Seite:DE Herzl Judenstaat 79.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

von christlichen Proletariern nach anderen Welttheilen käme durch die Judenbewegung zum Stillstande.

Die Staaten hätten ferner den Vortheil, dass ihr Exporthandel gewaltig wüchse, denn da die ausgewanderten Juden drüben noch lange auf die europäischen Erzeugnisse angewiesen wären, müssten sie sie nothwendig beziehen. Durch die Ortsgruppen würde ein gerechter Ausgleich geschaffen, die gewohnten Bedürfnisse müssten sich noch lange an den gewohnten Orten decken.

Einer der grössten Vortheile wäre wohl die sociale Erleichterung. Die sociale Unzufriedenheit könnte auf eine Zeit hinaus beschwichtigt werden, die vielleicht 20 Jahre, vielleicht länger dauern würde, jedenfalls aber die ganze Zeit der Judenwanderung hindurch anhielte.

Die Gestaltung der socialen Frage hängt nur von der Entwicklung der technischen Mittel ab. Der Dampf hat die Menschen um die Maschinen herum in den Fabriken versammelt, wo sie aneinander gedrückt sind und durch einander unglücklich werden. Die Production ist eine ungeheure, wahllose, planlose, führt jeden Augenblick zu schweren Krisen, durch die mit den Unternehmern auch die Arbeiter zugrunde gehen. Der Dampf hat die Menschen aneinandergepresst, die Anwendung der Elektricität wird sie vermuthlich wieder auseinander streuen und vielleicht in glücklichere Arbeitszustände bringen. Jedenfalls werden die technischen Erfinder, die wahren Wohlthäter der Menschheit, auch nach Beginn der Judenwanderung weiterarbeiten und hoffentlich so wunderbare Dinge finden wie bisher, nein, immer wunderbarere.

Schon scheint das Wort „unmöglich“ aus der Sprache der Technik verschwunden zu sein. Käme ein Mann des vorigen Jahrhunderts wieder, er fände unser ganzes Leben voll unbegreiflicher Zaubereien. Wo wir Modernen mit unseren Hilfsmitteln erscheinen, verwandeln wir die Wüste in einen Garten. Zur Errichtung von Städten genügen uns jetzt soviele Jahre, als man in früheren Epochen der Geschichte Jahrhunderte brauchte – dafür zahllose Beispiele in Amerika. Die Entfernungen sind als Hinderniss überwunden. Die Schatzkammer des modernen Geistes enthält schon unermessliche Reichthümer; jeder Tag vermehrt sie, hunderttausend Köpfe sinnen, suchen auf allen Punkten der Erde, und was einer entdeckt hat, gehört im nächsten Augenblick der ganzen Welt.

Wir selbst möchten im Judenlande alle neuen Versuche benützen, fortbilden, und wie wir im Siebenstundentage ein Experiment zum Wohle der ganzen Menschheit machen, so wollen


Empfohlene Zitierweise:
Theodor Herzl: Der Judenstaat, Berlin und Wien 1896, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Herzl_Judenstaat_79.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)