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erfrorene Glieder, Wunden und Gebrechen aller Art, Haare struppig verfilzt, Augen, die wie im Wahnsinn starrten. Kaum menschliche Wesen waren sie zu nennen in ihrem Schmutz und ihrer namenlosen Verkommenheit. Und viele waren noch sehr jung, noch Kinder, und mußten doch auch mal eine Mutter gehabt haben! Und der Jammer dieser vielen, besser nie gelebten Leben erschien deshalb so entsetzlich, weil seine völlige Hoffnungslosigkeit so klar vor Augen lag.

Umringt von den Bettlern blieben wir an einer der kleinen Garküchen stehen, wo in alten, hundertfach gesprungenen und mit Draht kunstvoll geflickten Porzellannäpfen, namenlose, seltsam duftende Speisen feil geboten wurden. Heißhungrig schauten die Bettler nach der großen Pfanne über dem offenen Feuer, auf der Fleischabfälle, zu Bällen geformt, in siedendem Fett gebraten wurden. Bläulich stieg der heiße Dunst auf in der kalten Winterluft und gierig sogen die Armen den Geruch brozelnden Fettes ein und drängten sich möglichst nahe an das Feuer. In ihres Daseins Hölle war eine warme Mahlzeit am Feuer einer Garküche wohl das Höchste, was die Erde zu bieten vermag – und Sie ließen allen zu essen geben und blieben dabei, damit auch jeder wirklich sein Teil bekam; denn die Bettler Pekings waren Ihre besonderen Schutzbefohlenen.

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/227&oldid=- (Version vom 31.7.2018)