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Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
Zum andern hin auf allen Vieren kriechend.

70
Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,

Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen,
Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.

73
Sich gegenseitig stützend, saßen zween,[1]

Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.

76
Gleichwie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt

Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
Die Striegel eiligst führt, und öfters gähnt;

79
So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben

Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
So gut es ging, ihr wüthend Jücken laben.

82
Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind

Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
Die unter’m Messer schneller Köche sind.

85
„Du, vor deß Fingern jetzt die Schuppen sprangen,“[2]

Begann Virgil zu Einem von den Zwei’n,
„Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,

88
Sprich, fanden sich auch hier Lateiner ein,

Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
Dafür dir ewig scharf die Nägel sein.“

91
„Lateiner kannst du in uns beiden schauen,“

[167] Erwidert Einer drauf, von Qual durchbebt,
„Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen.“

94
Mein Führer sprach: „Von Fels zu Felsen strebt

Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt.“

97
Da schien das Band, das Beide hielt, zerrissen;[3]

Und Jeder, dem’s der Rückhall kund gethan,
War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.

100
Dicht drängte sich an mich mein Meister an,

Und sprach: „Du magst sie nach Belieben fragen!“
Und ich, da Er es so gewollt, begann:

103
„„Soll dein Gedächtniß noch in späten Tagen

Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,

106
Wie du dich nennst und deine Heimath heißt?

Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
Daß du in deinen Reden offen seist.““

109
„Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen[4]

Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.

112
Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: In’s Luftrevier,

Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
Er, klein an Witz, und groß an Neubegier,

115
Bat mich, ihm diese Kenntniß beizubringen.

Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.

118
Doch Minos, dem sich Alles offenbart,

Hat, weil ich mich der Alchymie ergeben,
Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt.“

121
Zum Dichter sagt’ ich: „„Sprich, ob man im Leben

So eitles Volk, wie die Sanesen fand?


  1. 73. Zwei Alchymisten, als Fälscher der Metalle, sitzen an einander gelehnt mit Aussatz bedeckt und von ewigem Jücken gequält, welches sie durch wüthendes Kratzen zu stillen suchen. Wir dürfen glauben, daß das gegenseitige Stützen beider ein gegenseitiges Vertrauen auf die trügliche Kenntniß des andern und deren Benutzung zu Erreichung des Zweckes deute, so wie wir in dem fortwährenden Kitzel den unaufhörlichen Reiz zu diesem thörichten Bestreben erkennen mögen, welcher dem, der damit beschäftigt ist, nicht Ruhe noch Rast lassen soll. Und wenn die Säfte dieser Kranken, anstatt sich, wie bei den Gesunden, zu Fleisch und Blut zu verkochen, in Schorf verwandelt nach Außen treten, so werden wir auch das Resultat der Goldmacherkunst bezeichnet finden.
  2. 85. Man muß bekennen, daß durch diese Anrede das Bild dessen, der vom Schorf, wie von einem Panzer, bedeckt ist, und im Kratzen eine schmerzhafte Labung sucht, mit wenigen Worten bis zur ekelhaften Lebendigkeit ausgemalt ist, und die außerordentliche Darstellungsgabe selbst dann bewundern, wo man nicht umhin kann, zu glauben, daß sie nicht wohl angewandt sei.
  3. [167] 97. Die Kranken lagen erst still dort, wie von ihrer Krankheit gebunden. Aber die Nachricht, daß ein Lebender unter ihnen sei, bringt plötzlich eine allgemeine Bewegung hervor.
  4. 109. Griffolino aus Arezzo, ein Alchymist, hatte den Albero von Siena, den natürlichen Sohn des dortigen Bischofs, überredet, daß er die Kunst zu fliegen verstehe. Albero drang ihn, auch ihn in dieser Kunst zu unterweisen, und bewirkte, als dies nicht gelang, daß Griffolino, der keinen Beweis seiner Zauberkunst geben konnte, als ein Zauberer verbrannt wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 166 bzw. 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_166167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)