erhaltenen, den unentwirrbaren Wechselbeziehungen des meist tralatizischen Materials und dem Verlust der Primärquellen, lediglich auf Kombinationen, in der die konstruktive Phantasie eine zwar notwendige, aber oft irreführende Rolle spielt, angewiesen. So gehen z. B. zweifelsohne zahlreiche Glossen des H. in letzter Linie auf die λέξεις des Aristophanes von Byzanz zurück; vgl. Nauck Arist. Byz. 79, 8. 135. 160. 206. 213. Heimannsfeld 57f. 69. Ob aber durch die direkte Vermittlung des Didymos, wie Nauck annimmt, oder was wahrscheinlicher, durch ein viel späteres Mittelglied, ist nicht zu entscheiden, denn die λέξεις selbst lagen den Kompilatoren jener Zeit sicher nicht mehr vor. Überhaupt darf bei Kompendien so miscellanen Inhalts, zumal aus so später Zeit, an die Benützung zahlreicher Spezialwerke größeren Umfangs nicht gedacht werden und zwar allein schon aus rein praktischen Erwägungen, da die Lektüre älterer Werke oder das häufigere Nachschlagen vor der allgemeinen Einführung des Kodexbuches (Ende des 4. Jhdts.) überaus erschwert war, ein Gesichtspunkt, der von modernen Quellenforschern fast ausnahmslos ganz außer acht gelassen wird. Aber gerade diese unbewußte Übertragung moderner Gepflogenheiten auf antike Arbeitsmethode entzieht den meisten Untersuchungen, trotz oft hervorragender Kombinationsgabe und eminenten Scharfsinns, jede Überzeugungskraft. Es ist daher immerhin ein lobenswertes Unternehmen bei Werken wie die eines H. und seiner Genossen womöglich eine Hauptquelle ausfindig zu machen, zumal das skrupellose Aus- und Abschreiben des Späteren aus einem Vorgänger als eine feststehende Tatsache der Wissenschaft gelten kann. So hat denn Heimannsfeld in der öfter zitierten Arbeit, auf Grund einer schon wiederholt ausgesprochenen Vermutung, in eingehender Beweisführung (32–54) versucht, für die lexikographischen Partien der Chrestomatheia des H. die σοφιστικὴ προπαρασκευή des Attizisten Phrynichos (Mitte des 2. Jhdts.) zu statuieren. Wie dies in der Natur der Sache liegt, stützt sich sein Beweis lediglich auf mehr oder minder bemerkenswerte Parallelismen und Wahrscheinlichkeitsgründe. Ich halte den Versuch für mißlungen, wenn auch manches auf den ersten Blick bestechend sein mag. Da eine ausführliche Widerlegung zu weit führen würde, so begnüge ich mich damit, die Hauptgründe, die Heimannsfeld für seine Hypothese ins Feld führt, anzugeben, um daran einige Gegeninstanzen, die der Verfasser teils ignoriert, teils nur ganz vorübergehend gestreift hat, anzufügen: für Phrynichos als Quelle des H. sollen sprechen: 1) daß Phrynichos, wie H., etymologische, orthographische und grammatische Fragen behandelt; 2) bei beiden begegnen medizinische Glossen; 3) H. bezieht sich wiederholt auf den attizistischen Sprachgebrauch und öfter in Übereinstimmung mit Phrynichos. Auch wendet H., wie Phrynichos, den Ausdruck οἱ παλαιοί auf die Attiker an; 4) Phrynichos und H. fügen gelegentlich eine Bemerkung in erster Person ein, ja bei beiden kommt einmal οἶδα δέ τινας vor, allerdings in Bezug auf ganz verschiedene Dinge! 5) einige Spuren, daß Phrynichos und H. auf Seite der Analogisten standen, seien nachweisbar. Ich glaube, diese Zusammenstellung [102] genügt, um zu zeigen, daß der von Heimannsfeld gezogene Schluß nicht zwingend genannt werden kann. Es spricht aber außerdem noch folgendes dagegen: 1) daß des Phrynichos Werk sachlich geordnet war, ist eine unbewiesene, ja nachweisbar falsche Behauptung Schölls, der sich Heimannsfeld begreiflicherweise gern anschloß. Noch Photios bibl. 158 p. 100. 101 las das Werk κατὰ στοιχεῖον. Wäre also Phrynichos die Hauptquelle des H., so ist es unbegreiflich, wie alle Spuren der ursprünglichen alphabetischen Ordnung bei H. so vollständig hätten verschwinden können. Auch die von Heimannsfeld 47–53 nachgewiesenen Übereinstimmungen zwischen Moiris, Philemon und Phrynichos lassen an der κατὰ στοιχεῖον Anordnung der προπαρασκευή keinen Zweifel; 2) wäre die lexikologische Verwandtschaft zwischen Phrynichos und H. so groß, wie Heimannsfeld behauptet, so ist es ganz unglaublich, daß Photios, der die angebliche Hauptquelle doch gut kannte, aus dem Abschreiber H. exzerpiert hätte, was ausführlich bei Phrynichos zu finden war. Wir müssen also nach wie vor uns bescheiden, den Gewährsmann des H. nicht einwandfrei mit den uns heute zu Gebote stehenden Mitteln bestimmen zu können, und dies gilt in noch erhöhtem Maße von den historischen Details, die zum großen Teil uns in anderen Quellen überliefert sind.

Anmerkungen (Wikisource)

Siehe auch den (wohl versehentlichen) kurzen Doppelartikel unter Helladios 4.