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„Oh – ausgeschlossen ist das durchaus nicht, Herr Balnör,“ sagte Harald nun. „Ein Mann wie Ruperti traut es sich wohl zu, ein Weib durch Briefe nochmals zu umgarnen –“

Der Reeder sprang auf.

„Lotte, es scheint fast so, als hätte Herr Harst recht! Dein Gesicht ist –“

Sie begann plötzlich zu schluchzen.

„Ja – ich habe zwei Briefe von ihm bekommen,“ erklärte sie ängstlich. „Beide aus Kopenhagen, den einen am 29. April, den anderen am 2. Mai. Beide Briefe steckten in Umschlägen mit Firmenaufdruck und waren mit Maschine geschrieben, trugen weder Ort, Datum noch Unterschrift, konnten aber dem Inhalt nach nur von – von ihm herrühren, da er mich in dem ersten um Verzeihung anflehte und sich vor mir zu rechtfertigen suchte, während er in dem zweiten etwa dasselbe schrieb, nur noch leidenschaftlicher und mit Ausdrücken, die eine starke Sehnsucht nach unseren Kindern verrieten. Er beschwor mich, niemandem etwas von den Briefen zu verraten und betonte, daß ich als sein Weib verpflichtet sei, ihn vor den [Gerichten][1] zu schützen, damit unsere Kinder nicht einen Zuchthäusler oder einen durch Henkershand Gestorbenen zum Vater hätten. – In beiden Briefen beteuerte er auch seine Unschuld, was Thora Olavsens Tod anbetraf, und behauptete, Thora hätte sich selbst durch einen Sturz von einem Abhang bei Saßnitz getötet. – Ich schenkte diesen Beteuerungen keinen Glauben, verbrannte die Briefe und suchte sie aus meinem Gedächtnis zu streichen –“

„Sollten Sie ihm antworten?“ fragte Harald.

„Ja. Aber erst im August. Er wollte mir noch mitteilen, wohin ich schreiben sollte. Ich hätte es nie getan – nie! Er hat keine Gewalt mehr über mich! Nur – nur kann niemand von mir verlangen, daß ich mithelfe, ihn der Polizei irgendwie in die Hände zu spielen. Das – das widerstrebt mir – schon der Kinder wegen!“

Sie weinte stärker. Der Reeder hatte wieder Platz genommen und musterte seine Tochter mit traurigen Blicken. Als sie sich beruhigt hatte, sagte Harald liebenswürdig:

„Gnädige Frau, sprechen wir von anderen Dingen.


  1. In der Vorlage ein unleserlich gedrucktes Wort.
Empfohlene Zitierweise:
Max Schraut: Das Geheimnis der Kabine 24. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1922, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_der_Kabine_24.pdf/44&oldid=- (Version vom 30.6.2018)