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Walter Benjamin: Das Dornröschen. In: Der Anfang. Vereinigte Zeitschriften der Jugend, H. 3/1911, S. 51–54

zu dienen, doch fest. Sollte es jedoch unerfüllbar sein, so ist das Leben für ihn wertlos; dann ist seine Lebensaufgabe „der Dreizehnte bei Tisch zu sein“ – zu sterben. Noch ein anderes tritt in der Wildente hervor. Wie viele Ibsensche Stücke, wird auch dieses von Problemen bewegt – sie werden nicht gelöst. Diese Probleme sind eben nur der Untergrund, die Zeitatmosphäre, aus welcher der Charakter eines Gregers hervortritt, der durch sein eigenes Leben, den Willen, die Absicht seiner sittlichen Tat, die Kulturprobleme für sich löst.

Die Jugend selbst hat Ibsen dargestellt in der Hilde Wangel des Baumeister „Solness“. Doch unser Interesse wendet sich dem Baumeister, nicht der Hilde Wangel zu, die nur das blasse Symbol der Jugend ist.

Zuletzt komme ich zu dem jüngsten Dichter der Jugend. Zugleich zu einem Dichter der heutigen Jugend, vor allen genannten: zu Karl Spitteler. Wie Shakespeare in Hamlet, wie Ibsen in seinen Dramen, stellt auch Spitteler Helden dar, die für das Ideal leiden. Noch ausgesprochener als bei Ibsen für ein universales Menschheitsideal. Eine neue Menschheit des Wahrheitsmutes sehnt Spitteler herbei. Vor allem seine beiden großen Schöpfungen: die Epen, „Prometheus und Epimetheus“ und der „olympische Frühling“ sind der Ausdruck seiner Ueberzeugung und hier, wie auch in seinem herrlichen Bekenntnis-Roman „Imago“, den ich für das schönste Buch für einen jungen Menschen halte, stellt er die Stumpfheit und Feigheit der Durchschnittsmenschen bald tragisch, bald lächerlich oder sarkastisch dar. Auch er geht vom Pessimismus aus, um sich zum Optimismus im Glauben an die sittliche Persönlichkeit zu erheben. (Prometheus, Herakles im olympischen Frühling.) Macht ihn schon sein universales Menschheits-Ideal und seine Ueberwindung des Pessimismus zu einem Dichter für die Jugend und besonders für unsre Jugend, so vor allem sein herrliches Pathos, das er einer Sprachbeherrschung verdankt, die er wohl mit keinem Lebenden teilt.

So steht die Erkenntnis, in der unsre Zeitschrift wirken will, schon fest begründet da in den Werken der Größten der Literatur.

Ardor-Berlin.     
Empfohlene Zitierweise:
Walter Benjamin: Das Dornröschen. In: Der Anfang. Vereinigte Zeitschriften der Jugend, H. 3/1911, S. 51–54. Berlin 1911, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Benjamin_Dornr%C3%B6schen.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)