Schrift und Schrifttum:13

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nie aufgehört Buchstaben zu sein, die zur Bezeichnung von Zahlwerten dienten und zu diesem Zweck jeweils dem gerade geltenden Alphabet entnommen wurden. Das Mittelalter ist in diesem Verfahren dem Altertum gefolgt, es verwendet sie in den Formen der gotischen Minuskel und den von ihr neu geschaffenen Großbuchstaben und verbindet sie in der Kursive untereinander ebenso wie andere Buchstaben. Das i als Zahl behält den i-Strich oder i-Punkt und hat ihn solange festgehalten, daß er sogar vielfach auf die 1 der arabisch-deutschen Ziffern übergegangen ist. Bei der Wiederholung der I wird, wie im Doppel-i, der letzte Strich unter die Zeile verlängert.

Eine Eigentümlichkeit des Mittelalters, die ebenfalls lange nachwirkt, ist, daß man gerne M D C L als Majuskeln, X V I als Minuskeln geschrieben hat.

Die 7 Buchstaben werden zur Darstellung einer Summe nach Bedarf in der Reihenfolge vom Großen zum Kleinen aneinandergereiht; die Summe ergibt sich durch Addition der Einzelwerte. Um endlose Wiederholung der einzelnen Zeichen zu vermeiden, haben schon die Römer ein Multiplikationsverfahren angewendet: man schreibt etwa zur Darstellung von 300 die einfache Zahl der Tausender III und deutet durch einen darüber gelegten Strich III die Multiplikation an; ebenso z. B. XXX = 30 000. Das Mittelalter, das dieses Verfahren auch kennt, hat vorgezogen, für die Tausender neben die einfache Zahl ein kleines M über die Zeile zu setzen: IIIm = 3000; XXXm = 30 000. Gleichzeitig und besonders in den für uns wichtigen Quellen wird ebenso eine Mehrzahl von Hunderten durch ein beigesetztes kleines C ausgedrückt, also IIIc = 300 (vgl. Schriftprobe Nr. 5 von 1523). Eine andere Darstellung großer Zahlen mit Multiplikation hat der Humanismus neu belebt, indem er die archaischen Formen IƆ und CIƆ für D und M wieder aufnahm. Mit ihnen wird IƆƆ = 5000, CCIƆƆ = 10 000 u. s. f. Für die heutige Verwendung kommen diese Methoden kaum noch in Betracht, dagegen ist ein Verfahren der Vereinfachung durch Subtraktion noch heute in Gebrauch; statt VIIII (= 5 + 4)

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schreibt man IX, d. h. 10 weniger 1, auch statt VIII: IIX. Ebenso XL = XXXX = 40 oder XC = LXXXX = 90, auch CD = CCCC = 400.

Bruchzahlen (vgl. Schriftproben Nr. 1––6) darzustellen meiden die Urkunden und die Lagerbücher mit Ausnahme von ½; auch hier wird mit Subtraktion verfahren. Um z. B. 1½ zu schreiben, wird durch den zweiten, in der Regel unter die Linie verlängerten Strich der II ein Querstrich gemacht; ebenso wird bei 4½ ein Querstrich durch den etwas verlängerten linken Schaft der V gelegt (vgl. Schriftproben 1, 8). Dieses Subtraktionsverfahren entspricht durchaus der Redeweise, wie sie in Urkunden häufig ist; man sagt gern statt 19 Schillinge: 1 Pfund weniger 1 Schilling und ähnlich. Die Schreibung der Halben spiegelt sich in den noch geläufigen Ausdrücken anderthalb, sechsthalb u. a.

Die indisch-arabischen Ziffern, unsere deutschen Zahlen, die auf europäischem Boden zuerst in Spanien (976) erscheinen, sind in Deutschland allmählich seit dem 12. Jahrhundert eingedrungen. Sie haben die lateinischen Zahlzeichen im offiziellen und dokumentarischen Gebrauch nicht zu verdrängen vermocht, offenbar weil die Rechtsprechung auf diese eingestellt war und der Gebrauch arabischer Ziffern die rechtliche Geltung einer Urkunde oder Rechnung oder eines Lagerbuchs hätte gefährden können. So verbot noch 1494 der Rat von Frankfurt seinen Beamten, in den Rechnungsbüchern des Rats „Ziffern“, d. h. deutsche Zahlen, zu gebrauchen. In den württembergischen Lagerbüchern und Rechnungen sind die römischen Zahlen bis in die Mitte des dreißigjährigen Kriegs verwendet. Mit 1640/46 werden erstmals in der Landschreiberei-Rechnung nur noch deutsche Ziffern verwendet; bis dahin waren die Gulden noch römisch, dagegen die Kreuzer seit etwa 1575 deutsch geschrieben worden. Die Entwicklung war natürlich in den einzelnen Territorien verschieden. In Eßlingen beispielsweise, wo schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einzelne Lagerbücher sich deutscher Ziffern bedienen, ist der offizielle Wechsel auch in den städtischen Rechnungen etwa 1547 oder 1548

Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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