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43.
New York, 21. Juni 1900.

Der entsetzliche Traum dauert weiter, keine Nachricht aus Peking, und schlimmer als alles, keine Nachricht von Ihnen. Ach, wo sind Sie, lieber Freund? Meine tägliche Hoffnung ist, ein Telegramm von Ihnen zu erhalten, daß Sie in Schanghai von Ihrer großen Reise ins Innere zurückgekehrt sind. Um diese Zeit müßten Sie doch dort eingetroffen sein. Was kann Sie so lang aufgehalten haben? Ich sehne mich so sehr danach, von Ihnen zu hören, daß das Warten zu einem physischen Schmerz wird.

Die Hitze liegt bleiern auf der Stadt. Tag und Nacht keine Abkühlung. Die Nächte sind am schlimmsten. Sie scheinen so endlos mit den wirren Gedanken, dem fiebrigen Einschlummern und den verschwommenen beängstigenden Visionen, die sie bringen. Dann wird die Hitze zu einem greifbaren Wesen, im Dunkeln lastet sie auf mir wie ein Alpdrücken, ich glaube sie fühlen und fassen zu können. In den Zeitungen steht, wie alle Jahre, es sei dies ein anormaler Sommer, noch nie hätten Menschen und Tiere so sehr unter der Hitze gelitten, noch nie seien so viel Hitzschläge vorgekommen. Es scheint, als sei es den Menschen ein Trost, sich einzubilden

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/208&oldid=- (Version vom 31.7.2018)