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lieben, Anlagen und Interessen – alles umsonst in uns gelegt, es sollte sich ja nie entfalten dürfen – war schon im voraus verdammt. Denn viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt. Mählich wächst dann die Erkenntnis, gegen die wir uns zuerst noch sträubten, von der wir im Innersten längst wissen, daß sie recht hat – auch wir gehören zu den Verschwendeten, zu den Millionen, deren Erscheinen ganz zwecklos war. Überproduktion. Schaum, der über den Rand des Bechers fließt.

Wer das vom eigenen Leben erkannt hat, den fröstelt es in Mark und Blut. Wozu überhaupt noch weiter? An Stelle all des Gewollten tritt ein einzig großes Sehnen, wie die welken Blätter müde niederzusinken und unter weißschimmernder Winterdecke aufzugehen im feuchtbraunen Boden, Nahrung werden für die ewig verschwendende Erde – dazu vielleicht taugen auch wir.

Wie oft habe ich all das während der letzten Jahre gedacht und darum gekämpft, ruhig und still zu werden. Denn Bitterkeit und Empörung zu Wehmut und Mitleid wandeln – das ist des Lebens Aufgabe, die wir lösen müssen, wollen wir nicht in Verzweiflung enden.

Nun stand ich an einem Grab. Auch ein armer, verschwendeter Mensch, der da unten ruht.

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/141&oldid=- (Version vom 31.7.2018)