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Walther Kabel: Das Zigarettenetui (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 17)

Das Zigarettenetui.


Erzählung nach Tatsachen. Von Walter Kabel.
(Nachdruck verboten.)

An einem regnerischen Abend gegen zehn Uhr betraten zwei Herren und eine Dame anscheinend in höchst angeregter Stimmung das vornehmste, in der Hauptstraße der süddeutschen Residenz gelegene Café Austria und nahmen an einem freigewordenen Marmortischchen Platz. Die Dame, eine hochgewachsene, schlanke Erscheinung mit temperamentvollem, graziös getragenem Köpfchen, war die weltberühmte Vortragskünstlerin Lola Matero, die zurzeit mit größtem Erfolg in dem ersten Varieté der Hauptstadt auftrat. Lola Matero erfreute sich in jeder Beziehung eines untadeligen Rufes. Fürsten und Könige hatten ihre Gunst zu erringen gesucht, hatten sie mit wertvollen Geschenken förmlich überschüttet. Aber niemand war es bisher gelungen, dieses ebenso talentvolle wie zurückhaltende Weib für sich zu erobern.

Erst in letzter Zeit – und die Tagespresse aller Länder hatte auch hiervon in möglichst diskreter Weise Notiz genommen – schien das Herz der schönen Matero Feuer gefangen zu haben. Hier in der Residenz war sie mit einem sehr reichen, jungen Fabrikbesitzer bekannt geworden, der sich gleich beim ersten Sehen sterblich in sie verliebt und sich ihr dann augenscheinlich mit den ernstesten Heiratsabsichten genähert hatte. Und merkwürdigerweise nahm die Künstlerin diese Bewerbung, die in der ehrerbietigsten, taktvollsten Weise geschah, nicht nur mit dankbarer Genugtuung entgegen, sondern sie zeigte auch bei den verschiedensten Anlässen, daß sie für Heinz Benkens’ offenes, liebenswürdiges Wesen mehr als eine augenblickliche Neigung empfand. Fast täglich hatte man sie in der vergangenen Woche, allerdings stets in Begleitung ihres Impresarios oder ihrer Mutter, in Gesellschaft des jungen Fabrikbesitzers gesehen, und daher erregte ihr Erscheinen im Café Austria, wo nur die elegante Lebewelt der Residenz verkehrte, auch jetzt wieder allgemeines Interesse. Ihre charakteristischen, edel geschnittenen Züge und ausdrucksvollen dunklen Augen waren ja unverkennbar, mehr noch die Fülle ihres dunklen, bis tief in die Stirn gescheitelten Haares. Doch trotz all der auf sie gerichteten neugierigen Blicke unterhielt sie sich in völlig zwangloser Weise mit ihren Begleitern. Nichts in ihrem Benehmen verriet die Varietédiva, und in harmloser Freude lauschte sie den Klängen der aufspielenden Zigeunerkapelle und beobachtete das sie umwogende bunte, großstädtische Leben und Treiben.

Etwa zehn Minuten mochten verstrichen sein, als Lola Matero plötzlich bemerkte, daß sie ihr wertvolles Zigarettenetui in dem zur Fahrt nach dem Café benutzten Auto liegen gelassen hatte.

„Hat vielleicht einer von Ihnen sich zufällig die Nummer des Automobils gemerkt, meine Herren?“ fragte sie jetzt, offenbar durch diesen Verlust aufs unangenehmste überrascht. „Ich selbst weiß nur, daß es ein hellgestrichener Wagen war. Und dieses Kennzeichen dürfte kaum genügen, um ihn aus der Menge der übrigen herauszufinden.“

„Beunruhigen Sie sich trotzdem nicht allzusehr, meine Gnädigste,“ meinte der Fabrikbesitzer eifrig. „Sie werden das Zigarettenetui auf jeden Fall zurückerhalten, dafür verbürge ich mich. Wenn Sie gestatten, werde ich, der mit den hiesigen Verhältnissen am besten vertraut ist, die notwendigen Schritte in dieser Sache einleiten. Augenblicklich läßt sich allerdings nichts anderes tun, als eine Benachrichtigung an die Polizei und ein Inserat für die Morgenzeitungen absenden. Denn auf gut Glück in den Straßen nach dem Auto zu suchen, von dem wir nicht einmal die Nummer wissen, wäre ein völlig aussichtsloses Unterfangen, ganz abgesehen davon, daß schon längst ein Dritter, der nach uns das Gefährt bestiegen hat, den kostbaren, offen auf dem Polster liegen gebliebenen Gegenstand zu sich gesteckt haben kann.“

„Ich nehme Ihr Anerbieten gern an, Herr Benkens. Und Sie haben recht: ein Inserat müßte man für die Morgenblätter aufsetzen, in dem dem ehrlichen Finder eine hohe Belohnung zugesichert wird. Mir kommt es dabei auf ein paar tausend Mark nicht an. Sie wissen, das Etui ist eine Erinnerung an den vor kurzem entthronten Schah von Persien, dem ich vor zwei Jahren in einer Privatsoiree in Paris einiges vortragen durfte. Am besten ist wohl, man sagt dem Wiederbringer des Wertstückes gleich eine Belohnung von zweitausen Mark zu. Eine solche Summe lockt wohl jeden und verhindert hoffentlich, daß man die Brillanten aus dem Deckel herausbricht und das Gold einschmilzt, da das Etui in seiner jetzigen Gestalt kaum verkäuflich sein dürfte.“

„So viel?“ meinte der Fabrikbesitzer etwas erstaunt. „Hat das Etui denn wirklich einen so hohen Wert, der eine derartig große Belohnung rechtfertigt?“

„Es ist auf fünfzehntausend Mark abgeschätzt,“ mischte sich jetzt Signor Kalzani, der Impresario, ein. „Außerdem besitzt es für unsere Diva eben noch einen Idealwert als Andenken an einen der generösesten morgenländischen Herrscher. Mag es also bei den zweitausend Mark bleiben.“

Heinz Benkens ließ darauf sofort Papier, Feder und Tinte kommen, und man entwarf gemeinsam den Wortlaut der Anzeige an die Polizeibehörde und den des Zeitungsinserates, von dem man sich guten Erfolg versprach.

Gerade als der Fabrikbesitzer bei dem Kellner das notwendige Schreibmaterial bestellte, erhob sich von einem der benachbarten Tische ein einzelner, elegant gekleideter Herr mit einem auffallend gelblichen Teint und dichtem schwarzen Schnurrbart, legte das illustrierte Blatt, in dem er bis dahin anscheinend eifrig gelesen hatte, auf einen leeren Stuhl, zahlte und verließ, langsam sich die Handschuhe überstreifend, das Lokal. Kaum hatte er aber die Straße betreten, als er seine Schritte plötzlich bedeutend beschleunigte. Und den zum Schutz gegen den feinen Sprühregen aufgespannten Schirm möglichst tief haltend, so daß sein Gesicht völlig verdeckt wurde, eilte er in der Richtung nach dem nahen Opernhause davon. Dabei murmelte er unaufhörlich leise vor sich hin, lachte auch bisweilen höhnisch auf. „Und der Tropf will hier Bescheid wissen! Lächerlich! Jedem Einheimischen, der nur halbwegs gewohnt ist, die Augen offen zu halten, muß bekannt sein, daß alle Autos, die um diese Zeit Gäste nach dem Café Austria bringen oder sonst hier in der Gegend frei werden, sich nachher vor dem Opernhause aufreihen, wo die Vorstellung meist erst gegen elf Uhr schließt und die Gefährte daher regelmäßig zu tun bekommen.“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Zigarettenetui (Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Heft 17). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1911, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Zigarettenetui.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)