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In andrer Erstgeschaffnen Seligkeit
Läßt sie, nichts achtend, ihre Sphäre rollen. –

97
Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!

Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,[1]
Gehn abwärts jetzt, und unser Weg ist weit.“

100
Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,[2]

An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Deß Wellen fort durch einen Graben glitten.

103
Schwärzer als Eisen seine Flut, sie bringt,

Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.

106
Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen,

Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des gräulichen Gestads gelegen.

109
Dort stand ich nun und sah nach jener Flut

Und sah im Sumpfe Leute, koth’ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wuth.

112
Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte

Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.

115
Mein Meister sprach: „Sohn, sieh in dieser Pein

Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unter’m Wasser müssen viele sein;

118
Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen

Dann steigen Blasen auf von ihrer Noth,
[45] Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.

121
Und immer rufen sie, versenkt im Koth:

Wir waren elend einst im Sonnenschimmer,
Das Herz voll Feu’r und Tücke bis zum Tod,

124
Und jetzt im Schlamm’ noch plagen wir uns immer.

Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.

127
So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,

Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,

130
Bis wir zu eines Thurmes Fuß gezogen.
_______________

Achter Gesang.
Ueberfahrt. Filippo Argenti. Zum VI. Kreis. Kampf um den Eingang zur Stadt Dis.

1
Lang’ eh wir noch, so fahr’ ich fort zu sagen,[3]

Dem Fuß des hohen Thurms uns konnten nahn,[4]
War unser Blick zur Zinn emporgeschlagen,

4
Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sahn,

Als Rücksignal ein andres, so entlegen,
Daß es das Auge kaum noch konnt’ erfahn.

7
Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:

„„Was ist dies? welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?““

10
Und Er zu mir: „Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.

Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt.“


  1. 98. Die Worte: als ich fortgeschritten, weisen auf die Worte im letzten Verse des ersten Gesanges: Da schritt er fort – (im Original: quando mi mossi – allor si mosse). Als er fortschritt, verging der Tag, wie wir im ersten Verse des zweiten Gesanges lesen: es war also in der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, die sechste Stunde nach Mittag vorbei. Da nun die Sterne die Hälfte ihrer Bahn über unserm Halbkreis in sechs Stunden vollenden, so muß jetzt, da die bei der Abreise aufgestiegenen Sterne wieder abwärts gehen, Mitternacht vorbei sein. Die Reise des Dichters hat daher bis jetzt sechs Stunden gedauert.
  2. 100. An dem Rande, welcher gegen den Abgrund zu den vierten Kreis begränzt, steigt der Dichter in den fünften hinab, in welchem diejenigen bestraft werden, welche der Zorn bezwungen hat. [Der Siedequell, welcher den Sumpf bildet, ist Sinnbild des Zorns, der darin gestraft wird und der darin sein wüstes Erdentreiben fortsetzt.]
  3. [45] VIII. 1. Aus den Worten, so fahr’ ich fort zu sagen (io dico, seguitando) schließen Einige, daß Dante die ersten sieben Gesänge in Florenz vor der Verbannung, die folgenden aber nach derselben gedichtet habe. Andere behaupten, das ganze Werk sei im Exil entstanden.
  4. 2. Der Thurm, von welchem das Zeichen der zwei Flammen gegeben wird, steht diesseits des Sumpfes und mit einem andern jenseits in Verbindung, von welchem eine Flamme aufsteigt, um zu erkennen zu geben, daß das erste Signal bemerkt worden sei und der Fährmann komme. Die zwei Flammen deuten wahrscheinlich auf die Zahl der Ankömmlinge.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 44 bzw. 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_044045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)