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zu erlösen und an den Freuden des Lebens Theil nehmen zu lassen. Correggio war der erste, der diesen Schritt zur Verweltlichung der kirchlichen Malerei gethan, indem er seine Heiligen aller ritualen Feierlichkeit entkleidete und selbst über dem Altar als heitere, ja fröhliche Menschen darstellte. Psyche lag in Banden; der Genius seiner Kunst löste ihre Fesseln. „Wem’s Gott zugedacht hat, dem bescheert er’s im Traume!“ So sollte es Correggio erfahren. Entschlummert unter den weichen, süssen Tönen des Liebesgottes, merkt er kaum, dass der neckische Komus herbeischleicht, hinter der Satyrmaske geborgen; aber ob er ihn auch auf schlüpfrige Pfade führen möchte, der Künstler ist behütet: Die Grazien schweben nieder zu ihm und beglücken ihn mit der Gabe, seine Werke mit Anmuth zu bekränzen; und über seinem Haupte steht die Lyra Apollo’s, ein redendes Zeichen, dass seine Kunst, allem Niedrigen und Gemeinen fern, sich stets in idealer Höhe gehalten hat.




Loggia XI.


Die Venetianer.




Ein entschiedener Gegensatz zu den Malerschulen Mittelitaliens bilden die Venetianer. Wenn dort die Kunst überall über dem Leben steht und von ihm für ihre Schöpfungen nur ein Zeugniss der Verwandtschaft entlehnt, so sehen wir sie in Venedig mitten im Leben, keines Zeugnisses der Wahrheit bedürftig, als offner Augen für Alles, was man in Haus und Hof, auf Markt und Strassen wahrnehmen kann; und wenn man sich dort durch Phantasie und Studium in längst vergangene Zeiten und Begebenheiten zu versetzen suchte, so stellte man in Venedig beide in die unmittelbare Gegenwart, und damit kein Zweifel an der Wirklichkeit des Dargestellten bestehe, legte man den Nachdruck nicht, wie dort, auf die immer weniger sinnenfällige Form, sondern auf die Alles mit dem Schein des Lebens begabende Farbe.

Man kann aber der venetianischen Kunst nicht nahen, ohne sich seiner Geschichte zu erinnern; wie denn auch Cornelius in der

Kuppel (Tafel 21)

gethan, in deren Mitte er den die Republik tragenden St. Marcus-Löwen gesetzt.

Die Bewohner der nordwestlichen Küste des adriatischen Meeres flüchteten sich im Jahre 452 vor den Hunnen und 568 vor den Longobarden auf die Lagunen-Inseln und siedelten sich daselbst an, und so entstand mitten in den Wellen die Republik Venedig, gleich der Göttin der Schönheit, die nach der Sage der Vorzeit, begrüsst von Tritonen und Nereiden, und von Liebesgöttern umschwärmt, zum berauschenden Entzücken der Welt aus den Wogen des Meeres emporgestiegen.

Venedig wurde ein mächtiger, kriegerischer und reicher Handelsstaat; seine Ziele waren auf die Schätze des Orients gerichtet; und mit gleichem Glück wie einst die Argonauten unter Jasons Führung, von Castor und Pollux begleitet, von Orpheus besungen, nach Colchis gefahren und das goldene Vliess erbeutet, sandte Venedig seine Flotten nach dem Orient, gewann dort Städte, Inseln und goldene Schätze und eroberte selbst 1204 Constantinopel. Mit den Schätzen des Orients zogen auch Luxus und Prachtlust ein in die Republik, der Reichthum erzeugte Genusssucht, vermittelte aber auch die Pflege der Kunst, die sich um so enger und lieber an das wirkliche Leben anschloss, als dasselbe so hohe Befriedigung gewährte.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Ernst Förster: Peter von Cornelius − Entwürfe zu Fresken in den Loggien der Pinakothek zu München . Verlag von Alphons Dürr, Leipzig 1875, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Cornelius_Loggien-Bilder_M%C3%BCnchen.pdf/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)