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Loggia I.


Der Bund der Religion und der schönen Künste.




Die Kunst bei allen Völkern, des Alterthumes wie der neueren Zeiten, ist religiösen Ursprungs. Ueberall und zu allen Zeiten vermittelt sie in ihrer ersten Thätigkeit die Verbindung des Diesseit mit einem Jenseit, der wirklichen mit der gedachten, geahnten, oder geglaubten Welt.

Die gesammte neuere Kunst hat, wie die allgemeine Cultur-Entwickelung, zu ihrer Grundlage das Christenthum. Nicht als ob sie sich bei der Stoffwahl ausschliessend gegen weltliche Geschichte und Poesie, gegen die Natur und das uns umgebende Leben, ja selbst gegen die Mythologie zu verhalten, einzig auf Aufgaben christlichen Inhalts zu beschränken habe; aber welchen Stoff sie erwählt, er unterliegt der durch die neuere, d. i. christliche Bildung gewonnenen Anschauungsweise.

Die Pinakothek ist zur Aufnahme von Werken der Malerei und der zeichnenden Künste bestimmt; aber alle Künste stehen unter sich in geistiger Verbindung und vereint streben alle unter dem gemeinsamen Schutz nach dem gemeinsamen Ziel.

Und so sehen wir in der Mitte der

Kuppel (Tafel 1)

gleichsam im Ausgangspunkt der nachfolgenden Geschichten, die allegorische Gestalt des Christenthums, mit dem Symbol des Heiligen Geistes über ihr und dem Kreuz in ihrer Rechten auf Wolken thronen; ihre Linke legt sie, zum Zeichen ihres besonderen Schutzes, auf die zu ihren Füssen sitzende Gestalt der Malerei, die wir als solche an Palette und Pinsel in ihren Händen erkennen. Ihr gegenüber kniet, kenntlich am Meissel in der Linken und dem Hammer in der Rechten, die Bildhauerei. Hinter ihr hält die Baukunst im Triangel das Senkblei, während ihr gegenüber die Ton- und Dichtkunst durch eine vierte weibliche Gestalt, die in die Seiten einer Harfe greift, vertreten ist.

Ein Kranz von Engelköpfchen umgibt diese heilige Genossenschaft. Ein grösserer Kranz von arabeskenartigen Genien mit Palmen und Blumenranken enthält vier auf die Allegorien der vier Künste bezügliche Darstellungen. Als Vertreter und Schutzpatron der Malerei gilt nach einer mittelalterlichen Sage der Evangelist Lucas, dem denn auch sein evangelisches Beglaubigungs-Zeugniss nicht fehlt, und der würdigste Gegenstand christlicher Malerei, die Madonna mit dem Christkind im Arm, zum Behuf eines Gemäldes erscheint.

Für die Baukunst wählte Cornelius den Erbauer des Tempels zu Jerusalem, König Salomo, dem sein Architekt das Modell des beabsichtigten Gebäudes überreicht.

Für die Bildhauer war in altchristlicher Sage und Bibel kein Stellvertreter zu finden, und so theilte er die Rollen von Ton- und Dichtkunst an zwei verschiedene Repräsentanten aus. Erhabene Gedanken, dichterische Anschauungen von Gott, Natur und Welt, heiliger Schmerz im Schuldbewusstsein, inbrünstiges Gebet und weit über die Grenzen des Daseins hinaustragende Begeisterung – alles ist im heiligen Psalmisten vereinigt, dessen Harfenspiel selbst Engel singend begleiten; aber die Tonkunst feiert ihren Triumph in der Erfinderin der Orgel, der heiligen Cäcilia!



Empfohlene Zitierweise:
Text von Ernst Förster: Peter von Cornelius − Entwürfe zu Fresken in den Loggien der Pinakothek zu München . Verlag von Alphons Dürr, Leipzig 1875, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Cornelius_Loggien-Bilder_M%C3%BCnchen.pdf/25&oldid=- (Version vom 31.7.2018)