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Quadratyard vier Menschen zu stehen haben würden. Das primäre und fundamentale Hinderniss für die fortgesetzte Zunahme des Menschen ist die Schwierigkeit, Existenzmittel zu erlangen und mit Leichtigkeit leben zu können. Dass dies der Fall ist, können wir aus dem schliessen, was wir z. B. in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Existenz leicht und Raum für Viele vorhanden ist. Würden diese Mittel plötzlich in Grossbritannien verdoppelt, so würde sich auch unsere Einwohnerzahl schnell verdoppeln. Bei civilisirten Nationen wirkt das oben erwähnte primäre Hinderniss hauptsächlich durch das Erschweren der Heirathen. Auch ist das Sterblichkeitsverhältniss der Kinder in den ärmsten Classen von grosser Bedeutung, ebenso die grössere Sterblichkeit auf allen Altersstufen, in Folge verschiedener Krankheiten, bei den Bewohnern dicht bevölkerter und elender Häuser. Die Wirkungen schwerer Epidemien und Kriege werden bald bei Nationen ausgeglichen, welche unter günstigen Bedingungen leben, und sogar mehr als ausgeglichen. Auch hilft Auswanderung als ein zeitweises Hinderniss, aber bei den äusserst armen Classen in keiner grossen Ausdehnung.

Wie Malthus bemerkt hat, haben wir Grund zu vermuthen, dass die Reproductionskraft bei barbarischen Rassen thatsächlich geringer ist als bei civilisirten. Positives wissen wir über diesen Gegenstand nicht, denn bei Wilden ist eine Volkszählung nie vorgenommen worden; aber nach den übereinstimmenden Zeugnissen der Missionäre und Anderer, welche lange mit solchen Völkern gelebt haben, scheint es, dass ihre Familien gewöhnlich klein, dass grosse Familien dagegen im Ganzen selten sind. Zum Theil wird dies, wie man annimmt, dadurch zu erklären sein, dass die Frauen ihre Kinder eine sehr lange Zeit hindurch stillen; aber es ist doch auch äusserst wahrscheinlich, dass Wilde, welche oft viel Noth leiden und welche keine so reichliche und nahrhafte Kost erhalten als civilisirte Menschen, factisch weniger fruchtbar sind. In einem früheren Werke[1] habe ich gezeigt, dass alle unsere domesticirten Vierfüsser und Vögel und alle unsere cultivirten Pflanzen fruchtbarer sind als die entsprechenden Species im Naturzustand. Die Thatsachen bieten keinen triftigen Einwand gegen diesen Schluss dar, dass plötzlich mit einem Excess von Nahrung versorgte oder sehr fett gemachte Thiere und dass plötzlich aus einem sehr armen in einen sehr


  1. Ueber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 127—130, 187.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)