Sündflut

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Textdaten
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Autor: Otto Ernst
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Titel: Sündflut
Untertitel:
aus: Siebzig Gedichte
S. 120–122
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: L. Staackmann
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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Sündflut.


Erk Mannis schaut über Holmös Strand:
Verronnen die Flut, aber tot ist das Land.

Ein Schlick und ein Schlamm und ein Trümmergraus;
Nur eines blieb ganz: das Gotteshaus.

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Erk Mannis ruft! – Kein lebender Ton!

Die See gluckst leise mit glimmerndem Hohn.

Da stürmt er die Stufen hinauf zum Turm;
Sein ahnendes Grausen läutet Sturm;

Die Glocke schreit wie ein jammerndes Kind:

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Gebt Antwort, gebt Antwort, wo Menschen sind! –


Nur Nebelschweigen und Todesruh.
Dein Volk ist tot. Nur du lebst, du.

Da packt ihn das Grauen; mit tappendem Schritt
Steigt er hinab; in die Kirch’ er tritt

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Und sinkt in die Bank, und vors Gesicht

Ballt er die Fäuste und stöhnt und spricht:

„Ich dank’ dir mein Leben nicht, o Gott!
Dein Segen ist Fluch, deine Rettung Spott.

[121]
Wo hast du mein Weib? Wo hast du mein Kind?
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Mein ganzes Volk zerstoben im Wind!


Du hast mich vergessen, ich helfe dir nach –“
Ans Messer im Gürtel greift er jach –

Da hört er ein Schwirren – er blickt hinauf:
Vom Taufstein hob sich ein Schwälbchen auf.

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Beschwingtes Leben im finstern Raum!

Durchs Fenster entflog es wie ein Traum.

Er raffte sich auf; er schaute sich um –
Da sah er ein Weib, das blickte stumm

Der Schwalbe nach und blickte lang –

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Bis Auge still in Auge sank.


     *          *          *

Sie schritten schweigend hinaus vor die Tür,
Da schwirrten die Schwalben für und für.

Sie fanden ein Grabmal aus bröckelndem Stein,
Da flitzten die Flinken aus und ein.

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In eines Kranzes moderndem Rest,

Da hegten die Segler ein heimlich Nest;

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Da fanden die beiden zirpende Brut,

Geborgen und froh in des Todes Hut. –

Übers Meer, in die Ferne schauten sie weit.

40
Den Ruf des Lebens hörten sie beid’.


Heut’ lebt auf Holmö rank und recht
Ein todesmutig, ein froh Geschlecht.