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Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute.“ –

130
Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,

Daß mich noch jetzt Schweißtropfen überthauen,
So oft dies Schreckensbild mich überfällt.

133
Ein Windstoß fuhr aus den bethränten Auen,[1]

Er blitzt ein rothes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,

136
Und wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin –
_______________

Vierter Gesang.
I. Abtheilung. I. Kreis. Ungetaufte; Erzväter; Dichter, Helden, Philosophen der Heidenzeit.

1
Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen

So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie Einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.

4
Ich warf umher das Auge wach und frei,

Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.

7
So fand ich mich am Thalrand, in der Nähe[2]

Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.

10
[25] Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,

Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
Den ich geheftet an den Grund der Gruft,

13
„Laß uns zur blinden Welt hinuntersteigen,

Ich bin der Erste, du der Zweite dann.“
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.

16
Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,

Sprach: „„Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen,
Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?““

19
Und er zu mir: “Des tiefen Abgrunds Plagen

Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.

22
Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht.“

So ging er fort und rief zum ersten Kreise
Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.

25
Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,

  1. [133. Der Windstoß aus der Tiefe, der Lichtblitz – Vorahnungen der Hölle. Sie machen ihn bewußtlos. So allein kann er hinüberkommen, was daher auch nicht beschrieben wird. Denn die Weise, wie ein Lebender ins Todtenreich gelangt, bleibt ins Dunkel gehüllt.]
  2. [IV. 7. Dante ist also drüben, am Rand des Kraters. – Wir wollen dem Leser die Mühe ersparen, den Bau der Dante’schen Hölle erst allmälich aus dem Verlauf des Gedichts sich zusammenzusetzen und geben hier im Voraus ein Bild davon. Im Innern der Erde ist, nach der Vorstellung des Dichters, eine Höhle, die sich bis zum Mittelpunkt herabzieht. Sie geht trichterförmig, jedoch in amphitheatralischen Absätzen, abwärts und verengt sich zuletzt zum Brunnen. Jeder dieser Absätze, rund um die Höhle herumlaufend, bildet einen Kreis, in welchem eine Gattung von Sündern ihre Strafe findet. Daß diese Kreise nach oben hin von Felsenbänken, zum Theil von Felsendämmen eingeschlossen sind und nach unten hin an die Leere des Abgrundes grenzen, ist zwar nicht allenthalben bestimmt angegeben, jedoch aus vielen einzelnen Stellen ersichtlich. Die untersten dieser Kreise sind noch öfters [25] in mehrere Unterabtheilungen, „Bulgen“, abgetheilt durch hohe Felsenringe, über die die Reisenden von einer zur andern herübersteigen müssen. Auch abwärts leitet sie an einer Stelle ein felsiger Pfad von Kreis zu Kreis hinab. Um an diese Stelle zu gelangen müssen Dante und Virgil also jedesmal ½–¾ der Terrasse durchwandeln, bei welcher Gelegenheit sie eben alle Inwohner betrachten können. Die Richtung des Ganges ist so, daß sie immer links die ansteigenden Wände, rechts den Abgrund haben. Gs. 14, 124 – 129. Der unterste Punkt, die Spitze des Trichters ist zugleich der Mittelpunkt der Erde, senkrecht unterhalb Jerusalem. Von Zeit zu Zeit geht’s über einen der vier, von Abhang zu Abhang niederstürzenden Höllenströme. (Gs. 14, 103 ff. 116 ff.) Man denke sich nun das riesige Rund, finster, dröhnend, dampferfüllt, flammendurchzuckt! – Aber so gewaltig, ins Große arbeitend sich hierin die Phantasie des Dichters zeigt, so fein und sublim offenbart sie sich dann in der moralischen Eintheilung der Hölle. Die räumliche Anordnung wird das äußere Abbild der sittlichen! Je schlimmer der Sünder, desto tiefer kommt er hinunter. Es werden im Ganzen dreierlei Sünderklassen unterschieden, wonach die Hölle drei Abtheilungen bekommt[WS 1] 1. unbewußte Sünder. Kreis 1, noch nicht zur eigentlichen Hölle gehörig: Die frommen Juden und Heiden. 2. Sünder der Unmäßigkeit; Kreis 2–6: Wollüstige, Schlemmer, Zornige, Geizige, Sinnenmenschen d. h. Epicureer, Gottesläugner. 3. Bosheitssünden, Kreis 7–9. – Die letzteren werden wir im 11. Gesang näher explicirt finden (s. dort). Zu den beiden ersten Abtheilungen gehen wir jetzt über und bemerken nur noch, daß der Leser sein beständiges Augenmerk auch auf die überaus zutreffend (oft freilich auch craß) erfundenen Strafen der Sünden richten möge, nicht vergessend übrigens, daß dieselben Seelenleiden abbilden.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bekrmmt
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 24 bzw. 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_024025.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)