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Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
„Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?“

121
Und dann zu mir: „Nicht mög’ es dich verstören,

Wenn du mich zürnen siehst – ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.

124
Schon früher stieg ihr kecker Muth so hoch,

An einem Thor, nicht so geheim gelegen,[1]
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,

127
Am Thor, von dem die schwarze Schrift entgegen

Dem Wandrer droht, – doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen

130
Ein Andrer her und öffnet uns den Ort.“
_______________

Neunter Gesang.
Die Engelserscheinung. Eintritt in die Stadt Dis, den VI. Kreis der Gottesläugner und Ketzer in glühenden Särgen.

1
Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,

Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.

4
Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,

Denn, weit zu schaun, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.

7
Er sprach: „Wir siegen doch in diesem Streit –[2]

Wenn nicht – doch hab’ ich nicht sein Wort vernommen?
Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit.“

10
Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen

[51] Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide mir verschieden vorgekommen.

13
Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,

Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er es war, des halben Wortes Sinn.

16
„„Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer

Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als daß erstorben jeder Hoffnungs-Schimmer?““

19
So fragt’ ich ihn, und jener sprach: „Nicht leicht

Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.

22
Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen[3]

Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.

25
Kaum war mein Fleisch des Geistes baar, als ihn

Die Zauberin beschwor in diese Mauer,
Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu ziehn.[4]

28
Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,

Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
Ich weiß den Weg – drum scheuche Furcht und Trauer.

31
Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht

Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht.“

34
Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten

Der hohe Thurm und bannte mit Gewalt
Den Blick aus Feuer auf dem Gipfel dorten.

37
Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,

Die blutbefleckt, grad’ aufgerichtet stunden,
Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,

40
Mit grünen Hydern statt des Gurts umbunden,

Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
Und Ottern rings die grausen Schläf umwunden.

43
Und Jener, dem bekannt ihr Anblick war,

Der Sclavinnen der Fürstin ew’ger Plagen, (Hekate)
Sprach: „Die Erinnyen nimm’, die wilden, wahr.


  1. 125. Das Thor ist das im Anfange des dritten Gesanges beschriebene, an welchem die Dämonen dem Heilande, als er zur Hölle hinabstieg, den Eingang wehren wollten.
  2. IX. 7. Der Vernunft ist es erlaubt, zu sorgen und zu zweifeln. Wenn sie auch einsieht, daß etwas nicht mehr bestehen kann, daß es nach dem durch Weltgeschichte und Offenbarung gleich deutlich ausgesprochenen Willen Gottes als schlecht und verwerflich in Nichtigkeit zerfallen, daß der Kampf gegen das Verwerfliche am Ende ein siegreicher sein muß, so trübt doch wohl das längere Ausbleiben des erwünschten Erfolgs diese Einsicht und schlägt für den Augenblick die Hoffnung nieder. Dieser Zweifel theilt sich V. 13 natürlich auch Dante mit.
  3. [51] 22. Virgil ist früher durch Erichtho, eine thessalische Zauberin hinunterbeschworen worden – kennt also die Hölle. Man suche hier keine Allegorie!
  4. 27. „Judecca“ eine der untersten Höllenabtheilungen.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 50 bzw. 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_050051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)