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Durchs Leben schritt die Mutter, wie graue Büßerinnen,
Ihr Tag hatte nicht Blüten, des Lenzes Herrlichkeiten;
Die dürre Lebensfrucht, mit unerquickten Sinnen,
Die wie nach Asche schmeckt, pflückt sie vom Baum der Zeiten.

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Der Armut grimmer Staub peitschte den Reiz der Wangen

Und trieb der Tränen Schwall auf die entzund’nen Augen,
Sandte auf ihren Weg des Wüstenwindes Bangen
Und wölbt ihr ein Asyl aus seines Schuttes Wogen.

Der düsteren Jahre Bürde krümmte ihren Rücken,

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Der Arbeit Glutenstift versengt’ der Nerven Frische,

Sie küßte ihren Tod, in seinen herben Tücken,
Sprach sie nur heißen Dank für’s Brod vom Lebenstische.

Auf feuchten Flies der Dome sank sie in brünst’gem Beten,
Im Duft von Grabeskerzen und bei der Orgel Klängen,

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Den Perlentau des Trostes, die Flucht aus Lebensnöten

In ihrer Seele Kelch wollte sie eifrig drängen.

O Mutter mein, heute zu Licht gestaltet,
Du gold’ner Pfeil, zum Brennpunkt abgeschnellt,
Ewig flammender Geheimnisse! Dein Nam’ ist ausgeschaltet,

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Aus unseres Schalles Wellen, doch bist du mir gesellt!


Die bleiche Todesblüte bin ich deines Blutes,
Die deiner Tränen Naß erschuf und knospen hieß;
Du hast mir eingeküßt des herben Lebensmutes
Ererbtes Erbschaftsstück, der Seele Bitternis.

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Wenn grüne Mitternacht auf stillen Pfaden blinkt,

Erhebst du dich vom Grab und nahst dich meiner Schwelle,
Der Rhytmus deines Hauchs in meinem Atem klingt
Und deine Klage schwingt in meiner Stimme Welle.

Empfohlene Zitierweise:
Otokar Březina: Emil Saudek (Übers.): Hände. Moriz Frisch, Wien 1908, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BrezinaH%C3%A4nde09.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)