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Heinrich Schreiber: Das Suggenthal. In: Das Karlsruher Unterhaltungsblatt. 3. Jg. 1830. S. 93-99

gieng die Sonne in den schwarzen Wolkenbergen unter, welche sich jetzt immer näher und näher zogen und das Thal von allen Seiten zu umlagern schienen. Aber noch hielten sie sich zurück, bis die schnell Fortwandernden auf der Höhe des Lussen (in der Mitte des Kandels) angelangt waren, und dort ausruhen mußten. Zunächst um sie her war es still und feierlich, kein Lüftchen gerieth in Bewegung; dagegen kam das Gewölke zu ihren Füßen in vollen Aufruhr und stürzte in das Thal hinein, wie eine Schaar schwarzer Raubvögel auf einmal über ihre Beute stürzt. Unzählige Himmelsschleussen öffneten sich, es war kein Regen, welcher aus den Wolken hervorbrach, sondern ein ungeheurer Wasserstrom. Noch jubelte die Musik, wie verhöhnend in dem Thale, aber jetzt endete sie, und ein Schrei der Verzweiflung aus mehreren hundert Kehlen schlug bis an den Gipfel des Kandels hinauf. In wenig Minuten war das Gewitter vorübergegangen, man sah kein Thal mehr, sondern nur einen langen See, welcher nach und nach ablief. Das Schloß war verschwunden, von Pochwerken und Hütten war keine Spur mehr zu finden. Selbst die Leichname verloren sich unbeerdigt in die Menge von Schachten, aus welchen erst nach Jahrhunderten die gekrümmten Gerippe hervorgezogen wurden. Staunend und zitternd sahen die beiden Kinder in den Gräuel der Verwüstung hinab und wußten sich kaum zu fassen; der Vater in ihrer Mitte war leise und für immer eingeschlummert.“

So erzählte ich, während wir in das freundliche Wiesenthal unter den Lauben von Obstbäumen einfuhren. Einladend winkte uns die eine Tochter des Kandels zu, und kredenzte uns die dampfenden Tassen. Dann gieng es das Thal hinauf, an den unheimlichen Schachten vorbei, über die Schloßmatte zum letzten Häuschen, und dann über den Lussen hinüber in das Glotterthal. Dort erwartete uns schon die andere Tochter des mächtigen Altvaters, geleitete uns zur reichbesetzten Tafel und bot die Pokale herum, angefüllt mit dem köstlichsten Weine des Breisgaus, welche wir mitten unter Genesenden und bereits Gesunden, auf das Gedeihen der beiden segenreichen Schwestern jubelnd leerten.

Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Schreiber: Das Suggenthal. In: Das Karlsruher Unterhaltungsblatt. 3. Jg. 1830. S. 93-99. Müller, Karlsruhe 1830, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Suggenthal.djvu/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)