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Renaissance – aber kein Savonarola, der gegen die Verderbnis der Menschen eiferte und die Welt bessern wollte, sondern ein Mönch von der beschaulichen Sorte, der in Chroniken mit schön gemalten Buchstaben seine Beobachtungen niederlegt, der die Schlechtigkeit der Welt wohl erkennt, aber sich nicht zum eingreifenden Reformator berufen fühlt, sondern denkt, daß, wer das eigene Herz nur rein hält, auch schon sein Teil getan hat.

Er wohnt nahe am Tiergarten, in einer Straße, deren eines Ende sich zu einem kleinen Platz erweitert, auf dem zwischen Fliederbüschen eine Kirche steht. Es ist kein sehr alter Teil Berlins, aber doch auch keiner von den ganz neuen, und es ist dort wohltuend geräuschlos. Zu den ernsten, etwas gleichmäßigen Häusern denkt man sich unwillkürlich als Bewohner still arbeitende Leute, die ein Menschenalter hindurch in denselben Zimmern gelesen und geschrieben haben und nichts von hastigen Umzügen wissen. – Es ist eine Gelehrtengegend.

So lang ich denken kann, wohnt der Onkel im selben Haus im dritten Stock. Sein Arbeitszimmer ist ein nach rückwärts liegender Saal, von dessen Balkon aus man auf Gärten blickt, in denen es jetzt grünt und Frühling wird. Über seinem Schreibtisch hängt ein Marmorrelief an der Wand. Es stellt

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/162&oldid=- (Version vom 31.7.2018)