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Stamm wein in dem Zeitwort „weinen“ auszudrücken, würde man das Lautbild der Flasche (mit der Aussprache Wein) hinmalen, und daneben das Bild einer weinenden Person setzen, um dem Laute Wein in seiner besonderen Bedeutung die bestimmte Richtung der Vorstellung zu geben. Um den Thoren, d. h. einen närrischen Menschen zu schreiben, würde man die Aussprache desselben durch das Bild eines Thores darstellen, dagegen die besondere Auffassung des Wortes in diesem Falle durch die hinzugefügte Abbildung eines Menschen näher bestimmen.

Ein solches Schriftsystem scheint beschwerlich und unbeholfen zu sein, ist es aber thatsächlich nur in seiner Anwendung auf unsere reich gegliederten und wurzelhaft erweiterten modernen Sprachen. Bei einsylbigen Sprachen, wie z. B. die chinesische ist, hat diese Art von Schrift ihre ganz besonderen Vorzüge. Ein bestimmtes Zeichen hat im Chinesischen den Sylbenwerth pa. Ohne jene beigefügten näheren Bestimmungszeichen, oder wie man sie in Bezug auf die chinesische Schrift benennt: die Klassenzeichen, würde der Chinese im Zweifel sein, was das Bild pa zu bedeuten habe. Sieht er dagegen neben demselben das Klassenzeichen der Pflanze oder das des Eisens, so weiß er, daß im ersteren Falle das Wort pa, die Banane, im letzteren Falle das Wort pa, der Kriegswagen gemeint ist.

Was bei den Chinesen noch gegenwärtig die allgemeinste Regel ihres Schriftsystems ist, war bereits mehr als 5000 Jahre vor unseren Tagen bei den alten Aegyptern ein durchweg geltender Satz. Jene Bilder mit bestimmten Lautwerthen nennt die moderne Wissenschaft Sylbenzeichen, die stummen Klassenzeichen dagegen Determinativ- oder Deutzeichen.

So hieß die Laute bei den alten Bewohnern des Nilthales

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Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)