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Den er in seinem ehr’nen Bauch verhüllte,

Und so von eignem Schmerze schien durchbohrt,
Er, den nur Menschenangstruf bang erfüllte:

13
So schien zuerst das wehevolle Wort,

Eh’ es sich Weg und Ausgang hatt’ errungen,
Wie knisterndes Getön der Flamme dort.

16
Doch, als zur Spitze es emporgedrungen,

Und die Bewegungen der Zunge, sich
Mittheilend ihr, sie hin und her geschwungen,

19
Erklang dies Wort: „O du, an welchen ich[1]

Mich wende, der du mit lombard’schem Klange
Gesprochen: geh’ jetzt, ich entlasse dich! –

22
Obwohl ich etwas spät hierher gelange,

Doch weil’ und gib auf meine Fragen Acht,
Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.

25
Bist du zur Reif’ in diesen finstern Schacht

Erst jetzt vom süßen Latier-Land geschieden,
Von dem ich meine Schuld hierher gebracht,

28
So sprich: Hat Krieg Romagna oder Frieden?

Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden.“

31
Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,

Da stieß Virgil mich leis’ und sagte: „Rede,
Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt.“

34
Worauf ich, schon bereit zur Gegenrede,

Ihn also sonder Zögerung beschied:
„„O Seele, hier verborgen, sonder Fehde

37
War nimmer deines Vaterlands Gebiet,

Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüthen;
Doch offenbar war keine, da ich schied.[2]

40
[153] Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,[3]

So wie seit Jahren schon, Polenta’s Aar,
Deß Flügel unter sich auch Cervia hüten.

43
Die Stadt, die fest in langer Probe war,[4]

Wo jüngst ein Frankenhauf’ im Blut gelegen,
Beugt sich dem grünen Leu’n nun ganz und gar.

46
Verucchio’s alt und neuer Bluthund hegen[5]

Die Tück’ noch, die Montagna’s Tod erlauscht,
Und hauen noch die Zähn’ ein, wo sie pflegen.

49
Die Stadt, dran Lamon und Santerno rauscht,[6]

Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
Der die Partei mit jedem Mond vertauscht.

52
Sie, welchen Savio’s Flut benetzt die Seiten,[7]

Lebt zwischen Sclaverei und freiem Stand,
Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.

55
Jetzt bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;

Daß der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,


  1. 19. Die Rede ist an Virgil gerichtet und bezieht sich auf die nach V. 3 dem Ulyß ertheilte Erlaubniß, sich zu entfernen.
  2. 39. Krieg war dort immer, wenigstens im Herzen der kleinen, sich gegenseitig feindseligen Tyrannen, wenn auch, als Dante die Oberwelt verließ, also im Frühlinge des Jahres 1300, keine Fehde wirklich ausgebrochen war. – [Die Romagna ist das Land um Bologna, mit Bologna, Ferrara, Ravenna, Rimini, Forli, Faënza etc. als Hauptorten. Sein Zustand war damals ganz besonders verworren, nicht nur durch die ewigen Fehden der in jeder Stadt herrschenden Adelsgeschlechter, sondern noch besonders dadurch, daß Kaiser Rudolf die kaiserlichen Rechte [153] über den Landstrich auf den päpstlichen Stuhl übertragen hatte, wie denn derselbe dem Kirchenstaat bis in die neueste Zeit angehörte. – Im Folgenden Einzelheiten aus der romagnatischen Geschichte, erzählt von dem Haupthelden der Romagna selbst, Guido von Montefeltro, über den näher V. 67 ff.]
  3. 40. Guido von Polenta herrschte in Ravenna und erstreckte seine Herrschaft bis nach Cervia, einer kleinen, zwölf Miglien weit von Ravenna entlegenen Stadt. Das Wappen der Polenta war ein Adler.
  4. 43. [Forli, auf Befehl Martin’s IV. von einem, meist französischen Heere angegriffen, wurde von Guido von Montefeltro, dem Schatten, welcher eben zu Dante spricht, vertheidigt und durch eine Kriegslist gehalten. – Herren von Forli waren die Ordelaffi, die den grünen Löwen führten.]
  5. 46. Die beiden Malatesta, Sohn und Vater, Tyrannen[WS 1] von Rimini, benannt von Verruchio, einem in der Nähe dieser Stadt gelegenen Schlosse. Montagna, ein Edler von Rimini, war von ihnen grausam ermordet worden. [Sie waren, der eine der Vater, der andre der Bruder des Johann Malatesta, Gemahls – und des Paolo Malatesta, Geliebten der unglücklichen Franziska. Ges. 5.]
  6. 49. Faënza, wo der Fluß Lamone, und Imola, wo der Santerno fließt, wurden beherrscht vom Machinardo, welcher der Teufel benannt war. Sein Wappen war ein blauer Löwe im weißen Felde. Er trat bald von der Partei der Guelfen zu der der Ghibellinen, bald von dieser zu jener über.
  7. 52. Cesena am Savio, wo bald ein Einzelner herrschte und bald das Volk die Oberherrschaft gewann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Tyranen
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 152 bzw. 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_152153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)