Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Ober-Lichtenau

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Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Ober-Lichtenau
Untertitel:
aus: Markgrafenthum Oberlausitz, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 3, Seite 169–170
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons und SLUB Dresden
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Ober - Lichtenau
Ober - Lichtenau


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Ober-Lichtenau,


2 Stunden westlich von Camenz, eine Stunde nördlich von Pulsnitz gelegen, dehnt sich mit Nieder-Lichtenau in dem Thale der Pulsnitz aus, so dass die Häuser und Bauergüter theils auf den, das Thal zu beiden Seiten bildenden Höhen, theils im Thale unten stehen.

Das Pulsnitzthal, gebildet von dem Flüsschen gleichen Namens, fängt oberhalb Friedersdorf, nicht weit unter der Stadt Pulsnitz an, ist in Ober-Lichtenau am engsten und tiefsten, verflacht sich aber immer mehr im Fortgange, bis es in Reichenbach und Reichenau seine Endschaft nimmt. Die Höhen auf beiden Seiten zeigen mitunter vorspringende Granit-Klippen, lassen aber mehrentheils blosse Geschiebe sehen, und im Oberdorfe läuft das Thal in beträchtlichen Krümmungen; es gewährt dasselbe auf verschiedenen Punkten einen schönen heitern Anblick, da es fleissig angebaut und theilweise mit Gärten, Wiesenstücken oder Aeckern und mit Birken und Tannenholz, auch mit niedrigem Gestrauch und artigen Gruppirungen besetzt ist.

Das Flüsschen Pulsnitz bildet hier die Grenze zwischen der Oberlausitz und dem Meissner Lande. Das Rittergut Ober-Lichtenau liegt eigentlich auf Meissnischem Grund und Boden, sowie auch die Kirche und Schule.

Doch besteht dieses erst seit 130 Jahren. In früheren Zeiten befand sich der herrschaftliche Hof in Nieder-Lichtenau auf dem Grundstücke der jetzigen dortigen Schänkwirthschaft. Es mögen ausser den Bauer- und Gärtnerwohnungen wenige einzelne Häuser hier gestanden haben und der ganze Bezirk, der das jetzige Dorf Ober- und Nieder-Lichtenau einnimmt, hat vermuthlich den Namen Lichtenau gehabt, was durch die Beschaffenheit der Gegend, die nach Pulsnitz aufwärts aus dem engen Thal sich erstreckt und das Auge des Beobachters freundlich und lieblich anspricht, sich zu erklären scheint.

In dem 30jährigen Kriege hat diese Gegend unsaglich gelitten, so dass die meisten Bauergüter wüste liegen geblieben sind. Da sich aus Mangel an Menschen Niemand fand, der diese Güter bewirthschaften mochte, so war dieser Nothstand die erste Veranlassung, das Rittergut durch die wüsten Bauergüter zu erweitern und selbst den Sitz desselben aus Nieder- nach Ober-Lichtenau zu verlegen.

Diese Verlegung bewerkstelligte im Jahre 1643 Jobst von Schönberg, bei welcher Familie Lichtenau sich schon früher befand. Derselbe liess den sogenannten alten herrschaftlichen Hof nebst den Wirthschaftsgebäuden anlegen. Ein späterer Besitzer war Johann Georg von Oppel Dr. jur., kaiserl. und chursächs. Rath, welcher Antheil an der Abfassung des Prager Friedenstractats hatte. Er starb im Jahre 1661.

Nach und nach mehrte sich die Bevölkerung von Ober-Lichtenau; allein erst im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts kam dieses Gut zu einer gewissen Höhe und zwar durch den Oberconsistorial-Vice-Präsidenten zu Dresden v. Holzendorf, der den hiesigen neuen Hof mit dem, in damaligem französischen Geschmacke erbauten Palais und den grossen Lustgarten, angelegt hat, welchen letztern noch jetzt eine grosse Orangerie schmückt. Aus Holzendorfs Händen kam das Gut an den Premierminister Grafen von Brühl, weshalb dasselbe im 7jährigen Kriege von den Preussen sehr mitgenommen wurde. Nach Brühls Tode kam es an den General Graf Renard und dann an Graf Marcolini, der im Jahre 1814 mit Tode abgegangen ist. Nach dem Ableben des Grafen Marcolini war der Landesälteste J. Seb. von Wirsing Besitzer und nach dessen Ableben die Erben desselben, von welchen es Polycarb Rudolph Lechla kaufte, bei welcher Familie sich das Gut noch jetzt befindet.

Zu dem Rittergute gehört ein Theil des Keulenbergs, einer der bedeutendsten Berge der ganzen Gegend. Dieser Berg heisst seit dem 18. Sept. 1818 der Augustusberg.

Es war dies das Jubelfest der 50jährigen Regierung des Königs Friedrich August von Sachsen.[WS 1]

Die erste Veranlassung zur Feier dieses Festes auf diesem Berge gab der damalige königliche Förster Lüttich in Laussnitz, und durch ihn wurde ein Verein ins Leben gerufen, der weder Kosten noch Anstrengung scheute, um das Begonnene in Ausführung zu bringen.

Ein 50 Fuss hoher Granit-Obelisk wurde auf der höchsten Felskoppe des Berges errichtet, und zwar mit grosser Anstrengung und Lebensgefahr. Der Obelisk besteht aus 4 Stücken: Fuss, Würfel, Gesims und Kegel. Auf dem Würfel dieses Denkmals ist erhaben und vergoldet zu lesen:


FRIEDRICH AUGUST

dem fünfzigjährigen Vater seiner treuen Sachsen

von jubelnden Kindern, den XVIII. Sept. MDCCCXVIII.


Man hatte zu dieser Feier das schon damals sehr baufällige Berghäuschen in Stand setzen lassen, so dass es sehr brauchbar war.

Der aus 242 Personen verschiedenen Standes bestehende Verein deckte auch den zum Feste erforderlichen sehr bedeutenden Aufwand. Nahe der Säule, in hoch gewölbter laubiger Nische war das Bild des gefeierten Königs aufgestellt, und auf den roth bedeckten Stufen des Laubthrones ein ebenfalls roth bekleideter Opferaltar errichtet. Ebenfalls in der Nähe der Säule war aus Stämmen ein völlig gedielter, 63 Fuss langer und 30 Fuss breiter Saal erbaut worden, dessen Seitenwände mit Leinwand ausgeschlagen und mit grünen Zweigen decorirt worden waren.

Dieser Saal wurde durch 5 grosse Kron- und 24 Wandleuchter erhellt; ausserdem war er mit 5 hohen Spiegeln ausgestattet, das Orchester mit rothem Tuch behangen, und stand so zur Aufnahme der 242 Mitglieder [170] bereit. Auch war durch eine Menge Zelte und Laubhütten für Herberge und Beköstigung der Zureisenden gesorgt.

Uebrigens bildete der von Holz und Steinen gereinigte Hauptplatz eine mit Netzen umgebene, 160 Fuss lange und 100 Fuss breite Ebene.

Mehrere vorangegangene Regentage machten für den Fortgang des Festes besorgt. Aber am 18. Sept. strahlte die Morgensonne hell und freundlich, kein Wölkchen trübte den weiten Horizont.

Mit wehenden Fahnen und klingendem Spiele zogen die Schützen aus vier umliegenden Städten den Berg hinauf, sowie sich auch eine Abtheilung von 70 Mann reitender Artillerie mit ihren Geschützen eingefunden hatte. Viele Tausende aus Nah und Fern, sogar aus dem Herzogthum Sachsen, waren herbei geströmt, um dem Feste die höhere Weihe zu geben. Vormittags 11 Uhr verkündete siebenmaliger Kanonendonner das Beginnen der Feierlichkeiten. Fünfzig grün und weiss gekleidete Jungfrauen, mit Kränzen geschmückt, Töchter des Vereins, Blumenkörbchen an den Armen, sowie die schwarz gekleideten Stellvertreter des Vereins, nebst mehreren hohen Staatsbeamten und Militairs, standen versammelt in der Nähe des Berghäuschens, wozu auch fast alle Greise der nächsten umliegenden acht Dörfer, begleitet von ihren Gerichtspersonen, traten. Vom Häuschen herab stimmte unter vollster Musikbegleitung ein Gesangchor das Morgenlied an: Dank dir, das Dunkel ist vergangen etc. Hierauf zogen unter sanfter Musikbegleitung die sämmtlich hier Aufgestellten Paarweise zu dem, von den Fahnen der Schützen beweheten und von ihnen selbst im Halbkreise umschlossenen Laubthrone. Einen entgegengesetzten Halbkreis bildend, standen jetzt die Jungfrauen vor diesem Throne und ihre beiden Repräsentantinnen legten opfernd einen Kranz auf den Altar. Der damals noch geistig starke, nunmehr verblichene Hofrath Böttcher betrat die linke Seite der Bestufung als Redner und schloss mit den Worten: „Das ganze Land ist eine Opferflamme. Heil unserm König! Heil dem ganzen Stamme!“

Hierauf fiel das Musikchor kräftig ein, und die beiden jugendlichen Priesterinnen traten dem Bilde des Königs näher, und eine derselben, den vom Altare genommenen Kranz in der Hand, sprach ein herrliches Gedicht. Bei den Worten: „Streuet die Blumen aus, Schwestern,“ stellten die Jungfrauen durch das Ausschütten ihrer Blumenkörbchen einen dem Hochgefeierten zu Füssen gelegten, lebenden, reizvollen Blumenkranz dar, wobei die Rednerin mit Hülfe ihrer Gefährtin das Jubellied mit dem Opferkranze krönte, und bei Vollmusik ertönte aus Aller Munde der Festgesang: „Heil Dir im Jubelkranz, Vater des Vaterlands, Heil König Dir!“

Hierauf brachte Hofrath Böttcher dem Könige ein dreimaliges Lebehoch, wobei 101 Kanonenschuss salutirte. Nach dieser Festlichkeit wurden die Tafeln geordnet, wo das Ganze einem Lustlager glich und wo Tausende auf das Wohl ihres treuen, hochherzigen Landesvaters die Pocale schwangen. Herrliche Toaste hörte man von Böttcher und vielen Andern.

Nachmittags um 4 Uhr stellten sich die Greise nochmals vor das Bild des Königs und der Schullehrer Hapatzky aus Ober-Lichtenau hielt eine vortreffliche Rede, nach deren Beendigung das Lied ertönte: „Nun danket Alle Gott.“ Das Musikchor fiel mit ein und tief ergriffen die versammelte Menge. Es sind solche Augenblicke nicht zu beschreiben, sie müssen mit erlebt, mit gefühlt werden. Unwillkührlich wird das Herz höher und höher gehoben und in den Augen erblickt man das äussere Zeichen der inneren Regung.

Am Abend war Feuerwerk, bei dessen Beschluss über einem in blau brennenden Vivat des theuren Königs Name flammte. Hierauf folgte im Saale ein glänzender Ball, und auch im Waldhäuschen bewegten sich fröhliche Tänzer. Den ganzen Berg beleuchtete bis zur Dämmerung des nächsten Morgen ein brennender Holzstoss und nah und fern brannten zugleich auf Sachsens Höhen himmelansteigende Opferflammen.

Solch einen durch dieses seltene Fest, sowie durch seine Lage sich auszeichnenden Berg mussten wir in diesem Album eine Beschreibung widmen, die nirgends besser an ihrem Platze war, als gerade hier.

Sonst wurde alle Jahre auf dem Augustusberge am Mariä-Heimsuchungstage ein Scheibenschiessen gehalten, wobei die Besitzer von Ober-Lichtenau einen silbernen, mit ihrem Wappen gezierten Becher als Hauptgewinn schenkten, auch Geldmünzen, Gebacknes und dergleichen von dem aufwärts zum Häuschen führenden Gange unter das versammelte Volk warfen. Stunden, ja Meilen weit kamen Schützen und Zuschauer zu diesem beliebten Volksfeste, und die ganze Umgegend freute sich lange vorher auf dasselbe; denn an einem solchen Tage war der ganze Berg lebendig und man wähnte sich auf einen grossen Jahrmarkt versetzt.

Nun zurück zur Beschreibung von Ober-Lichtenau selbst. Durch die Versetzung des Ritterguts nach Ober-Lichtenau wurde auch der Bau einer eigenen Kirche und Schule daselbst veranlasst. In früheren Zeiten war hier keine Kirche, sondern eine Kapelle, die durch den Burgkaplan des Besitzers von Lichtenau bedient wurde. Diese Kapelle, die durch den hiesigen Einwohner Martin Richter erweitert wurde, hat alle Rechte einer Pfarrkirche ausgeübt bis zu der Zeit, wo Ober-Lichtenau eine grössere Kirche erhielt. Die Kapelle ist seitdem ganz eingegangen; sie stand in der Mitte des obern Dorfes. Früher waren Nieder-Lichtenau und der untere Theil von Ober-Lichtenau nach Reichenbach eingepfarrt, der übrige Theil des letztern aber nach Obergersdorf eingekircht.

Der obere Theil von Ober-Lichtenau trennte sich aber später von dieser Kirche, während Nieder-Lichtenau und 13 Häuser von dem niedern Theile Ober-Lichtenau’s noch jetzt nach Reichenbach eingepfarrt sind.

Durch den Grafen von Holzendorf als Collator über Kirche und Schule zu Ober-Lichtenau wurden die geistlichen Gebäude incl. der Kirche im Jahre 1742 in einen bessern Stand gesetzt.

Unter Marcolini begann die Erbauung der vielen neuen Häuser, die bis auf die neueste Zeit sich stets vermehrt haben und bis zur Zahl von 158 angewachsen sind, während Nieder-Lichtenau nur 41 besitzt.

Die Einwohnerzahl von Ober-Lichtenau beträgt 846, die von Nieder-Lichtenau 223, welche sich grösstentheils mit Lein-, Zwillicht- und Merliweberei beschäftigen. Sie arbeiten theils für sich und auf eigne Hand und beziehen mit ihren Waaren die Märkte.

Ober-Lichtenau und Nieder-Lichtenau gehören zum Gerichtsamte Pulsnitz.

M. G.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich August von Sachsen war nach dem Tod des Vaters 1763 als Friedrich August III. Kurfürst von Sachsen, wurde jedoch wegen Minderjährigkeit bis 1768 durch seine Mutter Maria Antonia von Bayern als vormundschaftliche Regentin und seinen Onkel Prinz Franz Xaver als Kur-Administrator vertreten.